1. Szene.

[5] Zernickow. Natalie. Marie. Anna. Emma.

Alle sitzen um den Tisch und trinken Kaffee.


ZERNICKOW. Das muß wahr sein, so reich, wie heute, bin ich noch nie beschenkt worden. Gewiß habt Ihr wieder bis in die Nächte hinein gearbeitet, Euch die Finger wund gestochen?

ANNA. Mach' dir darum keine Sorge, Vater.

MARIE. Du weißt ja, wie glücklich es uns macht, dir eine kleine Freude bereiten zu können.

ZERNICKOW. Ja, das weiß ich, und wenn mich etwas inmitten meiner Zufriedenheit bekümmert, so ist es der Gedanke, daß ich es nicht einmal dahin bringen kann, so viel zu verdienen, daß Ihr, meine guten Kinder, nicht nötig hättet, für fremde Leute zu arbeiten. Mein Gehalt reicht leider kaum für das Notwendigste.

NATALIE. Du hast gar nicht nötig, dich zu beklagen, Alter. Wir sind Gottlob alle gesund, wir haben satt zu essen.

MARIE. Dann mußt du ja auch bald Rat werden.

ZERNICKOW. Na, damit hat's gute Wege; es sind Aeltere, auch wohl Verdienstvollere da.

ANNA. Du bist zu bescheiden, Vater.[5]

NATALIE. Die Mädchen haben ganz recht, du setzest dich immer hintenan, du denkst nie an dich. Wir haben erst gestern darüber gesprochen – dein schwarzer Rock ist nun schon vier Jahre alt, er ist ganz aus der Mode gekommen.

ZERNICKOW. Aber er ist noch heil.

NATALIE. Ganz egal, du mußt dir einen neuen Rock machen lassen.

ZERNICKOW. Es geht nicht, Mutter, so viel ist nicht übrig.

EMMA. Es ist unerhört, daß der Staat seinen intelligentesten Beamten nicht einmal so stellt, daß er moderne Röcke tragen kann.

ZERNICKOW. Das verstehst du nicht, Hanswurst. Der Staat braucht Beamte, aber der Beamte braucht keinen Staat. Wenn Ihr die Mode mitmacht und Euch putzt, so hat das gewissermaßen seine Berechtigung – Ihr seid junge Mädchen, wollt heiraten, müßt also Eure Netze ausstellen.

EMMA mit komischer Empfindlichkeit. Netze ausstellen? Oho, Herr Amtsrichter, das haben so liebreizende junge Damen, wie wir, gar nicht nötig.

ZERNICKOW lächelnd. Na, na?

EMMA. Wenn wir wollten, könnten wir alle Tage heiraten.

ZERNICKOW. Ich wäre begierig zu wissen, wen?

EMMA. Wen? Na, da ist erstens der Sohn unseres Hauswirts, ein sehr hübscher junger Mann.

NATALIE. Ach, Emma, schwatze doch keinen Unsinn.

MARIE. Ich dächte auch –

ZERNICKOW. Bildest du dir wirklich ein, daß der sich um Euch bekümmert?

EMMA. Von Einbildung kann hier gar nicht die Rede sein, ich weiß es genau, daß Herr Weigelt junior schon seit mehreren Wochen jedesmal, wenn er ausgeht und wieder nach Hause kommt, seine Blicke mit lebhaftem Interesse auf dieses Fenster richtet. Wen sein Auge hinter der Gardine sucht, weiß ich nicht, aber doch jedenfalls Eine von uns Dreien.

ANNA achselzuckend. Ich kenne den Herrn gar nicht.

NATALIE. Und ich sage dir, wenn er sich wirklich um Eine von Euch bewerben sollte – woran er gewiß gar nicht denkt – ich würde mich doch sehr besinnen, ehe ich »Ja« sagte.

EMMA. Und warum?[6]

NATALIE. Der Herr Referendarius Weigelt erfreut sich gar keines guten Rufes.

MARIE. Ich glaube, liebe Mutter, du bist mit deinem Urteil doch wohl etwas zu vorschnell. So viel ich weiß, oder vielmehr gehört habe, trifft die Schuld für den etwas zweifelhaften Ruf des Sohnes mehr den Vater. Er hängt mit einer wahren Affenliebe an ihm, hat ihn verhätschelt und verzogen und von Jugend auf jeden seiner Wünsche, fast noch ehe er ausgesprochen war, erfüllt. Die überschwängliche Empfehlung des Vaters erweckt gegen den Sohn eine Antipathie, welche – so glaube ich wenigstens – durchaus nicht gerechtfertigt ist.

EMMA. Na, da habt Ihr's ja! Marie wirft sich zu seinem Verteidiger auf – das ist die Harmonie verwandter Seelen – sie ist es, der seine Fensterpromenaden gelten.

MARIE aufstehend. Ich finde deine Späße sehr unpassend, liebe Emma.

EMMA steht ebenfalls aus und umarmt Marie – gutmütig. Du bist mir doch nicht etwa böse?

MARIE leise, sehr erregt. Ich bitte dich, höre auf, du marterst mich.

EMMA erstaunt. Wie?!

ZERNICKOW. Nun, Marie, was ist das? Bist du schon fertig mit dem Frühstück?

MARIE. Ja, ich habe heute die Küche und muß dafür sorgen, daß der Geburtstagsbraten auf's Feuer kommt.


Rasch ab durch die Mitte.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 5-7.
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