1. Szene.

[67] Weigelt. Emma hinter der Szene.


WEIGELT auffallend gealtert, mit ganz weißem Haar, in sehr abgetragener Garderobe, sitzt an dem Schustertisch neben dem geöffneten Fenster und arbeitet emsig.

Duett.


EMMA singt hinter der Szene.

Der Mensch ist gar dumm, wenn er glaubt,

Der Reichtum allein sei das Glück,

Was heute der Zufall uns schenkt,

Nimmt morgen vielleicht er zurück.

Ich bin nicht an Luxus gewöhnt

Und hab' ihn auch niemals ersehnt.

Kenne nicht Neid,

Kenne nicht Leid,

Bin vergnügt auch im einfachen Kleid.

WEIGELT.

Macht dir mal

Auf Erden gar nichts mehr Plaisier,

Greife zur Arbeit –

Du wirst sehn, die hilft schleunigst dir.[67]

Trocken Brot,

Selbst wenn du etwas mäklig bist,

Schmecken wird's,

Wenn du es nach der Arbeit ißt.

EMMA.

Tralala! Tralala!

WEIGELT. Die kleine Lerche da unten is ein wahrer Schatz for mir. Wenn ich so spät bis in die Nacht 'rin geschustert habe und denn morgens nicht aus die Federn kann – wenn ich sage Federn, denn meine ich Strohsack – dann weckt mir immer der lustige Gesang und erinnert mir, daß es Zeit is, an die Arbeit zu gehen. Und ich habe Eile, übermorgen is schon der Erste, und mir fehlen an die fünfzehn Mark noch zwei Mark sechzig Pfennige. – Es is doch ein guter Kerl, der David, daß er sich mit funfzehn Mark monatlich begnügt. Freilich, ich hätte den Alimentations-Eid leisten können, daß ich nischt habe, und dann hätte ich den Wechsel gar nicht zu bezahlen brauchen; oder, wenn ich gesagt hätte, daß der Wechsel gefälscht war –? Pfui Gottlieb, du bist ein gemeiner Kerl, du wärst imstande, dein eigen Fleisch und Blut ins Zuchthaus zu bringen. Pfui Deibel! Kleine Pause. Dann lächelnd. Aber ich brauche mir ja nich zu schimpfen, ich tu' es ja nich – nee! An den Fingern zählend. Vier Tausend fünf Hundert Mark habe ich für die Möbel und den andern Krimskrams gekriegt, fünf Jahre jeden Monat fünfzehn Mark macht neun Hundert Mark, nu fehlen bloß noch sechs Hundert Mark. Wenn ich die abgearbeitet habe, denn bin ich fertig zum Abrutschen; wenn dann zu mir der liebe Gott sagt: Gottlieb, komm, denn hält mir nischt mehr zurück. Aber bis dahin: Immer feste! Er arbeitet eifrig. Wenn der Mensch noch so ehrlich is und er hat keinen ehrlichen Namen, denn is er ein Lump. Und das soll mir keiner nachsagen.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 67-68.
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