13. Szene.

[86] Vorige. Hempel, dann Weigelt.


HEMPEL mit einem Maß in der Hand, von links. Meister, soll ich Ihnen jetzt Maß nehmen?

RUDOLF. Maß nehmen! Ja wohl, Hempel, kommen Sie. Zieht den rechten Stiefel aus. Sie wissen ja, wo mich der Schuh drückt.

EMMA leise. Jetzt weiß ich's auch, und ich will ihn von dem Druck erlösen. Läuft zur Tür links, öffnet dieselbe und winkt Weigelt.

MEHLMEYER läuft Emma nach. Was willst du denn?

EMMA. Du wirst schon sehen.

WEIGELT tritt von links ein.

CLARA eilt ihrem Vater entgegen.

EMMA zu Rudolf, unbefangen. Sie brauchen ein Paar neue Stiefel, nicht wahr?

RUDOLF. Ja. Nehmen Sie's übel, wenn ich mir in Ihrer Gegenwart Maß nehmen lasse?

EMMA. Bewahre, wir sind ja alte Freunde. Aber ich dachte, da Sie doch Herrn Weigelt Arbeit geben wollten – Herr Hempel, geben Sie mir doch das Maß.

HEMPEL gibt ihr erstaunt das Maß. Das Maß? Hier.

EMMA. So könnte er, dacht ich, gleich ein Probestück machen.

ALLE. Wer?

CLARA. Mein Vater?!

EMMA weigelt das Maß hinhaltend. Bitte, bitte. Leise. Sie tun es für Clara.

WEIGELT lächelnd. Ja, warum sollte ich auch nich! Es is ja keine Schande, es is ja mein Geschäft. Nimmt das Maß und kniet langsam vor Rudolf nieder. Darf ich um den Fuß bitten?


Alle folgen mit gespannter Aufmerksamkeit dieser Szene.
[86]

EMMA steht hinter dem Stuhl, auf welchem Rudolf sitzt, und beugt ihren Kopf über die Lehne, Weigelt bittend ansehend.

RUDOLF betrachtet den vor ihm knieenden Weigelt mit starren Blicken.

EMMA klopft Rudolf auf die Schulter und flüstert ihm lächelnd zu. »Ehe er nicht vor mir auf den Knieen liegt« – Ihm mit dem Finger drohend. War's nicht so?

RUDOLF mit dem Ausbruch größter Freude. Ja, ja! Streckt seine Arme in die Höhe, erfaßt Emma's Kopf und küßt sie herzlich. Das vergesse ich Ihnen mein Lebtage nicht, Sie, Sie – Hanswurst, wie Sie Ihr Vater immer nannte. Er springt auf.

WEIGELT hält Rudolfs rechten Fuß fest.

RUDOLF. Aber, Papa Weigelt, Schwiegervater, lassen Sie mich doch los, und stehen Sie auf. Er hüpft umher. Nicht den Fuß, die Hand will ich Ihnen geben. Wir haben uns ja noch nicht einmal richtig begrüßt – nach so langer Zeit! Hebt Weigelt in die Höhe und streckt ihm die Hände entgegen.

WEIGELT erstaunt zu Rudolf. Is das wirklich Ihr Ernst? Sie können vergessen?

RUDOLF. Ja, ja, sehen Sie mir das denn nicht an? Die alten Geschichten sind begraben, sein Sie mir willkommen in meinem Hause. Drückt Weigelt die Hand.

MEHLMEYER. Die Dissonanz löst sich auf, Dideldidum! Er holt mit beiden Händen aus.


Melodram.


Nach Mehlmeyers letzten Worten fällt das Orchester mit einem leisen Quartettsatz ein, welcher in die Schlußmusik überleitet.


WEIGELT zu Clara, welche neben ihn getreten ist. Cläre, du hast doch Recht gehabt, daß du lieber mir aufgabst, als ihn; er is besser, als –

CLARA einfallend. Besser, als du glaubtest, ja. Er ist es auch, der Leopold gerettet hat.

WEIGELT. Mein Leopold! mein Sohn! Er lebt? er is gesund?

CLARA. Mehr als das, er ist durch Rudolfs Unterstützung ein braver Mensch geworden und wird in vielleicht nicht allzulanger Zeit wieder ganz der unsre sein.

WEIGELT. Mein Leopold! Seht Ihr, seht Ihr, Ihr habt's nie glauben wollen, aber ich hab' es immer gesagt: es steckt ein guter Kern in dem Jungen.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 86-87.
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