5. Szene.

[22] Vorige. Clara.


CLARA aus der zweiten Tür links. Guten Morgen, Leopold.

MINNA schreit erschreckt auf. Ha! Läuft durch die Mitte ab.[22]

LEOPOLD verdrießlich zu Clara. Höre mal, das war ganz überflüssig, daß du so hier hereinplatzest und das arme Mädchen erschreckst.

CLARA. Lieber Leopold, ich möchte Dich bitten, etwas weniger vertraulich mit unserem Dienstmädchen zu verkehren. Das bischen Respekt, welches eine Dienstherrschaft heutzutage noch genießt, geht dadurch ganz verloren. Dann schickt es sich auch nicht, für dich am allerwenigsten.

LEOPOLD. Warum soll gerade ich mir ein so großes Gewissen daraus machen, ein hübsches Mädchen zu küssen? Das sehe ich durchaus nicht ein.

CLARA verlegen. Weil –

LEOPOLD. Nun, weil –?

CLARA. Leopold, sei mir nicht böse – du hast auf deinem Tisch einen offenen Brief liegen lassen – ich habe einen Blick hineingeworfen, er interessierte mich sehr. Da ist der Brief. Gibt ihm einen Brief. Die mir unbekannte Marie beruft sich in diesem Briefe auf deine Schwüre ewiger Treue und Liebe. Hat sie ein Recht dazu – woran wohl nicht zu zweifeln ist –, dann ist es unrecht von dir, das erste beste Dienstmädchen zu küssen.

LEOPOLD ärgerlich bei Seite, indem er den Brief zerknittert und einsteckt. Daß ich den Wisch auch liegen lassen mußte! Laut. Ich muß dir sagen, daß es mir durchaus nicht angenehm ist, auf Schritt und Tritt von deiner Spionage verfolgt zu werden.

CLARA. Pfui, Leopold! Weich. Das habe ich nicht um dich verdient.

LEOPOLD. Tu' mir den einzigen Gefallen und werde nicht sentimental. Will gehen.

CLARA. Sei unbesorgt, ich will dich nicht verscheuchen, im Gegenteil, ich möchte dich so gern an uns, an das Haus fesseln; und darum hat mich die Entdeckung, daß du liebst, daß du dein Herz an ein Mädchen verschenkt hast, mit freudiger Hoffnung erfüllt. Weiß der Vater davon?

LEOPOLD. Wie käme ich dazu, ihm zum Vertrauten meiner Liebschaften zu machen!

CLARA. Nun, wenn du heiraten willst –

LEOPOLD. Heiraten? Hahaha! du bist wirklich sehr komisch, Clara.

CLARA. Wie? Du denkst also nicht ans Heiraten?[23]

LEOPOLD. Nein, solche Dummheiten kommen mir durchaus nicht in den Sinn.

CLARA bei Seite. Das arme Mädchen!

LEOPOLD sich nach rechts wendend. Ist der Vater in der Werkstatt?

CLARA. Nein, er ist aufs Gericht gegangen.

LEOPOLD. Sapperlot! Was hat der Alte denn auf dem Gericht zu suchen? Etwa mich? Damit würde er kein Glück haben.

CLARA. Er will den Korbmacher, welcher auf dem Hofe wohnt, exmittieren lassen.

LEOPOLD gleichgültig. So? warum denn?

CLARA. Das solltest du nicht wissen?

LEOPOLD. Wie käme ich dazu?

CLARA. Der Vater will aus den Räumen, welche die arme Familie bewohnt, ein Stallgebäude für dein Reitpferd machen lassen.

LEOPOLD. Ach, richtig, das hat er mir erzählt.

CLARA. Leopold, die Leute sind sehr arm, sie haben eine große Familie – möchtest du nicht dem Vater gut zureden? Wenn er es bei Gericht durchsetzt, ist der arme Mann mit Weib und Kindern obdachlos. Ein Wort von dir würde genügen.

LEOPOLD. Mein Gott, man kann doch nicht für alle armen Leute Obdach schaffen! Sie werden eine andere Wohnung finden.

CLARA bittend. Sei nicht so herzlos.

LEOPOLD. Ich sehe schon, du hast heute deinen larmoyanten Tag – dagegen ist nicht anzukämpfen. Aber du wirst wohl nichts dagegen haben, wenn ich mir lustigere Gesellschaft aufsuche. Guten Morgen, Clara. Ein Liedchen trällernd, ab durch die Mitte.

CLARA ihm nachrufend. Leopold! – Mit einem Seufzer. Er hört mich nicht, er ist ein kalter, selbstsüchtiger Mensch. Was Wunder auch! Die blinde Liebe meines Vaters hat ihn dazu erzogen. Ab zweite Tür links.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 22-24.
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