Meine theuren Freunde schätzen gewiß diese Emilie und ihren Wattines mit mir unendlich höher als viele Menschen, welche wir in großem Ansehen wissen.
Da beyde Wattines mich nochmals versicherten, daß ich von ihnen alle Erläuterungen erhalten sollte, welche ich bey den unvollkommnen Noten der Frau Vandek, von ihrer kleinen Inselgeschichte wünschte, so vermehrte ich meine Fragen, wie sich auch die Gelegenheit sie zu beantworten vermehrte, indem ich beynahe immer mit Wattines lebe, weil ich an dem Theile ihres Gartens arbeiten helfe, wo er von seinem zu Feldern angewiesenen Stück Waldes gegen Norden 20 Bäume stehen ließ,[1] um längst dem gezogenen Graben hin sogleich eine schattige Allee zu haben. Vielleicht arbeite ich darum eifriger, weil dorten wieder eine mit Gichtrosenbüschen umgebne Bank für Emiliens Ruhestunden angelegt wird, von welcher sie nicht nur den ganzen Garten und ihren Hof, sondern auch wie auf ihrer Insel-Bank, die Feldarbeiten sehen kann. An der Mittagsseite sind vier Morgen Land mit Zucker-Ahorn, und vier Morgen mit Aepfel- und andern Obstbäumen besetzt; so wie von dem Hofe an eine Laube mit Fuchstrauben den ganzen Garten gegen die Felder hindurchläuft. – In Wattines Scheune habe ich eine Sämaschine zu schnitzeln angefangen, weil er sich mit so vielem Vergnügen an diesem mir so lieben Gedanken anschloß, der Zimmermann sich auch darüber freuete, und in mancher Ruhestunde nicht nur mir zusah, sondern alles nachahmte: und da jetzo ein Hüttchen für die Schreinerarbeit und Drehbank errichtet wird,[2] indem ich Wattines diese Künste eben so getreu lehren will, als er meinen Zimmermann die Geometrie lehrt; so will ich ihm zu meinem Andenken alle meine Werkzeuge lassen. Mit dem Zimmermanne habe ich verabredet, daß wir beyde zwey Morgen Land von den Baumstumpen reinigen wollen; indem man sonst meinen Säpflug nie gebrauchen kann. Bey alle dem vergaß ich meine Fragen nicht, und suchte eine besonders bezeichnete Scene auf, welche selbst in den Noten der Frau Vandek die Aufschrift hat: zweyter und letzter Kummer, welchen Wattines seiner Frau machte.
Als die Regenzeit einfiel, sagte Emilie: lieber Carl! nun werden wir in vielen Wochen keine so schöne sternhelle Nacht von unserm Belvedere, wie sie den obern Theil der Insel nannten, sehen, wie die war, in welcher wir unsre himmlischen Nachbarn zuerst betrachteten.[3]
Ist dir dieser Platz so vorzüglich werth, meine Emilie? fragte Wattines zärtlich.
Ja Bester! ich werde sie auch nie vergessen, die Gefühle, welche der Anblick des so herrlich gestirnten Himmels und seines Wiederscheins in der ruhigen See mir gab, und nie sah ich ihn, selbst bey Tage nicht, ohne mich an den Wunsch zu erinnern, welchen ich damals hegte. – Wattines fragte schnell und eifrig: was für einen Wunsch, meine Liebe? Emilie faßte die Hand ihres Mannes, drückte sie an ihre Brust und sagte: Ich wünschte, daß mein Carl mir einmal verspräche, daß wenn ich hier stürbe, er mich in einer solchen Nacht, von der Anhöhe des Belveders in die See senken wolle. Wattines stand auf, warf sich mit einem Ausdruck der bittersten Schmerzen zu ihren Füssen und rief: o Emilie! dieß wünschtest du!
Lächelnd und ihn küssend erwiederte sie: ja, herzlich wünschte ich es, weil es mir[4] eine schöne Bestimmung zu seyn dünkte, daß wenn nun meine Seele zu dem Himmel über uns aufgestiegen seyn würde, auch ihre Hülle aus den Armen meines Carls, zwischen den Abglanz der Sterne, sanft nach dem Grunde der reinen See hinabgleitete. – Wattines umfaßte sie mit Heftigkeit, drückte sie an sein pochendes Herz, legte seinen Kopf auf einen ihrer Arme, und ihre Blicke vermeidend rief er: o Emilie! was für ein Bild! und welche Erinnerung kommt mir von einem dieser ersten Abende in die Seele zurück.
Er schwieg dann, sah tiefsinnig und mit bewegtem Herzen vor sich hin, als ob er etwas überlegte, endlich wie mit sich selbst sprechend, sagte er:
Ich will bekennen, daß ich auch einen Todesgedanken hatte, und dann leise hinzu setzte, als wollte er es nur denken, und mit etwas Stocken: Ach Rousseau! mit Heloise auf[5] dem Felsen Meillerie! – Seine Arme, welche bis auf diesen Moment Emilien umfaßt hielten, öffneten sich und fielen wie erstarrt zurück. Mich schauderte, sagte Emilie noch bey dem Erzählen.
O Gott rief ich, was für eine Verschiedenheit zwischen Mann und Frau. Ich dachte unter dem schönen Himmel, an den mich zu Gott rufenden Tod – und du! die Scene deiner und meiner Zerstörung. O Rousseau! wie viel Uebel hast du bey Erwachsenen gestiftet, wie sehr würdest du diesen schrecklichen Ausbruch deiner Leidenschaft bedauern, wenn du diese Wirkung deiner gefährlichen Beredsamkeit auf das beste edelste Herz wissen könntest! sie faltete ihre Hände, und unwillkührlich aber ernst sagte sie, ihre Augen zum Himmel hebend: Ewiger! ich danke dir für die Kraft zu tragen, ich will sie nicht, die Gewalt des Zerstörens, des Niederwerfens. Nun war aber alle ihre Stärke erschöpft, sie[6] weinte voll innigem Schmerz. Wattines war äußerst gerührt, umfaßte ihre Kniee und bat: O vergieb Emilie! daß ich deinem gefühlvollen Herzen diesen Schmerz verursachte, vergieb Rousseau'n! ach, tiefgefühlter Jammer wirkt so, wenn jede Hoffnung entflohen ist,
O wie nah, sagte Emilie, war meinen Lippen zu sagen, du und dein Rousseau, sind auf diesem Punkte sehr klein, aber stolze Männer tragen das nicht, dachte ich, weil ihr hoher Geist, das Wort klein so sehr herunter würdigt, trügen es am wenigsten, wenn eine Thatsache als Zeuge neben dieser Anklage da stünde; und dann befürchtete ich auch, daß Wattines denken möchte, eine Idee von etwas Kleinem in seiner Seele, würde nothwendig meine Liebe für ihn mindern, welche in dieser Einsamkeit einen so großen Werth für ihn hatte, und diesen Kummer wollte ich ihm nicht machen, sondern sagte zärtlich ernst, meinen Kopf auf seinen hinbiegend:[7]
Carl! dein Freund unter den Alten, welcher von dem Vergnügen der Götter sprach, wenn sie Tugend mit dem Unglück ringen sehen, dieser Mann war größer und besser als Rousseau, obschon gewiß nicht weniger leidend als er; denn wie sollte ein glücklicher Mensch zu einer solchen Betrachtung gelangen.
Wäre ich in diesem Moment bey meinen Freunden in Europa, so traulich allein, wie in den seligen mit Ihnen verlebten Abendstunden, so fragte ich hier meine Baase: hat Emilie bey ihrer Sanftmuth nicht mehr Stolz als Wattines und andre Männer? aber hat sie nicht im Ganzen eine höchst edle Denkart, und habe ich wohl Unrecht, meine Freunde! wenn ich mit Bewunderung von Emiliens Character schreibe? den noch wird mir alle Tage überzeugender wahr, was beyde Wattines aus Erfahrung sagen: daß das einsame Leben des moralischen Menschen seine Gefühle erhöht, und allen seinen Ideen einen[8] stärkern Ton giebt. Dieser oben erzählte Auftritt, noch mehr aber die Folge der vollkommensten Aussöhnung dieser edlen Unglücklichen, dünkt mich ein großer Beweiß dieses Ausspruchs zu seyn; denn als Emilie, mit welcher ich die Blätter von der Beschreibung dieses außerordentlichen Auftritts las, mir alle abgebrochne Anzeigen der Frau Vandek berichtigt hatte, sagte ich freimüthig: daß ich zu wissen wünschte, wie sie die ersten Tage nach diesen erschütternden Erklärungen durchlebten? – sie antwortete voll Würde: sehr glücklich. – Wattines war mit erneueter Zärtlichkeit um mich, wir sprachen ernst und vernünftig von Leben, Tod und der bessern Welt, Gott, unser Schicksal, und wenn ich so sagen darf, unsere, durch diese Unterredung gewiß über gewöhnliches Leben erhöhte und veredelte Tugend und die Gesetze der Natur wurden uns heiliger und werther, als zuvor. Mein liebenswürdiger Wattines[9] söhnte sich mit einer strengen moralischen Empfindlichkeit aus, ich mich mit seinem Rousseau; und da er theils wegen der schönen Idee der Alten: Erde ruhe leicht auf ihrer Brust, theils weil die Bewegung des Wassers, das sanfte Bild des ruhigen Schlafes der Begrabenen störte, auch mir dabey sagte, daß, da sein Herz bey dem Versenken in den See, keinen sichern Platz treffen könnte, den geliebten Staub zu besuchen, er nichts von meinem Wunsche hören wollte; so endigte sich unser kleiner Streit mit dem Entwurf, zu beyden Seiten des Belveders, in der Nähe unserer Hütte, gemeinschaftlich wie die frommen Mönche de la Trappe, unsere Grabstätte zu bereiten, sie wie Rousseaus Ruheplatz auf der Insel zu Ermenonville auch mit jungen Pappeln und den schönen Blüthe tragenden Gesträuchen unseres Eilandes zu umpflanzen. Sonne und Mond würden unsere Ruhestätte bescheinen, und Vögel auf den Bäumen bey[10] unserm Grabhügel, im Frühjahr, das Lob unsers Schöpfers singen; ja wir freueten uns bey der Vorstellung, daß diese Pflanzen durch die aufgelößten Theile unsers Wesens einen stärkern und schönern Wuchs erhielten, also die Zierde der Insel seyn würden, welches der Genius der Griechen gewiß als ein Dankopfer für den auf der Insel genossenen Schutz angesehen hätte. Das Ganze wurde noch vor dem Anfange des Winters fertig, und war die letzte Arbeit im ersten Jahre unserer Einsamkeit, und diese Scene die letzte, in welcher eine schmerzhafte Verschiedenheit der Ideen zwischen Wattines und mir vorkam.
Ich kann Ihnen nicht sagen, meine Freunde, welchen Eindruck der Gedanke dieser Arbeit und der Vorstellung dieses Bildes auf mich machte. Ich konnte nicht reden, wollte auch nicht weiter fragen, sondern sagte nur: Gott sey Dank, seltene ehrwürdige Frau! daß alles in Ihrem Schicksale anders wurde.[11] O wie innig war der Blick, mit welchem sie mit gefaltenen Händen zum Himmel sah und sagte: gewiß es hergeht kein Tag, ohne daß meine ganze Seele der ewigen Güte für diese glückliche Aenderung dankt.
Ich erwiederte aber, daß ich diese, ihrer letzten Ruhe bestimmten Plätze noch nie bemerkt habe, ob ich schon vier Wallfahrten zu der mir heiligen Zelle und den zwey Sitzen der liebenden Einsiedler der Insel Oneida machte. – Emilie antwortete mir lächelnd:
Sie waren doch sehr nahe dabey, denn die zwey nun mit Mooß bedeckten Sitze auf dem Belvedere, entstanden von der aus den Gräbern gehobenen Erde, und die zwey etwas tiefer liegenden Blumenbeete zwischen den Pappeln sind die von uns selbst verfertigten Ruheplätze; denn da ich die Idee, daß Wattines meinen Körper in den See bringen sollte, ganz aufgegeben hatte, und wir viel vom[12] Tode sprachen, erneuerte sich in meinem Gedächtnisse die Vorstellung, welche meine vortreffliche Mutter mir einst nach einem alten Schriftsteller von dem Bilde des Todes gab: daß er weit entfernt, von der schreckenden Gestalt eines Gerippes, als mächtiger, liebreicher Genius, die Straße des Lebens auf- und abschwebe, um die von Kummer und Leiden ermüdeten Sterblichen zur Ruhe des Grabes zu tragen; da forderte ich meinen Carl auf, einmal die Stelle dieses Genius zu vertreten, und mich vom Kampf ermüdet in mein letztes Bette zu legen. Er versprach es mit Zärtlichkeit, und ich bat ihn, meinen Grabhügel mit unsern Lieblingsblumen zu schmücken, wie er stets während meinem Leben die Gegend meines Aufenthalts mit dem Flor der Jahrszeit verschönerte.
Den kommenden Frühling fand ich die Gruben, und die zum Decken der Verstorbenen bestimmte Erde, mit feinen wohlriechenden[13] Kräutern und holden niedrig wachsenden Blumen, wie mit einem Teppich überzogen. Als Wattines mich bey diesem Anblicke so dankbar gerührt sah, betrachtete er meine ganze Gestalt mit aufmerksamer Liebe, und sagte, indem er mich an seine Brust drückte: wenn meine so angenehm blühende Emilie hier dahin welkt, so soll sie auch nach ihrem Wunsche von mir zur Ruhe gebracht werden, und hier in dem Schooße der Blumengöttin schlafen.
Dieser unerwartete Gedanke erhöhte meine Gemüthsbewegung, ich umarmte Wattines und sagte: Lieber wie schön und gütig ist dieses. Nun erzählte er mir, daß er diese Idee einer Reise nach Berlin danke, als es Mode war, die Revue der Armeen des großen Friedrichs zu besuchen, hätte er in den prächtigen Garten zu Sans-Souci, die so vortreffliche Idee ausgeführt gesehen, daß Flora in anmuthsvoller Stellung daliegend, ihren Kopf auf eine Hand gestützt mit lächelnder[14] Miene auf einem Grabe schläft; wodurch der große Mann in dem herrlich gearbeiteten Marmorbild, nicht nur den sanften Schlummer des Todes anzeigte, sondern den edlen tröstenden Sinn des Wiederauflebens und Auferstehens zum ewigen Frühling damit verband. Sehr artig setzte Emilie hinzu: finden Sie nicht, daß ich recht hatte zu behaupten, lange Einsamkeit schafft Erscheinungen bey frommen Seelen in Klöstern und bey liebenden Unglücklichen auf der Insel Oneida?
Ich faßte den Gang des Gesprächs auf, indem ich sagte, daß die Vorstellung des Sterbens, der Trennung und der andern Welt, zu allen Zeiten auf schöne gefühlvolle Seelen wirkte: bey den Griechen das Bild von Elysium, und bey den Christen das von himmlischer Seligkeit hervorbrachte, so wie Liebe und Freundschaft die Denkmähler der Verstorbenen errichtete, und fügte hinzu, daß diese Empfindungen, und selbst ein Spiel des[15] Zufalls mich in den Stand setzte, ihr von mir selbst, und in Personen meiner Nation ganz neue Beweise von dem Einflusse zu geben, welche die Erinnerung an Grab und geliebte Todte, immer haben würde; Sie forderte mich auf, ihr das alles bekannt zu machen: ich suchte nun in meiner Brieftasche das kleine Gemälde eines mit Vergißmeinnicht bepflanzten Grabes, welches mir um eines unvergeßlichen Freundes willen so werth geworden war, weil er diese Blümchen vorzüglich liebte, und ich dem Andenken dieses geliebten Freundes zu Ehren, sehr oft zwischen Lerchenbäumen einen schmalen Bergpfad bestieg, wo Schloß und Garten der Grafen von Stadion lag, um den Theil der Anlage zu besuchen, wo zwischen hohen grünen Wänden ein einsamer Springbrunnen lag, dessen Wasserbecken mit einem zwey Schuhe breiten Kranz von tausend und tausend Vergißmeinnicht umgeben war. Dort wo ich in[16] früher Morgen- oder in der Abendstunde bey Auf- und Niedergang der Sonne, das Haus sehen konnte, in welchem er geboren war, unser Franz von la Roche, welchen wir in der vollen Blüthe von männlichem Geiste, Tugend und Gestalt verloren. Ich zeigte Emilien die Einfassung, welche meine schätzbare Baase von dem aus diesem Kranze gepflückten Blümchen, um den Nahmenszug meines Freundes machte; dieser Kranz, wo sein schönes Auge diese Blümchen zuerst sah, und sein noch schöneres, zur edelsten Freundschaft gebildetes Herz, sie zuerst lieben lernte. Ich bekenne, daß ich mich in diesem Andenken ganz verlor, aber doch bemerkte, daß Emilie mir gerne zuhörte, und als ich ihr von der Betrachtung sagte, welche ein edler Teutscher über die Vergißmeinnicht schrieb, so wollte sie den Inhalt kennen.
»Es ist als hätte die Natur überall die Vergißmeinnicht als ein Memento für das[17] Herz hingesäet, denn wo ist der Mensch, dem nicht irgend in der Schöpfung etwas zurufe: vergißmeinnicht? Das gefühlvolle Mädchen drückt dem scheidenden Jüngling die Hand, vergißmeinnicht! die Mutter dem Sohne, der Freund dem Freunde, vergißmeinnicht! Wehe dem Unglücklichen der in der weiten Welt nichts gefunden hat, woran ihn dieses Blümchen erinnern könnte! doch ihr holden blauen Wesen! wenn Ihr kein Memento seyd für Liebende, Mütter und Freunde, dem Verlaßnen, ruft der aus Euch zu, der Euch gebildet hat, vergißmeinnicht!«
Ich dankte Emilien für ihre theilnehmende Aufmerksamkeit und fragte: ob sie nicht bey dem kleinen Bilde des Grabes in meiner Brieftasche, auch etwas von der sanft melancholischen Schwärmerey fände, welche die Mönche von la Trappe und die edlen Wattines zu ihren eigenen Gräbern führten? ja, sagte[18] sie, ich denke es ist der nehmliche Geist, welcher gute große Römer die Aschenkrüge in ihren Grabmälern beleuchten ließ, und, erwiederte ich, Emilien von Wattines zwey Jahre an Errichtung der Urnen ihrer geliebten Verwandten arbeiten machte. Sie senkte bescheiden ihr Auge zur Erde, faßte sich aber und sagte: Sie sprachen auch von einem Spiel des Zufalls, welches mit diesen rührenden Gegenständen unserer Unterredung verbunden seyn solle.
Ich zog Schillers Klagen der Ceres aus meinen Papieren hervor, wobey ich fragte: Ist es nicht ein sonderbarer Zufall, daß in dem einzigen Paquet Briefe meiner Freunde, welches ich hier bekam, gerade ein vortreffliches Gedicht von einem der schätzbarsten Genies von Deutschland mit eingeschlossen ist, dessen Inhalt so ganz zu Friedrichs Flora und dem Andenken meines Freundes paßt, auch Ihrem gütevollen Mutterherzen[19] gefallen wird, weil es die Trauer der Mutter meines geliebten Freundes in etwas milderte?
Ich gab ihr nun im Ganzen einen Begriff von den in dem Gedicht gegebenen, jeder edlen sanften Seele heiligen und willkommnen Beweiß, daß durch die auf den Gräbern der Geliebten entsproßnen Pflanzen eine Verbindung mit den zurückgelassenen unterhalten würde. Ich suchte Emilien so viel möglich eine Idee von der schönen Poesie zu geben, und übersetzte die Verse, wo Ceres sagt:
Nein, nicht ganz ist sie entflohen,
nein! nicht ganz sind wir getrennt:
haben uns die Ewighohen
eine Sprache doch vergönnt!
wenn des Frühlings Kinder sterben,
von des Nordes kalten Hauch,
Blatt und Blumen sich entfärben,[20]
traurig sieht der nackte Strauch;
nehm ich mir das höchste Leben
aus Vertumnus reichem Horn –
opfernd es dem Styx zu geben,
mir des Saamens goldnes Korn:
traurend senk ichs in die Erde,
leg es an des Kindes Herz,
daß es eine Sprache werde.
meiner Liebe, meines Schmerz's.
Führt der gleiche Tanz der Horen
freudig nun den Lenz zurück,
und wird alles neu geboren
von der Sonne Lebensblick;
Keime, die dem Auge starben,
in der Erde kaltem Schooß,
in das heitre Reich der Farben
ringen sie sich freudig loß.
Wenn der Stamm zum Himmel eilet,
sucht die Wurzel scheu die Nacht,
gleich in ihre Pflege theilet
sich des Styx, des Aethers Macht;[21]
halb berühren sie der Todten,
halb der Lebenden Gebieth;
ach, sie sind mir theure Boten
süsse Stimmen vom Cozyt,
hält er gleich sie selbst verschlossen
in den schaudervollen Schlund,
aus der Frühlings jungen Sprossen
Redet mir der holde Mund:
daß auch fern vom goldnen Tage,
wo die Schatten traurig ziehn,
liebend noch der Busen schlage,
zärtlich noch die Herzen glühn.
O so laßt Euch froh begrüßen
Kinder der verjüngten An!
Euer Kelch soll überfließen
von des Nectars reinstem Thau;
tauchen will ich euch in Stralen,
mit der Iris schönstem Licht,
will ich Eure Blätter malen
gleich Aurorens Angesicht;
in des Lenzes heiterm Glanze[22]
lese jede zarte Brust,
in des Herbstes welken Kranze
meinen Schmerz und meine Lust.
Ich wünschte Sie hätten die Aufmerksamkeit der vortrefflichen Frau gesehen, mit welcher sie auf jedes meiner Worte horchte, und wie schnell dem Gefühle ihres reinen Herzens, meine Uebersetzung und der feine edle Sinn der Verse deutlich wurden.
Ich wußte ihr von unserm Franz la Roche erzählen, und da sie als Beweiß ihrer zärtlichen Theilnahme an dem Kummer seiner Mutter und dem Verdienste des Sohnes, mich um einige Blümchen von den Vergißmeinnicht bat, schenkte ich ihr die Einfassung mit dem Namenszuge, indem ich sagte: daß es bey meiner Zurückkunft in mein Vaterland eine meiner süßesten Freuden seyn würde, eine Blume von seinem Grabe zu pflücken, um dadurch nach der Anweisung des herrlichen[23] Gedichts, noch meine Verbindung mit dem edelsten und besten jungen Manne zu fühlen.
Hier stossen Thränen von ihren Augen, und sie sagte mit innigem Schmerze: ach wenn ich nach Frankreich zurück käme, wäre ich nicht so glücklich, Blumen auf der Ruhestätte meiner geliebten Freunde zu finden. –
Diese Anwendung meines Gedankens war mir unerwartet, ich blickte äußerst gerührt nach ihr hin, aber sie verließ mich. Ich sah ihr nach und bemerkte, daß sie ihren Carmil bey seinem Spiele in dem Hofe aufgesucht hatte, und ihn lange in ihren Armen hielt. Der Kleine betrachtete sie, und bemühte sich dann mit seinen Händchen ihre Thränen abzuwischen. Ich war ihr langsam gefolgt, und hielt mich ferne, weil ich ihre Bewegung still verehrte und ruhig vorüber gehen lassen wollte; aber Wattines kam gerade von dem Felde zurück, und wußte natürlich keine Ursache[24] zu denken, warum seine Frau bey dem Kinde in Thränen schwamm, und fragte ängstlich:
Emilie! warum diese Trauer?
Sey ruhig, mein Bester! es ist nichts geschehen, sagte sie. Meine Wehmuth entstand bey einem schönen Gedichte, und aus Mitleiden für eine arme Mutter in Teutschland.
Dieß war ihm noch immer unverständlich. Nun erzählte ich, mit dem Bilde des teutschen Grabes in der Hand, den Anlaß zu Emiliens so schön sympathisirender Trauer. Sie lächelte hier ruhig und sprach von dem so neuen und rührenden Gedanken des teutschen Gedichts, mit so viel Empfindung und Klarheit, daß ich an die Harmonie schöner Seelen glauben müßte, wenn ich auch niemals davon gehört oder eine Ahndung gehabt hätte; denn der Auszug, welchen diese Frau, von dem tief[25] moralischem und schönen müthologischem Sinne von Schillers Gedicht, in ihrer Landessprache machte, war eine neue herrliche Abbildung von dem Originalideen in französischen Glanzflor gehüllt, der die Farben nicht verlöschte, sondern nur etwas dämmernd schimmern machte: ich staunte daneben über die Stärke und Feinheit des Geistes dieser Frau, indem sie, um ihren Mann zu schonen, mit keiner Sylbe die Erinnerung an ihre verlornen Freunde berührte, und nur von der sanften Wehmuth sprach, welche ihr das Gedicht einflößte; so wie das Mitleiden für die teutsche Mutter ihre Seele erweichte und ihre Liebe für Carmil erhöhte.
Wattines nahm nun das Wort und sagte: alles was ich von dem Inhalte dieser Poesie höre, macht mich bedauern, daß ich es nicht im Original lesen kann; aber es erinnert mich auch an einem meiner Lieblings-Schriftsteller unserer Nation, Bernardin de [26] St. Pierre, welcher, setzte er gegen mich lächelnd hinzu: obschon geborner Franzose, dennoch eine schöne Abhandlung über das Vergnügen der fühlbaren Seele bey den Gräbern schrieb; nun besann er sich ein wenig, und sagte zu mir: wir wollen dieses Stück einmal auf der Insel lesen.
Dieser Vorschlag freuete mich, denn da konnte ich nach der Stelle von den Gräbern fragen. Unsere folgenden Unterhaltungen waren nicht von so rührender, aber doch nicht minder angenehmer Art, denn sie betrafen die Antworten auf meine Fragen, über ihre Herbst- und Wintertage. Wattines sagte: an diese gewöhnen sich Europäer nur mit der äußersten Mühe, indem Amerika nur drey Jahrszeiten hat, Sommer, Herbst und Winter; vom September bis November ist das Clima paradiesisch, aber wie im November die Blätter fallen, so kommen kalte, abgesetzte Regengüsse und[27] Schneegestöber, Nordwestwinde führen um Weihnachten den strengen Winter über das ganze Land, die Erde wird hoch mit Schnee bedeckt, die Lust zu Eiß; aber der Himmel ist reiner Azur. Unsere Blicke, Wünsche und Bitten konnten stets, ohne von Nebel oder Wolken aufgehalten zu werden, zu unserm Urheber in die Höhe steigen, denn die Sonne leuchtet täglich hervor. Anfangs Mai schmilzt der Schnee und acht bis zehn Tage nachher, stehen Bäume, Felder und alles in Flor.
Diese Beschreibung freuete mich sehr für die guten Wattines, denn sie sahen also doch in ihrer tiefen Einsamkeit, zwischen den entblätterten Bäumen und Gesträuchen hindurch, – wie der Abbe Reyrac in seiner Hymne sagt:
»Alle Tage einen stets warmen Freund, die Sonne.«[28]
Als nun Wattines zu seinen Geschäfften eilte, nahm Emilie die Fortsetzung des Erzählens auf und sagte: unser Herbst und Winter wurden auch schön durch neuen Kunstfleiß, bey Lichtern und Lampen, für mich aber durch Wattines freigebige Mittheilung aller seiner Kenntnisse.
Ich fragte nach dem Kunstfleiße, welcher für mich immer viel Anziehendes und Schätzbares hat, hier aber um so mehr hatte, wenn ich bedachte, daß weder Wattines noch seine Frau zu Mangel geboren, oder zu rauher Handarbeit erzogen waren. Aus den Bibern, Fischottern und fetten Vögeln, welche er gefangen hatte, kochte Emilie das verschiedene Fett sorgsam aus, und mengte es mit dem Vorrathe Oehl, welchen sie mitbrachten. Die Dochte verfertigte sie aus äußerst schmal geschnittnen Streifen Mouselin, von einigen Halstüchern, welche sie dann zusammen drehte, Lampen- und als[29] sie im zweyten Jahre Wachs genung hatten, und es zu behandeln wußten, auch Kerzdochte davon machte: Wattines aber, um den starken Lampendampf abzuziehen, erbaute, nahe an der Wand, von Thon einen kleinen Rauchfang, welchem er einen guten Zug zu geben wußte. Was für eine Wohlthat in den langen Winternächten, wo Lesen und Arbeit der einzige Genuß von Erleichterung ihrer Noth und des schrecklichen Wehs, der langen Weile war. Ihre ihnen Eier gebende, bis zu 15 Stück angewachsene Hühner, wohnten des Tages mit in ihrer Stube. Wattines hatte sich einen Weg zum Fischen und Wasserholen offen gehalten, wodurch der Wechsel unserer Speisen, wie auch die Mittel zu unserm Honigwasser und der Reinlichkeit gesichert war. Unser Flachs, sagte Emilie, war gut gerathen, und noch in den letzten Herbsttagen ziemlich bereitet. Ich spann ganz artiges Garn, Wattines etwas[30] starkes. Hier verließ sie mich, und kam mit zwey Spindeln voll Garn und einer Handvoll Flachs zurück. Sehen Sie! da sind noch Reste von unserer Arbeit, und Spindeln welche mein Wattines so nett und mühsam schnitzelte: daß er Netze stricken konnte, berühre ich nicht, denn dieses muß ja immer ein guter Jäger verstehen, aber das Garn dazu verfertigen, lehrte ihn die Nymphe des Hayns auf der Insel Oneida. Ich bezeugte ihr meine Freude dieses alles gesehen zu haben, und bat sie, mir Flachs, Garn und eine Spindel zu schenken. Sie bewilligte es gerne, ich dankte und setzte hinzu, ach! was für Erinnerungen ruft Ihnen diese Arbeit zurück! sie erwiederte, o diese Tage waren süß, denn Hoffnung der Rückkunft unsrer Fischer war damit verbunden. Wir arbeiteten bald in die Wette, dann auch unter wechselseitigem Lesen.
Da ich den eigentlichen Unterschied zwichen der männlichen und weiblichen Erziehung[31] von unserm Stande wissen wollte, so erzählte mir mein guter Carl, soweit er sicher zurück denken konnte, den Gang der Leitung seines Geistes und seiner moralischen Gefühle; wie nun etwas wissenschaftliches vorkam, wurde ein Band der Encyclopädie genommen, das Ganze vorgelesen und erklärt; so daß ich dadurch mit Wattines eine völlige Wiederholung aller seiner Studien machte, ihn wegen dem was er wußte höher schätzte, wegen dem, was er mich lehrte, dankbarer liebte. Er mußte mich den Nutzen und den Gebrauch aller mathematischen Instrumente lehren, ja ich plagte ihn mit der Begierde das Latein zu wissen. Ich lächelte, und wiederholte das Wort: plagte.
O gewiß es war Plage, denn wir hatten keine Grammatik, kein Dictionaire mitgegebracht, nur Ciceros Werke und Briefe, da auf einer Seite Latein, auf der andern die französische Uebersetzung war, eben so der[32] Horaz, nur Virgil war ganz in seiner Sprache da. Alle diese Schriften las Wattines mit mir, und ich lernte eifrig, kam auch durch mein gutes Gedächtniß so weit, um so ziemlich alles was in andern Büchern vorkam zu verstehen, – und o wie sehr lernten wir beyde den Werth der Kenntnisse verehren! Buchdruckerkunst war uns göttliches Verdienst; denn durch sie waren wir in der Zeit, wo das Schicksal uns von allen Lebenden getrennt hatte, mit den besten die jemals lebten, umgeben, und konnten uns immer die nützlichste angenehmste Gesellschaft wählen. Wie oft sagte ich mit dem größten Staunen: o wie viel schönes hat der menschliche Geist hervorgebracht! ja, als ich das Glück des Wissens kannte, segnete ich unsere Einsamkeit, ohne welche Wattines nie Zeit gefunden hätte, weder mich zu belehren, noch für sich zu wiederholen. Er wurde uns sogar werth, der[33] Zustand der Armuth und des Mangels an allem, was Glück des physischen Lebens ist, da wir den höchsten Reichthum, aller seit Jahrtausenden gesammelten Schätze des Geistes um uns sahen. Dieser wirklich schöne Gang unseres Schicksals, welchen wir selbst in unsere Umstände verwebt hatten, und uns einzig in seiner Art schien, gab uns durch das angenehme, welches der Ausdruck einzig unter Millionen jungen Leuten unsers Alters zu seyn, mitten in unserer tiefen Einsamkeit, die edelste Freude der Eigenliebe zu kosten, und wurde, ich bin es gewiß, wahre Stütze unsers Lebens und unserer Kräfte. Wir genossen darin nicht allein das Glück, daß wir uns liebten, sondern auch hochschätzten, und so, edel vergnügt, die Wahrheit des Gedankens fühlten: daß Unwissenheit die Armuth des Reichthums, Kenntniß und Tugend, Reichthum der Armuth sey. Wir bemerkten auch wohl,[34] daß dieser unterscheidende Zug unsers Wesens, bey der Ankunft der Colonie sehr für uns sprach. Unsere Jugend rührte die guten Herzen, der Anblick unserer schön bearbeiteten Felder erregte freudiges Staunen; aber unsere vielen und vortrefflichen Bücher, die höchste Bewunderung, vielleicht um so mehr, da wir von der französischen Nation, und von der Classe waren, welche sich durch Leichtsinn und Begierde nach Vergnügen ausgezeichnet hatte.
Unsere Erfahrung und unsere Bücher gaben uns richtige Begriffe von Tugend, Verdienst, Glück und Jammer. Diese richtigen Begriffe wurden Grundpfeiler des Gebäudes unserer Ruhe; denn wie viele Arten Wohl und Weh werden uns in Städten und großen Gesellschaften durch die Einbildung zugeführt, welche wir am See Oneida nicht mehr hörten und sahen. Wir waren gegen das Lachen der Thorheit und gegen die[35] tyrannische Herrschaft der Mode geschützt, unsere Leiden und Freuden der Sinne kamen aus der Hand der Natur, und je länger wir auf unserer Insel unter ihrer Aufsicht und Pflege waren, desto mehr fühlten wir, daß sie sich gegen gute, ihr immer nahen Kinder wahrhaft mütterlich zeigt; denn unsere Gesundheit und unsere Kräfte vermehrten sich, nie hinderte Unverdaulichkeit unsern Schlaf, nie plagte uns Langeweile. Sie sehen nun auch, wie sehr ich Recht hatte zu sagen, der Herbst und Winter waren eine reiche Erndtezeit für meinen Verstand und für mein Herz. Sie kennen meinen Wattines durch den männlich sanften Ton der Freundschaft und das gefällig Ernste, wenn er mit Männern über einen wissenschaftlichen Gegenstand spricht: denken Sie sich die Stimme der edlen wahren Liebe, welche nicht nur die besten Gefühle des Herzens, sondern auch die besten Güther des[36] Verstandes mitzutheilen sucht. Sie wissen, daß in dem ersten rauhen Loghouse keine Fensterscheiben sind, aber Noth und Nachdenken lehren vieles: unsre kleinen mit weißem Leinen bespannten Fenster, würden einen mir unschätzbar gewordenen Unterricht eben so sehr unterbrochen haben, als sie das völlige Eindringen der Lichtstralen hinderten; aber Wattines nahm den ohngefähr einen Schuh großen Spiegel, welchen ich zwischen die Bücher gepakt hatte, und sagte mir: er wolle die Hälfte des mit Quecksilber auf das Glas befestigten Staniols abmachen, so würde dieser Theil Fensterscheibe werden, der andre Spiegel bleiben, und wir also den dreyfachen Nutzen vereinen, bey Wind und Regen, dennoch die Ansicht unserer Insel zu genießen, mitten im Winter Sonnenstralen aufzufangen, und zugleich die Ordnung unserer Haare und unsers Gesichts zu beobachten Sie können sich, sagte sie mit wahrer weiblicher Freude, keinen Begriff[37] von dem Vergnügen machen, welches ich über diesen Gedanken meines Carls empfand, und was für eine Quelle edlen reinen Genusses sich damit für uns öffnete. Lesen und Arbeiten wurden erleichtert, und wir konnten nun, ohne den Wind, das Schneegestöber oder den Regen bey dem Aufmachen eines Fensters einstürmen zu sehen, alles bemerken, was auf dieser Seite vor unserer Hütte lag oder sich zutrug. Sonne, Mond, Sterne, Bäume und Erde, die Luft und der See, waren nun selbst in übler Witterung frey vor unsern Augen, weil Wattines uns durch Aushauen einiger Baumäste eine Aussicht längst dem See geschafft hatte. Da ich, setzte sie hinzu, in meinem englischen Nähzeuge noch ein kleines Spiegelchen besaß, welches mir zu meinem Putze auf der Insel genügte, so bat ich Wattines, den ganzen Spiegel zur Fensterscheibe zu nehmen. Ein Gefühl von Glück durchdrang unser Herz bey[38] dem ersten Genuß dieser Aussicht: wie gerne hätten wir dem Oberherrn der Insel eine englische Fenstertaxe bezahlt, wenn sie jemand gefordert haben würde. Da dieses liebe Fenster nahe bey unserm Heerde war, und wir uns freistehend, sowohl wärmen als umsehen konnten, sagte Wattines: gewiß der Generalpächter in Paris, welcher über seinen Camin statt eines großen Spiegels ein eben so hohes prächtiges Glas einsetzen ließ, um bey dem wärmenden Feuer zugleich die Aussicht auf der volkreichsten Straße der Stadt zu genießen, dieser fühlte gewiß bey diesem kostbaren Kunstwerke kein so hohes Maaß Vergnügen als wir, bey der kleinen eine Spanne hohen Scheibe. Die liebe Frau führte mich nun gleich zu dem so sehr geschätzten Fensterchen, welches etwas schief zwischen dem Hausbalken befestigt war, gerade das Kämmerchen beleuchtet, wo alle ihre Inselgeräthschaften aufgestellt sind, und Wattines in warmen[39] Tagen auf dem kleinen Tischen aus der Hütte arbeitet.
Das Opfer meines Spiegels wurde reichlich bezahlt, indem mich mein Carl in den stürmenden Tagen des Novembers, über die Naturgeschichte der Winde, des Regens, der Wolken und des Schnees belehrte: da ich noch kein Englisch verstand, übersetzte er mir alle die schönen Herz erhebenden Betrachtungen eines Philosophen im universal Magazin: zeichnete mir dabey die feinen Stern gebildeten Schneepflocken, welche ich seitdem in Vandeks Hause, im Catechismus der Natur, nach zwölf abgeänderten sehr schönen Gestalten sah. Des Engländers Betrachtung über den Schnee reizte mich zum Fleiß seine Sprache zu lernen, weil er immer Kenntniß der Sache selbst, moralische Empfindungen, Auszüge aus den vortrefflichsten Dichtern neuerer Zeit, mit den Ideen der Alten verband, und ich diese Lehrart unendlich liebte: wie er zum Beispiel[40] vom Entstehen des Schnees sagte, Homers Bild war:
In des Winters dunkler unfreundlicher Regierung
deckt eine Ueberschwemmung von Schnee die Ebne.
Jupiter heißt die Winde schweigen und die Wolken schlafen,
dann stößt er das stille Unwetter dick und tief herab:
zuerst umhüllt es die Spitzen der Berge,
nach dem die grüne Flur und auch sandige Wüsten.
Das Gewicht des Schnees fesselt die Bewegung der Bäume,
und ein weit verbreitetes glänzendes Weiß verbirgt alle Werke der Menschen,
nur der bey ihrem Fall sich in lauter kleine Cirkel theilende See verschlingt sie
und trinkt seine aufgelösten Flocken wie sie fallen.[41]
Der Philosoph Aristoteles nannte den Schnee kurz und richtig, eine gefrorne Wolke, wie er den Hagel gefrornes Wasser nannte. Plinius, welcher dreyhundert Jahre nach ihm lebte, also eine noch gewissere Idee von dieser Lufterscheinung geben konnte, verirrte sich doch wieder zu der poetischen Phantasie, zu sagen: es sey der Schaum, welchen das in den obern Luftgegenden zusammen geschlagne himmlische Gewässer hervorbringe.
In dem englischen Dichter der Jahrszeiten aber findet man den Wiederhall der Stimme des Vaters aller Poeten, Homers; denn Thomson sagt:
Siehe! sie kommen, die strengen Witterungen; aufdämpfend
aus dem schwarzgelben Osten, aus scharf durchdringendem Norden
steigen die dicken Wolken; in ihrem Schooß liegt[42]
eine Dunstüberschwemmung, zu Schnee gefroren.
Siehe, sie rollen schwer durch ihre wolligte Welt hin;
und der Himmel ist traurig, beym dicht versammelten Sturme,
durch die gestillte Luft steigt ein weißer Schauer herunter,
welcher dünn zuerst wirbelt; und endlich fallen die Flocken
breit und weit und geschwind, so daß sie den Tag selbst verdunkeln
in beständiger Flut. Die werthgeschätzten Gefilde
nehmen ihr Winterkleid vom allerreinsten Weissen,
alles glänzt; nur nicht wo der neugefallne
Schnee schmilzt, längst den labyrinthischen Bach.
Hier unterbrach die liebe Frau das Lesen der Verse und sagte: o wie sehr fühlte ich,[43] daß der Dichter recht hatte, als er anmerkte, daß im freien ofnen Felde alles glänzte, nur nicht am labyrinthischen Gange, längst den Bach. Labyrinthe haben gewiß nichts glänzendes, nichts helles, jeder Schritt ist mit Furcht und Ungewißheit umgeben, kleine, wie Schneeflocken von ferne hellscheinende Aussichten und Hoffnungen, verlieren sich in einem Labyrinthe in dunkle Ungewißheit, wie die weißen Flocken im Wasser. Wundern Sie sich nicht, setzte sie hinzu, daß mein Herz hierin das Bild unsers Schicksals erblickte, so wie mein Geist in Thomsons Beschreibung des Winters die vollkommenste Aehnlichkeit mit dem von Amerika, so wie ich glaube, daß meine Aufmerksamkeit mich nicht täuschte, als ich eine Aehnlichkeit zwischen Homers und Thomsons Wintergemählden fand; es müßte nur in Popens Uebersetzung des ersten etwas gefehl seyn; denn Sie glauben wohl, daß ich weder Homer noch Pope im Original kenne? doch[44] da ich unüberlegt von zwey großen Männern sprach, so muß ich noch einen Punkt der Aehnlichkeit zeigen, die ich zu sehen glaubte, da Thomson auch sagt:
»Es beugen die Wälder jetzt ihr bereistes Haupt, das Antlitz der Erde ist tief verborgen, gefroren, eine blendende Wüste welche der Menschen Werke begräbt.«
Ich konnte nicht anders, ich mußte etwas über den Eifer der guten Frau lächeln, mit welchem sie von den zwey aufgefaßten Auszügen sprach. Ich sah noch den alt französischen Geist darin, wo artige Weiber alles beurtheilten. Emilie bemerkte aber mein Lächeln: ein Schimmer von Rosenfarbe überzog ihr Gesicht, ich war bange, ihr Mißvergnügen verursacht zu haben, und wurde in Wahrheit mehr verlegen als sie es seyn konnte; auch dieses bemerkte sie, und sagte freimüthig:[45]
Lächeln Sie nur ganz offenherzig, ich weiß wohl, daß Ihr Männer Eure Sprachkenntniß und alten Schriftsteller wie Heiligthümer betrachtet, welche wir guten Geschöpfe nicht berühren sollen. Wattines lächelte auch, als ich mit ihm davon sprach. Er war aber aufrichtiger als Sie, und sagte wie zu einem vorschnellen guten Kinde: ich sehe darin, daß der Winter in Homers Vaterland nach den ewigen Gesetzen der Natur dieser Jahrszeit sich zeigte, wie in den kalten Gegenden von England. Ich fühlte diese Wahrheit, und liebte die Betrachtungen des englischen Philosophen je mehr ich seine Landessprache kennen lernte, desto inniger, ja Thomson war auch mein Freund, weil ich in mir Sympathie mit ihm fand, da er alles was vom Himmel auf die Erde kommt, rein und schön nannte. Er wurde mir mehr als Homer durch seine edle Bitte an Gott:[46]
»Vater des Lichts und des Lebens! lehre du mich was gut ist, fülle meine Seele mit Einsicht, mit innerem Frieden, mit reinster Tugend, mit heiliger, wesentlicher und nie welkender Wonne.«
Diese Anhänglichkeit an das universal Magazin und der lange Auszug welchen die liebe Frau gemacht hatte, bewogen mich, das Heft zu begehren. Sie ging und brachte alle. In allen waren die Stücke der Betrachtungen bezeichnet. Sie machte auch im Febr. 1796 die über den Schnee. Sie ist in Wahrheit sehr schön. Als ich nun sagte, daß ich mir diese Monatsschrift selbst anschaffen wollte, und gewiß nie vergessen würde, bey welcher Gelegenheit sie mir bekannt wurde, sagte sie mit Würde und Freundschaft:
O es wird Sie immer freuen, das vortreffliche Werk zu besitzen, wie es mich freut, daß Sie es bey uns kennen lernten, und bey[47] jeder Betrachtung über die Güte der Natur, auch an die zwey guten Wattines in Amerika denken werden.
Diese Aeußerung überraschte mich. Ich ward durch das Bild meiner Entfernung von diesen wirklich guten Menschen bewegt, wollte nicht in gerührtem Tone sprechen, und lobte nur Emiliens Fleiß im Lesen, ihren Geschmack an Kenntniß, und ihre Bemerkungen. Sie lächelte und erwiederte ganz heiter:
Meine Bemerkungen bey dem Lesen auf der Insel machten sehr oft meinen Wattines lächeln, schafften mir aber auch die Freude, von seinen eigenen Gedanken unterrichtet zu werden, wie es einst bey der sehr ernsthaften Gelegenheit geschah, da er mit mir von den wesentlichen Verdiensten aller Wissenschaften sprach, wo natürlich auch Sittenlehre vorkommen mußte, und ich sagte:[48] ach Männer! warum habt ihr in so vielen Jahrhunderten die Gesinnungen und das Betragen der Menschen gegen einander, wovon das Glück des Lebens für alle abhängt, nicht unter so unwandelbaren Gesetzen befestigt, als die Regeln Eurer Sprachen, Eurer Geometrie, Mathematik und Künste! Mein guter Carl lächelte, wie Sie bey meiner Aeußerung über Thomson und Homer, sagte aber bald, und wie mich dünkte seufzend: ich fürchte, gute Emilie! das konnte nicht seyn, weil in der moralischen Welt der Gesinnungen unserer Seele vollkommne Freiheit ist; aber für das was wir thun wollen, hat unsere sinnliche Welt Gesetze, diese werden schwer gemißbraucht, Freiheit immer.
Ich wollte, sagte sie, nicht weiter gehen, denn nie, ach nie hörte ich ihn das Wort Freiheit aussprechen, oder von andern in seiner Gegenwart nennen, ohne zu bemerken,[49] daß seine Seele an den grausamen Gang der französischen Freiheit dachte und er dann litte.
Auch ich konnte nun diese liebenswürdige Frau weder lange fragen, noch Auslegungen über die geäußerten Gedanken ihres Wattines vorlegen, besonders da er alles, selbst das Ernsthafte so leicht und artig einkleidet, daß es natürlich seiner Frau stets das beste und vorzüglichste seyn muß, und auch, weder das gründliche noch schwankende seiner eigenen Ideen auf der Insel Oneida, keine besondern Folgen haben konnte. Aber indessen bekommt Wattines Geist und Charakter immer mehr anziehendes für mich, so daß ich mit äußerster Sorgfalt alle Züge davon zu haschen suche: noch mehr, es liegt mir unendlich stärker daran, zu bemerken, auf was für eine Art er sich bey seiner Frau in dem unterrichtenden Tone zeigte, als zu beobachten, was er für mich oder andre Männer seyn möchte; denn da, wo wir uns unter einander zeigen,[50] durchdringen wir uns sehr oft bey der schwachen Ecke, Lustigkeit, Unmuth, Eitelkeit oder Leidenschaften, verrathen uns auch eher als wir denken. Nun wird Wattines seiner Frau keine Ideen geben, die er nicht gern in ihrem Geiste einheimisch sehen möchte. Sie spricht mit Vergnügen von seinen Gedanken und seinen Thaten, so, daß meine Neugierde nur durch die Sorge beunruhigt ward, daß ich nichts als abgebrochne Stücke erhalten würde; weil Emilie auch mit ihren Kindern und ihrem häuslichen Wesen so getreu beschäftigt ist, daß ich gewiß bin, hätte sie mir nicht versprochen, über alles zu antworten, sie schenkte mir wenig Zeit; denn bey ihr möchte ich nicht auf die gewöhnliche Gesprächigkeit der französischen Damen zählen. Demnach urtheilen Sie, wie sehr ich wünschen mußte, die ganze Reihe folgender Gedanken zu wissen, da er zu seiner Frau einmal sagte: daß er den Verstand und die Seele für sehr[51] verschiedene Wesen halte, und glaube, daß der erste nur für das beste der Geschäfte dieses Lebens, wie ein erhöhter Naturtrieb zu den Künsten des vornehmsten Geschöpfs unter den Thieren bestimmt sey; auch hätte Gott nirgends dem vorzüglichsten Verstande, sondern nur der vorzüglichsten Seelengüte eine Belohnung verheißen.
Ein andermal sagte er: bald möchte ich hohe Tugenden, die schönen Künste der moralischen Welt nennen, unter welchen in so vielen Jahrtausenden, die Menschengeschichte alter und neuer Zeiten, nur wenige einzelne Bilder des Verdienstes, der Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und hülfreichen Großmuth aufzeichnen konnte. So wie die Kunstwelt auch nur Einzelne: einen Apoll, eine Venus, nur einmal die holde Idee der Grazien aufstellte; das Urbild des Cirkels als Laufbahn der Sonne, der Gestirne, Welten und Jahrszeiten, nur einmal Sinnbild des[52] Unendlichen wurde. Es war natürlich, daß Menschen, welche selbst gut und edel sind, die Modelle der hohen Tugend eines Socrates und Mare Aurels verehrten und schön fanden; wie das Auge des feinen Geschmacks, der Künste, seit mehr als tausend Jahren die Meisterstücke der griechischen Bildhauer und Baumeister bewundert und liebt. Natürlich entstanden in der moralischen Denk- und der materiellen Kunst-Welt, Millionen Copien und Versuche der Nachahmung und des Bestrebens, die schöne Höhe des Verdienstes der Alten zu erreichen; man lernte ihre Sprachen, um die Modelle ihrer Gedanken zu besitzen. Man maß und zeichnete ihre Bildsäulen und die edlen Bruchstücke, welche die Zeit und barbarische Kriege von ihren Gebäuden übrig gelassen haben, – aber dieser Gang der Ideen schien Emilien nicht der angenehmste zu seyn, denn sie unterbrach ihn mit einer sehr muntern Bemerkung und Frage, indem[53] sie sagte: mich dünkt, mein Carl hat eine sehr neue Anwendung von der griechischen Bildhauerkunst gemacht. Sage mein Bester! was sind wir auf unserer Insel? sollten wir unter Copien oder Originale gezählt werden?
Wattines antwortete mit sanftem Ernst: unsere Lage, meine Emilie! ist nicht ganz Original, weil es schon oft geschah, daß zwey gute Menschen, durch Schiffbruch, Treulosigkeit ihrer Reisegefährten, oder wie wir durch Unglück geleitet, auf einem unbekannten und unbewohnten Eilande einsam lebten, und wie wir, ohne alle fremde Hülfe harren und für sich sorgen mußten, bis das erzürnte Verhängniß wieder mit ihnen ausgesöhnt, ihre Erlösung veranstaltete: doch ist gewiß die Ursache unsers Hierseyns etwas eigenes, und alles was du, meine Emilie, gethan hast, einzig, daß es auch selbst in der andern Welt als Urbild einer der schönsten Erscheinungen[54] in der Menschheit aufgestellt zu werden verdient.
Emilie erwiederte: dieß würden vielleicht höfliche Männer sagen, welche mich als junge Frau von 21 Jahren hier fänden; aber meines Carls Pariser und Versailler Freundinnen könnten am aller staunenswürdigsten finden, daß ein junger französischer Hofmann, dessen liebenswerther Geist die glänzendsten Cirkel belebte, sich aller Bewunderung entzog, um freiwillig mit einer einfachen Landnymphe in dieser Einöde zu leben, und gewiß, sollten sie sehen, was der schöne Wattines auf dieser Insel für meine Unterhaltung und für mein Vergnügen unternahm, so würden alle mein Looß nur zu glücklich achten.
Dieses kleine Gespräch, meine Freunde! zeigt Ihnen doch ganz, einen Grundzug der Nation, welche stets einen so hohen Werth auf Scherz und Höflichkeit legte, daß weder Unglück[55] den ersten verbannen, noch die häußliche Verbindung die zweyte vertilgen konnten; aber gehören diese zwey Eigenschaften nicht mit unter die wirklichen Nationalvorzüge? Ich erinnere mich in diesem Moment, daß einmal in unserer kleinen Abendgesellschaft, von dem Scherze bey Kummer, und von Höflichkeit unter Eheleuten gesprochen wurde, wo die Gattin meines Freundes sagte:
Sie wünsche sich nicht das Talent, mit dem Unglücke zu scherzen, weil sie es für die erzwungne, unnatürliche Wirkung des Stolzes der wilden Iroquesen halte; aber daß sie den Himmel bitte, ihr die Kraft zu geben, den Kummer ruhig zu tragen, und wie die schöne leidende Engländerin ihrem Jammer zuzulächeln, smile and griefs, denn dieses allein sey wahre edle Stärke der Seele. Höflichkeit im Ehestande, schien ihr vor ihrer Heurath der einzige beneidenswerthe Vorzug der adelichen Damen zu seyn, weil ihre Männer die[56] Ebenbürtigkeit ihrer Gattinnen mit Achtung behandeln, und also jede rauhe, die Liebe tödtende Vertraulichkeit vermeiden müßten; aber jetzo, fügte sie hinzu, da ich den besten, höflichsten Mann der ganzen Gegend mein nenne, habe ich keinem Frauenzimmer auf der weiten Erde etwas zu beneiden.
Meine Base wird, hoffe ich, mit mir zufrieden seyn, wenn sie bemerkt, daß das Meer und die große Entfernung von Ihnen, ja selbst die schöne romantische Erscheinung der Wattines, das Andenken Ihres Hauses und Ihres Umgangs nicht aus meinem Gedächnisse verdrängte, und daß ich herzliche Wünsche zu dem Himmel schicke, mich wieder gesund zurück zu führen, damit ich die Erinnerungen meiner Reise und alles dessen, so mich hier freute, mit Ihnen theilen, und aufs neue das Glück Ihrer Freundschaft genießen könne. Ich werde mir auch ein Stück Feld neben Ihrem Garten kaufen, und dort[57] eine Hütte bauen, wie Wattines Hütte auf der Insel ist, welche ich mit Bäumen, Gesträuchen, Pflanzen und Blumen von der Insel Oneida umgeben werde, die ich mitbringen und einheimisch machen will; wie ich es mit dem Zucker-Ahorne versuchen werde, welcher eine wahre Wohlthat ist, indem jeder Baum, der wie bey uns die Birken, angezapft wird, fünf Kannen Saft giebt, aus welchem fünf Pfund Zucker gekocht wird. Ein Mann kann mit drey bis vier Knaben oder Mädchen in einem Monat 1500 Pfund Zucker sammeln, wenn die Kinder nur stark genug sind, die Gefäße mit dem Safte zu dem Kessel zu tragen, und ein leichtes Feuer zu unterhalten wissen, wobey sich der Saft auflöst. Wenn die Bäume geschont werden, so können sie mehrere Jahre dauern. In Europa könnte man sie zwischen die Obstbäume setzen, da sie zwey Schuh weit von einander stehen müssen, und ein Morgen überhaupt 140 Stämme[58] faßt, da erhielten wir Zucker, von welchem das Pfund nur 8 Kreuzer kostete.
Die amerikanischen Indier machen mit diesem Safte und Maismehl einen Teig zu ihrer Nahrung auf Reisen, oder auch bey Jagden und für Kinder. Bey diesen Anlagen meines Landguts, welches Oneida heissen wird, soll auch die schöne Mooßbank vor den Büschen der Jerich oder Peonien-Rosen als Vorbild einer artigen Gartenverzierung zu stehen kommen; dort werden wir den Ahorn-Zucker quellen sehen, und ich also zweyfacher Wohlthäter meines Vaterlandes werden.
Bald nach diesem Tage, an welchem Frau von Wattines mit mir mit so vieler Gefälligkeit, als geistvoll von ihrem ersten völlig einsamen Winter gesprochen hatte, verwieß sie meine fernern Fragen an ihren Mann, indem sie artig bescheiden sagte; da ich bis zu[59] dem Anfange der neuen Feldarbeiten meines Wattines vieles von ihm lernte, so würde das Zeugniß meines Fleißes in meinem Munde nicht so anständig lauten, als das, welches mein liebreicher Lehrmeister mir geben kann, auch, setzte sie mit gerührter Stimme und sanft erröthend mit niedergesenktem Kopfe hinzu, wurde meine Rolle im Frühjahre sehr wichtig. Ich wußte daß ich Mutter war, und es zu Ende Juny ganz werden sollte: aber ich verbarg dem theuren Wattines diesen Zustand so lange als möglich, um sein edles zärtliches Herz noch einige Zeit von diesen neuen Sorgen befreit zu halten. Ich konnte es um so leichter, da wir nun von der Zeit der Rückkunft unserer Fischer sprachen, und jeden Tag, da die Sonne höher stieg, lächelten wir ihnen mit mehr Freude entgegen, mehr, in Wahrheit mehr, als dem wiederaufblühenden Frühlinge und dem schönen Abglanze des Himmels, der Bäume und der[60] Blumen am Ufer des See's. Wir hofften durch sie so viel von Freund John, auch von Europa zu hören, und wieder Menschen, bekannte, gute Menschen zu sehen. O kaum, kaum, selbst in den glücklichen Tagen, des noch königlichen Frankreichs, als mein Herz der Ankunft des geliebten Wattines entgegen klopfte, ach kaum da waren meine Hoffnungen so süß, so lebhaft, und gewiß sah ich nicht so oft nach der Landstraße, von welcher Wattines kommen mußte, als nach dem Theile des See's, von wo die Fischer kommen sollten. Nun schwieg sie, nahm ihren Carmil in ihre Arme, und sagte dann so innig zu ihm: Lieber Unschuldiger! du theiltest diese Sehnsucht und diese Hoffnungen unter meinem Herzen mit mir, ach, du wirst in künftigen Tagen deines Lebens auch große und kleine Wünsche kennen lernen, möge Gott die besten immer erfüllen.
Ich bemerkte die Thräne sehr nahe in ihrem[61] Auge, und entfernte mich, um Wattines aufzusuchen, welcher mir mit dem Zimmermanne begegnete, da sie von der Arbeit eines neuen Hausbaues zurückkamen, wobey der edle rechtschaffne Wattines eben so fleißig hilft und angreift, als die übrigen; auch durch seine größere Geschicklichkeit und seinen erfindungsreichen Geist, bey hundert Anlässen, den andern das Anstrengen ihrer Kräfte erleichtert, abkürzt und die Arbeit verbessert. Er hat den Vorschlag gethan, daß man die ersten Wohnhäuser auf der Stelle des künftigen Hofes oder eines Seitengebäudes errichten solle, um einst die Arbeit des bessern größern Hauses gut beobachten zu können, ohne der, beym Bauen so angenehmen und dem Ordnung liebenden Auge so nöthigen Symmetrie zu schaden. Als ich ihm von Emiliens Anweisung auf seine Nachrichten sagte, willigte er sogleich ein, mit dem mir so erfreulichen Zusatze, daß er morgen mit mir[62] einen Theil des Sonntags auf der Insel feiern wolle, indem bey den Erinnerungen der wichtigsten Vorgänge, in der Geschichte des zweyten Jahres ihres Aufenthalts in der Insel-Hütte, einige Auftritte vorkämen, welche mich auf der Stelle selbst mehr freuen würden, als irgend eine Erzählung. Dieser Entwurf entzückte mich, weil ich viel mehr erwarten konnte, als er jemals in seinem Hause und Garten gesagt haben würde.
Wir nahmen, nach Vandeks wirklich schöner Predigt, ein gutes Frühstück ein, und schifften über. Wattines lenkte den Kahn selbst, befestigte ihn an einem Baume, und ging lebhaft der Hütte zu, öfnete, sie und sagte: ich weiß, Sie haben die gute Hütte schon gesehen, aber treten Sie doch auf einige Augenblicke mit mir hinein; denn, ob ich Sie schon weiter führen will, so ist mir doch unmöglich, an der lieben Hütte vorbey zu gehen, in welcher die allermerkwürdigsten Tage meines[63] Lebens vorüber flossen. Ich erwiederte: gewiß! ich betrachte sie mit neuen Gefühlen, da ich sie mit Ihnen besuche. Er drückte mir die Hand, blickte voll Freundschaft mich an, und sagte: es ist mir auch neu, das Gefühl, mit einem Freunde meines Alters zu seyn, und das hier in dieser Hütte, wo ich vier Jahre lang weit von dieser schönen Hoffnung lebte.
Ich erwiederte hierauf: indessen war sie Tempel der Liebe, diese einfache, mir dadurch heilig gewordene Hütte.
Haben Sie Dank, für diesen Ausdruck, sagte er, mich umarmend. Emiliens Tugend hat sie zum Tempel geweiht, denn es ist keine Stelle hier, wo sie nicht als eine Heilige dachte und handelte. –
Der Tisch und die Bank zwischen der Schlafkammer und dem großen Bücher- und Gärtnerzeug-Schrank sind noch da, Wattines[64] wußte, bey welchem Punkte seiner Geschichte meine Fragen stehen geblieben waren. Er blickte nachdenkend auf die Ecke der Bank, deutete nachher dahin, und sagte: diese Stelle wird mir unvergeßlich seyn, hier las ich Emilien vor, und auf eine andre Stelle zeigend, da saß sie in den trüben Tagen des ersten Winters mir gegen über und arbeitete, weil unsere kleine Fensterscheibe, da gerade beyden leuchtete, und wir zugleich die Aussicht über einen Theil der Insel, des See's und der Luft vor uns hatten, ja manchmal mit so vieler Freude Vögel vorbey fliegen sahen.
Emilie zögerte, so lange sie konnte, mir zu sagen, Carl! ich glaube du bist Vater. Ich bemerkte es früh genung, und einige Minuten genoß ich die süße erschütternde Freude, ein Kind von meiner Emilie zu hoffen, ganz rein und ungemischt; da ich aber wußte, daß sie es noch verbergen wollte, so ging ich mit meiner innigen Freude ausser[65] der Hütte, auf den schön erhöhten Platz, welchen wir Belvedere genannt hatten, dort sagte mir aber der weite Blick auf den See, und das feste Land, ach, und die große, große Stille um mich her: Emilie ist in diesem Zustande hier allein! Nun war sie fort, meine Freude, mein vor wenigen Augenblicken so ausgedehntes Herz wurde beklemmt, tausend Ideen kreutzten sich in meiner Seele, Reue, hier zu seyn, Reue, Vater zu werden, erneuerter Haß gegen die Menschen der Revolution, ach! alles, alles stürmte in meinem Innern. Ich sah nach der Hütte, meine für Emilien umher gepflanzten Blumen und feinen Gesträuche wiegten sich durch die sanfte Bewegung der Luft, welche mein Gesicht und meine Brust kühlte. Die Beleuchtung des See's und unserer Insel, war außerordentlich schön. Mein Herz wurde gerührt, ich warf mich nieder vor dem Schöpfer von allen mich umgebenden[66] Wesen, meiner Emilie und meines Kindes Schöpfer. Denken Sie sich, was ich bat und wünschte, sagte er meine Hand fassend: gewiß haben Sie auch schon erfahren, wie ein aufrichtiges Gebet in unserer Seele wirkt, meiner Worte waren wenig. Du siehst, du hörst mich, Allmächtiger! Nun trat auch die Hoffnung auf die Ankunft der Fischer vor mich, und flüsterte mir zu, daß diese verheuratheten Männer uns Rath geben: uns auf einen Pachthof führen, oder jemand zu uns bringen könnten, wie es schon der gute Quäker gleich anfangs haben wollte. Hoffnung lächelt gern und macht lächeln, mein Herz war durch sie erleichtert, und ich fühlte nur noch, daß ich jetzo keine nähere Pflicht hätte, als Emilien ihr Leben und ihren Zustand so angenehm als möglich zu machen; doch setzte ich mir zugleich vor, zu beobachten, wie lange sie noch darüber schweigen würde. Ich mußte[67] ihr in den ersten Wintermonaten von meiner erhaltenen Erziehung und Bildung meines Verstandes sehr genau erzählen, ja sie manches lehren, und Sie können nicht glauben, mein Freund! wie schnell und richtig sie faßte, wie fleißig sie sich in der Sprachkenntniß übte, aber meist nur auf dem abgekürzten Wege, sich nach Uebersetzungen einige Ausdrücke und Verbindungswörter bekannt zu machen, und dadurch in den Sinn der andern zu dringen. »Ich will, sagte sie, nur den Geist der großen Menschen hören, welche in dieser Nation lebten und dachten, dazu muß ich wohl etwas von ihrer Sprache wissen, aber ich möchte es mit dieser äußerlichen Einkleidung ihrer Gedanken halten, wie mit den Gewändern der Statuen und Basreliefs, wo man sogleich das Amt, den Stand und das Alter kennt, ohne alle Büge des Faltenbruchs aufzuzählen und durchzumessen.« Denk und Sittensprüche,[68] abgesetzte Lehrsätze, Ausdrücke der Freundschaft und der Liebe, suchte sie auf, faßte sie rein und lebhaft; denn ob sie schon eine geborne Französin ist, so kann sie Wortspiele gar nicht leiden. Der Witz muß sehr sanft und geistvoll seyn, wenn Emilie bey ihm verweilen soll. Als sie nach Uebersetzungen, welche neben den Originalen standen, einige Vergleiche mit dem Französischen und Latein machen konnte, und in dem universal Magazin so viele Auszüge der Alten fand, dann auch die Uebersetzung von den Werken des Hesiodes eifrig gelesen hatte, so sagte sie eines Tages mich umarmend: »Lieber Carl! ich finde, daß zu allen Zeiten die besten geistvollsten Männer, wie du bist, ihren Gott, ein Weib und das Landleben liebten.« Sie kennen sie selbst, und werden mit mir sagen, setzte er hinzu, daß die immer wirksame Liebe, das aufmerksame und doch leichte Durchlesen meiner Büchersammlung,[69] und die mit so viel Jammer verbundene Einsamkeit meiner Emilie, zu einem der edelsten Weiber bildeten,
Meine Freunde finden es gewiß auch, aber das Schicksal hatte doch die Liebenswürdigkeit der Frau von Wattines, auf einen zu hohen Preiß gesetzt. Meine theure Base wird es selbst sagen, wenn sie nun folgende Erzählung ließt.
In einiger Zeit, sagte Wattines, mischt Emilie Fragen in unsere Gespräche, von dem was meine Mutter zu meiner Ausbildung beygetragen habe, und bey diesen Fragen hieng sie an meinen Blicken auf die Antwort harrend, liebkoßte jeden Zug meines Gesichts mit der äußersten Zärtlichkeit, und war so dankbar für jeden Beweiß meiner Liebe, daß ihr und mein Schweigen mir bald unerträglich wurde, und ich auf Mittel sann, wie ich sie zum Sprechen leiten könnte. –[70] Nach einigen sehr schönen warmen Tagen, munterte ich sie auf, wieder einmal mit mir zu baden und zu schwimmen. Sie versagte es zärtlich erröthend, und von etwas anderm sprechend; doch begleitete sie mich an das Wasser und sagte: ihr Auge müsse sich wieder an die Schwimmkunst gewöhnen, sie wolle mir zusehen. Den andern Morgen nahm ich einen Band der Encyclopädie, und suchte den Artikel: Pflege der Gesundheit einer schwangern Frau auf. Ich las, während Emilie unser kleines Mittagsmahl bereitete, sehr eifrig, wobey ich von Zeit zu Zeit voll Liebe und Rührung nach ihr hinblickte.
Der Winter war meist unter Lehrstücken aus der Encyclopädie hingegangen, Emilie liebte dieses Werk unaussprechlich, und kam schnellen Schrittes, sich über meine Achsel zu lehnen, um zu sehen, was ich lese. Ich umfaßte sie mit einem Arme, da sie[71] eine ihrer Hände auf meine Achsel gelegt hatte. In wenigen Augenblicken fühlte ich ihre kleine Hand zittern, und ihr Herz klopfen; drückte sie an mich, sah mit Feuer und Liebe auf ihr holdes an mich geschmiegtes Gesicht, und so sanft ich sprechen konnte, sagte ich: Emilie! warum zittert deine Hand? warum fliehst du meinen Blicken? Nun schlang sie beyde Arme um meinen Hals, und rief mit Vergießung vieler Thränen, ach Carl! du hast es also gefunden, das Geheimniß meines Herzens? Ja, meine Liebe, mir ist es Heiligthum meiner Seele, das ich höher achte als mein Leben.
Sie küßte mich zärtlich und sagte: ach theurer Wattines, verzeih der Natur und mir, die neue Last und Sorgen, welche dir mit einem Kinde zukommen, Gott wird dich gewiß unterstützen und segnen.
Ich staunte über diese Bitte, und antwortete: ja Emilie! er wird es thun,[72] der Ewige, um deiner Tugend, und um der Unschuld unsers Kindes willen.
Sagen Sie, redete er mich an, war dieses nicht eine mir ewig werthe Stunde? Ich fühlte es, drückte seine Hand, konnte aber nicht reden, und er fuhr fort: hierauf lasen wir zusammen in Büffon und der Encyclopädie, die Naturgeschichte des Menschen; denn wir selbst, und die ganze Menschheit, erhielten um des kleinen anfangenden Wesens willen in unserm Geiste und Herzen einen höhern Werth, und von dort an, war unser Denken, unser Lesen und unsre Arbeit nur für unser Kind berechnet. Meine Feldgeschäfte wurden mir leicht, meine Kräfte schienen mir verdoppelt, wenn ich Mutter und Kind mir dachte. Emilie durchsuchte unsern kleinen Vorrath Weißzeug, und machte sorgsam etwas davon für den Dienst des kleinen kommenden Fremdlings auf dieser Insel zurecht. Sie arbeitete mit zärtlichen Blicken[73] auf ihre Nadel und das Leinen blickend, auf einer Ecke des Feldes sitzend, wo ich zu thun hatte. Sie war wohl und heiter, aber bald wurde es trübe um uns, da jeder Tag Emilien und ihr Kind der Zeit näher führte, wo beyde eine Hülfe bedurften, die ich nicht geben konnte, und wir nun die zum Fischen bestimmte Zeit, immer vergebens nach der Seite der Insel gegangen waren, wo unsere guten Fischerleute herkommen mußten; da fühlten wir zugleich unsere jammervollen Sorgen und Zweifel. Einen Nachmitag, da wir lange und oft in tiefem schmerzvollem Schweigen nach der ganzen Länge des See's hingeblickt hatten: da der Abend näherte, und nichts einen Kahn ähnliches erschien, drückten wir uns die Hand, sahen mit Seufzen, mit beklemmten Herzen nach dem Himmel; ich konnte nicht reden, ich war beynahe außer mir. Emilie faßte sich zuerst, und sagte ruhig fest; Lieber! wir wollen uns[74] nicht mehr schmeicheln. Ich bin überzeugt, die guten Leute kommen dieses Jahr nicht, denn vielleicht betrifft ihr Fang Zugfische, die nicht alle Jahre nutzbar sind, und auch ihre Zeit zum wachsen nöthig haben. Vielleicht ist es eine Gattung, welche der Creek-Fluß nur alle zwey oder drey Jahre herbeyführt: wir armen guten Kinder vergaßen, selbst da wir von den schmackhaften Fischen aßen, nach ihren Namen und eigentlichem Vaterlande zu fragen; denn es ist gewiß, keine Art von allen Fischen, welche Du in dem See fingest, waren denen, von der Fischergegend ähnlich. Nach einigem Stillschweigen setzte sie hinzu, Carl! ich bin gewiß, wir werden dieses Jahr nichts hören, nichts sehen was andre Menschen betrifft. Diese Ueberzeugung war auch in der Tiefe meiner Seele, wo sich Verzweiflung erhob. Emilie umarmte mich mit inniger Zärtlichkeit, und sagte feierlich: Lieber, wir bleiben uns! Gott ist mit uns, Hoffnung[75] war unsere Gesellschaft, und täuschte uns ein ganzes langes Jahr.
Sie schwieg wieder und rief endlich: mögen die guten Leute und unser Freund John glücklich seyn, die göttliche Vorsicht wird für uns sorgen. Ich sagte nur Amen, die Welt lag auf meiner Brust, und ich bemerkte, daß Emilie nicht weiter sprechen wollte, nur im nach Hause gehen sagte sie, noch einmal rückwärts blickend, und die Hand nach der Fischereigegend hin, wie zum Abschiede bewegend, adieu Hoffnung, und zu mir gewendet, Lieber Carl! wir wollen nie mehr von verlornen Dingen sprechen, aber desto mehr an Gott, und an unsere von ihm erhaltenen Kräfte denken.
Nun führte mich Wattines nach der andern Seite des See's zu seinem Endtenfang. Ich suchte diesen, sagte er, zu einer Art Vollkommenheit zu bringen, wie Sie noch[76] Spuren sehen. Die warmen Tage gaben Emilien öfters Lust zu baden, und das Schwimmen zu üben. Ost fragte sie mich scherzend: Geometer! wie weit ist jene Ecke der Insel von dem Platze wo wir nun sind? oder auch, wie weit ist das nächste Ufer?
Während dem Erzählen führte mich Wattines ein langes Stück am See hin, blieb manchmal stehen, sah mit bewegter doch vergnügter Seele sich um, bis wir zu einigen, in einen halben Kreiß gesetzten jungen Bäumen kamen, und uns auf eine der vier Bänke zwischen den fünf schönen Pappeln setzten, welche dadurch wie mit einem breiten Gurt von vielfarbigtem Moos zusammen verbunden schienen, so wie der sanfte Abhang, welchen die Insel gegen den See hatte, wie mit einem grünen Sammtteppich bedeckt war. Ich hatte, als wir unweit von Wattines Endten- und Fischfangplätzen längst dem Ufer, einen schmalen ungleichen Pfad[77] betraten, wohl die sorgsam gepflegte Einfassung von tausend Waldblumen bemerkt, welche nur durch kleine Gesträuche unterbrochen, an dem bald für zwey, bald nur für eine Person passenden Pfad hinläuft, bis er am Ufer sich endet, aber ich wollte den vorangehenden und schweigenden Wattines durch keine Frage unterbrechen, weil ich sicher einen Aufschluß erwarten konnte. Auf diesen Platz mein Freund! sagte er, sollen Sie den großen Character meiner Emilie ganz kennen lernen. Wir sprachen nicht mehr von unsern Fischern, vermieden aber, ohne es verabredet zu haben, beyderseits den Spaziergang von der Seite, welche wir einige Wochen täglich mit so viel Eifer besucht hatten. Emilie war in meiner Gegenwart immer sehr heiter, aber wenn sie allein zu seyn dachte, bemerkte ich, daß sie viel betete, besonders bey dem Auf- und Abgehen an dem Ufer des See's, wovon sie nur die[78] Seite zu lieben schien, welche wir so eben herkamen. Da sie diesen Weg so oft nahm, so belauschte ich sie durch Umwege in den Gebüschen, und beobachtete, daß sie unruhig bis an die äußerste Spitze von diesem Platze hier ging, und sehnsuchtsvoll nach den zwischen den Bäumen des festen Landes, an dem jenseitigen Ufer versteckten Hütten der Indier blickte, und vermuthete sehr natürlich die Ursache in den Wünschen nach dem Beistande einer Person ihres Geschlechts. Von meinen Empfindungen dabey, will ich keine Beschreibung machen: der edle, gefühlvolle Mann, mit welchem ich spreche, der Emilie und mich kennt, empfindet sie selbst. Einst da ich keine besondre nöthige Arbeit hatte, und darauf sann, ihr meine Ahndungen über die einsamen Spatziergänge zu entdecken, nahm sie mich schweigend aber mit Zärtlichkeit bey der Hand, führte mich einen Weg, welchen ich vorher nie betreten[79] hatte, auf diese Stelle, welche, wie Sie sehen, sich am weitesten in den See gegen das Land erstreckt, und sagte mit ernster liebevoller Miene, indem sie zugleich erröthete, und mit einer zitternden Thräne im Auge, auf ihren stark erhöhten Leib blickte:
Bester Mann! der Tag wird bald kommen, an welchem die Natur uns ein geliebtes Unterpfand unsrer Liebe geben wird: hier hielt sie voller Bewegung inne, faßte sich aber und fuhr fort: ich möchte dieses Pfand unserer treuen Liebe gesund in deinen Armen sehen; ich habe es unter meinem Herzen vor aller heftigen Bewegung meines Leibes geschützt, und machte auch sorgfältige Schritte, damit es nicht schädlich erschüttert würde; ich suchte auch meine Kräfte zu erhalten, um den so entscheidenten Moment seiner Geburt gesund zu überleben, und unser Kind unter meiner Pflege aufwachsen zu sehen, – aber – nun schwieg[80] sie, schmiegte sich mit einem Arme an mich, legte ihren Kopf an meine Brust, die mit banger Angst erfüllt, sich nur durch langsames Athemholen bewegte. Ich drückte Emilien an mich, aber kaum konnte ich sagen: was aber! o meine Emilie! was? Sie blickte zärtlich auf, küßte mich und sagte: deine und meine gänzliche Unwissenheit in allem, was zum Besten des geliebten Unschuldigen, zur Erleichterung seines Eintritts in die Welt, und zu meiner Erhaltung geschehen muß, dieß machte mich schon lange sorgen, und erweckte am Ende einen innigen Wunsch in mir. –
Ich dachte, sie würde mir vorschlagen, hinüber zu schwimmen, und eine Indianerin zu holen, und antwortete schnell, welchen Wunsch meine Emilie! kann ich ihn erfüllen? Sie faßte eine meiner Hände, drückte sie an ihre Brust, und mir ins Auge sehend sagte sie mit festem Tone: ja Carl! du kannst es für mich und für dein Kind. Schwimme[81] mit mir hinüber zu den Hütten unserer Nachbarn, da finde ich erfahrne Personen meines Geschlechts, denn die Natur machte in nichts, was zu dem physischen Leben gehört, einen Unterschied, und Weiber wissen zu gut, daß wir in diesem Zustande hülfsbedürftig sind. Unsere Fischer haben gesagt, daß diese Indier sehr gut sind, wir fanden es auch in der Treue, mit welcher sie das dem Congreß gegebene Versprechen halten, die Insel und das gegenseitige Ufer nie zu betreten. Meine Seele, lieber Carl! ist für alles, was uns bey dieser Reise und Aufenthalt betreffen kann, voll Vertrauen auf Gott und auf die Herzen dieser, wie wir aus seiner Hand stammenden Menschen. –
Emilie bemerkte, daß mein Geist mit Staunen, und mein Herz mit tausend Empfindungen erfüllt waren, sah, daß ich gleichsam mechanisch, bald auf sie, bald nach dem jenseitigen Ufer blickte, und sagte, indem sie[82] mit zärtlicher Miene mich streichelte, als ob sie die Züge der Sorgen aus meinem Gesichte verwischen wollte:
Ich sehe, Lieber! dein geometrisches Auge mißt den Weg, welchen ich machen muß, und deine Güte befürchtet meine süsse Last würde mir das Schwimmen erschweren; denke an beladene Schiffe, die im Sturme über das große Weltmeer gehen, wir werden bey heiterm Himmel und ruhiger Luft, nur quer über den kleinen Arm eines Land-See's, wie im Baden spielend, an das andere Ufer schwimmen. Ich habe seit vielen Tagen den schmalesten Theil des Wassers gesucht, um den Weg abzukürzen, ich fand ihn hier, mit der innern Ueberzeugung, daß Gott mich mit seinem Schutze zu der Erfüllung einer mir von ihm auferlegten Pflicht geleiten wird.
Wattines hielt nun mit seiner Erzählung inne, sah, wie ich, nach dem gegenüber liegende[83] Lande, und fuhr fort: Sie können leicht glauben, mein Freund! daß ich diesen Tag und diese mütterlich heroische Entschließung meiner Emilie nie vergessen kann. Wir saßen hier auf einer kleinen mit Moos bedeckten Erhöhung; ich warf mich beynahe außer mir zu ihren Füßen, bereuete das Glück ihrer Liebe und ihres Besitzes, drückte sie mit Bewunderung, Schmerz und Leidenschaft an meine Brust, und rief aus, ach warum – mit edelmüthiger Eile schloß sie meinen Mund mit einer ihrer Hände, und sagte ernst:
O sprich ihn nicht aus, den schwarzen, deiner und meiner Liebe unwürdigen Gedanken. Sey zärtlicher, sorgsamer Vater, wie ich treue Mutter seyn will! und geleite mich einen dieser schönen Tage hinüber.
Ich fragte, ob es nicht besser für sie seyn würde, wenn ich eine von den Indianerinnen holte, aber Emilie wollte es nicht, und erwiederte:[84] es ist gegen die Sitte dieser Leute, und gewiß, die beste von diesen Weibern hat eigene Kinder und einen Mann der sie liebt, wie soll sie ihre Kinder verlassen, und der Mann seine Frau ruhig mit einem Fremden davon schwimmen sehen? – nein, mein Carl! wir wollen zu ihnen, der erste Blick auf meinen Zustand wird für mich reden.
Ich nannte sie eine heldenmüthige Mutter, schnell und munter antwortete sie, ich hoffe auch Mutter eines Helden zu werden; denn ein Mädchen würde mich mich nicht zu dieser Unternehmung treiben, sondern mich still ergeben, mein Schicksal erwarten lassen.
Bey dem Zurückgehen nach unserer Hütte sprach sie von den Zurüstungen zu unserer Reise; den Morgen darauf fand ich, daß Emilie schon für alles gesorgt hatte, und für sich eine Art blauen leinenen Mannsschlafrock zurecht hielt, den sie als Staubrock auf[85] der Reise trug; Linnen für ihr Kind, ein paar Hemden für sie, und meine Matrosen-Sommerkleidung, sollte in ein paar Bieberfelle gepackt, und diese Bündels im Ueberschwimmen vor uns hergestoßen werden. Unsere übrige Haabe war geordnet und dem gütigen Schicksale empfohlen, nur für unsere Hühner war ihr bange, da wir nicht wußten, wie lange unsere Abwesenheit dauern würde, und wir sie nicht verlieren wollten, so machte ich eine gedeckte und wohlverwahrte Einzäunung, wo sie Gras hatten, streute ihnen Futter umher, bald mehr, bald weniger, trug morastigen Boden hin, damit sie Würmer suchen konnten, grub hie und da von unserm kleinen Vorrathe Schüsseln ein, welche ich den Tag unsers Weggehens mit Wasser füllte. Wie es mir bey alle dem zu Muthe war, unternehme ich nicht zu beschreiben. Gott sah es, Gott stützte mich.
Die Hast und die Eile, mit welcher Emilie[86] alles betrieb, wie ich sie der Hütte, den Hühnern und Blumen Abschied sagen hörte, und da, wo man bey den dicht bewachsenen Büschen gegen die See geht, Felder und Hütte nur noch ein wenig sieht, ihre Hände küßte, noch gegen die Plätze hinblickte und sagte: Himmel! schütze den Zufluchtsort den du uns gabest, liebe Felder! ihr werdet eurer Reife nahe seyn, wann ich wiederkomme – alles dieses wälzte Centner Lasten auf mein Herz. Eine Thräne war in ihrem Auge, ihre Stimme war so zärtlich, wie wenn man von Freunden scheidet. Bald waren wir am Ufer des See's, Emilie rüstete sich muthvoll, und selbst scherzend zum Schwimmen. Sie umarmte mich noch einmal, und blickte, an meine Brust gelehnt, auf zum Himmel. O mein Freund! was für ein Gebet stieg in diesem Blicke zu Gott! Ich konnte nicht reden, aber mein Auge erhob sich auch flehend zu dem Allmächtigen um seinen Beystand. Ich schloß Emilien in[87] meine Arme, aber sie wand sich los und sagte: komm mein Carl, denn die Sonne muß uns noch hinüber begleiten; damit eilte sie nach dem See. Ich folgte ihr mit gepreßter Seele, und flehte im Stillen um Kräfte zu ihrer Unterstützung. Denken Sie sich meine Lage, als wir so weit von dem Ufer waren um Wasser genung zum Schwimmen zu haben, ich immer nur Emilien beobachtete, sie dann gegen das Ufer hinüber blicken, und zugleich eine Hand küssen sah, mit welcher sie das Wasser um sich her streichelte, und mit bittender Stimme sagte: o Ewiger! beweise deinen Namen an mir! Sey wirklich Arm, der mich an das andere Ufer trägt!
Diese unerwartete Einkleidung ihrer innern Besorgnisse, rufte mir unglücklicher Weise die Bitte des jungen liebenswürdigen Prinz Arthur, aus einem Stücke des Shakespear in mein Gedächtniß zurück, welches einen unauslöschlichen Eindruck auf mein[88] Herz gemacht hatte: da der holde Knabe auf der Mauer seines Gefängnisses stehend, ehe er heruntersprang, die Steine bat, ihn sanft aufzunehmen, und das Schicksal den Unschuldigen den Kopf zerschmettern läßt. Mich ergriff der Gedanke, Emilie könnte in ihrem Zustande durch Erkältung einen Krampf bekommen und sinken. Ich litte unaussprechlich bey dieser Vorstellung, war aber fest entschlossen, sie zu retten, oder mit ihr zu sterben. Gott schützte uns, wir kamen glücklich, ohne die mindeste Gefahr an das Land, wo wir uns für Freude zitternd umarmten und Glück wünschten. Ich half Emilien ihren armen Schlafrock anziehen, band ihr das Stück Leder, so uns statt Schuhen diente, um die Füße: ihre schönen Haare waren mit einem dünnen groben Filet von Zwirn und Garn, meiner ersten Spinnprobe umbunden, ein leichter Gurt unter ihrer Brust, machte ihren hohen Leib um so sichtbarer, und dieser[89] Anblick durchdrang mein Herz. Dennoch, so äußerst beängstigt der bevorstehende Auftritt bey den Indianerinnen mich machte, fühlte ich mit Entzücken die natürliche Anmuth, welche stets meine Emilie umgab, und mich versicherte, daß selbst die Wilden von ihr eingenommen werden müßten. Ich hatte eine kleine Flasche Honig-Wasser an meinem Hals hängend, mit hinüber gebracht, wir tranken davon, und die leere Flasche begrub ich bey einem Baume; denn die Indier denken bey einer Bouteille gleich an Rumm, und wir hatten keinen mitzubringen. Nun gingen wir langsam und wahrlich beyde etwas bebend die Hütten aufzusuchen, welche wir hinter dichtes Gebüsche trafen. Gleich bey der ersten saßen zwey gute Weiber mit ihren Kindern, welchen sie gekochten Mais zu essen gaben. Sie betrachteten uns mit Staunen. Eine von ihnen stand auf, sah sorgsam weiter nach dem Wege, wo wir herkamen, ob nicht mehr[90] Leute bey uns seyn möchten. Emilie errieth ihre Sorge, winkte ihr nein, zeigte dabey auf mich, und mit einer Hand die gute Indianerin fassend, mit der andern auf ihren hohen Leib deutend, sagte sie in ihrem wenigen Englisch ihre Bitte mit so rührender Stimme und Wesen, daß die Frau, ob sie schon die Worte nicht verstand, durch die Pantomime belehrt wurde. Ich beobachtete sie, ihre Züge sprachen sehr deutlich von Güte und Verstand. Ich faßte nun ihre noch freie Hand, welche ich an mein Herz drückte, mich auf ein Knie warf, auf Emilien zeigte und auch in meinen Ausdrücken um Hülfe für sie bat. Die gute Sqwa legte nun auch eine Hand auf ihre Brust, und indem sie in abgebrochenen kurzen Sylben, doch ziemlich sanft etwas sprach, streichelte sie zu gleicher Zeit Emilien die Hände, zeigte ihr den Eingang der Hütte, und ließ sie neben sich sitzen, besah sie nochmals, fühlte ihr Kleid an, und[91] winkte voll Ungeduld daß Emilie ihren Gürtel sogleich auflöse, indem sie lebhaft deutete, daß er ihr und ihrem Kinde schaden würde. Die andre Frau, welche wie verschwunden gewesen, kam mit eilenden Schritten nebst einem starken jungen Manne, der einen kleinen sehr muntern Knaben an der Hand führte, gegen uns.
Der Mann fragte sogleich auf Englisch, was wir wollten, wo wir herkämen? und blickte dabey scharf in mein Auge. Ich sagte auch kurz, wie seine Frage war! von der Insel. Emilie, über meinen Ton beängstigt, eilte zu antworten, ehe ich mehr sagte. Da sie schon bey seiner Annäherung aufgestanden war, und sich an mich anschmiegte, bog sie sich nach dem kleinen Indier, reichte liebreich nach ihm, und sagte dem Alten: o laß mich hier, um deines Sohnes willen, diesem guten Manne (auf mich deutend) auch einen Sohn gebähren! – Aber nun war ihre ganze[92] Kraft dahin, sie sank halb ohnmächtig in meine Arme. Ich war im höchsten Jammer.
Die Weiber halfen Emilien stützen und zurecht bringen. Eine holte eine Bärenhaut aus der Hütte, um sie darauf zu legen, der Indier blickte voll Empfindung auf uns erhob dann seine Hand zum Himmel, und sagte:
»Bey dem Gott der Sonne und der Erde! du sollst sicher wohnen und Hülfe haben«, lief fort wie ein Reh, und kam eben so schnell wieder, mit weich geklopften Bieberfellen unter einem Arme, breitete sie an dem Eingange der Hütte aus, und winkte Emilien, sich darauf zu legen. Sie scheuete sich und fragte warum? Er sagte freundlich: du mußt ruhen, denn dein Sohn wird dich oft müde machen, bis er so groß ist wie dieser, seinen vier Jahr alten schön gebildeten Knaben küssend. Emilie war gerührt, weinte und küßte die Hände des Knaben, da kam auch eine[93] Thräne in mein Auge, der Indier wischte sie mir ganz rasch ab, und sagte dabey: komm, sey Mann! laß das Weib bey Weibern. Meine Schwester ist gut. Ich stutzte: Emilie war gefaßter als ich, denn ich wollte nicht gehen, wollte sie nicht verlassen: aber sie bat mich, dem Manne zu folgen, sie sey in Gottes Schutz und voll Vertrauen zu den Töchtern der Natur. Ich verließ sie ungern, erfüllte aber ihren Wunsch. Der gute Indier suchte mich zu zerstreuen, und ich hörte von ihm, daß die Männer von den zwey Sqwas, mit andern jungen Leuten, sehr weit von dem Dorfe auf der Jagd wären, daß die Weiber sich liebten, und indessen in einem Wigwham beysammen wohnten, welches ich für eine glückliche Bedeutung für uns hielt. Nun führte er mich zwischen blühenden Accacien an den See, zeigte mir unsere Insel, wie jemand der sein väterlich Haus liebt, einem andern seine Heimath zeigt. Zwischen den Bäumen[94] dort steht dein Wigwham, sagte er sehr freundlich auf mich blickend, und schien mit dem Ausdrücke der Sehnsucht zufrieden zu seyn, mit welcher ich unsere Insel betrachtete, und wirklich den innigen Wunsch hegte, mit meiner Emilie und meinem Kinde wieder glücklich da zu seyn. Meine Augen sahen lange hinüber, und folgten mit Trauer dem zunehmenden blauen Nebel der sie deckte. Mein Begleiter schwieg immer, nur als ich um mich sah, zeigte er mir seinen Beifall über die Liebe zu meiner Erde. Hast du auch Mais und Squash? ich sagte ja Mais, aber das andre kenne ich nicht. Du sollst es haben, und dann deine Erde noch mehr lieben. Ich fragte ihn nun, wo er das Englische lernte? er antwortete mir mit einem Gemisch von Trauer, Stolz und Freude: von meinem Vater Nesquehiounah, welcher als Obrist Louis den Amerikanern ihre Freiheit erwerben half. So war ich auf einmal in einer Familie, mit[95] welcher mein Vater und mein Oncle gegen die Engländer gekämpft hatten, und der Sohn eines Indianers, dessen Geschichte ich in meinem Vaterlande mit Widerwillen anhörte, war nun in dem Wohnsitze seines Vaters Schutzgeist meines Lebens und meiner Familie. O die Alten hatten recht, an ein Wesen zu glauben, das sie Verhängniß nannten.
Von diesem Nesquehiounah hatte ich nie etwas sagen hören, die Ausdrücke, in welchem Wattines von dem Manne und seinem Sohne sprach, mußten mich begierig machen, mehr zu hören. Ich bat ihn daher, mir diese von ihm geäußerte sehr wichtige. Anmerkung bey dem Aufenthalte unter den Oneidas zu sagen. Er antwortete: vielleicht, mein Freund! liegt das Besondere welches ich in dem zufälligen Zusammentreffen mit einem Sohne des Colonel Louis sah, nur in der durch mein Schicksal und die Einsamkeit geschärften Einbildungskraft, welche mir alles, was mich betraf, mit einem eigenen[96] Werthe und Farbe darstellt; aber von dem Vater meines Wohlthäters will ich Ihnen erzählen:
Er war eigentlich ein Iroquese, diente den Amerikanern mit Geist und Eifer, so gut, daß er zum Obrist gemacht wurde. Er hatte ganz europäische Kleidung, Waffen und Sitten angenommen, sprach englisch, französisch und selbst holländisch. Man konnte ihn für den Rechtsgelehrten und Geographen seines Vaterlandes halten; denn er kannte alle Jagddistriete und Gerechtsame jedes Stammes und jeder Nation seiner Landsleute; die Lage und Länge der Gebirge, den Lauf der Flüsse, die Anzahl der Dörfer und wehrhaften Indier. Er war muthvoll, von einem vortrefflichen Character, hatte mehrere Jahre mit Europäern gelebt, und am Ende des Kriegs erschien die Macht der Gewohnheit so unüberwindlich in dieser schätzbaren männlichen Seele, daß er unvermuthet 1785 zu einem seiner amerikanischen Freunde in Neuyork kam, noch einmal[97] mit ihm zu frühstücken und zu rauchen, ehe er abreise. Da er schon ganz wieder in der Kleidung eines Mohawks war, staunten ein paar Europäer, welche gerade aus dem Schiffe gestiegen waren, ihn mit einer Art von Schauer an, staunten aber noch mehr, als er ihrem gemeinschaftlichen Freunde die Hand schüttelte, und in sehr deutlichem Englisch sagte: »habe ich dir gestern nicht versichert, daß der Obrist Louis das Letztemal bey dir sey, daß der Weg, welcher zu meiner Hütte führt, geebnet und gereinigt ist? Die Oneidas haben mir ein Stück Land und Wald an dem See hier gegeben, (indem er auf die Charte deutete) mein Weib und meine Kinder haben schon meinen Wigwham dort aufgerichtet und mein Feuer angezündet, ich kann nicht mehr nach meiner alten Wohnung in Canada zurück; weil die Kriegsleute des Königs Georg wissen, was durch mich geschehen ist, würden sie sich rächen wollen, und[98] ich und die Meinigen stritten wieder gegen sie; aber die Blätter des Baums meines Lebens fangen an abzufallen, der Kopf des Nesquehiounah wird weiß, nachdem ich mich so viele Monden bewegt und bemühet habe, will ich nichts mehr als meine Pfeife in Ruhe rauchen, unter dem Schutze meines Wigwham gegen Wind und Regen, wo ich bey Sonne und Mond in dem Schatten schlafen kann, wo sollte ich sonst meine Bärenfelle hintragen, als an einen Ort des Friedens? Meine Augen werden dunkel und meine Ohren verrostet; ich bin zum Jagen zu alt. In dem nahen Flusse bey meinem Wigwham will ich Salmen fangen, mein Weib wird sie räuchern und aufheben, meine Kinder gehen auf die Jagd und pflanzen Mais. Ruhe ist Reichthum und Nahrung der Alten, deswegen habe ich die europäische Schale abgelegt, und meine Rinde wieder genommen.« Nun sagten die Fremden auf französisch zu dem Hausherrn:[99] ist dieß nicht ein Wilder? aber wie erschraken sie, als der Indier ihnen in ihrer Sprache ganz rasch erwiederte:
»Ein Wilder! Ihr Leute vom Aufgang der Sonne seyd sonderbar. Ich ein Wilder! O, ich habe lange genug bey den Weissen gelebt, um überzeugt zu seyn, daß sie, nicht die Menschen im Walde, Wilde genannt werden sollten. Haben wir Gefängnisse und Prozesse? Sind wir nicht frei wie die Vögel, und sie Sclaven wie Hunde? haben wir so viel Leidenschaften, Laster, Krankheiten und Kummer als sie? Nein, wir ehren das Alter und sie verachten es. Ihre brennenden Wasser machen uns oft toll, aber ich und die Meinigen sagen: das Land, wo der Tag anfängt, ist ein böses Land, die Sonne geht nur vorbey, es ist nicht so gut wie das Unsere, wo sie zur Ruhe geht. Hört ihr! ein Jesuit sagte mir in meiner Jugend, daß unser Leben zu leer sey. Ich[100] weiß jetzo, daß der Europäer ihres zu voll ist; daß ein böser Geist sie treibt und ihnen keine Ruhe läßt, bis sie sterben. Kitchy Manithu wird für uns sorgen. Er ist gut und der Vater aller Menschen. Er gebe dir gute Gedanken, bis du nach Osten gehst,« sagte er seinem amerikanischen Freunde; als er ihm die Hand schüttelte und Abschied nahm: »wenn du jemals an die Gewässer des großen Ontario gehst, so kommst du nahe zu einem Dorfe der Oneidas, ehe du dein Feuer an den See anzündest, frage nach den Wigwham des Nesquehiounah, du wirst unter seiner Baumrinde Schutz und zu Essen finden.«
Ich hörte dieses vor eilf Jahren erzählen, und ärgerte mich als junger Offizier, der nichts größeres kannte, als ein mit Ruhm und Belohnung umgebner Obrist zu seyn. Dieser Mann legte alles zurück und wurde Oneida. Mußte mir nicht hier, als ich seinen Namen hörte, der Gedanke eines Verhängnisses vor[101] die Seele kommen, und ich mir sagen: ohne Nesquehiounahs Liebe zu den Sitten seiner Väter, stünde kein Dörfchen am See Oneida, wo meine Emilie ihre Wochen halten, und ich mit einem Sohne dieses außerordentlichen Mannes zu ihrem Besten reden könnte?
Diese kleine Ausschweifung in Wattines Geschichte war mir sehr angenehm, ich dankte ihm, aber er bemerkte, daß ich mehr von seinem Aufenthalte bey den Indiern zu hören wünschte, und knüpfte den Faden wieder an, indem er sagte: ich fragte den jungen Mann, ob er nicht auch bey den Engländern gewesen wäre? Er sagte ja, einige Zeit. Nun fragte ich weiter: warum er nicht geblieben sey, da er doch viel Gutes und Gemächliches bey ihnen sah? Er blickte mit einer Art spöttischem Lächeln mich an, und sagte kurz: nichts als viele Arbeit, welche die guten Oneidas nicht brauchen und ruhen können.[102]
Ich blickte da etwas sorgsam nach ihm, nun ließ er mich aus seiner Pfeife rauchen, führte mich zu seiner Hütte, gab mir eine eigene Pfeife, zündete sie an, und als ich einige Züge daraus gethan hatte, tauschte er mit mir, und versicherte mich seiner Freundschaft, zeigte mir die Stelle seiner Hütte, wo sein Vater starb, und freuete sich, als ich mit Hochachtung von seiner Tapferkeit und Klugheit sprach; aber mein Herz war voll Unruhe, immer mit dem Gedanken an Emilien beschäftigt. Ich sagte es meinem Indier und bat ihn, mich zu meinem Weibe zurück zu führen. Emilie saß in der Hütte zwischen den zwey Weibern, welche ihr freundlich zuredeten. Sie schien glücklich zu seyn mich wieder zu sehen, sagte mir aber, daß sie gewiß sey, bald Mutter zu werden, weil die Bewegung des Schwimmens und die Erschütterung ihrer Seele bey dem Anblicke und Wesen dieser guten, aber uns sehr fremden[103] Leute stark auf sie gewirkt habe. Die Weiber gaben uns von einem unter der Asche gebratenen großen Kürbis Squash zu essen, und legten statt Löffel länglichte Muschelschalen hin. Diese Kürbis haben wirklich, auf solche Art bereitet, einen vortrefflichen Geschmack, welches mich wegen Emilien unendlich freuete, indem sie es auch sehr gut fand, auch den gerösteten Mais kostete. Da sie mir nun sagte, sicher zu seyn, daß die Weiber mich nicht in der Hütte dulden würden, sie aber sehr wünschte, daß ich die Nacht in der Nähe bliebe, so vertraute ich diese Bitte unserm Indier. Er faßte meine Sorge, und machte mir mit einem Bärenfelle, mit fünf Stangen und einigen Birkenrinden ein Lager und Zelt, oder halben Wigwham.
O was ist eine Wilden-Hütte oder Wigwham für eine Erscheinung, besonders für einen Mann, der wie ich eine geliebte junge Frau hat, welche als Braut zu der[104] Auswahl zwischen zwey prächtigen Familien-Siren bestimmt war, und sie nun nahe der Stunde ihrer ersten Niederkunft, in einer solchen Hütte sieht!
Denken Sie sich einen ebenen Platz zu Anfang oder Seite eines Waldes, der gegen die heftigen Winde schützt, hier werden 15 bis 20 Fuß hohe junge Tannen oder Birkenstangen in einem etwas mehr als halben Cirkel eingesteckt, und oben etwas zusammengebogen; an diesen befestigen die Indier Birkenrinde, welche in Stücken zu drey bis vier Schuh geschnitten, und mit Fischdärmen zusammen genäht sind. Diese Decke machen sie nett und dicht, und am allerdichtesten an der Stelle wo die Alten schlafen. Zwischen der Thüre, das heißt, wo die Stangen am weitesten von einanderstehen, wird das Feuer gemacht, wobey immer auf den Wind geachtet wird; denn wenn er sich ändert, wird ein Fleck Rinde auf eine andre Seite gehängt,[105] und das Feuer bekommt eine andre Stelle. Die Stücken Rinden liegen, wie die Fischdärme, in Vorrath da, so wie immer einige Bieber- und Bärenfelle innen umher hängen, welche Abends beym Schlafengehen in der Hütte ausgebreitet werden. Ein mittelmäßig großer Kessel, ist der ganze Hausrath, darin kochen und rösten sie ihren Mais. Wildpret essen sie roh, oder nur etwas am Feuer gesengt. So mein Freund, sagte Wattines, sah die Wohnung meiner Emilie, in diesen für ihren Tod oder fernern mühvollen Leben entscheidenden Stunden aus; so waren die Sitten unserer, an dem See Oneida, erhaltenen Freunde. Mußte ich da nicht an das schöne l'Isle in Flandern, am Wohnsitze unserer Bekannten denken? Litte ich nicht auf das äußerste für Emilien und unser Kind?
Unser guter Indier blieb noch bey uns, und sagte ohne Zweifel seiner Schwester, daß sie neben dem Eingange der Hütte einige[106] Rindenstücke wegheben solle, damit es ein wenig heller werde, und wir noch sprechen könnten. Wir dankten ihm sehr; denn es machte Emilien und mir wahre Freude, uns noch ganz zu sehen. Ich bat den Mann, seiner Schwester zu sagen, Emilien zu lieben wie eine Tochter, weil ihre Mutter und Vater, wie auch mein Bruder ermordet seyen. Er bedauerte mich, und die Frau blickte, da er von dem Tode unserer Eltern erzählte, tröstend und theilnehmend nach Emilien und mir; aber da er von dem Tode meines Bruders sagte, bemerkte ich, wie sehr sie ihren Bruder liebte, denn sie faßte, mit so viel Ausdruck wahrer Zärtlichkeit, seine beyden Hände, und drückte sie an ihre Brust, indem sie in höchst sanften Tönen zu ihm sprach, sich dann gegen mich wandte, und mit Bewegung ihres Kopfs etwas sagte, welches der Bruder mir in die Worte übersetzte: Alha sagt, daß du weißer Mann unglücklich bist, keinen[107] Bruder mehr zu haben. Ich sah immer auf Emilien, und bemerkte, daß sie viel litt; da ich aber von meinem Kummer wegen ihrer Schmerzen, und Mangels an schicklicher Hülfe sprach, lächelte das holde edle Weib und sagte: vor 21 Jahren litte meine Mutter um meinetwillen eben so viel. Gott wird für mich die Gesetze der Natur nicht ändern, aber gewiß auch nicht erschweren. Ich fühle Kräfte in mir, und traue fest auf den Himmel. Sey auch ruhig mein Geliebter, und freue dich unserer Hoffnung.
Die Weiber und der Indier bemerkten ihren Muth in ihrem Tone und ihren Blicken, und bezeigten ihren lauten Beyfall. Ich wurde mit der einbrechenden Nacht ängstlicher und gepreßter, die Weiber schlossen den Wigwham ganz zu, der Indier ging auch schlafen, und ich, der nicht in die Hütte kommen durfte, ging in das Freie, warf mich nieder, betete. Ach nie, niemals war meine[108] Seele bedrängter! Die schöne Sommernacht war mir trübe. Die höchste Ruhe war in der ganzen Natur, und in mir die unruhigste Sorge. Ich blieb etwas über eine Stunde weg, als ich zurückkam, war Feuer in der Hütte, aber doch keine besondere Bewegung, die Weiber sprachen sanft, aber sehr wenig mit Emilien, sie aber lispelte kaum. Ich blieb vor der Hütte liegen und lauschte, bald ward alles stille. Ich wünschte den Tag. Endlich dachte ich die guten Weiber und meine Emilie im Schlafe, und kroch unter meine aufgehängte Bärendecke. Von Angst und Kummer ermüdet schlief ich ein, weiß aber nicht, wie lange es dauerte; aber noch ehe es Tag wurde, durchdrang das zitternde Schreien eines Kindes mein Herz. Wie mir bey dem Gedanken war, mein Kind, das kann ich nicht sagen. Ich sprang auf, war gleich an der Hütte, rief Emilien, und suchte zugleich hinein zu dringen. Emilie antwortete mir heiter:[109] Lieber Carl! sey ruhig! und danke Gott für das Leben deines Sohnes. Ich bin wohl, aber ich würde dir in diesem Moment selbst in dem Hause meines Vaters den Zutritt versagen. Sey ohne Sorge, und gieb mir keine durch deine Unruhe. Ich versprach alles und schwieg, blieb aber vor der Hütte, horchte, dankte der Vorsicht für das Leben der Mutter und des Kindes. Bald war alles wieder stille. Als der Himmel sich röthete, kam mein guter Indier sich nach mir umzusehen, ehe er auf die Jagd ging; gab mir eine schon angezündete Pfeife zu rauchen, und freuete sich wahrhaft über die Geburt meines Sohnes. Lange dauerte es meinem Herzen, bis ich Mutter und Kind sah; aber dann war ich vor Entzücken außer mir, zu den Füßen meiner Emilie, zugleich voller Qual bey dem Gedanken, sie als Wöchnerin in dieser Hütte zu sehen, Sie bat mich, ja keinen Kummer, sondern Dank und Freude zu zeigen. Aber[110] denken Sie, mein Freund, was für ein Bild war vor meiner Seele? Hier Emilie auf Bieberfellen liegend, ihren Sohn in ihren Armen mit der Haut eines Fischotters gedeckt. Zwey indische Weiber mit drey Kindern, auf Bärenfellen, nicht weit von ihr in tiefem Schlafe. Emilie beobachtete mich, und kannte mich zu genau, um nicht in meiner Seele zu lesen, und allen den Jammer zu sehen, der mich zerriß, als ich da knieend sagte: ach Emilie! du und unser Sohn hier!
»Gott sey dafür gedankt, sagte sie, denn gewiß, in Paris, wo Glück und Stolz der Wissenschaften und der Künste wohnen, in Paris, welches der Kriegsgeist seiner Könige und seines Adels, zu der größten Macht erhoben hatten, ach da würden Robespierres Fischweiber die Edelfrau und ihren Sohn nicht so liebreich gepflegt haben, als ich und dein Kind es in dieser Hütte sind.[111]
Sie können leicht denken, was diese Betrachtung in mein Gedächtniß zurück rufen mußte; aber Emilie fand eine edle Zerstreuung für meinen innern Jammer darin, indem sie sagte: Lieber! wir haben nichts bey uns, womit wir diese guten Weiber belohnen könnten, gieb einer deinen Trauring, ich gebe den meinigen der andern; denn hier (indem sie unsern Sohn an ihre Brust drückte) ist ein mehr als goldenes Unterpfand unserer Liebe. Nun wünschte Emilie, daß ich, ehe die Weiber erwachten, unsern Sohn taufen sollte. Knieend nahm ich aus dem holzernen Napfe, der neben Emilien stand, einige Tropfen Wasser, welches unnöthig war, denn meine und seiner Mutter Thränen netzten seine Stirne und Kopf. Ich wollte ihm nur den geliebten Namen Emil beylegen, aber ich mußte den meinen dazu nehmen, und ihn Carl Emil nennen, wodurch in der Abkürzung am Ende das heutige Carmil entstand.[112] Als die Weiber erwachten, kochten sie Mais, gaben ihren Kindern und mir davon, stellten Emilien einen Theil mit einer Muschel hin, und wollten nach ihrer Arbeit auf das Feld. Ich faßte die Hand von Alha, deutete auf Emilie und mein Kind, sagte in zärtlichen Tönen meinen Dank, und gab ihr den Ring, so wie Emilie den ihrigen zu gleicher Zeit der andern Frau. Beyde schienen vergnügt, belehrten Emilien noch mit ihrer Pantomime und abgebrochenen Tönen, wie sie ihr Kind behandeln solle, und gingen ihrer Arbeit nach. Ich blieb bey Emilien: ihr Wohlseyn dünkte mich wundervolle Güte Gottes: ich ergoß mich in Dank- und Freudenthränen; und da wir uns erinnerten, daß die Indier es gerne haben, wenn man ihre Namen annimmt, so beschlossen wir Abends, wenn der Jäger nach Hause kommen würde, unsern Sohn in seiner Gegenwart Nesquehiounah zu nennen. Ich hob also, da er zu der[113] Hütte kam und mich fragte, ob ich noch froh sey? meinen Sohn unter der Thür gegen Morgen empor, wobey ich den Namen Nesquehiounah ausrief, worüber mein Indier und seine Schwester sehr viele Zufriedenheit bezeigten. Was mich dabey rührte, war, daß der Mann eine Hand meines Kindes faßte und sagte: Kitchy manitou soll dich leben lassen und stark machen, ich will dich jagen und fischen lehren; dann auf einmal seinen Hund rufend und ihn streichelnd, sagte er mir: wenn du einmal deinen Sohn im Walde verlierst, wie Derik, der Holländer verloren wurde, so rufe mich und meinen Hund, da finden wir dein Kind, wie Tewenissa und sein Hund Oniah, den Sohn Derik gefunden haben.
Ich dankte ihm, und bat ihn, mir die Geschichte zu erzählen, welche ich nachher besser hörte. Ein Colonisie an dem Fuße der[114] blauen Berge, verlor einen Knaben von vier Jahren; die Eltern und ihre Freunde waren voll Angst, suchten und ruften das Kind, erhielten keinen Laut. Der Gedanke, wilde Thiere hätten es zerrissen, durchbohrte ihr Herz. Ein Indier, der mit Pelzwerk handelte, will den Colonisten besuchen, und erfährt die traurige Nachricht. Ruf deinen Herrn, sagt er einer alten Sclavin, ich will ihm Gutes sagen. Die Frau stößt ins Horn, welches gewöhnlich geschieht, wenn der Herr auf dem Felde ist, und jemand zu ihm kommt und ihn sprechen will. Der Mann kommt. Der Indier sagt: gieb mir Schuhe und Strümpfe deines Sohnes, die er kurz zuvor getragen hat, nun läßt er seinen Hund daran riechen, und zieht mit der Hand einen Cirkel in die Luft. Der Hund läuft fort, bald giebt er einen Laut, welches anzeigte, daß er auf der Spur sey. Der Indier geht seinem Hunde nach, konnte auch, wie alle[115] seine Landsleute, geschwinder laufen, als die Europäer, und bald trifft er das Kind unter einem Baume halb verschmachtet, weil es beynahe in 24 Stunden nichts genossen, und die Nacht da gelegen hatte. Der Colonist gab seinem Sohne auch den Namen Tewenissa, aus Dankbarkeit für den Mann, welcher sein Leben rettete. War es nicht schön, daß mein Indier, mir und meinem Sohne den nehmlichen Dienst gelobte, und ist es nicht, setzte Wattines hinzu, ein schöner obwohl sehr dünner Faden der Verbindung des Denkens und der Gesinnung der Europäer und Indier, daß der wechselseitige Namentausch, ihre wehre Freundschaft bestätigt? Ich ging diesen zweyten Abend glücklicher unter meine Bärenhaut, schlief wohl, und genoß gleich bey Sonnen-Aufgang den süssesten Anblick für das Auge eines treuen jungen Vaters, meinen Sohn an der Brust seiner Mutter. – O gewiß,[116] in keinem Momente ist eine schöne Frau schöner, als mit einem Säugling an der reinen Brust! – Wie soll ich Worte finden, Ihnen das Gefühl zu beschreiben, welches meine Seele durchdrang, als eine innere Stimme mir sagte: hier saugt dein Kind Leben und Tugend ein; aber urtheilen Sie, von dem Eindruck welchen ein Gedanke meiner Emilie auf mich machte. Sie wissen wie sehr sie über den Verlust der Ziegen gejammert hatte, weil sie, die ihr ganzes Leben so gerne Milch aß, nun keine hoffen konnte, mich nun, da ihr Kind von ihren reinsten Lebens-Säften Milch erhielt, bey der Hand faßte und sagte: O wie glücklich bin ich, mein Carl! durch die Anordnung der Natur: das Schicksal beraubte mich des angenehmen Genusses der Milch, und die Natur giebt mir Milch für unser Kind. O ich freue mich, das ich es nun glücklicher sehe als ich bin.[117]
War ich nicht in diesem Augenblick der allerglücklichste Gatte und Vater auf der ganzen Erde? Wir waren wieder den ganzen Tag allein, ausgenommen ein hübsches Mädchen von acht Jahren, welches sich vor unsere Hütte setzte, und von Maisblättern recht artige Körbchen flocht. Dieses freute meiner Emilie ungemein; sie wünschte mit dem guten Geschöpfe sprechen zu können, und dieses Flechten von ihr zu lernen, um auch Körbe zu unserm Gebrauche auf der Insel zu machen; aber besonders eine Art Fußdecken zu verfertigen, auf welchen unser Carl Emil in unserer Hütte sitzen, spielen, auch liegen und kriechen könne, ohne sich auf der gestampften Erde Hände und Füße zu besudeln. Ich mußte auch Abends den Indier bitten, daß seine Schwester mit dem Mädchen reden solle. Ich rauchte mit ihm vor den Bäumen der Hütte, seine Schwester brachte jedem ein großes Stück geräucherten[118] Salmen und Wasser, ich sprach mit ihm von dem Glanze der untergehenden Sonne, und hörte bey dieser Gelegenheit das ganz einfache, und in Wahrheit eben so reine Ideengemälde ihrer Religion. »Sie glauben an ein mächtiges oberstes Wesen, von welchem alles da ist, das in dem Aufgange der Sonne wohnt, und zu welchem alle gute Menschen kommen. Die Gewitter halten sie für Kennzeichen seines Zorns, machen dann Gelübde und bieten alles zum Opfer an, was sie besitzen: die Stille und Sonnenblicke nach einem Sturme, ist ihnen Beweiß der Versöhnung und Güte, Tanz und Gesang der Ausdruck ihres Danks. Sie ehren das Alter, wie ich schon bemerkte, daß wo diese ihre Schlafstelle im Wigwham haben, doppelte Rindenstücke ausgehängt werden, um sie am besten vor Wind, Regen und Kälte zu schützen; aber einen Zug darüber hätten Sie eben so wenig erwartet, als[119] ich vermuthete; nehmlich durch Wald-Indier an das schöne Jahrhundert von Ludwig dem XIV. erinnert zu werden. Wenn ein alter Mann oder Krieger auf der Jagd oder einer Reise ermüdet, sich auf Laub oder Gras hinwirft und einschläft; so erbauen sie in der größten Geschwindigkeit und mit feierlicher Stille einen Wigwham über ihn, damit er Schatten und völlige Windstille genießen könne. Die Soldaten machten dem braven ermüdeten Herzog von Vendome eine Decke und Schatten von eroberten Fahnen im spanischen Erbfolgekriege. – Ich liebe sie, sagte er, die verschwisterten Ideen der Menschenliebe und der Kennzeichen der Hochachtung für Verdienste. Liebe für unsere Kinder haben wir auch, wie die Indier; aber in der Ehrfurcht und der Sorge für das Alter, in der Begierde ihre Erfahrungen zu benutzen, darin kommen wir ihnen nicht gleich.[120]
Unsere Tage flossen sich sehr ähnlich dahin. Die Gesundheit meiner Emilie und meines Kindes war vollkommen, dieß machte uns glücklich, erhöhte aber Emiliens ungeduldige Wünsche nach unserer Rückreise auf die Insel. Ich verlangte auch wieder da zu seyn, aber wie sie am eifrigsten davon sprach, heftete ich meine Blicke voll Angst und Zärtlichkeit auf unsern Sohn. Sie bemerkte es und sagte: Carl! ich brachte ihn unter meinem Herzen hieher, du sorgtest für unsere in Bieberfelle gewickelte Kleidung, nun machst du einen kleinen Kahn von Baumrinden, wie die Indier für sich, in diesen legen wir unsere Biberfelle, binden unsern Sohn hinein, und du stoßest den Kahn mit deiner Brust vorwärts, ich schwimme neben dir und ihm. Sie können denken, mein Freund! daß ich sie etwas staunend ansah. Emilie sagte aber: ich kenne kein ander Mittel, und finde mich doch viel glücklicher, als die Mutter des[121] kleinen Moses war, die ihren Sohn in dem Schilfkorbchen, den Gewässern des Nils übergab, und mit dem unaussprechlichen Kummer der mütterlichen Liebe im Herzen zurück bleiben mußte. Unser Carmil wird Vater und Mutter bey sich haben. O wie glücklich werde ich auf unserer Insel mit meinem Kinde, seinem Vater und meiner neu erhaltenen Gesundheit seyn. Ich wünsche wirklich auf der ganzen Welt nichts anders.« Wie viel sagte der Blick, welcher die Küsse begleitete, die Emilie in diesem Moment mir und unserm in meinen Armen ruhenden Carmil gab! Dieser Blick drückte mehr aus, als ich beschreiben kann. Sie sah mich äußerst gerührt an, und konnte wohl schließen, daß ich geneigt seyn müsse, alle ihre Wünsche zu erfüllen, denn sie wiederholte mit so vielem Eifer die Bitte um unsere baldige Abreise, war so heiter, so voll Vertrauen auf Gottes Fürsorge, durch[122] welche sie hier so glücklich aus Land kam, wohl und stark blieb, und gewiß auch so zurück kommen würde. Ich gab ihr das Versprechen, fleißig an Carmils Schifchen zu arbeiten, und so bald dieses fertig seyn würde, den ersten hellen und ruhigen Tag abzureisen. Ich verband also nach einer kleinen Anweisung meines Indiers, einige Weidenstäbe in die Länge und Quere mit einander, bog sie in Form eines Kahns, und befestigte innen und außen große Platten Birkenrinde umher, wodurch in Wahrheit ein recht gutes Schifchen entstand, in welchem mein Carl Emil, ja selbst ein viel größeres Kind, ganz sicher und bequem liegen und übergeführt werden konnte. Emilie lernte eben so fleißig, wie man die Maisblätter zusammen flechten kann, sagte mir dann, sie wolle unserer kleinen Indianerin auch etwas lehren, ich sollte Bindgras und Waldblumen holen; von diesen band sie nun Arm- und[123] Fußringe, einen Kranz auf den Kopf, ein Blumengewinde über die Achsel, nebst einer Art von Gürtel mit abhängenden Blättern zusammen, schmückte das gute Mädchen damit aus, wie eine Opern-Tänzerin in der Vorstellung eines indischen Ballets seyn könnte. Ich führte das hellbraune, mit gelben und rothen Blumen verzierte Mädchen, an das User des See's, damit sie sich in seinem Wasser betrachten könne, sie freuete sich und hüpfte unsern Hauswirthinnen entgegen, welche Emilien dankten. Unsere kleine braune Blumenkönigin, welche wir Flora nannten, lernte auch mit vieler Geschicklichkeit die Blumengewinde machen. Ich machte Pfeifchen, wollte auch ein paar Jungens auf dem Blatte blasen lehren, die Pfeifen nahmen sie, hatten aber die größte Freude an scharfen abgebrochenen Tönen, die auf den Blättern schienen jung und alt zu weich; aber Flora lernte sie gerne und ganz artig.[124] Nun sprachen wir von unserer Abreise, die guten Weiber schienen damit eben so zufrieden, wie mit unserer Ankunft. Der Indier sagte doch, in seinem und ihrem Namen: wir könnten bleiben, oder wiederkommen, bey ihrem Feuer uns wärmen und ich mit ihm aus seiner Pfeife rauchen. Ich gab ihm ein gutes Messer, welches ich mitgebracht, und immer verborgen gehalten hatte. Es war ihm recht, aber er nahm es, mit der Gleichmüthigkeit, mit welcher die Indier alles ansehen, was nicht geradezu auch für ihre Leidenschaften und Ideen paßt. Sie zeigten auch nicht die geringste Begierde, uns wegschwimmen zu sehen, oder uns zu helfen, sondern die Weiber gingen morgens mit ihren Kindern weg wie sonst. Emilie hatte bemerkt, daß Flora in ihren Blumenzierrathen geschlafen, und sie auf der Bärenhaut zerknickt hatte, und schmückte sie mit einer neuen Guirlande, wovon sie die andere[125] Hälfte um Carmils Schifchen band, der Flora aber bedeutete, sich in den andern Wigwhams zu zeigen. Ich ließ mein Matrosenwams in der gastfreien Hütte zurück, und trug unsern auf Moos und einem mitgebrachten Bieberfell in sein Schifchen gelegten Carmil an das User, mit welchen Wünschen und welcher Sorge, lasse ich Sie urtheilen. Hier band sich Emilie das andre Biberfell über ihre Brust, deckte ihren Sohn mit ihrem Kleide, wovon sie eine Ecke zum Schirm gegen die Sonne machte, und unsern Sohn mit zu dünnen Stricken gedrehten Bindgras in dem Kahne befestigte. Wir küßten beyde den schlafenden Engel, und umarmten uns schweigend. Emilie knieete, bat Gott um Schutz, und indem sie auf mich deutete, sagte sie: dieß ist mein alles auf dieser Erde, Ewiger! du weißt es. Nun stand sie auf, winkte mir, mit dem kleinen Kahn in den See zu gehen, sah noch einmal[126] nach der Gegend der indischen Hütten, küßte beyde Hände gegen sie, mit einem herzlichen, Gott segne Euch, raufte noch eine Hand voll Kräuter von dem Ufer, warf sie auf Carmils Decke, und eilte zu schwimmen Die Idee der Geschichte des Moses kam ihr wieder in das Gedächtniß, denn sie sagte so eifrig zum Himmel: ach du hast den kleinen Moses auf dem Nil geschützt, schütze auch mein Kind! Ich hatte meine Augen stets nach der kleinen in den See sich erstreckenden Spitze der Insel, Emilie die ihrigen auf mich und ihr Kind gerichtet, war stets sehr nahe bey mir. Ich war bange der Kleine möchte weinen, aber er schlief sanft bey der Bewegung welche das Rudern meiner Arme in dem Wasser um ihn her machte: mir wurde sonderbar zu Muthe. Anfangs war ich ängstlich, dann voll Vertrauen daß Gott den Engel Emilie, um ihrer selbst willen, und mich um meines unschuldigen[127] Kindes willen erhalten würde; denn was konnte ich für mich hoffen? war ich nicht Ursache an unserm Jammer? Mir schauderte vor mir selbst, als meine Einbildung mir sagte: der Bösewicht Nero, nahm im Ungewitter auch unschuldige Kinder in die Arme. Ich litte viel, sehr viel, aber Gott half, Gott schützte uns. Wir landeten glücklich. Emilie küßte mit Entzücken die Erde, sprang auf, band ihr Kind los, faßte es in ihre Arme. Der Kleine schrie bey der heftigen Bewegung, und suchte gleich die Brust. Emilie wurde blaß, und dann wieder feuerroth, riß heftig an den kleinen Riemen, mit welchem sie das Bieberfell über ihre Brüste befestigt hatte: ich eilte ihr zu helfen, sie reichte, die Augen zum Himmel erhoben, dem Kinde stehend die Brust, der Kleine sog begierig und bekam zu viel in seinen kleinen Mund. Nun sah sie auf ihn, und rief laut, mit einer Art wilder[128] Freude: o ich habe Milch, ich habe Milch! –
Ich war durchdrungen, umfaßte und stützte sie, denn sie taumelte beynahe für Freude. Ich war bange. Emilie! theures Weib! was ist in deiner Seele? Mit einem Seufzer und in Thränen zerfließend antwortete sie: ach, ich hatte besorgt, das Schwimmen und das Wasser habe die Milch zurück getrieben, was würde da aus unserm Kinde geworden seyn!
Das Weinen erleichterte ihr gepreßtes Herz, und ich führte sie bis zu diesen Bäumen, wo sie auf meinem Schooße sitzend, den Carmil völlig stillte. Dieß, mein Freund! setzte er hinzu, ist die Ursache, warum dieser Platz besonders geordnet und besorgt ist; so wie ich den Lieblings-Fußpfad meiner Emilie in etwas auszeichnete, wo sie allein voll Sorge eine günstige Stelle zu unserm leichten[129] Ueberschwimmen suchte. Als der Kleine gesättigt war, stand sie auf, hob ihn gegen den Himmel, und rief: Dank, o Dank gütiger Gott! aber nicht mehr von hier, als zu dir, Vater der Welt!
Dieses Gebet, so schnell, so eifrig aus ihrer Seele gesprochen, zermalmte mein Herz; denn ich dachte sie müsse in der indischen Hütte, von den Weibern mehr gelitten haben, als sie mir nicht sagte, und die Rückerinnerung an die auf dem jenseitigen Ufer zugebrachten 10 Tage blieb lange wie Dolchstiche in meiner Seele. Bey dem Aufsuchen unserer Hütte genoß ich eine Freude, für welche ich dem Himmel wegen Emilien innigst dankte, als ich das Vergnügen bemerkte, mit welchem sie auf dem Wege zu unserer Wohnung auf Bäume, Gesträuche, Felder und Blumen sah, mit ihren Blicken alles grüßte, bey einem Lieblingsstück stehen blieb, das Kind küßte, und mit Hoffnung im Auge mir sagte: ach[130] wenn einst unser Knabe hier die Blumen pflücken wird, welche du für seine Mutter pflanztest!
Mein zu volles Herz erlaubte mir nicht, viel oder munter zu reden, ich erwiederte nur äußerst gerührt: da werde ich höchst glücklich seyn. Sie überhörte aus Eile nach der Hütte den abgeänderten Ton meiner Stimme, und horchte allein auf das Gackern unserer Hühner, worüber sie viel Vergnügen zeigte. Denken Sie sich selbst den Eintritt in unsere Hütte. Ach, sie war uns ein Pallast, unsere kleine Habe wurde zu Reichthum, Kleidungsstücke, Weißzeug und Hausgeräth, so wir ganz unverrückt wieder fanden, gaben uns Gefühl von Sicherheit und Ueberfluß. Emilie hatte Freudenthränen im Auge, küßte ihre Hemden und den armen aber reinen Schlafrock, welchen sie anzog, beynahe hätte ich auch meine Weste umarmt; denn ob wir schon in der indischen Hütte sahen, wie wenig der Mensch zum täglichen Fortleben bedarf, so[131] konnten wir das Wohlseyn, welches das Mehrere mit sich führt, nicht vergessen, nicht aufhören es zu wünschen. Wir öfneten Thüren und Fenster, um wieder frische Luft und Sonnenstralen in unsere Wohnung zu sammeln. Ich machte ein großes Feuer, Emilie bat mich Wasser zu holen, und welches aufzustellen, Carmil schlief noch in seinem Schifchen, seine Mutter eilte zu den Hühnern mit einem Vorrathe klein gestoßnen Mais, welchen sie noch vorfand. Sie wollte sich ihnen wieder bekannt machen und Eier suchen, sie fand einige Hühner zerstreut, brachte sie mit Jubel zu dem Herde, glaubte aber eines verloren zu haben, welches ich ihr zu suchen versprach. Wir kochten Eier, aßen sie mit unendlichem Vergnügen. Emilie trank herzlich vom Honigwasser, und ich bat sie, sich niederzulegen, und neben unserm Carmil zu schlafen, denn die jähe Eile, mit welcher sie alles vornahm, die außerordentlich schnellen Bewegungen, welche sie[132] machte, gaben mir viele Sorgen: da noch keine 14 Tage von ihrer Entbindung an verflossen waren, fürchtete ich ein Fieber. Sie schlief recht sanft bis gegen Abend, neben unserm Liebling, Ich war zu sehr erschüttert um ruhen zu können, und setzte mich vor unsere Hütte. Das Bild einer Krankheit meiner Emilie trat vor mich mit allen quälenden Ideen trauriger Nebenumstände für Carmil und mich: tiefer Jammer bemächtigte sich meines Geistes, alle vergangnen Scenen meines Lebens zogen in meinem Gedächtnisse vorüber. Der Mittelpunkt, auf welchem ich bey dieser Hütte war, rückwärts verlornen Wohlstand, gemordete Verwandte und Freunde, verlornes Vaterland, und meine ohnmächtige Wuth gegen Bösewichter, hier ich mit der liebenswürdigsten Frau und einem Kinde allein: die Zukunft, die mit einer ernsten innern Stimme mich fragte: was willst du ferner thun? – O mein Freund, die Sprache[133] hat keine Worte für die Beschreibung des Kummers der meine Seele zerriß, als ich mir sagte, was soll aus ihnen werden? In den Staub gebeugt, auf der Erde krümmend flehte ich: O laß sie nicht leiden die Unschuldige, für ihre Liebe zu dem heftigen, trotzbietenden Manne, für den Trost, für die Freude welche sie in mein Herz goß! – o es ist zerreißend, das Gefühl, Unrecht gethan zu haben! Es ist wirklich in der fühlbaren Seele der Wurm, der immer nagt, und keine Empfindung von Glück und Zufriedenheit zu reiner Blüthe gedeihen läßt. Er untergräbt die Scheingründe, welche die Leidenschaften uns gegen anerkannte Pflichten aufführen helfen. Ja, mein Freund! es ist für eine moralisch edle Seele nichts trauriger und schrecklicher, als zu sagen: ich hatte Unrecht. Wie viele Vorwürfe, sagte er nach einigem Schweigen, machte ich mir nicht, daß ich meinen Indier nicht genauer nach den amerikanischen Fischern[134] fragte, nicht weiter in ihn drang, als er mir kurz sagte, es seyen keine mehr da: ich verheelte es Emilien, und tröstete mich mit den dunkeln Ahndungen, welche uns der alte Quäker mitgegeben hatte, daß bald eine Colonie Europäer nach den Ufern des Oneida kommen würde, welche gewiß wie wir ein hartes, ungerechtes Vaterland fliehend, die kleinen Ueberreste ihres Vermögens und ihrer Kräfte anstrengen würden, sich und ihren Kindern einen sichern Aufenthalt und Nahrung zu schaffen. Mit welchen Schmerz rang ich meine Hände, indem ich sagte, ach wann kommt sie! die Colonie, wann? Sie wissen, daß wir noch zwey volle Jahre einsam blieben. Gott sey Dank, sie sind vorbey, aber ich schaudre heute noch, wenn ich an sie denke. – Emilie erwachte wohl, und wie sie sagte erquickt.
Lieber, hast du unser Huhn gesucht, fragte sie angelegen? Ich sagte, daß ich sie[135] und Carmil nicht hätte allein lassen wollen, ich würde jetzo hingehen, weil es noch helle genug sey. Es freuete sie. Stellen Sie sich das Entzücken vor, als ich ihr sagte, daß ich nicht nur das Huhn, sondern als Bruthenne in einer Grube unter dem Gebüsch der Einzäunung gefunden habe. Wie ein Pfeil war Emilie von ihrem Bette, und eilte unaufhaltbar, selbst ohne auf den schlafenden Carmil zu sehen, nach dem Hühnerplatz. Freudenthränen flossen von ihren Wangen über dieses so unerwartete Glück. Bald lief sie zurück, holte Mais, und unsern einzigen kleinen Napf welchen wir hatten, mit Wasser gefüllt für die brütende Mutter. Ich mußte noch eine kleine Umzäunung machen, daß unsere übrigen Hühner diese mit ihrem Müßiggange nicht störten. Wir glaubten bald an eine gute Vorbedeutung, und aßen eine Suppe von Buchweizen zu Nacht.
Freunde! was für eine Geschichte beschreibt[136] Emiliens erstes Wochenbett! Gewiß meine schätzbare Base hat während dem Lesen dieser Blätter, an sich und andre Frauenzimmer, auch an gute Bürgerweiber in ihrer Nachbarschaft gedacht. Wie glücklich muß sie sich und alle geschätzt haben, wenn sie an das Schicksal der holden jungen Frau von Wattines sich erinnerte. Ich konnte den guten Mann mit keiner Frage unterbrechen, welche ihn zu einem größern Detaile seiner Leiden geführt haben würde. Eine solche neugierige Frage dünkte mich, wie das Sondiren in einer Wunde, von welcher man die Tiefe untersucht, welches allein dem heilenden Arzte, aber auf keine Weise einem bloß Neugierigen erlaubt seyn darf. Ich zeigte dem schätzbaren Wattines mein Staunen, meine Theilnahme und Verehrung nur in kurzen abgebrochenen Ausdrücken, doch so, daß es ihm Trost, Zufriedenheit mit sich selbst und das süße erleichternde Gefühl gab, welches den Beyfall eines[137] guten vernünftigen Menschen uns gewährt. Ich umarmte ihn mit der innigsten Hochachtung und wahrer Liebe. Er sah, daß ich tief gerührt war, als ich ihm dankte, daß er meinen Wunsch, nach diesem Theile seiner Geschichte, so freundlich erfüllte, und es freuete ihn als ich ausrief: Sie und Emilie sind Zierden der Menschheit, sind Modelle für Tausende, und machen ihrem Schöpfer Ehre. Es war spät als wir zurück kamen. Ich sollte mit ihnen zu Nacht essen, aber ich konnte es nicht, denn als ich Emilien erblickte, dachte ich sie schwimmend auf dem Wasser, das ich heute sah. Die Hütten, die indischen Weiber, alles war vor mir. Ich sagte, ich müßte fort, um alles aufzuschreiben, wie sie es erlaubt hätten. Sie gingen mit mir bis an die Gränzen ihres Hauses und Gartens: ich konnte nicht reden, reichte beyden meine Hände, drückte die ihrigen an meine Brust und rief: Edle, edle Wesen! Gott segne Euch! O er[138] muß es! – und so eilte ich heim, aß Brod, trank etwas Wein, und fieng an zu schreiben: dachte mir diesen Wattines, als jungen schönen Officier in Versailles um seinen König, dann in glänzenden Cirkeln in Paris, dachte seine Aussichten – und Emilie als eine blühende Rose auf den schönen Gütern ihres Vaters, ihre Bestimmung, noch vor fünf Jahren, – und jetzo, beyde hier? O Verhängniß: wie spielst du mit uns träumenden, armen Geschöpfen. – Diese Gedanken begleiteten mich auf mein Kopfküssen, und ich träumte wirklich die sonderbarsten Dinge.
Wattines kam früh zu mir, ehe er auf sein Feld ging, fragte nach meiner Gesundheit, und sagte: er und Emilie, hätten gestern mit vieler Dankbarkeit von meinem theilnehmenden Herzen gesprochen, und ich hätte ihn glücklich gemacht, denn nun lebte[139] sie wieder in seiner Seele, die Ueberzeugung, daß jemand sein Herz kenne, und sich an seine Stelle zu setzen wisse, indem es ein Mann von seinem Alter, und mit den Sitten seiner Nation bekannt seyn müßte; die andern guten Einwohner von Oneida wären das nicht, könnten es nicht seyn; noch setzte er hinzu, daß Emilie gestern von meinem Segen und dem Kennzeichen meiner Verehrung für sie beyde sehr gerührt war, sie wolle auch das Bild ihres Aufenthalts bey den Indianerinnen ergänzen, wenn ich glaubte, in seiner Erzählung leere Stellen bemerkt zu haben. Ich dankte und dachte: ja es fehlen mir alle feine Züge und Schattirungen, welche allein durch eine Frau wie Emilie gesehen und bemerkt werden konnten.
Wie er sich entfernt hatte, schrieb ich alle Erinnerungen von gestern nieder, und machte Auszüge aus den Noten der Frau Vandek. Diese hatte Emilien gefragt, wie[140] sie zu dem Entschlusse gekommen sey hinüber zu schwimmen? da antwortete sie: »durch das Gefühl der Selbsterhaltung und der Liebe für mein Kind und seinen Vater; auch war kein ander Mittel der Hülfe für mich da. Es war kein Krieg mit den Indiern, und ich wußte, daß sie im Frieden treu und gut sind, damit verband ich mein völliges Hingeben in die göttliche Fügung, wenn ich nun alles gethan haben würde, was er meiner Vernunft und den Umständen erlaubte.«
Aber, sagte Frau Vandek, warum warteten Sie so lange mit Ihrem Uebergange? denken Sie, wie schnell ihre Entbindung folgte.
»Darüber müssen Sie, meine Freundin, sich nicht wundern, ich war unwissend und unerfahren, meine Seele hatte viel bey der Trennung von unserer Insel gelitten, und nie werde ich den Auftritt und mein inneres[141] Zittern vergessen, als ich der Hütte und den beyden indischen Weibern mich näherte. Denken Sie sich zwey große braun gebrannte Frauenspersonen in langen Beinkleidern und Wams nebst Kappe von groben braunen Tuch, glatte, schwarze, über Gesicht und Schultern hängende Haare, einen kurzen Rock über die Beinkleider, und dieß alles dabey sehr unreinlich, tief liegende etwas düster blickende Augen. Gewiß es kostete mich mehr Mühe den Widerwillen meiner Augen zu überwinden, als die Vorstellung der Gefahr des langen Schwimmens, aber ich strengte mich gegen Wattines an, heiter und vertraut zu scheinen; doch bald waren die Töne der Weiber gefälliger als ihre Blicke und ihr Aussehen, auch war es gut, daß ich europäische und philadelphische Bilder aus meinem Geiste entfernte, und nur an Wahrheit und Bedürfniß des Moments dachte. Indische in Wäldern lebende Weiber, konnten weder in Kleidung[142] noch Sitten denen ähnlich seyn, an welche ich in meinem Vaterlande, oder wo sonst europäische Sitten üblich sind, gewöhnt war. Ich fühlte, daß es ungerecht und thöricht sey, allein nach einem verwöhnten Auge zu urtheilen, und nahm mir vor, genau bey den einfachen Bedürfnissen der Natur, und bey Wahrheit stehen zu bleiben. Ich fühlte mich übel, und war froh, als der Indier meinen Mann wegführte. Die Weiber und ihre Hülfe waren liebreich, mein Glaube, daß die Natur mir nicht mehr auflegen würde, als andern Müttern, der kleine, aber mir äußerst wichtige Umstand, daß alle Mohawks wohl gewachsen sind, dieses stützte meine Hoffnung für die gute Besorgung meines Kindes. Ich bat Gott, mir meinen Verstand und mein Leben zu erhalten, damit ich mit dem ersten alles bemerken könne, was bey diesen Umständen nöthig ist, weil diese Töchter der Natur in nichts eingebildete Bedürfnisse[143] haben, und keine unnützen Dinge vornehmen, der Himmel aber in meiner Seele lesen konnte, daß ich nur für mein Kind zu leben wünschte. Gott erhörte meine Bitte, ich genaß, und das sehr bald. Die überströmende, alle andre Gefühle übertreffende Freude der guten Mutter, mein Kind in meinen Armen zu halten und der ewigen Güte für meinen schönen Sohn zu danken: dieser schon vor seiner Geburt beraubte Erbe großer Güter und zwey schöner Wohnsitze edler Ahnen, lag mit seiner Mutter unter Birkenrinden auf der von einem Indier gelehnten Bärenhaut, hatte wie Kinder der Indier von seiner Mutter nichts als ihre Liebe und die Milch ihrer Brust, von seinem Vater Unterricht im Feldbau und Fischerei, zu Erhaltung eines Lebens zu erwarten, das sie, von ihm ungewünscht, ihm gaben. Hätte wohl eine Rivalin, welche an dem Tage meiner Verlobung mit Wattines, alle Hoffnung auf sein Herz verlor; mich[144] beneidete und haßte, hätte mir diese wohl mehr Jammer wünschen können? Wer hätte mir an diesem, meinem Herzen so schönen, glücklichen Tage gesagt: von allen, welche dich als gesunde, heitere Braut sehen, wird in den Tagen des Kummers keiner um dich seyn, und während dem Gefühl der Geburtsschmerzen deines ersten Kindes wirst du sein und dein Leben in den Händen von zwey Indianerinnen sehen.
Es war sonst meine Gewohnheit, bey Schmerzen ruhig und stille, mit zugeschloßnen Augen auf Linderung zu warten, dießmal war ich auch stille, aber ich deckte meine Augen nicht: immer waren meine Blicke mit Aufmerksamkeit und bittend, auf die Mienen und Züge der zwey Sqaws gerichtet. Mich däuchte auch, daß sie meine Stille, meine Geduld und mein Achtung geben auf ihre Zeichen und Winke, unter sich lobten, und daß sie mit mir, meiner glücklichen Entbindung[145] sich freuten, und die Beweise meiner überfließenden Liebe für mein Kind gut fanden. O, in der Hütte meiner Indianerinnen wurde ich überzeugt, daß die Natur keinen Unterschied macht, daß meine Schmerzen, meine Bedürfnisse, bey der Geburt meines Sohnes, und sein hülfloses Wesen, der Zustand jedes gebährenden Weibes und jedes neugebohrnen Kindes ist.
Ach! nur in den Gefühlen und Bedürfnissen der Natur ist sie, die wahre einzige Gleichheit, welche Frankreichs neue Philosophen durch das ganze Leben und in allen Verhältnissen der Menschen haben wollen. Aber zu was dienen diese Betrachtungen? – Ich befand mich wohl, und war eine glückliche Mutter, nur einen Jammer hatte ich noch zu überstehen: die eine Frau lief weg, blieb einige Zeit aus und brachte etwas auf einem Blatte, wovon sie meinem Kinde einen Theil von ihrem Finger abzusaugen gab. Ich war mit der größten[146] Geschwindigkeit bey ihr, um es zu wehren, indem ich befürchtete, es möchte meinem europäischen Kinde schaden. Ich weinte, als ich beyde Weiber mich so ernst zurückweisen sah, sie bedeuteten mir, es sey gut. Ich war ruhig aus Angst sie zu erzürnen und tröstete mich ganz, als sie mir gleich darauf meinen Knaben zum Säugen an die Brust legten, indem ich hoffte, daß meine Milch diesen Saft verdünnen und weniger schädlich machen würde; und nun wünschte ich Wattines zu sehen, und bat ihn, er solle den Indier fragen, was man unserm Sohne gegeben habe Er sagte: Ein Pulver von guten Kräutern mit Honig, dieß beruhigte mich ganz. Meine Nahrung war, dünner, zerriebener Maisbrey. Ich genoß ihn mit Dank, und schätzte es als eine liebe Nahrung; denn mein Kind fand immer Milch und war wohl. Mir fehlte gar nichts, Wattines war immer um mich so daß ich ihn oft bat, mir Blumen und Kräuter[147] von den Wiesen und aus dem Walde zu holen, weil ich sie kennen lernen wollte, aber ich that es, um ihn zu zerstreuen und Bewegung zu verschaffen; denn Blumen und Pflanzen dieser Seite waren wie die von unserer Insel. Der Indier nahm ihn ein paarmal mit auf die nahe Jagd. Ich wurde bange, es möchte diese alte Edelmannsfreude wieder in ihm erwachen, und ich liebte ihn mehr als Bauer und Gärtner, als ich ihn wie Jäger lieben würde. Traurige Betrachtungen konnte ich bey mir nicht verhindern, wenn ich, während die Indianerinnen und ihre Kinder schliefen, bey dem schwachen Lichte des Feuers in der Hütte umher blickte, und mir zurück rufte, wie meine Tante in ihrem Wochenbette lag, und wie ohne die Revolution, ich und mein Kind in den Armen geliebter Anverwandtinnen und Freundinnen gepflegt seyn würden; hier traf mein Auge auf niemand, den mein Gedächtniß mir nannte, doch verscheuchte ich diese[148] unwillkommnen Erinnerungen, dachte an meine Gesundheit, mein Kind, Wattines und den Allwissenden, Allgütigen, welcher in meinen Blicken um mich her, in den Thränen, welche auf meinen Säugling fielen, und in diesen Erinnerungen meine Bitten und Wünsche sah. Die guten Weiber gingen morgens mit ihren Kindern nach ihrer Arbeit auf dem Felde, hatten aber die Sorgfalt, mir ein liebes Mädchen von acht Jahren vor die Hütte zu setzen, welche das Feuer unterhalten mußte, und mir von Zeit zu Zeit, in einer großen Muschel von dem Maisbrey oder Wasser brachte. Dieses Mädchen lehrte ich Kränze und Blumengewinde machen, so wie ich von ihr Körbchen zu flechten lernte. Oft war ich ganz allein, an die Hütte gewöhnt, dachte ich an Philadelphiens und Europens Gebäude, mußte mir sagen: wie unendlich ist der Abstand zwischen einfachem Bedürfniß der begränzten Gefühle des physischen Lebens, und[149] der mit dem Anbau unseres Verstandes sich vermehrenden Begierden, welche bey uns den Wechsel des neuen, und die Menge in allen Dingen zur Nothwendigkeit machten. Diese Hütte faßt alles, was eine Familie der Oneidas zu ihrem Glücke wünschet. Die Begriffe ihres Verstandes von einem obersten Wesen und von andern Geschöpfen um sie her, sind eben so einfach und beschränkt wie ihre Wohnung, ihre Geschäfte, Essen und Kleidung; dennoch ist die Seele dieser Menschen, wie ihr Körper mit allen Fähigkeiten begabt, die wir übrigen stolzen, glücklichen Europäer an uns kennen. Aber mußte ich nicht zugleich denken, daß auch in unserm Europa die Seele einen gleichen Schritt mit dem Körper hält, wie man es in abgelegenen Wohnungen, bey Armen, die wenig Umgang baben, und bey den meisten Landleuten findet, welche man nur für Besorgung der Bedürfnisse des Leibes beschäftigt sieht, indem ihre Seele eben so[150] wenig und so einfache Begierden nach Kenntniß zeigt, als man bey Millionen Menschen einfache Gefühle und Wünsche für körperliches Wohl und äußerliche Umstände antrifft. Wir Europäer kennen mehr Vergnügen und mehr Weh der Einbildungskraft als die Indier; diese wünschen nur heftig, was zu unmittelbarem Genusse führt; Stärke, Geschicklichkeit bey der Jagd und Fischerei, Tapferkeit im Kriege, Genuß der Rache und des Ueberwindens; weil es mehr Kraft beweißt. Emilie glaubt auch, daß der Haß, und alle in der einfachen Natur liegenden Leidenschaften, bey den ungebildeten Völkern um so heftiger sind, weil sie, wie ein in unbewohnter Gegend aus einer reichen Quelle fließender Bach, auf keiner Seite in Ableitungen getheilt, und also der Hauptstrom nie geschwächt ward; daher ihre Freuden, Trauer und Haß unbändig, tobend und schreyend sind. Ich war dankbar und gerecht gegen die[151] Natur, daß sie mir in einem der wichtigsten Auftritte meines Lebens unter ihren eigentlichen Kindern Hülfe gab; diese Erfahrung, und die Beobachtung meines eigenen Kindes, der drey und fünf Jahr alten Indier, und von unserer acht Jahr alten Flora, überzeugten mich von der Wahrheit des Glaubens und des Ausspruchs unsers schätzbaren Bernardin de St. Pierre, welcher sagt:
»Die Natur hat den Menschen gut geschaffen, wenn sie ihn hätte übelthätig haben wollen, so würde sie, die in allen ihren Werken die Folgen bedachte, dem Menschen auch entweder Klauen, einen Rachen oder Gift, und andre angebohrne Waffen gegeben haben, wie sie viele andre Thiere ausrüstete; aber sie hat ihm nicht allein keine Vertheidigungs- und Angrifsmittel gegeben, sondern sie schuf ihn, als das ärmste und hülfsbedürftigste von allen, gewiß um ihn als Gegenstand der Menschenliebe und Güte zu zeigen, und die[152] nehmlichen Gefühle für andre in ihm zu erwecken. Die Natur schuf nirgends eine Nation von lauter neidischen, verläumderischen, ehrgeizigen, hartherzigen Menschen; eben so wenig, als man Gegenden trifft, wo alle aussätzig, fieberhaft oder mit den Blattern behaftet gewesen wären. Diese physischen Uebel kommen von schlechter Nahrung, und die moralischen Fehler von irrigen Begriffen des Verstandes!« Diese Betrachtung erweckte aufs neue meine Dankbarkeit für meine erhaltene Erziehung, für Kenntniß der Religion. Kenntniß meines Gottes und der Verdienste der Menschheit. Meine verfeinerten Sinnen, meine gebildeten und geweckten Fähigkeiten, machten mich selbst hier, mitten in dem größten Mangel, glücklich. Meine Indianerinen entbehren vieles, ohne Kummer, weil sie wenig kennen, ich entbehre, mit dem süßen Gefühle, einer ausübenden Tugend,[153] geduldiger Unterwerfung in dem göttlichen Willen, und schaffe mir auch Hülfe durch meinen angebauten Verstand. Ich wünschte mir nicht die Zufriedenheit meiner Indier, freute mich für sie, daß sie es sind, weil ich nichts für sie thun kann, aber ich hoffe doch, daß der allmählige Umlauf der Kenntnisse und Wissenschaften, auch für sie ein edleres Glück hervorbringen wird: aber wie lange mag es noch dauern, bis diese Völkerschaften einmal ihre Kinder die ganze Würde der Menschheit lehren, und ihnen sagen werden: was für große und glückliche Vorzüge hat der Mensch durch die Gestalt und Fähigkeiten seines Körpers! wie viel mehr aber durch seine Vernunft, vor allen andern Wesen. Jedes schädliche Thier weis er aus dem Wege zu räumen, jedes nützliche sich zu eigen zu machen. Beyder Arten bemächtigt er sich nach Gefallen, sie mogen fliehen wie sie wollen: denn, sind sie stärker und schneller als er,[154] so ersetzt seine Vernunft beydes: diese hat an dem Elephanten und an dem Pferde die empfindlichen Theile entdeckt, so daß er als Knabe sie leitet wohin er will. Er machte Netze für Fische, Fallen für Mäuse und andre schädliche Thiere, die Pfeife um Vögel in sein Garn zu locken, und das Gewehr, womit man den Hirsch in weiter Ferne zu Boden streckt. Viele der nützlichen Thiere hat er zahm gemacht, braucht sie zu Arbeiten, und auch zur Speise; dem packt er seine Lasten auf; dieß muß ihn tragen und ziehen; jenes ihn kleiden und nähren. Fuchs, Wolf und Bär erkennt er an ihren Fußtritten, vergebens fliehen sie in die Wälder. Er fängt sie, nimmt ihnen ihre Pelze für sich zu einer wärmern Kleidung ab. Bey den Pflanzen herrscht er eben so willkührlich. Er entdeckte alle die, welche zu Speise, Trank und Kleidung taugten. Schneidet den Kohl, preßt den Saft der Traube, das Oehl der Olive,[155] schüttelt das Obst, ärntet den Weizen, hechelt den Flachs, wirft die Eiche zu Boden, stürzt ganze Wälder um sich Häuser zu bauen, im Winter sich zu wärmen, seine Mahlzeiten zu kochen, und das übrige andern zum Schiffbau und Geräthschaften zuzuführen. Er heilt mit Kräutern seine Wunden, weiß sie, Wurzeln und Rinden zu seiner Gesundheit zu gebrauchen, pflanzt Blumen, genießt ihre schönen Farben, ihren balsamischen Geruch, und pflückt sie zu Sträußer und Kränzen.
Das Steinreich steht ihm auch zu Gebot. Er gräbt Erz aus den Eingeweiden der Erde; verfertigt die herrlichsten, nützlichsten Werkzeuge, Gefäße und die schönsten Zierrathen daraus. Sammelt Edelsteine zum Schmuck, bricht den Kalkstein, seine Mauern zu verbinden, den Schiefer, seine Dächer zu decken. Sprengt Felsen, zu Landstraßen, gräbt und pflügt die Erde auf, und sie muß ihm Früchte tragen, welche er will; findet er[156] die Oberfläche zu dürftig, so bohrt er tiefer, und wühlt die untere bessere Erde herauf; gräbt Brunnen, trägt die Höhen ab, ebnet das Ungleiche, pflanzt Alleen, verwandelt Sümpfe in Wiesen, Sandfelder in Gärten; das Meer selbst muß sich seiner Herrschaft unterwerfen, denn seine Vernunft lehrte ihn Fahrzeuge bauen, mit welchen er über unermeßbare Oceane von einem Welttheile zu dem andern segelt; er mag Land sehen oder nicht, so leitet ihn der Compas. Er bringt Feuer hervor, und löscht es wieder; dem Wasser setzt er Gränzen durch Erddämme. Er baut Brücken über die Flüsse, und verbindet sie durch Canäle, leitet den Blitz ab und zertheilt Regenwolken durch Canonendonner; alle Städte, alle Dörfer, alle fruchtbaren Felder und Auen sind sein Werk. Er hat durch sorgsame Pflege alle Getraidearten, Blumen und Früchte veredelt. – Ach, wie lange mag es noch dauren, bis alle Gegenden[157] der Erde zu dem seligen Genuß dieser Kenntnisse und dieser Betrachtungen gelangt seyn werden? Wie lange, bis einst ihre Nachkommen die Encyclopädie kennen und lieben werden, wie ich und Wattines sie lieben und kennen, durch vermehrte Wissenschaft glücklich, durch erhöhte Gefühle der Tugend gestärkt und getröstet werden?«
Hier, sagte Emilie, muß ich Ihnen die muntre Antwort mittheilen, welche Wattines mir gab, als er die Frage las: Wann wird die Zeit kommen, daß unsere guten Indier Kenntnisse haben werden wie wir.
Das will ich gleich ausrechnen, sagte er, und ging zu unsern Büchern. Frau Vandek und ich dachten, er habe nur den Anlaß genommen wegzugehen, weil er, wenn von meinen Erinnerungen auf der Insel gesprochen wurde, sich immer entfernte, so bald er bemerkte, daß er genennt werden könnte:[158] nun kam er aber mit einem Papiere in der Hand zurück, und las in Wahrheit eine Berechnung vor, indem er sagte:
Als Cäsar nach Brittannien kam, lebten die meisten Einwohner, wie jetzt die Nordamerikaner, in Gebirgen und Wäldern, wußten nichts vom Ackerbaue, mahlten sich den Körper wie Nesquehiounah, als er wieder Mohawk wurde, und deckten sich mit Thierhäuten. Von dort an, bis zu der Zeit, wo England einen Bacon und Newton sah, verflossen 900 Jahre, also müssen die Oneidas, wenn sie nicht von den Europäern ausgerottet werden, noch 937 Jahre warten, bis ein Gelehrter von diesem hohen Verdienste unter ihnen erscheint. So wie die Griechen 514 Jahre bestanden, ehe ein Socrates, und die Römer 642 zählten, ehe Cicero kam, unser Vaterland aber sagte er zu mir, von Cäsar an 1700 Jahre durch alle Stuffen der[159] Kenntnisse gehen mußte, bis ein Büffon entstehen konnte.
Der muntre Einfall dieser Berechnung dünkte mich sehr in dem französischen Nationalgeiste zu seyn, dessen angeborne Heiterkeit wohl auf einige Zeit bewölkt wird, aber bey jedem Anlasse wieder mit Leichtigkeit hervorbricht. Ich setzte nun mit einer Art doppeltem Stolze hinzu, daß wir Teutschen von Cäsar an auch 1700 Jahre zurücklegen mußten, ehe wir unsern Leibnitz sahen. Mein Stolz ruhte in der That auf zwiefachem Grunde. Einmal daß Leibnitz, welchen Wattines in seiner Encyclopädie mit so vielem Ruhme genannt finden kann, uns gehört: und weil ich die Jahre von Cäsar bis auf ihn, ohne Bücher nachzuschlagen, sogleich nennen konnte. Ich erinnerte mich auch, daß unser großer Wieland einmal bey dem edlen weisen Graf Friedrich von Stadion, dessen letzte Lebensjahre er verschönerte, und die Freundschaft[160] des geistvollen Ministers genoß, einmal von den Wanderungen der Wissenschaften sprach, und auch eine Art von Rechnung gemacht wurde, wie lange die Musen ihre griechische Heimath bewohnten, und dann durch das Verhängniß zu einer Pilgrimschaft getrieben, bis in nördliche Gegenden kamen. Wieland versicherte, daß eine Zeit kommen müßte, wo seine Gedichte in Lappland, auf der Toilette jeder schönen Dame neben Rosengewinden liegen, und sie von ihren Verehrern fordern würden, ihnen seine Werke vorzulesen. Diese Unterredung verwandelte Wattines Holzhütte in eine Art von einfachen Tempel schöner Kenntniß der ersten Zeit. Ich sagte Emilien, wie oft ich schon ihre und ihres Gemahls Erziehung segnete, durch welche sie in ihren Leiden und ihrer Einsamkeit so wundervoll unterstützt wurden, und wodurch sich auch ihr Herz in der Borkenhütte der Indier in so vollem Glanze zeigte.[161]
Ach, erwiederte sie, in der Stunde, wo mein Herz so viele Wünsche für die Indier machte, mußte ich mir auch sagen: da habe ich nun die glücklichen Vorzüge der Europäer gegen den Mangel der Indier abgewogen, habe an die durch Kenntniß vermehrten Tugenden gedacht, und völlig vergessen, daß in Paris, wo der Sitz des höchsten Grads der Wissenschaften und Künste war, die Quelle alles Elends und aller Ungerechtigkeiten entstand, der Mord unsers guten Königs, der von meinen Verwandten und so vieler tausend Unschuldigen, durch Menschen von großen Talenten beschlossen und entschuldigt ward. Alle Abscheulichkeiten wurden von Parisern begangen, welche meine gutmüthigen Indier wegen ihrer Unwissenheit verachten und belachen würden. Denken Sie, was in der indischen Hütte die Betrachtung mir werden mußte, daß von so vielen hunderttausend geistvollen Bewohnern dieser[162] Stadt, welche gegen das Dörfchen der Oneidas eine ganze Welt ist, so wenige gut waren, und ach! Männer voll Kenntnisse rotteten die von Jugend auf gepflegten Ideen und Gefühle, von Gott, Religion, Menschenliebe, Güte und Mitleiden aus ihrer Seele, opferten dem Ehrgeiz und der Herschsucht jede Tugend, und das Wohl, das Leben so vieler Tausende.
Wie sehr wurde ich in diesem Momente überzeugt, daß der Gelehrte recht hatte, welcher sagte: der Mensch ist oft nicht so weit von den Thieren verschieden, als Menschen von Menschen; denn waren nicht die Oneidas, bey welchen ich Schutz und Hülfe gefunden hatte, Engel gegen das Volk der Pariser? Dennoch, ich bekenne es, dachte ich mit Abscheu an den Entschluß, eines durch den Krieg verarmten Amerikaners, der ein geborner Irrländer war, und mit Frau und Kindern zu einem Stamme der Indianer[163] überging, und aus einem guten Bauer ein Waldmann wurde, seine Frau und seine Töchter zwang, sich zu kleiden und zu leben wie die gebornen Indianerinnen. O, ich hatte mehr verloren, als der Irrländer, war an alles Gute, Schöne und Angenehme gewöhnt. Wattines wurde auch beraubt, und war über seine Landsleute empört, aber wir entsagten nicht auf Vortheile unserer Erziehung, nicht auf das Glück, alle Tage unsern Geist zu bereichern, und dieß, was wir wissen, zur Verbesserung unserer Umstände anzuwenden. Einfacher zu leben, als ich von Jugend auf gewöhnt war, geringer gekleidet, als ich tausend und tausend Familien ehemals weit unter uns kannte, ach das haben wir mit Unterwerfung in den göttlichen Willen gerne gethan, aber entsagen auf Wissen, auf verbesserte Sitten, und zurückgehen auf die niederste Stuffe der Vernunft, – o nein, nein, lieber sterben,[164] als erworbne Kenntnisse verlieren.« – Emilie sagte dieses mit Eifer, mit einer Thräne im Auge und mit auf ihre Brust gefalteten Händen. Wir waren alle gerührt, so wie wir alle überzeugt waren, daß beyde Wattines als die edelsten Beweise des Werths der Kenntnisse, vor uns stehen. Aber, meine Freunde! welch ein Character in Emilien, dieser so jungen, schönen Frau! Sie sagte freimüthig: ihre Betrachtungen in dem indischen Wigwham hätten ihre Begierde, nach der Insel zurückzukehren vermehrt. Unsere Blumen, unsere so schön und ordentlich angebauten Felder, die Aussichten auf den See, unser Loghouse, die Schlafstelle, die Fenster darin, die Abtheilung, mein Herd und weniges Kochgeschirr, mein schottisches Brod, meine Hühner und Eier, meine kleine Kochkunst, wurden viel für mich, im Vergleiche des armseligen Zustandes und der Unreinlichkeit eines Wigwhams[165] und seiner Bewohner. Denken Sie selbst, was unsere Büchersammlung gegen die Unwissenheit der Indier für mich werden mußte. Ich vergoß Freudenthränen, als ich sie wiedersah, wie ich Freudenthränen vergießen würde, wenn ich liebe Verwandte und Freunde an meine Brust drücken könnte. Ich wußte, daß der Zustand dieser Völker einst der von unsern Voreltern war, als auch diese in Wäldern wohnten, und wie Wattines berechnete, so viele Jahrhunderte nöthig hatten, um alle Fähigkeiten ihres Geistes und alle Eigenschaften ihrer Nebengeschöpfe kennen zu lernen, wie sie jetzo dem so glücklichen Europäer bekannt sind. Ach bey allem Mangel, bey allem Leiden dankte ich Gott, in dieser spätern Zeit geboren zu seyn, selbst der Mangel eines geliebten Guts, dessen Beraubung ich, so lange wir auf der Insel wohnen, mit tiefem innerlichen Schmerze trug, selbst dieser Mangel wurde[166] in der Borkenhütte eine Quelle mütterlicher Freuden für mein Herz. Milch war meine Lieblingsnahrung, ich hatte keine für mich zu hoffen, aber (setzte sie mit sanftem zärtlichem Erröthen hinzu) meinem Kinde konnte ich Milch geben. O wie deutlich fühlte ich, daß die treue Mutter ihr Kind mehr liebt, als sich selbst, denn wie innig sagte ich: o mag die süße Nahrung mir auf mein ganzes Leben fehlen, wenn nur mein Carmil die Milch hat, so lange sie ihm nothwendig ist. Wattines besuchte den andern Morgen nach unserer Zurückkunft seine Felder, während ich unsern Sohn und meine kleine Wirthschaft, besonders meine Hühner besorgte, kam wieder, durchsah, ordnete und putzte, mit erneuetem Vergnügen und Eifer, alle seine Werkzeuge; der Nachmittag war uns eine Art festlicher Spatziergang, unsere glückliche Rückkunft zu feiern, uns und unser Kind den Bäumen, den Feldern,[167] Blumen und Gesträuchen zu zeigen; als wir zu Ende dieser lieben Wallfahrt auf eine der Moosbänke des Belvedere uns gesetzt hatten, unsern See zu betrachten, und wieder den Niedergang der Sonne zu genießen, sah ich auf einmal meinen Wattines auf das nun ganz vollblühende Blumenbeet meines Grabes blicken, dann sein Auge voll Thränen und Dank zum Himmel erheben, schnell sich gegen mich wenden, Carmil und mich umfassend rief er: Gütiger Gott! Ewig sey dir für das Leben meiner Emilie und meines Sohnes gedankt.
Ich war durch diese unvorgesehene Bewegung erschreckt und gerührt, küßte ihn und sagte: theurer, geliebter Vater meines Carmils! woher entsteht diese Art von Schmerz in deiner Seele? laß mich Antheil nehmen, mein Bester! ich bitte dich, denn ich bin voll Unruhe. Nun bat er mich, wegen der auch ihm unerwarteten Erschütterung um Verzeihung:[168] er hätte bey dem Blicke auf mein bestimmtes letztes Ruhebette, an den schrecklichen Gedanken sich erinnert, welcher ihm auf seinem Lager vor der Wildenhütte quälte. Da er sich meinen Tod möglich dachte, und mein Begräbniß als Folge hinzu setzte, erschien auch die Frage: wie willst du Emiliens Wunsch erfüllen, ihre geliebte schöne Hülle in ihr selbst bereitetes Blumenbeet zu tragen? Was soll aus ihrem Kinde, aus mir werden? alle diese kummervollen Ideen hätten sein Dankgefühl mit schmerzhaften Erinnerungen gemischt, welche er nicht mehr unterdrücken konnte. Ich weinte aus zärtlicher Freude über seine Liebe und mein Leben mit ihm, ja ich muß bekennen, daß es mir unangenehm gewesen seyn würde, mir ein andres Grab, als dieß auf meiner Insel zu denken, ob ich schon weiß, daß die Erde überall des Herrn ist, so war dieser Widerwillen doch selbst mit den Ergebungen[169] verbunden, welche ich Gott bey den ersten Geburtsschmerzen zeigte. Die lebhafte Einbildungskraft meines Wattines war noch weiter gegangen, er wollte mit unserm Kinde, bey dem Orte meines Begräbnisses bleiben, und genoß eine Art Beruhigung in der Geschichte eines Sclaven, welche St. Pierre erzählt, welcher zwey Jahre lang, in der wenigen Ruhezeit, die man diesen Unglücklichen bey der harten Arbeit läßt, alle Tage mit seinen zwey Kindern zu dem Grabe der Mutter ging und dort weinte; da er auch wußte, wie sehr die Indier den Staub ihrer Voreltern lieben, so hoffte er, sie würden ihn nicht hindern, meinen Grabhügel zu besuchen, oder seinen Wigwham daneben aufzurichten. Ich dankte dem Himmel aber herzlich, daß alle diese Trauerbilder in dem Nebel der Vergangenheit versanken. Nach einigen Tagen, als wir ganz ruhig unsere Bemerkungen über die Indier uns mittheilten,[170] fanden wir, daß sich der Vorzug unserer Sitten und unserer Denkart täglich erhöhte, und die Gleichgültigkeit der Indier gegen alles, was sie aus ihrem gewöhnten Gange führen könnte, dünkte uns wahres Unglück zu seyn; so wie die Wißbegierde den Werth hat, nicht allein den Geist zu unserm Vergnügen und Nutzen zu bereichern, sondern auch die Fähigkeit vermehre, unsern Nebenmenschen in hundert Gelegenheiten angenehme Dienste zu beweisen; denn die Gleichgültigkeit der Indier machte uns viel Leiden, da sie nichts von den nahen Wohnungen der Europäer wußten, also die Sorgen unserer Herzen nicht erleichtern konnten, welche wir wegen dem Ausbleiben der Fischer, und wegen der völligen Unwissenheit über Leben und Tod unsers wohlthätigen Freundes des Quäkers fühlten. Auch, um aufrichtig zu seyn, litten wir empfindlich, gar nichts von Europa zu hören; denn, sagen[171] Sie! war es möglich Europa zu vergessen? erinnerte uns nicht jeder Band unserer Bücher daran, ob wir schon beyde vermieden davon zu reden? aber die Betrachtung über die Gleichgültigkeit der Indier, brach den Damm, welchen wir unsern innern Wünschen durch das Schweigen gesetzt hatten. Ich will nicht wiederholen, was unser Schmerz und unsre Thränen sagten, uns aber auch genauer an die Idee von Gott und moralischen Gesinnungen hefteten, um die Barmherzigkeit und den Schutz unsers Urhebers zu verdienen. Bey diesem Anlasse dachten wir wieder an religiöse Einsiedler, welche sich auch von allen Verhältnissen mit der Welt losrissen, und nur desto eifriger eine Verbindung mit den Ideen der Ewigkeit suchten. Wattines rufte sich das Leben und die Pflichten des Ordens de la Trappe zurück, und fand eine große Klugheit, ja selbst Menschenfreundlichkeit, nicht nur in[172] dem Verbot, sich zu sprechen, sondern auch in den großen Kappen, welche verhindern, daß sie sich sehen, weil Mittheilen alle Gefühle vermehrt, und man mit Blicken eben so deutlich sprechen könne, als mit Worten; also jeder die Leiden und die Wünsche des andern in seinen Augen lesen könnte, wodurch der Kummer des edlen Herzens vergrößert würde. Bey dem Schweigen des Mundes und der Blicke aber, jeder in seiner Resignation eine Tugend für sich übte, und die andern sie ausüben sah. Da ich in diesem Moment auf Wattines blickte, setzte er hinzu: Emilie! schwiegen wir nicht auch bey unserm Weh, ohne unter den Befehlen einer harten Ordensregel zu stehen? – Ich wollte nicht in diesem Tone fortreden, und sagte nur: wahre Geduld schweigt immer, und findet darin die Kraft zum tragen.
Glücklich unterbrach Carmil alles Folgende. Wattines fischte wieder, fieng Endten[173] und arbeitete an der Verschönerung des Weges, auf welchem ich den Platz zu unserm Schwimmen nach dem festen Lande gesucht hatte, und belegte unsern Landungsplatz mit Rasen, so wie er Ruhebänke zwischen den Pappeln errichtete. Ich will nicht ganz in die Gefühle gehen, die mich froh machten, daß Wattines mehrere Tage länger abwesend blieb, als gewöhnlich, indem er an diesen Arbeiten beschäftigt war, welche ich nicht wissen sollte, ich aber auch etwas vorhatte, das ich ihm zu verbergen wünschte. Ich sage nicht wie mir war, als ich meinen Carmil das erstemal zu den Denkmählern seiner Großeltern trug, ihn ihrer Fürbitte bey Gott zu empfehlen, und den Weg an den Bäumen zurückkam, in welche die Anfangs-Buchstaben der Namen unserer liebsten Freunde eingeschnitten waren, und ich seufzend sagte: keiner, ach keiner von allen den Lieben, wird je meinen Sohn, den Sohn[174] meines Wattines sehen, keiner wird je wissen, daß ihre Erinnerung uns heilig war, daß ich ihre geliebten Namen auf ihren Festtagen mit Blumen bekränzte, welche von meinen Thränen benetzt wurden. Wie oft habe ich auf den einsamen Wegen, wenn ich Wattines entgegen ging, oder bey seiner Feldarbeit ihn aussuchte, den guten Carmil zum Himmel empor gehoben, und flehte um seiner Unschuld willen die göttliche Güte an, uns wieder bessere Umstände, und Nebenmenschen sehen zu lassen, aber ach, noch mehr als zwey volle Jahre dauerte dieses hoffnungslose Gebet, und doch ruhte auf diesem Gebete mein Leben, ruhte darauf als wir noch allein waren. Denken Sie, wie ich betete, als ich Mutter war, und den Vater meines Sohnes so viel arbeiten sah, daß mir für seine Gesundheit bange wurde. Glücklich entdeckte ich wie genau er mich beobachtete, und daß ein trüber Blick von mir, oder eine tiefsinnige[175] Miene von mir seine Seele verwundete. Gewiß! wir können immer sagen: es war eine glückliche Stunde, in welcher ich den Entschluß zu einer guten That faßte! denn ich segne heute noch den Augenblick, in welchem ich sagte, daß ich Gott und allen Heiligen gefällig seyn würde, wenn ich ohne davon zu reden, nur von ihnen gesehen und gehört, der Gemüthsruhe meines Mannes, den Kummer und die Wünsche meines Herzens opferte, ihm Zufriedenheit und die feste Hoffnung zeigte, Gott würde uns und unser Kind väterlich besorgen Auch war es nicht verloren das Opfer, denn Wattines wurde glücklicher und ruhiger in seinem Geiste.
Sie sehen, meine Freunde! wie viel ich von den Ideen der lieben Frau sammelte, und natürlich meine zu sehr andringende Fragen wieder etwas zurück halten mußte. Ich blieb[176] auch zwey Tage von ihrem Hause entfernt, um mich bey andern Colonisten umzusehen, und fand es aufs neue schön, das ämsige Gewühl, das Anpflanzen, Bäume fällen, umgraben und aufräumen der Plätze, wie auch das Heimtragen kleiner Bürden von Futterkräutern, Spänen, Moos, und selbst einzelner Strohhalme, welche hier noch selten sind, und meist nur durch ankommende Packwagen zerstreut werden, zu deren Sammlung einige arme Familien ihre Kinder gewöhnen: von welchen viere mir sehr schätzbar sind, weil sie sich des verdienstvollen Herrn Doctor Hirzel philosophischen Bauern zum Muster nehmen, und, wie dieser, durch unausgesetzten Fleiß, Sparsamkeit und Ordnung, Vermögen sammeln und besonders Kleinjoggs Gedanken von verschiedenen Düngergruben ausführen wellen; weil dieser Bauer, die schnelle und langsame Verwesung dieses Krauts, jenes Blatts, und aller andern Sachen beobachtete,[177] und dadurch nach Anweisung der Natur, welche immer einen Kreislauf von Welten, Verwesen, Keimen und Wachsen macht, mit Ueberlegung ihren Weg befolgt, so, daß allen Landleuten sein Beyspiel nützen kann. Ich wünsche bey dieser Gelegenheit herzlich, daß auf diesem neu angebauten Stück Erde, der schöne Ehrgeiz in den Seelen seiner Bewohner entstehe, immer der beste ihrer Klasse zu seyn.
Ich bin nun die zwey Tage bey allen Feldern und Colonisten herum gewandelt, und habe ein paar Träumer der vollkommnen Gleichheit hergewünscht, um hier diese seltsame Idee zu berichtigen, indem mir dieser Aufenthalt der wahre Standpunkt zu seyn scheint; denn die Umstände dieser Colonisten sind alle gleich, alle haben nur Holzhütten, keiner hat Hoffnung zu Wohlstand, als in der Viehzucht und dem Anbaue seiner Felder und Gärten. Aber wie sehr verschieden ist doch schon[178] alles, in und um die Hütten herum: alles arbeitet ämsig, aber die eine, wie die holländische Familie, verbindet den höchsten Grad der Ordnung und Reinlichkeit mit ihrem Fleiße, eine andere muß sich doppelte Mühe geben, um so weit zu kommen wie ihre Nachbarn, die dritte ist in steter Eile und Bewegung, aber da sie kein Nachdenken damit verbindet, so bleibt der Nutzen ihres Bestrebens, weit hinter dem Fortgange der übrigen zurück; im Ganzen aber ist vieles geschehen, und da wieder vier Familien neuer Ansiedler angelangt sind, so wird der Wetteifer vermehrt, und die freudige Aussicht auf die Stiftung einer Stadt vergrößert sich. Aber ich habe auch bemerkt, daß Handwerksleute und ihre Frauen, welche mit den ersten Colonisten anlangten, sich schon als Altbürger ansehen, und die neu angekommenen mit stattlichem Wesen auf den Platz führten, welcher für das Rathhaus, die Kirche und Schule[179] bestimmt ist. Wattines und Emilie waren anfangs sehr beängstigt, es möchten französische Emigrirte dabey seyn, und scheinen sehr zufrieden, nichts als Teutsche und Holländer um sich zu sehen, indem sie sagten: daß ihre Landsleute eine besondre Anhänglichkeit von ihnen fordern würden, und alles nach ihrer Sitte haben wollten, und auch sie beyde durch Landessprache und Erzählungen, immer zu den Bildern und Erinnerungen ihres Jammers zurück führen würden. Mir war die Beobachtung sehr viel werth, welche ich über die neuen Ankömmlinge und die schon länger hier wohnenden Colonisten machte. Die ersten waren froh, durch erfahrne Leute mit der Landschaft und ihrem Anbaue bekannt zu werden, die zweyten genossen das Vergnügen der Eigenliebe, den andern eine Anweisung zu geben, mehr Menschen zu sehen, und wieder von andern Gegenden sprechen zu hören. Characterzüge, welche sich bey allen in etwas[180] civilisirten Nationen finden. Vandek und Scriba erhielten auch Briefe, in welchen die Nachricht einer sehr wichtigen Naturerscheinung Wattines und mich äußerst beunruhigte. Es war die Beschreibung von dem Erdbeben, welches einen Theil des Felsen loßriß, der den Wasserfall des Niagara bildet, wovon die Umstände sehr beängstigend sind, indem, wenn noch eine solche Erschütterung kommen sollte, und noch ein Stück von 15 Klaftern völlig einstürzte, so wird sich der See Erie mit solcher Gewalt in den See Ontario ergießen, daß nicht nur alle niedre Gegenden seiner Ufer, sondern auch der größte Theil von Ober- und Unter-Canada an dem Lorenzo-Fluß überschwemmt würden, und also den Untergang der schönsten Landschaft mit so vielen Dörfern und Wohnsitzen guter Familien auf mehr als 40 Meilen hervorbringen würde. Bey diesem Theile der Unterredung zwischen Wattines und mir, da auf einer Ecke des[181] Tisches die Landeharte vor uns lag, und Emilie auf der andern Seite mit ihrer Autonette auf dem Schooße ihr Suppe gab, und Carmil neben ihr auch welche aß, zeigte sich ein schöner Theil von Emiliens Seele, indem sie auf die Charte blickte, als wir den Umfang des Landes bezeichneten, welches mit diesem Unglücke bedrohet ist. Sie wurde außerordentlich gerührt, und der Instinkt mütterlicher Liebe wirkte zugleich in dem hohen Grade, daß sie ihre Kinder an sich drückend, in Thränen ausbrach und sagte: Ach Gott! wie viele Mütter müßten da ihre Kinder ohne Hülfe umkommen sehen! Man bemerkte dabey, daß ihre Seele schauderte und gepreßt war, aber wie schön war diese Bewegung!
Mein Freund weiß aus Herrn Ebelings Beschreibung von Amerika, daß der Landstrich des See's Erie 300 englische Fuß höher liegt, als die Gegend des Ontario, daß der Sturz des Falls durchaus steil, und 2226 Fuß[182] breit und 273 Fuß hoch ist, also unserm so prächtigen Rheinfall bey Schafhausen das Ansehen der Cascade eines Bachs geben würde, wenn man beyde in kurzer Zeit nach einander sehen könnte. Sicher ist es, daß man das Getöse von dem Fall des Niagara auf 20 englische Meilen hört. Da ich diesen Wasserfall und die herrliche Landschaft umher kenne, so war mir diese Nachricht eben so schmerzhaft, als mir die von dem Ergusse einer glühenden Lava des Vesuvs über die Elysäischen Gefilde seyn würde, welche an seinem Fuße verbreitet liegen. Der edle kenntnißvolle Wattines öfnete seinen Bücherschrank, holte einen Band der schönen Edition von Büffons Naturgeschichte, und bat mich, sogleich mit ihm die Abhandlung über die Erdbeben zu lesen. O mein Freund! wer wie Sie, die Werke des großen verehrungswerthen Mannes las, und in seinem Geiste einzugehen wußte, nur der kann fühlen, was die Schönheit[183] und Würde seiner Schreibart, auf Wattines und mich wirkte. Je weiter wir kamen, desto höher glühten die Wangen des schätzbaren Wattines, von edlem Stolze bey den prächtigen Bildern und Ideen der edelsten, den Wundern der Schöpfung ganz angemessenen Beredsamkeit des großen Büffons. Er war unser, sagte Wattines, dieser einzige Mann, um welchen die stolzen Engländer uns beneideten. Schön war der riefe Schmerz, mit welchem Wattines aufstand und ausrief, o Büffon! und deinen Sohn mordete man auch. Der edle, das Verdienst seines Vaters fühlende Sohn, sprach noch seinen Namen aus: ich heiße Büffon! dennoch wurde er gemordet. Nun küßte Wattines mit einer Thräne seine Emilie, drückte meine Hand und ging in seinen Garten, indem er deutete, daß er allein zu bleiben wünsche. Seine Frau sah mit Thränen, ich mit Rührung und Verehrung ihm nach. Ich[184] nahm den kleinen Carmil auf meinen Schooß, und konnte, ihn an mich drückend, mich nicht enthalten laut zu sagen: liebenswürdiger Knabe! Gott lasse den Geist und das Herz deiner Eltern vereint auf dir ruhen. Emilie dankte mir sanft erröthend, und mit einem Blicke zum Himmel um die Erfüllung dieses Wunsches betend. Ich nahm den Band von Büffon wieder in die Hand, fühlte mich glücklich in einer Zeit zu leben, und eine Erziehung erhalten zu haben, welche mich fähig machte, nicht nur den großen Geist, der vor Jahrtausenden lebenden Griechen und Römer, sondern auch Englands Bacon und Newton, unsere großen Teutschen und Büffon zu kennen. Der Wasserfall des Niagara, wurde mir Quelle edler geistiger Freude; denn ich setzte mir vor, diesen Herbst und Winter Buffons Epoques de la nature hier zu lesen. Hier, wo seit der ersten Erschütterung, seit der ersten Ueberschwemmung der Erde noch[185] niemand wohnte. Hier die Geschichte der Erde und aller ihrer Geschöpfe wieder zu lesen, dünkte mich einzig und höchst interessant, da ich zugleich die Geschichte des Menschen vor mir haben werde. Mein Geschmack an Reisebeschreibungen, und selbst Reisen zu machen, wurde mir ein hohes Verdienst, als ich bedachte, daß Büffon alle möglichen Reisebeschreibungen alter und neuer Zeiten las, Vergleiche zwischen ihnen machte, und gleichsam die Mehrheit der Stimmen, für den Beweiß einer Naturbegebenheit sammelte, welche in fernen Landen, und in entfernten Zeiten beobachtet wurde. Ich konnte dieses nicht ganz allein denken, sondern drückte meine Bewunderung und Liebe für Büffon auch bey Frau Wattines mit vielem Eifer aus, und machte sie lächeln; doch sagte sie auch ernst: »ich glaube sehr gerne, daß Ihrem die Natur und schöne Kenntniß liebenden Geiste, Büffons Werke sehr schätzbar sind, uns war[186] er wohlthätiger Genius, der in der engen Hütte auf der Insel, die ganze Größe unsers Schöpfers uns zeigte; die Geschichte der Gestirne und der Erde mit ihren Bewohnern vor uns vorbey führte, und uns dadurch glückliche Tage schenkte.«
Wattines kam mit dem guten Zimmermanne zu uns zurück, weil dieser sich bey ihm wegen der Angelegenheiten der neuen Colonisten befragte: wie er ihre Wohnungen besser und auch hübscher, als die bisher gewöhnlichen erbauen könnte. Er bekam die vortrefflichste Anweisung zu allem, weil der edle Wattines mit dem Bleistifte in der Hand, seine Ideen doppelt deutlich und nützlich machte; auch ging der Mann mit einem frohen, dankerfüllten Herzen weg. Ich gab Wattines die Hand, und dankte ihm für alle Güte, welche er dem Fremdlinge bewiese. Er erwiederte den Druck meiner Hand, und sagte männlich wahr:[187]
»O mein Freund! Nutzbarkeit für andre, und Thätigkeit sind wirklich gute Genien, die jeden traurigen übelthätigen Dämon verjagen.« Emiliens holdes Gesicht glänzte für Freude, ihren angebeteten Carl wieder ruhig zu sehen. Es war mein Fragetag, aber ich hielt es in Wattines Stimmung für unschicklich, nur im mindesten davon zu reden. Er sagte aber selbst: sind heute keine Noten der Frau Vandek in Ihrer Tasche? und lächelte mich an.
Nein! antwortete ich, der Niagara hat sie weggeschwemmt.
Das soll nicht seyn, bleiben Sie den Abend bey uns und fragen; denn es gehen doch wieder Tage vorbey, ehe die große Reihe an mich kommt. Emilie war beschäftigt, Wattines nahm mich noch in den Garten, wo wir ernst schweigend bis an das Ende, bey den Alleen von großen Waldbäumen, dann wieder auf den freien Platz in der Mitte zurückgingen,[188] wo er stille stand und sagte: O wie lieb sind mir Luft und Erde! sie tragen und umfassen mich so beruhigend, und ein Blick auf die Ferne zeigt mir das schöne Ziel, wo der Lauf meines Lebens sich enden wird, wie der tägliche Lauf der Sonne. Ich stutzte in mir selbst über diesen Ton, aber ich wollte mit einstimmen und sagte: ja, so soll es, aber nur am späten Abend des längsten Tages, an welchem ein glückliches Schicksal, Sie mit Lächeln auf den zurückgelegten Weg blicken heißt, seyn.
Mit Ernst sagte Wattines: Dank mein schätzbarer Freund! aber wo sind Ihre Fragen? Weil ihm nun so viel daran gelegen zu seyn schien, so sagte ich freimüthig, ich wünsche zu wissen, welche ihrer ländlichen Arbeiten die beschwerlichste war. Meine Presse zum Sonnenblumenöhl, antwortete er, denn ich mußte die Schraube von festem Holze mit vieler Mühe und Sorgfalt schneiden,[189] dann eine dichte Holzplatte durchsägen, in die zwey Hälften die Schraube passend einarbeiten, und diese mit Drath und Nägeln verbinden. Die gemeinsame Mühe für Emilien und mich war, die Körner zu dörren, von den Schalen zu reinigen, damit das Oehl zu unserm Salate süß bliebe. Dieses alles erforderte Fleiß; aber wir hatten alle Stunden des Tages für uns, da konnten wir vieles unternehmen. Keine Besuche, keine Einladungen, kein Spiel- und Putztisch störten oder verhinderten unsere Beschäftigungen, und raubten uns unsere Zeit. Meine zweyte Erndte war reich in allem, denn wir hatten auch Gerste von welcher wir eine Art leichtes Bier kochten, und hatten daneben auch schöne, und eine Menge Erdtosseln, so daß ich sicher war, daß Emilie, mein Sohn und ich, keinen Mangel leiden würden. Also auch, sagte ich, seine Hand fassend, keine Schüssel mit Thon nöthig war. O, mein[190] Freund, was für eine Erinnerung! Sprechen Sie ja bey Emilien, in meiner Gegenwart nie von Thon und der Nation der Altanen.
Ich versicherte es ihm, und bedauerte, ihm diese unangenehme Scene zurückgerufen zu haben.
Mir ist es lieb daß ich Sie warnen konnte, meine Emilie ja nie damit zu betrüben. Die Sache schmerzte mich nur wegen ihr, da ich bey dem Versuche doch sagen konnte, die Altanes sind Menschen wie ich, vielleicht trägt die Luft des nehmlichen Landes, das ich jetzt bewohne, etwas zur Verdauung einer Speise bey, welche ich in Europa nie gekostet haben würde; doch wußte ich von meinem Großvater, welcher unter dem Marschall von Belleisle mit in Böhmen war, daß dort die armen Landleute, unter ihre Erbsen und Korn, einen Theil Baumrinden malen.[191] Ich habe auch gelesen, daß die Isländer Fischgräten dörren, stoßen, sein malen und mit ihrem Brodteig vermengen; so wie in Hungersnoth das Bergmehl oder Mondmilch gebraucht wird, welches man in den Klüften der Berge findet; dieses Bergmehl aber gewiß sehr wenig nährende Eigenschaften hat, da es nichts als feines Kalkpulver ist.
Ich war nun sehr mit mir selbst zufrieden, von der Thongeschichte gesprochen zu haben, weil ich dadurch aufs neue einen Beweiß erhielt, wie sehr schätzbar die Aufmerksamkeit auf alle, die Menschheit betreffende Gegenstände ist, und jungen Leuten nicht genug empfohlen werden kann. Ich sagte Wattines auch: ich verehre den Fleiß ihrer Jugendjahre, mit welchem Sie alles bemerkten, und segne dabey den Boden Ihrer Insel, daß er eben so fruchtbar war, als Ihr Geist.
Er dankte mir mit bescheidnem Lächeln, und setzte hinzu: die Eide der lieben Insel[192] ist in Wahrheit so fruchtbar, daß ich oft bedauerte, keine Hausthiere, seyen es Schaafe, Rindvieh, Ziegen oder Schweine, zu haben, welche die herrlichen und reichen Gras- und Kräuterarten benützen könnten, die die Natur ihren verschiedenen Gattungen bestimmte.
Denken Sie, meine Freunde, wie ich überrascht wurde, als Wattines zu mir sagte: es ist noch helle genug, um in der freien Luft noch etwas zu sehen: warten Sie einige Augenblicke auf meine Zurückkunft, dann forteilte, und mit zwey von Maisblättern geflochtenen Körben wiederkam, in welchen auf großen getrockneten Pflanzen und Baumblättern, ja selbst auf dünne abgezogene Birkenrinden, alle Kräuter, Blumen und Blüthen seiner Insel, sorgfältig getrocknet und geordnet lagen. Die Blumen alle auf großen oder kleinern Blättern, die Pflanzen auf den Rinden, besonders aber alle Grasarten oder Gramen in einer Reihe aufgeheftet[193] waren. Ich staunte sie an. Sie wundern sich, sagte er, über die vielen Exemplare des Grases. Ich wußte, daß unser Korn nur eine durch Anbau verbesserte Grasart ist, deswegen habe ich einige Halme wild erhalten, ihren Saamen in gebesserte Erde gesäet, und auch von diesen welche aufgehoben, um ihre Veredlung zu bemerken, wie Emilie, als sie hörte, daß die schönfarbigten und gefüllten Blumen, welche sie so sehr liebt, nur seit 160 Jahren in Frankreich bekannt, und in Holland so vollkommen sind, durch den Fleiß der Gärtner, die herrlichen Schattirungen und Größe erhalten haben; so wollte sie auch Wiesen-Ranunkel, kleine. Pferdnelken und andre Blümchen sich unter ihrer Pflege verschönern sehen; aber auch den kleinen Anfang bemerken. Sie trocknete also die Blümchen aller Art, und sorgte für ihre Anpflanzung.
Drey Jahrgänge davon sind aufgehoben, und zwischen Birkenplatten verwahrt.[194]
Wir hatten kein Papier, und mußten uns helfen wie wir konnten, sagte Wattines, und wahr ist es, ohne die Borkenhütte der Indier wäre uns auch dieses Mittel verborgen geblieben.
Meine Freunde können glauben, daß mir unter allen Kräutersammlungen der ganzen Erde, keine schätzbarer seyn konnte, als diese. Meine Augen waren auch bald auf die Sammlung der Pflanzen, bald auf die nett geflochtenen Körbe geheftet. Mein Herz war von Bewunderung durchdrungen, und ich sagte zu ihm, ach, wenn der Glückliche seine Güter mit eben der dankbaren Achtsamkeit für ihren Urheber behandelte, wie Sie theure Wattines, die kärglichen Geschenke ihrer armen Insel! schnell erwiederte er:
Nein, nein! Ihr Wunsch soll nie erfüllt werden, denn da würde der Reiche wie wir, zuerst nur für sich genießen, und dann das[195] übrige aufheben, und so träufelte von dem Ueberflusse niemals etwas auf den Armen. Nun bemerkte er meine Blicke auf die Körbe, faßte beyde an der Handhabe, und mit dem Ausdrucke des Zurücksehens auf eine schöne Gegend, sagte er mit gerührtem Tone: diese Körbe enthalten manche der süßesten Stunden meines Lebens auf der Insel, denn der Entwurf zu dieser Sammlung verursachte meiner Emilie viele Freude, indem sie gleich die mütterliche Berechnung machte, daß unser Carmil einst vieles Vergnügen darüber haben, Pflanzenkunde dabey lernen, vielleicht glücklicher als seine Eltern, die Werke des Linne' und die Abbildung aller Pflanzen und Blumen besitzen wird, und mehr Papier als sein guter Vater, welcher die Namen der Kräuter, welche er kannte, nur mit Bleistift auf die aus einem Buche geschnittenen Blätter bezeichnen konnte. Ich schrieb, fuhr er fort, dieses kleine Gespräch der Mutter auf ein[196] anderes ausgeschnittnes Blatt, welches ich seitdem mit Tinte copirte, das erste dabey legte, Emilie aber hinzusetzte, vielleicht wird dann Carmil einem edlen Freunde von seinen Eltern erzählen, welche diese Sammlung für ihn machten.
Die Geschichte des Korns und seiner vielen Gattungen machten Emilien unendliche Freude, besonders aber die Versicherung in unserm St. Pierre, welcher im Homer fand, daß überall Korn wachse, und der große Sänger deswegen die Erde Zeidora, Kornträgerin, nannte. Nur die Beobachtung schmerzte sie, daß weder die Süd- noch Nordamerikaner Ackerbau oder Viehzucht liebten, also diese, der natürlichen Anlage zu Güte und stiller Arbeitsamkeit, so günstige Beschäftigung mit dem Pfluge und dem Gartenspaten, noch lange nicht kennen, und von gesellschaftlichen Verbindungen entfernt bleiben würden. Wie sehr wünschte sie, nach dem Auszuge des [197] St. Pierre aus dem Linne, alle die Kräuter zu kennen, welche nach der genauen Beobachtung und Kenntniß des großen Mannes den verschiedenen Hausthieren von der Natur angewiesen und bekannt gemacht sind; denn wahrlich, Naturtrieb ist gegebne Kenntniß. Die Kühe haben 286 Kräuter, welche sie besonders lieben, 184 aber nur bey dem größten Mangel und Hunger abweiden: die Schaafe fressen eifrig 417 Arten, und meiden 110; die Ziegen finden Geschmack an 458 Gattungen von Pflanzen und Blättern, verwerfen nur 74; das Pferd zieht 278 allen andern vor, und läßt 207 unberührt; die Schweine suchen begierig 107 und versagen 190.
Die gute Emilie segnete und verehrte den Linne innigst, wegen dieser Aufmerksamkeit auf die nützlichen Hausthiere, und behauptete dabey: er würde nicht so gut gewesen seyn, wenn er nicht die Pflanzen vorzüglich[198] geliebt hätte; weil die stille Schönheit und Verdienste dieser Geschöpfe, das Herz auch mit sanften, wohlwollenden Gesinnungen erfülle. Aber wie sehr dankte sie dem Himmel, für die herrliche Gabe, welche er den Menschen schenkte, Gemüs und Blumen zu veredeln und zu vermehren; mit wie viel Freude war ihr Staunen verbunden, als sie lernte, daß die Sorgfalt der Gärtner, aus der erst einzelnen Art Lattich und Cichorien, welche nicht sehr wohlschmeckend, und etwas herbe waren, jetzo mehr als funfzig sehr nahrhafte und angenehme Gattungen ziehen. Bey dem Artikel der Naturgeschichte der Thiere, wunderte sie sich, daß nur 300 Gattungen vierfüßige und 1500 Vögel gezählt werden, und daß unter diesen die Menschen nur ungefähr 20 auswählten; aber diese so vermehrten und verbesserten, daß sie dadurch einen größern Theil Glück auf der Erde verbreiteten, als die übrige Menge beyder Thierarten[199] geben. Wie glücklich, wie unendlich glücklich war ich in meinem Elende, daß Emilie, die junge blühende Emilie, Gott, mich und die Natur so innig liebte. Und was für ein gesegnetes Geschenk der Gottheit war unser Carmil, dessen Daseyn und Liebenswürdigkeit das ganze Herz seiner Mutter erfüllte, und sie in der Uebung der Pflichten ihres Erdenlebens glücklich machte: Kinder zu erziehen, wie ich dem ursprünglichen Beruf folgte, das Feld zu bauen und damit Mutter und Kind zu ernähren. Carmil war aber noch mehr als Kind für uns, er war Gesellschafter, und gab uns das Vergnügen eines süßen Wechsels, zwischen Arbeit, Büchern und uns selbst zu kosten; denn ach! der Herbst kam, aber keine Fischer mit ihm, auf welche wir doch beyde, nach gegenseitigem Geständnisse, in dem Innern unserer Seele, den ganzen Sommer hofften. Wir suchten also nur unsern Vorrath gut zu ordnen. Unsere[200] Hühner hatten uns sehr glücklich gemacht, indem wir 20 Küchelchen bekamen, welche wir für den Winter, und zu jüngern Nachzucht aufbewahrten. Emilie erinnerte sich, daß in ihrem väterlichen Hause öfters schon gebratenes Geflügel, in Töpfen, mit zerlassenem Fette übergossen, sich lange eßbar erhielt, und versuchte es mit unsern wilden Endten, mit dem aus mehrern von ihnen ausgekochten Fett, so wie wir auch welche räucherten. – Was Emilie am meisten wünschte und betrieb, war die Zubereitung von unserm Flachs. In den letzten schönen Tagen aber führte sie mich auch auf Stellen der Insel, auf welchen Moos und langes Strickgras war, wovon sie auch eine Aernte zu machen wünschte. Ich mähte also Gras, sie raufte Moos, und Carmil lag auf einer ausgebreiteten Decke nahe bey uns; als wir genug hatten, und beydes trocken war, trugen wir es auf unserer kleinen Tragbare aufgebunden,[201] unsern Carmil oben liegend, nach der Hütte, wo Emilie mir dann ihre geheime Absicht eröfnete, welche darin bestand, unsere Bettmatratzen aufzutrennen, die Wolle auszunehmen, und sie dagegen mit dem Strickgrase in der Mitte, unten und oben mit Moos zu füllen, um die Wolle den Herbst und Winter über zu spinnen, wovon sie dann einen höhern Nutzen zu ziehen hoffte, als auf der Wolle zu schlafen, weil im Sommer das Moos kühl und eben so weich sey, im Winter aber eine unserer wollenen Decken darüber gelegt, uns warm halten würde. Carmil schlief in seinem mit Moos belegten Schifchen, wie in einer Wiege zwischen unsern beyden Schlafstellen, und Emilie bestimmte ihm eine, mit den Federn unserer gefangenen Endten gefüllte Decke, welche sie aus einem ihrer Kleider verfertigte. Ich nahm sehr gerne Antheil an allen Arbeiten, welche sie ersann, besonders weil sie einst[202] sagte, daß sie Gott danke, daß ich täglich Arbeit hätte, meinen eifrigen und thätigen Geist zu zersirenen und zu beschäftigen. Ich bemerkte aber auch sehr wohl, daß Nachsinnen und Arbeit auch sehr gut für Emilie war, und freuete mich, wenn sie auf neue Gedanken und Erfindungen kam; denn ihre Stille und Tiefsinn, kurz nach der Zurückkunft auf unsere Insel, waren mir sehr schmerzlich, und ihre anhaltenden Besuche mit Carmil bey den Urnen unserer Eltern, machten mir Kummer, Mich däuchte immer, sie gehe hin ihre Klagen über ihr Schicksal zu ergießen, und ich konnte sie dort nicht belauschen, wie ich bekenne, es zu thun wünschte; denn diese Vermuthungen durchwühlten mein Herz. Bald aber stellte sie diese mich quälenden Wallfahrten ein, ohne daß ich mir nur das mindeste verlauten lassen, und trug nun den Liebling ihrer Seele öfter auf den Platz, an dem Ufer des See's, welchen wir, wie[203] Sie wissen, Belvedere nannten. Einen der schönsten Abende, welcher mir auf immer unvergeblich bleiben wird, glaubte sie mich ohne Zweifel länger bey meiner Arbeit mit den Obstbäumen beschäftigt, welche, wie sie wußte, meine Lieblingsarbeit war, und ging mit Carmil auf dem Arme nach dem Moosgrunde, an der Spitze der Insel. Ich sah sie von ferne, und folgte ihr wie ein von Eifersucht über einen Liebhaber gequälter Mann thun könnte, auf einem andern Wege in die nahen dichten Gebüsche. Sie setzte sich, gab dem Kleinen die Brust, an welcher er einschlief. Emilie raffte mit der rechten Hand so viel Moos zusammen, als sie erreichen konnte, breitete ihr Halstuch darüber, und legte voll Sorgfalt das Kind darauf, bewegte sich lange nicht, und beobachtete zärtlich ob es fortschlafe. Leise stand sie auf, ging einige Schritte näher zum Ufer, blickte, ich sah es, mit einem Ausdruck voll tiefer[204] Gefühle auf das Wasser und die Bäume umumher, dann auf unser Kind und nach dem Himmel, kniete sich vor Carmil, faltete ihre erhobenen Hände und sagte:
Ewiger, Allmächtiger! dein Himmel fließt über alle Geschöpfe deiner Erde, auch über uns, du siehst uns, wie alles. O erhalte und stärke das Leben des guten Vaters dieses Unschuldigen und mich! Schütze und segne uns um dieses Kindes willen! Ihre Hände und Arme breiteten sich mit einer schnellen convulsivischen Bewegung über den Kleinen hin, ihre Blicke sanken voll Mutterliebe auf ihn, und Thränen erstickten ihre Stimme: sie trocknete sie ab, und hauchte in ihre Hände, wie man gewöhnlich thut, wenn die Spuren des Weinens verwischt werden sollen. Ich war von tausend Gefühlen durchdrungen, traute mir kaum zu athmen, denn ich wollte nicht, daß sie nur im mindesten vermuthe, von mir gesehen und[205] gehört zu seyn. Emilie war mir heilig, dreymal heilig, weil nicht eine Sylbe von Klage über ihr Schicksal mit ihrer Bitte für Carmil und mich vereinigt war. Nur Verehrung Gottes, und Liebe für Vater und Kind. O, wie schien Emilie mir so glücklich, daß sie so beten konnte! Still, tief in meiner Seele sagte ich, Ewiger! erhöre sie, und gieb mir einen Theil ihrer Tugend! Emilie nahm unsern kleinen Engel sanft von dem Moos, und eilte nach Hause. – Ich kam ruhiger und glücklicher zurück in die Hütte, als ich nie war, weil nun meine Sorge wegen Emiliens geheimen Leiden und Klagen ganz gehoben war; dieses innern Schmerzes befreit, erleichterte mein Herz von einer quälenden Last. Ich kam Emilien noch entgegen, nahm unsern erwachten Sohn in meine Arme, trug ihn zur Hütte, und sah seine englische Mutter durch meine Heiterkeit vergnügt.
Bald näherte sich der amerikanische Winter,[206] mit den starken Regen, da machten wir Pläne zu Winterarbeit und Lesen. Carmil wurde ein wichtiger Beweggrund, die Geschichte des Menschen mit aller Aufmerksamkeit vorzunehmen, und den Vorsatz zu fassen, die Bemerkungen des edlen Büffons und der Encyclopädie bey unserm Carmil Schritt vor Schritt nach dem Gange der Natur zu berichtigen, und bey der Erziehung des Knabens zu befolgen. Diese Verwendung unserer Bücher und unserer Tage, machte uns doppelt glücklich, indem wir auch wahre Achtung für uns selbst bekamen, und den Himmel mit dem Zeugnisse unserer Herzen anblicken konnten, daß wir getreu und geduldig alle Pflichten erfüllten, welche der Schöpfer den ersten Eltern, in Sorge für Kinder und Anbau der Erde aufgelegt hatte. Wir fanden uns auch unendlich glücklicher, als Adam und Eva nicht waren, weil sie nur wußten, daß sie eine unzählbare Nachkommenschaft[207] haben würden, wir aber in unserer Moral, Natur- und Kunstgeschichte sehen konnten, was diese Millionen und Milliarden von ihren Enkeln durch Jahrtausende hin, mit sich, ihren Fähigkeiten und allen übrigen Geschöpfen der Welt gemacht hatten. Wie reich, wie unterhaltend wurden unsere leeren Wintertage und die Einsamkeit. Was für ein Vergleichpunkt in dem Menschenleben und der Kunstgeschichte, wurde mir die Borkenhütte in dem Dorfe der Oneidas, und die Erinnerung von Versailles. Alles, alles innere und äußerliche physische, im Bau, in der Bestimmung und in den Bedürfnissen so ähnlich, wie verschieden aber die Verwendung körperlicher Fähigkeit, durch die verschiedenen Anstalten des Wesens, welches in den Menschen wohnt und sie belebt. Emilie bemerkte den schnellen Wachsthum unsers Carmils, natürlich dachte sie an Bedürfniß seiner Kleidung, und kam auf den glücklichen[208] Einfall, ihm von unserm Flachsgarne Rockchen zu stricken: mich lehrte sie von der Wolle unserer Matratzen grobes wollenes Garn spinnen, und da sie sich dunkel erinnerte, ihre Amme bey dem Zwirnen der Faden beobachtet zu haben, machte sie auch einen Versuch damit, der vortrefflich gelang; und von diesem warmen Garne bekam Carmil auch ein Wämschen, welches mir Lust gab, eine Weste für mich zu stricken. Sie wissen daß ich Eisendrath von mehrerer Gattung zu Vogelbauern mit auf die Insel brachte, und dann schon im ersten Jahre noch Stricknadeln für Emilien machte, nun verfertigte ich welche von größerer und dickerer Art für mich, und brachte wirklich eine Weste zu Stande, welche mir meine zwey tuchenen Kleider schonen half, so daß ich recht hatte zu behaupten, daß Phantasie, welcher man meist nur die Ideen der Verschönerung zuschreibt, bey mir die Grundlage[209] einer wahren Wohlthat wurde; denn nach strengem und gerechtem Urtheile der Vernunft, war der Ankauf von so vielem Drathe zu Vogelbauer nach den Umständen in welchen ich Philadelphia verließ, eine wahre tadelhafte Phantasie, aber durch den Gebrauch welchen das Bedürfniß einer Presse, Strick- und Webnadeln mich davon machen lehrte, erhielt diese Phantasie den Werth der Weißheit; wurde also mehr als der Zufall, welcher oft Gutes findet, und Nützliches schafft.
Ich lächelte hier ein wenig, Wattines sagte munter: ich bin sicher, ernster Teutscher! daß Sie in diesem Augenblicke an die französische National-Eigenliebe dachten, welche immer das, was sie vornimmt, mit einem erhöhten Glanze umgiebt. Diese Aeußerung war mir auffallend und unerwartet, und setzte mich in Verlegenheit, denn wahrlich, ich würde bey Wattines niemals an die berüchtigte französische Eitelkeit gedacht haben,[210] weil er es gewiß nicht verdient, und mein Herz ihn und seine Frau mit Verehrung betrachtet und denkt; auch versicherte ich ihn, daß ich, weit entfernt ihn so zu beurtheilen, selbst für das seiner Nation zugeschriebene leichte Denken, eine wahre Hochachtung hege, und wenn alle seine Landsleute das edle Geschenk des schnellen Laufs ihrer Lebensgeister so schön verwendeten wie er und seine Emilie, so achtete ich es für das höchste Glück dieser Erde.
Machen Sie keine Entschuldigung, mein Freund, da Sie wirklich durch dieses rasche Wogen unserer Gedanken, sich beleidigt halten können.
Ja, dachte ich, denn gewiß lag, unter der Hülle des Ausdrucks: ernster Teutscher! ein versteckter Sinn, welcher auf das gelindeste, schwerfälliger Teutscher, sagen wollte. Ich vermied aber die fernere Erklärung, und sagte: er könne mir alles ersetzen, wenn er[211] den noch übrigen Raum des Abends mit seiner Geschichte ausfüllte, und mir fürs erste sogleich sagte, was er mit einer Webenadel andeuten wollte? Gefällig, wie der gute und wohlerzogne Franzmann es immer ist, sagte er sogleich, sehr gerne.
Emilie beobachtete, daß meine gestrickte Weste sich zu sehr in die Länge zog, und machte mich erst eine lange Nadel verfertigen, mit welcher sie meine Weste mit Faden von einem Moose durchzog, also die Maschen am Ausdehnen hinderte, nachdem aber leinene Fäden von der Länge eines Mannsreckes an zwey Stäben aufspannte, diese aber vermittelst einer halben Elle langen Nadel von meinem Drath, welche ich unten rund spitzte, oben glühend machte und dann platt klopfte, dann mit einem spitzen Nagel in das platte Theil ein Oehr schlug, worin sie Garn faßte, und mit einer erstaunenden Sorgfalt und Fleiß, mit dieser Nadel durch[212] die aufgespannten Faden, einen andern quer durchzog, indem sie einen der langen Faden auf die Nadel hob, den andern liegen ließ, bis sie am Ende der Breite war, dann bey dem Umwenden den obern niederbog und den liegenden ausfaßte, und dadurch in Wahrheit eine Art recht guter grober Weberey hervorbrachte, wodurch ich, als die Stücken zusammen genäht waren, eine Art kurzen Schlafrock erhielt, der mich in der Arbeit nicht hinderte, aber doch in den noch kühlen Tagen des Frühjahrs, auf dem Felde wärmte und gegen Erkältung sicherte. Meine holde Emilie hatte unaussprechliche Freude, mich durch diese Erfindung noch auf einige Zeit gegen Kleidermangel gesichert zu sehen, sie strickte auch Hemden für Carmil, um nichts von unserm Weißzeug zu verschneiden; aber aus mütterlicher Sorgfalt machte sie es so, daß die gewöhnliche Aussenseite innen kam, weil die Maschen der[213] verkehrten Seite etwas rauhes haben. Wie freundlich lächelte Emilie auf unsere Flachsblüthe, weil sie uns durch Wämschen, welche sie schon in Zukunft, auch für sie und mich stricken wollte, mehr Wechsel der Wäsche, also auch mehr Reinlichkeit versicherte. Sie sehen, setzte er hinzu, daß wir ihn ganz kosteten den süßen Reichthum der Armuth und der Kunst Hülfsmittel bey Arbeit, und Beweggründe der Heiterkeit in uns selbst zu finden; doch waren wir aufrichtig genug zu bekennen, daß wir ohne Arbeit und ohne Bücher, selbst bey dem erfüllten Wunsche der Liebenden, die so gerne allein sind, doch sehr unglücklich seyn würden; ja wir fanden, daß der venetianische Gesandte sehr richtig urtheilte, als er seinen Freund von einer heftigen Leidenschaft heilen wollte, das artigste Lusthaus für ihn miethete, wo er ohne alle andre Gesellschaft als seine Geliebte, ohne Bücher und Beschäftigung nicht Tage[214] leben sollte; die zwey zärtlichen Müßiggänger, anfangs über den Vorschlag entzückt, sehr glücklich abreißten, aber ehe die Woche um war, sich unerträglich fanden, und in den Wirbel der Welt zurück eilten. Unsere Bedürfnisse erweckten die Fähigkeiten des Erfindens, dieses und die Bereicherung unseres Geistes wurden alles für uns: wie groß und schön war darüber ein Gedanke meiner Emilie, als sie einst auf der Grasbank in meiner Ruhestunde neben mir sitzend sagte:
Lieber Carl! wir sind hier wirklich in den Armen der reinen einfachen Natur, von niemand gesehen, als von unserm Urheber. Wir wollen die physischen Wunder und Güter seiner Erde ganz kennen lernen, und ihm in unsern Herzen das schönste und beste zeigen, was die moralische Welt für sein göttliches Auge haben kann.
Gewiß sagt meine theure schätzbare Verwandtin,[215] daß dieser Abend mir unendlich werth seyn mußte, gewiß würde sie gerne Antheil daran genommen haben; denn die Unterhaltung bey unserem angenehmen, aber mäßigen Nachtessen, war wie sanfter Nachhall einer schönen deutlichen Stimme, welche beym Niedergange der Sonne, in einem einsamen aber reitzenden Thale, bey Felsen, oder einem verlassenen Gebäude, das Echo ruft, und sich bey ihm theurer abwesender Freunde erinnert; denn der Geist und die Tugend der Wattines ruften mir Gespräche und Gesinnungen meiner liebsten Freunde in Teutschland zurück, welche auch bey dem kleinen ländlichen Mahle, welches Ihre erst so beschränkten Einkünfte Ihnen vorschrieben, statt Ueberfluß der Speisen, Reichthum und Heiterkeit der Seele mittheilten.[216]
Ein kleiner Zufall, welcher Wattines bey dem Springen über einen Graben begegnete, und ihn einige Tage von seinen Feldern entfernt zu Hause hielt, verschaffte mir einen schnellern Fortgang seiner Geschichte, welche in Rückerinnerungen des zweyten Winters und dritten Frühjahrs bestanden, und mir höchst schätzbar waren; denn da ich die Insel und die Hütte kenne, in welcher die lieben Einsiedler vier Jahre hinbrachten, so mußte mir der Ausruf sehr angenehm seyn, mit welchem Wattines auf meine Bitte, den vor ein paar Tagen abgebrochnen Faden der Erzählung wieder ausfaßte, da er mich fragte, wo habe ich Sie denn gelassen, mein Freund! und ich antwortete: bey dem Bilde Ihres zweiten Winters in Oneida.
O, sie waren schön, diese Wintermonate, durch den Gebrauch unsers Lebens und unserer Kräfte: sie flohen schnell, die trüben[217] Tage, und innig fühlten wir die Wiederkehr des Frühlings; so wie ich mit erneutem Eifer auf meinen Feldern und an Verschönerung jeder Stelle arbeitete, welche Emilie vorzüglich liebte. Pflanzen, Vögel, Insecten, alles hatte einen erhöhten Werth in unsern Augen, da wir ihren Bau ihren Nutzen, und menschlich zu reden, die vielfache Mühe kannten, welche der Schöpfer an sie verwendet hatte. Emilie glaubte zwar schon im ersten Jahre, wir schätzten die Thiere auch, weil sie eine Art von Seele zeigten, durch Leben, Bewegen, Bau der Nester und Sorge für ihre Jungen, uns daher in allem näher, als die Pflanzen, und eine Gesellschaft seyen, und nun machte sie beynahe mir und sich selbst Vorwürfe, daß wir unsern Carmil gewiß nicht rein als Kind, Frucht und Unterpfand des zärtlichsten Bundes, sondern auch als menschliches Wesen außer uns und als einen Gesellschafter liebten,[218] der unser Herz neu beschäftige, und uns neue Empfindungen gab. Ich mußte sie darüber beruhigen, denn sie glaubte sich beynahe des Kindes unwürdig zu seyn. Meine für den Knaben verdoppelte Liebe allein, gab ihr wieder Zufriedenheit. Die angenehmste Zerstreuung aber traf ich für Emilie, in Büffons Berechnung der wahrscheinlichen Länge des Lebens, indem wir beyde die sichere Hoffnung darin sahen, unsern Sohn aufwachsen zu sehen, und noch so viele Jahre ungetrennt zu leben, also gewiß wieder Europäer zu sehen. Unsere arme Nahrung wurde uns nun doppelt lieb, weil sie durch ihre Simplicität, die Reinheit unserer Säfte und unsers Blutes versicherte, welche so viel zu einem verlängerten Leben beytragen; also Carmil auch Kräfte und mehrere Jahre zu erwarten habe, weil die Milch seiner Mutter, ihm diese Grundlage schenkte.
Ich hatte meine im Freien gezognen Blumen[219] bedeckt, andre ausgehoben und in der Hütte überwintert, war auch so glücklich, keine zu verlieren, und verwendete jede Stunde der ersten schönen Frühlingstage zu Ausführung eines im Winter für mich gemachten Plans, einen schönen lichten Theil unsers Wäldchens mit den besten Blumen zu schmücken, einen dreieckigten Altar von Muscheln, mit Emiliens Namen zu errichten, und zu sorgen, daß alles auf Carmils Geburtstag in voller Ordnung und Flor seyn möge. Ich trug Erde zu der kleinen mit Blumen bepflanzten Erhöhung, an deren Fuß ich den Altar zwischen schönen ihn zur Hälfte beschattenden Stränchen stellen wollte; ich rettete fünf Bäume aus, weil sie der Ordnung im Wege standen, welche ich zu der Form meines Naturtempels nöthig hatte, Emilie sollte vor dem bestimmten Tage nichts wissen, nichts sehen. Den noch im verstoßnen Jahre geordneten und verzierten[220] Pfad längst dem See, und die Sitze bey den Pappeln, und der schöne Graßteppich, mit welchem ich unsern Abreise- und Landungsplatz bedeckte, kannte sie, und waren ihr als Denkmähler ihrer mütterlichen Liebe sehr angenehm; aber der doppelte Weg zu meiner neuen Anlage blieb ihr verborgen, weil sie glücklicher Weise während meiner Arbeit sehr mit Carmil beschäftigt wurde, indem dieser Zähne bekam, und daneben gehen lernte. In der Hälfte des Junys konnte er schon Papa und Mama stammeln, worüber wir eine doppelt süße Freude genossen. Ich hatte doch auch das Feld für Buchweizen besorgt, und da ich wußte, daß Abänderung der Saamen, die nehmlichen Aecker in gutem Ertrage erhält, so hatte ich die Stelle, welche erst Kohl trug, für unsern Mais umgegraben und besorgt, die Sonnenblumen rückten näher zum Endtenfang, die Erdtoffeln zu unserer Hütte, und[221] auf die wärmsten Stellen gegen Mittag kam etwas Tobak, weil Emilie die Blüthen davon so gerne sieht, auch begierig war die Saamenkörner zu zählen, mich aber auch wirklich plagte, einen Versuch zu Verfertigung einer kleinen Wage zu machen, damit sie sehen könne, ob es ganz wahr sey, daß 1012 Tobak-Saamen-Körner, nur ein Gerstenkorn schwer seyen; ich wünschte mir den Geruch der Blätter zurück, und war fleißig bey dem kleinen Felde. Unsere reiche Hühnerzucht machte uns glücklich, und der gute Wachsthum unserer Jerseyer Fuchstrauben beynahe noch mehr; indem Emilie die noch zarten Ranken in kleine Stücken schnitt und mit den grünen Beeren in dem von Honigwein verfertigten Essig verkochte, wodurch dieser mehr Schärfe bekam, welches für uns einen unendlichen Werth hatte, weil unser Salzvorrath sehr geschont werden mußte. Wir und der gute Quäker hatten auf die[222] jährliche Ankunft der Fischer gerechnet, welche uns frischen Proviant und also auch neues Salz mitbringen sollten, aber da sie auch das zweyte Jahr wegzubleiben schienen, dankten wir dem Himmel, den auf einen Knecht oder Magd gerechneten Scheffel oder 80 Pfund, nebst mehr als 40 Pfund der für uns gezählten 2. Scheffel erübrigt zu haben; denn die kleine Probe, aus Holz- und wilder Sauerampfer-Asche, durch Ablangen eine Art Salz zu ziehen, mißlang schon an sich selbst, auch fand Emilie den Geschmack davon unangenehm. Sie wissen, daß unser französisches Brod ganz süß ist, unser schottisches war es auch. Unsern Carmil wollten wir gar nicht mit dem Salze bekannt machen, sondern ihn wie unsere ersten Landsleute, die alten Gallier, und wie Plinius von den ersten drey Jahrhunderten der Römer erzählt, mit Brei von unsern Feldfrüchten ernähren, wozu Emilie etwas Honig mischte.[223]
So lebten wir in immer regem Fleiße vergnügt unsre Tage hin, bis ein Zufall durch die Hand meines mich verfolgenden Verhängnisses, aufs neue etwas Wermuth in die Schaale meiner süßesten Hoffnung goß Die zweyte Hälfte des May's war äußerst schön, alles stand in herrlichem Wuchse, Carmil war gesund, stark, blühend, wie unsere jungen Bäume, lief auch im Juny schon mir mit seiner angebeteten Mutter entgegen, aber den Tag, an welchem ich ihn zu dem Altare seiner Mutter tragen, und wie in dem Tempel der Tugend segnen und einweihen wollte, in der Stunde wo ich hin ging, meine heimlich gezognen und gepflückten Blumen um den Altar und die Bäume zu streuen, einen schön geflochtnen Kranz auf ihn zu legen, welchen ich mit Emilien vereint unserm Lieblinge aussetzen, und ihn mit einem zahm gemachten Vogel, in einem mit hundert kleinen Blümchen umgebnen feinen Drathkäfich beschenken wollte, – in[224] dieser Zeit, wo mein Herz voll Wonne alles dieses veranstaltete, hatte ihn seine Mutter zu den Urnen, zu dem Andenken alles unsers Jammers getragen, hatte mir nichts von diesem Vorhaben gesagt. Ich kam hüpfend zur Hütte, um sie und unsern Sohn zu holen, fand sie nicht, rufte und suchte sie vergebens bey dem Belvedere, als mir die unseligen Urnen in das Gedächtniß kamen. Ich wollte sie nicht stören, aber alle meine Freude war dahin, und die Empfindungen, welche Emilie bey den Denkmählern der gemordeten Verwandten sammelte, machten auch sie der Freude unfähig. Ich ging lange Zeit traurig halb außer mir, von Emiliens Bank zu der Hütte, und von der Hütte zu der Bank hin und wieder, immer mich umsehend, endlich kam sie langsam, ihren Kopf auf Carmil gebogen, zwischen den Bäumen hervor, blickte eifrig um sich her, und als sie mich an ihrer Bank stehen sah, verdoppelte sie ihre Schritte,[225] staunte aber etwas zurück, als sie mich, wie auf den Boden angewurzelt fand. Ich, der sonst ihr entgegen eilte, mit meinen Blicken schon sie umarmte, stand mit zu der Erde geheftetem Auge da, und erhob nur eine Hand matt gegen sie, die ihre roth geweinten Augen in einer Beugung gegen das Kind verbergen wollte.
Der Kleine rief: Papa, und reichte mit seinen Aermchen nach mir hin: dieß lößte mein Starren, und zugleich meine Thränen, ich eilte nach meinem Sohne, faßte ihn, drückte ihn hastig an meine Brust. Emilie sah mit dem höchsten Schmerz auf mich, hieng sich an meinen Arm, und schluchzend sagte sie:
Carl! o Carl! was ist in deiner Seele? und dieß auf den Geburtstag unsers Carmils, ich antwortete mit zitternder Stimme: ach Emilie! ich wollte ihn auch feiern, den lieben Tag, aber nicht mit Thränen des innersten[226] Jammers, indem ich traurig auf sie hinblickte. O, rief sie aus, giebt es andre Thränen auf dieser Stelle?
Diese Frage schmerzte mich tief, und ich erwiederte mit gedämpftem Tone: ich hoffte es, aber nun ist alles entflohn.
Emilie schwieg einige Augenblicke, sah um sich, und dann auf mich, wobey sie eine meiner Hände faßte, und ängstlich sagte: Carl, eine Freude dir entflohn? durch mich? O verzeih mir! Nun war ich gerührt und sagte: theure Emilie! ich hatte Unrecht dich zu verlassen, dir nicht gleich zu sagen: komm mit mir! nimm für dich, nimm für Carmil, was ich hier geben kann; aber wo soll jetzt ein Gefühl der Freude herkommen, da du deine Seele bey den Urnen mit tiefem, bitterem Kummer erfülltest? Sie schwieg wieder einige Zeit still weinend, und sagte dann ernst, ob schon sehr sanft:[227]
Carl! ich habe dort für unsern Sohn gebetet, und unsere Mütter angerufen, für ihn und uns vor Gottes Throne zu beten, und brachte ihn dann zu dir zurück. Soll da keine Ursache zum Vergnügen seyn?
Ich fürchte es Emilie! aber ich habe ein kleines Geschenk für Carmil aufgestellt, das wollen wir holen, und schweigend ging ich mit meinem Sohne im Arme voran, gegen den kleinen Hayn.
Sie können nicht glauben, meine Freunde, wie traurig mich bey diesem Theile der Erzählung der Gedanke machte, daß selbst unter den besten edelsten Menschen, bey sehr geringen Anlässen Mißverständnisse erscheinen, welche die schönsten Tage verderben. – Wattines fuhr fort: Sie wissen, daß man bey Emiliens Ruhebank vorbey, den gebognen Weg zwischen den Gesträuchen nach Elysium gehen muß, wie wir von dem Tage an diesen[228] kleinen Theil des Waldes genannt haben. Emilie folgte mir nachdenkend mit langsamen Schritten: ich hielt auch ein mit meinem raschen Gange, kehrte mich am Ende des Ganges gegen Emilie, stellte Carmil auf die Erde und sagte, geh, und hole Mama. Sie staunte auf die mit einem Blumengewinde zu einem Bogen verbundenen Aeste von zwey prächtigen Accarien hin, sah dann mit Blicken voll Liebe und Thränen nach mir, unsern Sohn an der linken Hand haltend, und mit der rechten nach mir hinreichend, sagte sie mit dem zärtlichsten Tone: Carl! mein Carl! hole du mich.
Ich umfaßte sie, und sagte äußerst gerührt: komm meine Emilie! komm! mit Liebe und Zufriedenheit, zu einem Platze, welchen dein Name zu meinem Elysium machte; und so leitete ich sie unter dem schattenden Bogen zu dem Anblicke des Ganzen, woran mein Herz von den ersten Frühlingstagen her[229] gearbeitet hatte. Emilie schien entzückt, ich setzte unsern Carmil auf dem Altar, und stellte den Käfich mit dem abgerichteten Vogel neben ihn, welcher alles, was man ihm darreichte, mit artigem Flattern, aus den Fingern wegpickte. Carmil jauchte laut, seine Mutter fiel auf ihre Knie und sagte, ihre Hände an dem Altare erhebend: o Gott! Segne den Vater meines Sohnes! ich bog mich zu ihr, um sie aufzuheben, indem ich hinzu setzte: ja Ewiger! Segne seine Mutter und ihn! Emilie stand auf, ich umfaßte sie und unserm Carmil an ihrem Altare. Wir küßten und segneten vereint unsern geliebten Erstling, und von dort an war ich immer glücklich, denn nun entstand kein Mißverständniß mehr, weil wir beyde bey ruhigem Denken gerecht und edel erkannten, daß unser Unglück, unsere Einsamkeit, und der innere in uns nagende Kummer, die angeborne und durch sanfte[230] Erziehung genährte Fühlbarkeit zu reitzbar gemacht habe, und wir uns vorsetzten dagegen zu arbeiten, um nicht das Schmerzbare unsers Schicksals, durch uns selbst zu vergrößern. Emilie machte nicht nur weniger Wallfarthen zu den Urnen, sondern besuchte mit Carmil und mir vereint den Blumenhayn, welchen ich immer in möglichster Schönheit zu erhalten suchte. Emilie äußerte einst den tief traurigen Gedanken, wir hätten recht, diesen reitzenden Theil unserer Insel Elysium zu nennen, indem wir ja, wie in dem Schattenreiche der Griechen lebten, well uns hier nichts als Erinnerungen umgeben, welche in Wahrheit nichts als Schattenbilder der vorüber gegangenen wirklichen Begebenheiten seyen.
Ich faßte diesen artigen, aber im Grunde sehr düstern Gedanken heiter und zärtlich auf, indem ich ihr umarmend sagte: Emilie! jeder Augenblick deines Lebens auf der Insel,[231] widerlegt, was du vorstelltest; denn ausübende Tugend ist gewiß in den Augen des Himmels kein Schattenbild, sondern hat ewigen Werth. Diese Antwort kam meiner guten Emilie unerwartet, denn sie schien etwas erstaunt, sagte aber, meine Hand fassend: O, mein Carl! wie viel mehr kann ich dieses von dir, deinen Sorgen und Arbeiten für Weib und Kind sagen.
Der Tag war sanft bewölkt, und die Luft ruhig, also auch diese Stunden von der Natur selbst zum Nachdenken geschickter, als der hell glänzende Sonnenschein, und ich leitete unsere Betrachtungen außer uns, da ich den Vergleich zwischen unserm einsamen Leben auf dieser Insel und den mehreren tausend Menschen machte, welche in Bergwerken arbeiten, von denen viele niemals, andre wenige sehr selten an das Tageslicht kommen, also die süßen Gefühle nie kennen lernten, nie genössen, die schönen mit Bäumen, Blumen,[232] Thieren aller Art, mit Früchten, Wasser und Kräutern geschmückte Erde zu sehen, welches alles uns so reichlich zu Theil wurde. Wir wollen also, theure Emilie! immer wie du, geduldig ergeben, das in Erwägung ziehen, was Gott unsern glücklichen Jugendjahren, durch Unterricht und Erziehung schenkte, und den Reichthum schätzen, welchen er an Gefühlen für Tugend Güte und Schönheit der Natur in unsere Seele legte. – Emilie nahm diese Ideen mit Vergnügen auf, und setzte hinzu, daß sie schon oft für uns selbst, und alle andre Menschen, dem Himmel in ihrer Seele, für die wohlthätige Macht der Gewohnheit dankte, welche wie ein höchst gütiges Wesen unvermerkt für das Glück unsers Lebens sorgte, jede beschwerliche Beschäftigung erleichtre, das erst Unangenehme und Widrige nach und nach gefällig mache, wie uns schottisches Brod und gerösteter Maisbrei, durch die sanfte allmählige[233] Wirksamkeit des Angewöhnens, wohlschmeckende Nahrung wurde. – Sie erinnerte sich auch von ihrer vortrefflichen Mutter, in einem aus dem Englischen übersetzten Aufsatz gelernt zu haben, daß die Gewohnheit Gutes zu denken und Gutes zu thun, unserm Geiste schon in diesem Leben, die Gefühle der Seligkeit bekannt mache, welche den Tugendhaften in der bessern Welt der vollkommnen Weisheit und des vollkommnen Glücks erwarten.
Denken Sie sich, mein Freund! sagte er, die edle, blühende, erst 22 Jahre alte Emilie, wie sie bey den letzten Worten eine meiner Hände faßte, an ihre Brust drückte, und mit ihrer seelenvollen Stimme sagte:
O wie glücklich ist es, in unserer Einsamkeit, mein Carl! nichts kann uns hindern, diese seligen Gefühle zu genießen, und jede Tugend unsers Berufs zu erfüllen; – die lebhafte Erinnerung alles dessen, woran unser[234] Auge gewöhnt war, als Blumen und Verzierung der Gärten zu sehen, hat uns alle Sorge eingeflößt, so viel möglich diese Anmuth um uns zu verbreiten. Dein mathematischer Geist, welcher an Ordnung gewöhnt alles nett auszuarbeiten, giebt unsern Korn- und Gemüs-Feldern das Ansehen der schönsten Gartenbeete. – Gewohnheit reichte mir die Hand, einsame Wege ruhig zu durchwandeln, minderte meine Furcht, ohne Nachtlampe zu schlafen, und macht die selige Uebung, alle Tage etwas Nützliches zu lesen und meine Kenntnisse zu vermehren, zum Bedürfniß meines Lebens und zum Gefühl des größten Glücks der Erde.
Nun kam Emilie zu uns, und ich sagte zu Wattines: Dank! Edler, wahrhaft glücklicher Freund! für das so schön ausgemalte Bild verdienstvoller Tage, und er erwiederte auf seine Frau deutend:[235]
Emilie, Emilie allein, war die Triebfeder des Besten von allem was geschah. – Sie hörte dieses und fragte, wovon die Rede sey? Wattines machte einen kurzen Auszug von dem, was er mir erzählte, sie lächelte und sagte: nun bleibt mir für Ihren nächsten Besuch beynahe nichts zu thun übrig, als die Probestücke unserer Kunstarbeiten und Erfindungen vorzulegen: mit dieser mir so angenehmen Aussicht auf einen der folgenden Tage, ging ich nach Hause und schrieb einige, Ihnen meine Freunde, und mir selbst versprochene, Blätter.[236]
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