Hundert und achtzehnter Brief

Rosalia an Mariane S**.

[331] Sie wollen von dem gesellschaftlichen Leben so vieler gescheuten Männer und Weiber mehr wissen, besonders da ich Ihnen von einem Entwurf schrieb, der für unsern Winter gemacht wurde. Das trieb sich sattsam umher, weil der muthwillige Kopf meines Mannes den Vorschlag gemacht hatte, daß man eine Zusammenkunft halten, und gemeinsam darüber sprechen sollte.

Wir sassen alle in van Guden Gesellschaftssaal umher. Glücklicher Weise hatten wir Frauenzimmer alle unsere Arbeit bey uns, so wie Mutter Guden an ihrem Tapetenrahme beschäftigt war; sonst würden wir lächerlich ausgesehen haben. Denn beynah wußten unsere Männer nicht ganz, was sie für eine Gattung Gesichter machen sollten: indem sie da höflich, aber doch vorzüglich klug zu Werk gehen wollten; die Weiber sehr bescheiden seyn, aber doch zugleich vorsichtig genug, um keinen von ihren[331] Wünschen zu verliehren, und, wie Frau Grafe bemerkte, so wollten die Männer keine Gesetze vorschreiben, und die Weiber schienen auch nicht geneigt, in dieser Gelegenheit welche anzunehmen. Es wurde lang von ausländischen Gesellschaften und Winterbelustigungen gesprochen, wobey Ott, Latten und mein Cleberg wegen ihren Reisen in neueren Zeiten sehr viel Artiges zu erzählen wußten, so wie mein Oheim etwas von den Erinnerungen vorsuchte, die ihm vom Hof des letzten Herzogs von Lothringen geblieben waren, weil er zu Nanci und Lüneville studirt hatte. Stiege sprach von alter deutscher Sitte in dieser Jahrszeit, und unsere van Guden ward aufgefordert, uns von Holland zu erzählen. Das nahm einige Zeit weg. Unsere muntere Frau Grafe hörte immer aufmerksam zu, schüttelte manchmal den Kopf, und da Frau Guden gar keinen Vorschlag machen, sondern nur von ganzem Herzen einen jeden eingehen wollte, der uns alle am meisten freuen würde; so fieng Frau Grafe endlich an: Weil die Frage von leiblichen Freuden und Vergnügen wäre, so dächte sie ein Recht zu haben, das erste Wort in der Gemeine zu führen, von den schönen Kenntnissen,[332] welche unsere gereisten Herren (hier stund sie auf und verneigte sich tief, auf alle umher sehend,) gesammlet hätten; möchte sie nur dieß gebrauchen dürfen: Daß wir Weiber den Ton der Belustigungen angäben, wie es in dem belobten Frankreich üblich wäre, (hier war wieder eine Reverenz,) auf allen Fall aber müßten wir uns sogar die Fastnachtskappe nach unsern Köpfen zurecht schneiden. Sie wünsche, daß man gute alte Gewohnheiten und artige Neuerungen mit einander verbinden möchte; deswegen sollten die Vormittage unangetastet bleiben, um die nöthige Zeit zu Hausordnung und Schlaf für die Weiber, für die schöne Gesichtsfarbe und Putz der Mädchen, wie für das nöthige Studieren der jungen Leute, und die Regierung der Welt für die Männer zu haben. Mittags speiste man mäßig zu Hause, sammlete sich bis Nachmittags vier Uhr etwas artige Gedanken für die Gesellschaft, und käme die Woche zweymal zu Frau Guden, um zu ihren Füßen die liebreiche Weisheit der Weiber zu lernen, und mit ihr den Abend hinzubringen. Dann gienge man einmal zur Frau Cleberg, und ergötzte sich an dem artigen Wettstreit zwischen dem guten Geist der Frau, und dem achteckigen[333] auf allen Seiten fein geschliffenen Kopf des Mannes. Den Tag der Comödie käme man zu ihr, weil sie immer sorgen wolle, daß wir ein artiges Nachspiel ihrer Erfindung in ihrem Hause finden möchten. Bey Ott und Julchen würde eine Gattung Ruhetag gehalten werden, um durch ihr sanftes Wesen und die Musik ihres Mannes alles wieder harmonisch zu machen, was sich in dem ersten Theil der Woche verstimmt haben sollte, Den Fremden aber müßte allerwegen der Zutritt und Theilnehmung gelassen werden. Sie wollte nun für unser geduldiges Zuhören danken; aber wir klatschten ihr alle unsern Beyfall und Einstimmung zu. Nachdem aber hatte sie sich über die kleinen Angriffe zu vertheidigen, die sie während ihrer Rede auf uns gemacht hatte; und dies war sehr artig. Dann wurde auch der Entwurf zu einer Schlittenfahrt nach Rehberg gemacht, sobald wir einen schönen Wintertag und gute Schneewege haben würden; und der alte Stiegen versprach, ein Feuerwerk auf den Stiegenhof zu geben, wenn wir dazu helfen wollten, daß seines Neffen Hochzeit mit der jungen Itten auf den letzten Tag im Jahr veranstaltet würde. Das Versprechen und die[334] Bedingung kam uns allen so drollig vor, daß wir herzlich lachten, aber doch versprachen, zu Erfüllung seines Wunsches beyzutragen. Mein Oheim kam mit der Idee dazu, auf den Tag meines glücklichen Vorgangs Seedorf zu beleuchten, und einen Ball zu geben. Wie oft doch die Leute alle von diesem Zeitpunkt reden, und wie leicht weg da mich immer ein kleiner Schauer ergreift über alle das, was in diesem Fall möglich ist; ob ich schon glaube, daß die Mutter Natur mir nicht mehr Leiden machen wird, als andern, und weniger zu leiden verdiene ich nicht, und fodre es nicht. Getreu, zärtlich und muthig will ich seyn, ganz, ganz Mutter für mein Kind, mit meinem Kind leben und sterben. Gott lasse mich nur den besten Erziehungsplan durch mein tägliches gutes Beyspiel ausführen. Im übrigen mag es Menschen- und Erdegang gehen mit mir und ihm.

Diese durch meines Oheims Vorsatz geweckte Ideen hatten mich in van Gudens Cabinet geführt, wohin mir meine liebe Caroline Itten folgte, weil ihr fein fühlendes Herz die Bewegung des meinigen sehr deutlich mit empfunden hatte, und das gute Mädchen auch[335] für sich selbst froh war aus der Gesellschaft zu kommen, weil der zu der Verheurathung ihrer jüngern Schwester bestimmte Tag natürlicher Weise den Wunsch in ihr rege machte, daß ihre Hofnungen auf Lattens Herz und Hand eben so fest, eben so bestätigt seyn möchten; und das holde gute Geschöpf wurde durch diese zärtlichen Wünsche so bewegt, daß sie sich nicht getraute aufzusehen. Ihre Sorge um mich floß also mit der Selbstsorge für die Ruhe ihres eigenen Herzens zusammen, und vermehrte aber auch die Rührung, in welche sie durch Lattens Eintritt in das Cabinet gebracht wurde. Er näherte sich uns mit der edlen bescheidenen Miene, die alles begleitet, was er thut. Er faßte eine Hand von Carolinen, nachdem er nur einen flüchtigen aber unaussprechlichen Blick auf mich geworfen hatte. Das arme Mädchen zitterte, und ergrif eine Hand von mir, da Latten anfieng: Caroline! es sind mehrere Gelübde gemacht worden, um glückliche Tage zu feyern; mein Herz machte auch eines: Ich will auf den Tag, wo Sie mir ihre Hand geben werden, vier Waisenkinder versorgen. Sie sah ihn an, faßte seine Hand mit ihren beyden Händen, fieng an zu weinen, und legte ihren[336] Kopf auf meine Brust. Ich umarmte sie, drückte sie an mich, und der vortrefliche junge Mann blickte mit einem unbeschreiblichen Gefühl auf sie und mich; Caroline erhob ihren Kopf, legte Lattens Hand in meine, und sagte so innig: Rosalie! Ihre Hand soll mir den Mann meines Herzens geben. Latten kniete zu uns hin in der größten Bewegung; aber er faßte sich, und sagte zu ihr: Caroline! ich habe zwey Engel geliebt, und dieses geweihte Herz ist nun Ihnen ganz eigen. Ich will mich bestreben, Sie so glücklich zu machen, als Sie liebenswürdig sind; und küßte ihre und meine Hand, indem er sich mit vielem Anstand erhob, und der nun ganz glücklich gewordenen Caroline, die mit Rosenröthe übergossen war, auch Muth zusprach, und ihr die selige Aussicht zeigte, die aus der Vereinigung so vieler rechtschaffenen Menschen entstünde. Ich verließ das glückliche Paar, und sagte den übrigen, was vorgegangen sey, Alles freute sich herzlich. Frau Grafe sagte dann: O! ich will auch eine Heyrath stiften, das weis ich. Ott, Cleberg, und der junge Stiegen entfernten sich, kamen aber bald wieder. Ott brachte Linken und seine Frau, Cleberg aber den Herrn Itten und sie, und Stiegen natürlicher Weise seine schöne[337] Braut. Vater und Mutter konnten nicht reden, hielten sich bey der Hand, sahen um sich mit thränenden Augen, ihre Caroline suchend, welche noch mit Latten und der van Guden im Cabinet war. Frau Grafe ging mit Eile, die Ankunft der Eltern zu vermelden. Caroline kam mit dem schönen Latten bis an die Thüre, wo sie umsank, und von ihrer Mutter und Liebhaber unterstützt, bey dem Segen des Vaters sich wieder erholte, nachdem auch den Jubel und die Wünsche ihrer Geschwister genoß, welche zu dem Verlöbnißfest gerufen wurden. Unsere edle van Guden war über den Anblick dieses Familienzirkels ganz entzückt, sie sagte mir: Ich glaube, daß dieser Abend für den Himmel selbst ein schöner Abend ist, denn das Band der Tugend, das uns vereinigt, ist auch der Grund unserer hoffenden Seligkeit mit den vollkommenen Wesen der andern Welt. Gute Eltern, gute Kinder, Ehegatten und Freunde um mich, liebe Rosalie! o wie süß ist das Theilnehmen an der Freude edler Menschen! Kurz darauf nahm sie Linke mit einer trüben Miene an der Hand, und bat sie, ihn auf einige Augenblicke anzuhören. Sie folgte ihm in das andre Zimmer, wo sie den braven jungen Mann mit Erstaunen in eine Art Jammer[338] ausbrechen hörte, daß seine geliebte Frau mit ihm nicht so viel Ansehen und Glück erhalten habe, als ihre zwey jüngern Schwestern erreicht hätten. Er könne sein Hannchen nicht ansehen, ohne daß sein Herz durch diesen Gedanken gepreßt würde. Van Guden lobte dieses feine Gefühl seiner Liebe; sagte ihm aber dabey, daß er doch den Karakter seiner Frau so gut kennen müßte, um sicher berechnen zu können, ob der mehrere Glanz in dem Schicksal ihrer Schwestern ihr einen Neid oder Kummer machen würde. Da kam seine Frau an die Thüre, um zu fragen: ob ihrem Linken nicht wohl sey? denn er habe etwas geändert geschienen. Van Guden erzählte ihr seinen Jammer. Lieber Mann! sagte sie zärtlich und ernsthaft, wie wenig kennest du deinen Werth und mein Herz, und wie traurig ist es mir, daß ich nun nichts zu sagen weis, womit ich dir diese unangenehmen Gedanken benehmen könnte. Stelle dir mein ganzes Wesen und alle meine Wünsche dar, es liegt gewiß nichts in mir, das nur im geringsten nach Glanz und Höhe trachtet. Ich wäre unglücklich, mein Bester, wenn dein Stand und Vermögen sich änderte. Dich haben, dich behalten so wie du warest, als ich dich kennen lernte, als du mir[339] Liebe zeigtest; dies, mein Linke, dies ist mein Glück. Dein Haus, die nemliche Stube für meine Kinder, wo du, ihr geliebter Vater, auch als Kind warest, als guter Knabe aufwuchsest, als edler Jüngling an mich dachtest, und als rechtschaffener Mann mich so unaussprechlich glücklich machst. Linke! was soll ich mehr? Meine häuslichen Beschäftigungen, alles, alles ist mir lieb. Gott erhalte mir dieses; alles übrige drückte mein Herz nieder. Wenn du mir nicht glaubst, wenn mein vergangnes Leben und meine Gesinnungen dir nicht Bürge sind, o so machst du mich elend. Mögen meine geliebten Schwestern ihr Wohl fühlen und geniessen, wie ich das meinige; denn der Unterschied ist für sie, weil auch der Unterschied in unsern Gemüthern ist. Glaube, mein Lieber! weder Rang noch Reichthum könnte mir geben, was ich durch dich und in dir habe. Laß mir deine Liebe und dich, glaube an die meinige, und sey dadurch eben so glücklich als ich. Nun hieng er an ihrem Hals, weinte mit ihr, und freute sich; van Guden umarmte beyde, und schätzte sie als das glücklichste Paar Menschen; und Linke behauptet, er sey an diesem Abende noch viel glücklicher geworden, als an dem Tage, wo ihm Hannchen an[340] dem Altar gegeben wurde. Wie oft lernen wir das Beste und Nöthigste erst durch den Zufall kennen. Dieser Mann da ward von den herrlichen Gesinnungen seiner Frau erst an dem Verlöbnistag seiner Schwägerinnen überzeugt. Frau Grafe sagte aber, da ich ihr den Auftritt beschrieb: Es sey ihr Beweis von dem innern Ehr- und Geldgeiz des Hrn. Linke; denn wenn er nicht selbst so vielen Werth darauf legte, so würde er das große Aufheben über die Genügsamkeit seiner Frau nicht gemacht haben. Sie mag doch unrecht haben; denn wir beurtheilen den Nächsten nicht immer allein nach uns, sondern sehr oft nach andern, und thun ihm um so mehr unrecht.

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797, S. 331-341.
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