Sechs und neunzigster Brief

Van Guden Fortsetzung.

[17] Sie haben lange nichts von mir gehört, schreiben Sie; Sie sind darüber unruhig und bekümmert. Dank sey Ihnen, für Ihre immer gleich daurende Freundschaft, und mein langes Schweigen vergeben Sie mir!

Den ersten dieser Briefe hätte ich schon vor zwölf Tagen abschicken können; aber, da er Ihre Neugierde nur gereitzt, und nicht ganz befriedigt hätte, so dachte ich, daß Sie eher mein längeres Schweigen, als die Ungeduld nach dem Ausgang meiner Reise, um Henriette Pindorf ertragen würden; und heute kann ich Ihnen von allem genaue Rechenschaft geben. – Pindorf sah nicht gerne, daß ich selbst in sein Haus kommen, und die Kleine abholen wollte; aber ich hatte vielerley Ursachen, darauf zu bestehen. Ich wollte ihm beweisen, daß reine, ruhige Freundschaft in meiner Seele Platz genommen habe. Ich[17] wollte mir die Achtung seiner Frau und seiner Schwester erwerben, um in dieser Achtung Stärke gegen mich selbst und gegen Pindorf zu finden: weil der Entwurf, seine Tochter zu erziehen, einen großen Ueberrest von Anhänglichkeit für ihn zeigte, und er es gegen Wolling mit vieler Freude bemerkt hatte. Dann wollte ich auch seine Schwester besonders sehen, die, wie ich aus Ihres Clebergs Briefe wußte, so viel Gewalt über seinen Verstand und Neigungen ausübte. Und, meine theure Rosalia! was war das Ende alle dieses Nachdenkens und Ueberlegens? Die Ueberzeugung, daß Eigenliebe mich elend gemacht habe, und Eigenliebe mich rettete. Ich weiß, daß Sie diese Ausdrücke von mir nicht gern hören, weil Sie glauben, es sey der Person, die Sie so sehr schätzen, unanständig und nachtheilig: aber, lassen Sie mich immer jede Wendung der Worte zu meinen Ideen gebrauchen, weil auch in den Ausdrücken derer wir uns bedienen, so viel Trost und Unterstützung liegt; und dann will ich Ihnen auch durch die offenherzige Anzeige meines Empfindens und Denkens in diesem zärtlichen Falle einen kleinen Maaßstab geben, nach welchem Sie die[18] Handlungen einer gewissen Gattung Sonderlinge berechnen und beobachten können.

Ich ließ in meinem großen Zimmer, das Sie kennen, auf der Seite gegen das Ihrige einen Abschnitt machen, wo ich für Henriette Pindorf eine Bettstelle, und zwey kleine Cabinette anordnete; denn sie soll Tag und Nacht um mich, und unter meinen Augen seyn; und dann ging ich vor vier Tagen mit Wolling in meinem simplen, aber sehr schönen englischen Reisewagen, ganz früh nach Pindorfs Landgut ab, um dort zu essen und Abends zeitlich wieder hier zu seyn; wo, durch unsere Bauren und Wollings Kinder, ein kleines Willkomms-Fest, für Henriette Pindorf veranstaltet war. – Meine weiß seidene, ganz englische Kleidung, mit Hut, Halstuch, Schürze und Manschetten von den feinsten Spitzen besetzt; die großen einfachen Brillanten meiner Ohrringe; die schönen Schnüre Perlen um meinen Hals und Hände, die auch durch Brillanten geschlossen werden, mußten mir, bey den Alltagsseelen, deren Verdienste und Glückseligkeit, am äusserlichem Anschein klebt, mehr Gewicht geben, als Weisheit und Güte in ihrem vollen Glanz nicht gethan hätten. Wolling hatte in[19] einem braunen Kleide vom feinsten Tuche, glatter Wäsche und seiner schönen muthigen Gestalt ein herrliches Ansehen, unser Knecht als Kutscher, und der Gärtner als Bedienter, in guten staubfarbenen Röcken mit gegossenen silbernen Knöpfen, heitern und gesunden Gesichtern zeigten auch von dem Wohlstande, der zu Wollinghof herrschte. – Die immer gleich fliessenden Tage, die einfache Nahrung, und balsamische Luft auf unserm Berge haben dieß, was Ihnen und Ihrem Cleberg das äusserliche Einnehmende meiner Person zu seyn dünkte, gar gut unterhalten; nur, daß mein innerer Kummer eine feine Blässe über meine Wangen goß, die mir auch, bey der wenigen Munterkeit in Pindorf, recht gut stund; wo beyde Damen ganz unmäßig roth geschminkt waren.

Sie wissen, daß ich den ganzen Brief Ihres Clebergs abgeschrieben habe, welcher das Gemählde von Ihrer Reise nach W. und dem Pindorfischen Garten enthält. Der Weg von Wollinghof führt gerade nach dem alten Wohnhaus und Baurenhof zu, wo wir, da es noch sehr früh war, abstiegen, etwas Milch aßen und alles betrachteten; endlich in den Lustgarten[20] hinüber gingen, wo ich in der That alles so fand, wie ich es aus dem mitgetheilten Briefe in meinem Gedächtniß behalten hatte. Die ganze Anlage ist in einem edlen, großen Geschmack; und diese mächtige Uebereinstimmung in Ideen des Schönen und Ergötzenden wirkte stark auf meine Seele. Vorbedeutung dieses Eindrucks hätte mich immer zurückgehalten, diesen Garten zu sehen, und nun fühlte ich zu spät, daß es besser gewesen wäre, wenn ich mich diesen Empfindungen, während der Abwesenheit von Pindorf ausgesetzt hätte, als in der Zeit, wo ich ihn zugleich sehen mußte. Ich sagte es Wolling; der mir antwortete, daß er dieses vermuthet habe; doch wäre der Zufall sehr vortheilhaft, daß die erste Aufwallung dieser Gefühle in der Zeit unsers einsamen Herumwanderns entstünde: weil nun das Ueberfliessende ausströmen könnte, und er die Stärke meiner Seele zu gut kenne, um wegen meiner Beruhigung in Sorgen zu seyn. Er hatte recht; dazu kam auch, daß mir an dem Badhaus etwas mißfiel, und sicher unterbrach dieses die Stärke meiner zu zärtlichen Erinnerungen und Vorstellungen, denn ich ging von da an leichter umher, bis in den[21] großen grünen Saal, wo wir uns setzten und die Landschaft mit dem glücklichen Gedanken des Wasserfalls und den größten Theil des Hauses und Parterre betrachteten; unterdessen daß der Bauerjunge, den wir mitgenommen hatten, uns meldete, und die Antwort zurück bringen sollte. Auf einmal sah ich die Kinder, mit einem neuen Hofmeister und einer Wärterinn die Stufen des untern Saals herunter kommen und der Allee zu gehen. Alle drey seit den zwey Jahren viel gewachsen; der jüngere Sohn hüpfend, und bald mit diesem, bald mit jenen schwätzend; der ältere aber führte Henrietten, und schien sie immer an ihrem starken Gehen verhindern zu wollen. Mein Herz pochte wieder laut: Kinder vom Pindorf!

Ich ging ihnen in die halbe Allee entgegen und sah mit Bedauren den überladenen Kopfputz der artigen Henriette, die unter einer Last von Federn, Bändern, Flor und welschen Blumen, ihr kleines Köpfgen schwankend bewegte, einen Reifrock, eine Schleppe am Kleide und Blonden und Falbala die Menge an Hals und Armen hatte. Die Söhne, in steifen gestickten Kleidern, sehr frisirt und gepudert, Degen an der Seite und die Hüte mit[22] Federn unterm Arm. So bald der Herr Hofmeister uns erblickte, durfte Junker Fritz nicht mehr springen, sondern mußte stattlich nach Tanzmeister Vorschrift einhertreten, und dem Aeltern gab er mit der einen Ecke seines Huts einige Stöße in die Seite und an den Arm, der mit seiner Hand gegen Henrietten, die er immer führte ausgestreckt war, die er erst zurückzog, als sie in der Entfernung von zehn Schritten still stehen, und sehr künstliche Verbeugungen machen mußten, wo die Wärterin sorgfältig ihre Hände auf Henriettens Achseln legte, und sie damit zur gehörigen Tiefe des Knieebeugens hinunter zu drücken, und an dem zu schnellen Erheben zu hindern, daß ich daraus bemerkte, weil das gute Kind, eine verdrüßliche Mine, und die Wärterinn, eine beherrschende Bewegung ihrer Hände machte und das Niederdrücken der Achseln wiederholte.

Gut; dachte ich, liebes Mädchen, wie froh wirst du unter meinen zärtlichen Händen seyn, die dich nichts als den sanften Zug der Liebe werden fühlen lassen!

Ich eilte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, blickte alle mit der Frage an: –

Kennen Sie mich noch?[23]

Der Kleine rief, mit einem Kratzfuß dabey: O ja, recht gut! Henriette, deren Arme, in dem Augenblick freygelassen wurden, lief mit Vertrauen auf mich zu; wäre aber, da im Laufen ihr langer Rock von der Seite herunter hing, vor mich hingefallen, wenn ich sie nicht aufgefaßt und an mich gedrückt hätte. Ich wurde bewegt; eine Thräne war in meinem Auge. Das holde Mädchen sah sie, und machte auch ein traurigs Gesichtgen dazu, sagte aber zugleich:

Liebe Madame! ich geh recht gern mit Ihnen, fragen Sie nur Papa und Mama, und die gnädige Frau Tante; ich habe gar nicht geweint, wie es der Papa sagte, ich freute mich gleich!

Ihre kleine Hand lag da vertraut auf meinem Halse, und treuherzig hatte sie dieses mir ganz nahe zugeredt.

Mein Bruder Gustav, sagte sie mir leise ins Ohr, gienge auch gern mit!

Ich beobachtete im nämlichen Augenblick, daß der arme Knabe wieder einen Kniff von seinem Hofmeister bekam, weil er sich von uns weggewendet hatte, und zu gleicher Zeit zupfte die Wärterinn an der Henriette: pfui! Sie[24] müssen die Hand nicht so grob auf die Madame legen – sie wird denken, das man Sie gar keine Manieren gelernt hätte! Wenn die Fräulein so schön geputzt sind, so müssen sie artig seyn! sagt die gnädige Tante, das arme Kind zog sich zurück und legte ihre Aermchen wieder nett an ihr enggeschnürtes Leibchen an; die Magd ordnete alle Fällgen und drehte das gedultige Mädchen so lange herum, bis sie wieder ganz die Puppe war, zu der man sie bisher erzogen hatte. Ein paarmal guckte sie nach mir, und ich lächelte ihr das Versprechen zu, daß sie von alle dem Zwange befreyet seyn würde. Der Hofmeister sagte mit einem ernsten Gesicht zu dem ältern Sohn:

Nun, Junker Gustav, wenn werden Sie Ihre Reverenz machen?

Ein Zug von Eigensinn, Schmerz und Furcht, ging durch das Gesicht des Knabens, und es ist wahr, er machte eine sehr schlechte Figur bey seiner Verbeugung gegen mich, so wie ihm denn auch der Hofmeister einen stark drohenden Wink darüber machte. Junker Gustav wurde über diesen Wink blaß und roth; näherte sich seiner Schwester und sagte mit bittender Mine ihr etwas ins Ohr. Henriette[25] nickte ihm Ja zu. Der Knabe wollte noch Etwas sagen, aber der Hofmeister zog ihn am Kleide und mit Bitterkeit im Gesicht sagte er:

Junker Gustav, wir sollen ja den gnädigen Papa aufsuchen.

Die zwey Söhne gingen auch mit ihm hinweg, nachdem er der Wärterinn Etwas zugeflüstert hatte, die sich immer noch an die junge Pindorf hielt. Ich that, als ob ich alle das nicht bemerkt hätte, und fragte nur Henriette, ob sie mich auch würde erkannt haben, wenn ihr der Papa nichts gesagt hätte?

O ja; an Ihrem Hut, an Ihrem Gesicht – und weil Sie die Hände gleich nach mir reichten, wie Sie das Erstemal auf der Stiege im Stadthause thaten. Es ist noch keine Dame so gut mit mir gewesen wie Sie!

Was sagen Sie, Fräulein Jettchen, sind nicht die gnädige Damen, Mama und Tante, sehr gütig gegen Sie gewesen. – Sehen Sie nur Ihren Putz an, den hat Ihnen doch Ihre gütige Mama gegeben!

Ach! ist wahr! antwortete das liebe Geschöpf – aber, ich habe die schönen Sachen erst heute bekommen; und die alte Schnürbrust,[26] die mir so weh thut, habe ich doch behalten müssen! ––

Alle Fräulein müssen jung so geschnürt werden. Sehen Sie nur die Madame an. –

Hier machte das elende Ding, mir eine niederträchtige Verbeugung ––

sie würde nicht so schön groß seyn, wenn sie nicht ganz klein, schöne feste Schnürleiber getragen hätte.

Ich fiel hier ein:

ich sähe, sie hätte viele Sorge für Henrietten getragen, und ich würde ihr auch ein Andenken dafür geben.

O Rosalia! wie sich da jeder Muskel ihres Leibs und ihres Gesichts zum Kriechen anschickte, was sie für Lobens machte, von dem, was sie von der alten Wärterin, die nun bey dem Weißzeug wäre, von mir und von den Geschenken gehört, die ich ihr und dem Herrn Hofmeister gemacht; sie hätte auch viel Sorge getragen, für den schönen Putztisch, den ich der Fräulein gegeben; wie lieb sie das Kind hätte, wie leid ihr wäre, es zu verlieren! aber, sagte sie leise gegen mich: die gnädige Frau waren ganz jalour über die Fräulein, denn der gnädige Herr lieben das Kind zu arg.[27] Sie wäre ganz verdorben worden, so wie der Junker Gustav; dem mußte man sein Bilderbuch und seinen Schreibtisch wegnehmen, weil er sagte, er wollte, daß die fremde Dame seine Mama wäre.

Sie werden wissen, Kinder machen Uneinigkeit! und die gnädige Frau hat aus Liebe für den gnädigen Herrn, all ihr Haab und Guth hergegeben! Sie werden sehen, wie kostbar alles ist. – Ganz reiche Stühle, und Betten und Canapees. – Ich habe selbst zu den fünf reichen Kleidern der seeligen Mama von der gnädigen Frau noch acht ankaufen müssen, um alle Zimmer der Herrschaft damit einzurichten, weil nur Zitz darinn war, und das stund so todt, und wenn ichs sagen soll, so armselig in dem schönen Schlosse da! (Sie wies auf das Haus). Alle die blau und silbernen Blumen-Töpfe mit vergoldeten Blumen, die zwischen den großen weißen Töpfen und Bildern stehen, hat die gnädige Frau heimlich machen und aufstellen lassen. Sie stehen sehr schöne! die auf der Gallerie blinken in der Sonne, und nun läßt das Parterre, wie eine grün atlaßene Weste mit Gold gestickt.[28] Aber das gab Verdruß, Gott helf mir! wie tobte der gnädige Herr, und die gute junge Dame weinte, und sagte endlich, sie würde selbst gehen, wenn er ihr diese Freude störte. Er wollte lange nicht daran, aber seine Frau Schwester, eine sehr kluge Dame, die weis mit ihm umzugehen. – Ein Bißgen Schönthun und dann Spaßen, und etwas artig erzählen, o da thut er alles, und ist dann selbst froh, über die Sachen. Die Damen sind sehr Freunde, und das ist ein Glück für ihn. –

Rosalia! glauben Sie wohl, daß mir bey diesem Theil des Geschwätzes, eine Uebelkeit anfiel? Ich mußte Eßig nehmen und begehrte in freyere Luft, als in der Allee nicht war. Wie verhaßt wurde mir das Mensche nach diesem Zuge von unmännlicher Schwäche des Charakters, den sie an Pindorf beschrieb. Ich ging ganz nahe an das Ufer des Grabens gegen das Feld hin; hatte Henrietten an der Hand, und unvermerkt näherten wir uns dem andern Theile des Gartens, woben der Hofmeister mit den Söhnen gegangen war, um Herrn von Pindorf zu suchen. Da wir auf lauter Strassen giengen, so konnte man unsere[29] Tritte nicht hören. Wir aber dagegen hörten auf dem Kies stark laufen, und laut rufen: Gustav, wart! Du solst mirs zahlen!

Ich stund still, und auf einmal drang der gute Gustav, nur in seiner Weste und Hemdeärmeln zwischen der Tannenhecke durch, zu uns, warf sich mir zu Füssen, mit aufgehobenen Händen:

O, liebe Madame, nehmen Sie mich doch auch mit, ich will alle Bücher auswendig lernen, und niemals reden, und mich bewegen! Nehmen Sie mich mit! oder ich laufe so vom Papa.

Ach, wie erschütterte mich das Flehen des armen Knaben. Pindorfs Ebenbild zu meinen Füssen. Die Güte, Schwäche und Unschuld der Kindheit, die Hülfe bey mir flehte; Henriette, die sich an mich hieng auch weinte und bat: O nehmen Sie meinen armen Gustav mit! ich bitte, bitte, ihr Köpfchen mit ihren Händchen in die Höhe haltend. Ich bückte mich und umfaßte beyde mit aller Zärtlichkeit und Mitleiden:

Ja, Lieben! ich will Euch beyde mit mir nehmen, wenn es der Papa und Mama zufrieden seyn wollen.[30]

Was für Freude entstund bey den Kindern! sie küßten sich und mich, und der arme Knabe wiederholte sein Versprechen, alle Bücher auswendig zu lernen und gerne nicht zu schlafen, und nicht zu essen, bis er seine Lektion wüßte. Lassen Sie mich nur nicht in die Arme kneipen und an die Füsse stossen!

Gott behüte, mein lieber Gustav, wer wird das thun.

O der Herr Bärenz thuts! Sehen Sie, wie ich heute im Garten gekneipt wurde weil ich Jettchen gebeten, sie solle machen, daß ich mit ihr wegkäme, und weil ich die Reverenz nicht so schön machte, als ich sollte. – Er streifte seinen Ermel auf und, liebe Rosalia! die beyden Oberntheile seiner Arme waren blau und gelb gekniffen. – Der Unmensch vom Aufseher! Henriette streichelte mit holder rührender Mine, die neuen Flicken, die er zeigte; indem er von andern sagte: die sind alt, der ist von gestern!

O, du armer Gustav, wie web muß das gethan haben! die Jungfer Zwingen kneipte mich auch manchmal, ach, Madame, das thut sehr weh; Sie könnens nicht glauben! Und fuhr der Knabe fort, wir dürfens dem[31] Papa nicht sagen; sonst soll es noch ärger gehen! Ich habe meinem Rock ausgezogen und wollte es Papa weisen, aber Herr Bärenz kam und da lief ich weg; denn ich hatte den Papa früher gefunden, und er küßte mich, da ich sagte, Sie wären da!

Ich führte beyde Kinder, bey einem Durchschnitt der Hecke, in den Wald; setzte mich mit ihnen auf eine Bank. Wolling und die Wärterin kamen nach und ich bat Jungfer Zwingen, dem Junker Gustav seinen Rock zu holen. Wo liessen Sie ihn dann, sauberer Junker? sagte sie mit spitzen Gesicht, weisen Sie mir den Platz.

Der Arme holte tief Athem, sah mich ängstlich fragend an, ob er gehen solle –

Nein, mein Lieber, Er bleibt bey mir; Herr Wolling ist so gütig und hilft ihn holen:

Da sagte er, sein Rock liege am Rosengang: der Platz, wo wir sassen, war die Phasanenhecke. Wenige Minuten nachher da Wolling mit der häußlichen Dirne weg war, und die Kinder und ich ganz stille geschwiegen, kam eine welsche Henne mit acht jungen Phasanen, die sie führte. Junge Tannen-Bäume, Blumen,[32] Kräuter, alles war blühend, gesund und glücklich um uns; und die Kinder des Mannes, der für die Bäume feines Lustwaldes und für die Phasanen so gut sorgte, daß nichts zerknickte, und keins verwahrloßt würde; der überließ seine Söhne und seine Tochter der Gewalt eines Bärn und einer Zwingin, welche Leib und Seele dieser guten Geschöpfe zu Grunde gerichtet hätten; denn, es ist unmöglich, daß ein mißhandeltes Kind, ein gutes Kind werde. Wenn die geringste Stärke, in seiner Anlage ist, so muß sie innere Empörung, Haß gegen unrecht verwendte Gewalt und auch Härte erzeugen. Die fremde Mutter der Phasanen sorgte so treu, so eifrig für ihre angenommene Kinder; und Frau von Pindorf, an dem Platze der Mutter dieser guten Schaafe, bezeugt sich so, daß die Armen eine Zuflucht in meinem Schooße suchen müssen. Alles dieses gab mir wenig Lust, die Damen zu sehen. Unzufriedenheit mit Pindorf schlich sich in meine Seele, aber seine Kinder wurden mir theurer, lieber. Ich sagte ihnen: aber, Lieben, was wird euer guter Bruder. Fritzgen, sagen, wenn ich Euch wegnehme?[33] Er wird trauren, wenn ich dem Papa alle seine lieben Kinder fortführe; was wollen wir da thun, wenn der Papa und der Bruder jammerte? O, der Fritz, der kriegt alles Zuckerwerk und schöne Sachen von der Mama. Er wird auch nicht gekneipt, und er hat mir gesagt: die Mama wollte, daß ich mit wegkäme; da wäre er der einzige Sohn, und würde bey Herrn Bärn alles allein lernen, und dann bey Mama seyn! (das sagte Gustav, und Henriette setzte hinzu:) er weinte nicht um mich, sagte er heut, ob ich wegreißte oder sterbe; weil Herr Bärn sagte: Männer müssen nie weinen, nur Mädgen und alte Weiber, wie Gustav, weil er da weinte.

Die Idee, daß Pindorfs Federvieh weit glücklicher, als seine Kinder sey, erweichte mein Herz unendlich. Ich faßte beyde, und sagte sie sollten mich recht betrachten, ob sie dann mein Gesicht alle Tage gern sehen und mich immer lieben wollten? Mit was für Ausdruck sahen Sie mich an! wie viel Wahrheit und Liebe war in ihren Augen![34]

Sie sind ja schön, sagte Henriette – und Gustav sagte, etwas stockend und nach einigem Auf- und Abblicken an meinem Gesicht: und Ihre Augen sind so gut! ich will Sie immer ansehen! Ich küßte beyde und sprach, wir wollen es also probiren, und ganz munter und freundlich miteinander leben.

Den Augenblick zappelte Henriette, die ihren Vater sah, von der Bank weg und rief: Papa, Papa! Lief aber, als er sich gegen uns wandte, wieder zu mir, und hieng sich an meinem Arm. Gustav bebte. – O bitten Sie für mich! Was er noch sagte weiß ich nicht; meine eigene Bewegung hinderte mich, ihn zu beobachten.[35]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797, S. 17-36.
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