Zwölfter Brief

[58] O, der schöne ländliche Auftritt, voll wahrer Liebe, den ich Ihnen beschreiben will, so wie er nach seinem ersten Eindruck in meiner Seele ist!

Heute kam ein verwittweter Becker aus dem benachbarten Orte zu Herrn G**, und bat, ihm bey der Oberherrschaft die Erlaubniß auszuwürken, daß er die Wittwe eines Weinschenken von R** heyrathen dürfte. – Herr G** sagt' ihm, es würde nicht seyn können; es wären schon mehrere Weinschenken und Becker da. Er hätte Befehl, eine gewisse Zahl zu halten, und würde deswegen die Schenke dieser Wittwe aufheben, da sie ohnehin verschuldet wäre. Hier traten dem guten Becker die Thränen in die Augen. Er flehte den Herrn Oberpfleger noch inständiger an. – Just wegen den Schulden möcht' ich sie haben, sagt' er. Hören Sie mich an! Ich war vor vier und zwanzig Jahren Beckerknecht bey der Wittwe ihren Vater; da war sie das schönste und bravste Mädchen, durch[58] alle Oerter ringsum. Ich hätte gern mein Leben für sie gelassen, so lieb war sie mir; aber ich war zu arm, und ihr Vater hatte viele Kinder, da konnten wir nicht ans Heyrathen denken, und ich mußte leiden, daß sie der Weinschenk kriegte! Da war mirs ohnmöglich, in R** zu bleiben, und weit weg konnt' ich auch nicht. Ich verdingte mich bey einem Becker in B**; da kam ich alle Sonntag und Feyertag in die Schenke, wo mein Bärbela war, und ließ mir einen Schoppen Wein geben. Aber oft zahlte ich den Wein, ohne ihn zu trinken, wenn ich hörte, daß ihr Mann sie anschnurrte. Wenn sie ein Kind stillte, oder wenn sie freundlich mit mir war, das war ein! Das Herz und Hals war mir zugezogen; ich konnte nicht bleiben; und war doch alle Feyertag wieder da. So wars, bis mein Meister starb; da nahm die Wittwe mich. Wir lebten gut mit einander. Ich ging nicht mehr so oft in Bärbeles Haus, obschon ihr Mann gestorben war; aber vergessen that ich sie nicht. Und wie ich Wittwer war und alles von meiner Frau erbte, da freute michs, daß ich keine Kinder hatte, weil ich gleich dachte, die Weinschenkin zu nehmen,[59] und ihr aus Schulden zu helfen. – Lieber Herr Oberpfleger! thun Sie mir doch die Freud verschaffen, daß ich die Frau krieg! »Ey, sie ist ja nicht mehr hübsch!« Das däucht Sie so! Sie gefällt mir als noch, und ich möcht ihr so gern ihre alte Tag ruhig machen! Sie hat sich so viel mit ihren Kindern und ihrem Mann geplagt! Wenn ich sie nur acht Tag' hab', da vermach' ich ihr alles, und sie ist doch mein gewest! – Herr G**. wurde bewegt; der Becker merkt' es, und streckte seine Arme nach ihm, mit der wiederholten Bitte, ihm zu dem letzten Glück zu helfen; er wolle gewiß ein guter Unterthan seyn, und Gott und Herrn G** für seine Frau danken. Er freue sich schon so viele Wochen darauf, seit er Wittwer wäre; wenn es nichts würde, so kränke es ihn todt. – Herr G** gab ihm die Hand, und versicherte ihm seiner Fürsprache. Das erleichterte mir und Madame G** das Herz; denn wir hatten im Nebenzimmer alles gehört, und wären gerne gekommen, für den Mann zu bitten, aber wir durften nicht. Bey der Zurückkunft ins Zimmer sagte Herr G** zu mir: Nun haben Sie einen Bauern-Roman[60] gehört! Das war dauerhafte Liebe! Er soll sie haben! – O, ich danke Ihnen dafür, sagte ich, ganz bewegt; und Frau G** fuhr fort: Was für Gepränge würde ein Mann von Stande machen, wenn er solche zärtliche Gesinnungen für seine erste Geliebte behalten hätte!

Mich, Mariane, freute seine Begierde, ihr Gutes zu thun, ihre Schulden zu bezahlen und ihre alten Tage ruhig zu machen! – War nicht der ganze Gang seiner Leidenschaft schön? voll redlicher Zärtlichkeit, ob er sie schon nicht nach unsrer künstlichen Sprache ausdrückte? –

Herr G** sagte, dies wäre der zweite sonderbare Charakter, den er unter den hiesigen Landeinwohnern gefunden hätte, indem vor zwey Jahren, da ein jung verheyratheter Bauer, wegen eines großen Vergehens, auf vier Jahre zum Schanzen verurtheilt worden, sein noch ziemlich gerüsteter Vater gekommen wäre, und sich angeboten, die Strafe für seinen Sohn zu tragen, und zur Ursach anführte: Er hätte noch Kräfte genug, vier Jahre zu arbeiten, so daß die Herrschaft nichts verlöhre; stürbe er dann, so wäre alles vorbey,[61] wo hingegen sein Sohn, ein junger starker Mann, seine Schande lange Jahre mit sich tragen, und auch seine arme Kinder darunter leiden würden. Nun könnte er sich bessern, und die vier Jahre über seine Güther wohl bauen und noch lange ein braver Mann seyn, damit wäre den Kindern und der Herrschaft mehr gedient, als mit ihm alten Mann, den das Unglück seines Sohnes zur Erde drücken würde! – Herr G** stellte ihm vor: er könne den Unschuldigen nicht anstatt des Schuldigen strafen. Der alte Mann sagte: Vater und Sohn wär' einerley. – »Euer Sohn würde das für Euch nicht thun.« »Darum ist er auch mein Sohn, und nicht alt genug, alles recht einzusehen.« – Herr G** gab einen Bericht an die Regierung über diese Sache, und der junge Bauer wurde wegen seines treuen Vaters begnadigt. – Mit gerührtem Herzen dankte ich Herrn G** für diese Erzählung, und pries ihn glücklich, diese Herzen bey seinen Untergebenen zu haben, und setzte hinzu, nun wäre mir Herrn Grays schöne Elegie auf einem Landkirchhof noch werther, als sonst! Er kannte sie nicht; aber, da ich sie immer in meinem Taschenbuch[62] habe, so gab ich sie ihm zu lesen. Sie gefiel ihm, und er ging hin, sie abzuschreiben, wie ich in mein Zimmer, um Ihnen diese zwey Anekdoten mitzutheilen. Sehen Sie sie als moralische Gemählde an, die ich auf meiner Reise zeichne, wie ein wandernder Landschaftmahler in seine Schreibtafel eine Gegend zeichnet, die seine Kenntniß rührt, und mit Dankbarkeit die Bäume bemerkt, unter deren Schatten sein Aug' desto freyer umher sehen konnte; noch weniger den kleinen einsamen Bauerhof vergißt, dessen Strohdach den Landmann deckt, der mit fleißiger Hand die Fluren umher anbaute, die so schön blühende Bäume zog, und das Bächelchen durch die Wiese leitete, welche zusammen dem Schönheit fühlenden Auge des geistreichen Mahlers so viel Reize zeigte. Er denkt: Ich will dich mahlen, kleine Hütte, die dem Manne zur Obhut dient, dessen Rechtschaffenheit ich auf seinen Feldern und Wiesen sehe! Ihr fruchtbaren Bäume, die ihr, von ihm gepflanzt, unter seiner emsigen Aufsicht in die Höhe wuchset, ihr sollt mein Gemählde, so wie diese Gegend verschönern! Vielleicht bleibt der getreue Abriß von dir, holde ländliche Aussicht! wenn[63] einst die Verheerung eines unseligen Krieges dich, Hütte, verbrannt, deine Bewohner verjagt, und die blühenden Bäume abgehauen hat! – Er schließt seine Schreibtafel, blickt noch mit einem segnenden Aug' auf das kleine Bauerguth, und sagt: Wie viel bist du glücklicher, armer Mann, als manche Reiche, die ich kenne! Ein jeder Blick, den du auf den Krais deines Lebens thust, zeigt dir aufwachsendes Gutes, so deine Hand säete und pflanzte; du kannst allezeit bey dem Untergang der Sonne, mit Zuversicht, um Segen für die Arbeit deines Tagwerks bitten, welches nicht alle Große, nicht alle Mächtige thun können, wenn der Schlaf ihre Augen schließt. –

Ich habe zwey moralische Scenen aus der Bauerwelt aufgezeichnet, deren Andenken der Zufall erhalten kann, wenn auch die verdorbene Sitten der Nachkommen die schöne Triebfedern dieser Auftritte auf lange Zeit zerstören sollten. –

Rosalia.[64]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 58-65.
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