Fünfter Brief

[19] Mein letztes Schreiben war klein, sagen Sie? – Ich fühlte es auch, meine Freundinn; aber, ich mußte abbrechen, weil ich mit meinem Oheim zu Gast essen mußte. Ich dachte aber nicht, daß der Verdruß, mich von Ihnen loszureissen, durch einen ganz eigenen Auftritt begleitet seyn würde.

Der Sohn des Hauses, wo wir assen, erzählte bey Tische seiner Schwester, daß sein schöner Freund St**. diesen Morgen von der alten Frau von B**. einen vergoldeten Becher zum Geschenk bekommen hätte. – Der Vater fragte nach der Ursache. – Es war Vorgestern früh, wegen des kleinen Regens, sehr übel die Berggasse hinunter zu gehen; die alte Frau von B**. wollte von ihrem Neffen nach Hause, und sorgte, sie möchte fallen, bat daher oben am Berge eine junge Magd, die im Hinuntergehen begriffen war, sie möchte sie mitnehmen und führen! Das unbesonnene Ding sagte ihr: alten Weibern[19] gebührte bey schlimmen Wetter zu Hause zu bleiben u.s.w. Herr St**. sprach mit mir, oben am Eckhause, sah die Thräne der alten Frau, und hörte die schlechten Reden der jungen Dirne, packt diese beym Arme: »Schweigt,« sagt er, »elendes Ding, und geht eurer Wege,« und reicht hierauf der Frau von B**. seinen Arm: »Wollen Sie, ehrwürdige Frau, sich auf meinen Arm stützen? Ich will Sie mit kindlicher Sorgfalt nach Hause führen.« Meine Alte sieht ihn an, ergreift seine Hand, und sagt gerührt: »Ja, führen Sie mich, mein schöner Sohn! Gott wird Ihre junge Jahre zu glücklichen Jahren machen, weil Sie sie so edel gebrauchen.« – Mein St**. bringt sie in ihre Wohnung, wo sie nach seinem Namen und Aufenthalt fragte, und heute früh schickte sie ihm einen vergoldeten Becher mit der Umschrift: »Zum gesegneten Andenken der liebreichen Begegnung der blühenden Jugend gegen das welkende Alter. Von Elisabetha von B**. an Hrn. St**.« – Mit Eifer sagte ich: Ihr Freund hat dieses Geschenk auf eine edle Art verdient, ich geb' ihm auch meinen Segen. – O, erwiederte er, bey seiner artigen Braut war er nicht so[20] glücklich, Beyfall zu finden. Sie wissen, sagte er zur Gesellschaft, daß St**. der schönste junge Mann ist, den man sehen kann, so wie die Frau von B**. die garstigste Alte, die noch dazu die Kleidung unserer Urälter Mütter trägt, St**. ist hingegen allezeit nach dem neusten Geschmack und in muntern Farben geputzt. Hierauf stützte das Fräulein von A**. ihren Spott, und trieb ihre Anmerkungen über die Verschiedenheit der Gesichter und Kleidung so weit, daß ich nicht weiß, wie es gehen wird, denn sie hat die enthusiastische Seite meines guten St**. verwundet.

Er kommt doch zu uns in die Gesellschaft, fiel die Schwester ein. – Ich zweifle sehr! Aber sie kommt gewiß, denn sie will mit Dir über ihn lachen, besonders da sie gehört hat, daß die junge Magd, die er so wegschleuderte, ein artiges Gesichtchen wäre. – Gegen Abend kam die Gesellschaft; die Braut auch, welche eine von den niedlichsten weiblichen Figuren ist, die ich jemals gesehn habe. Gleich sing sie an, die Beschreibung des Auftritts zu machen; von den Runzeln und der braunen Gesichtsfarbe der alten Frau zu reden,[21] auch gleich den Hrn. St**, bey seinem Eintritt ins Zimmer, damit aufzuziehen. –

So schön als dieser St**. mag Antinoiis gewesen seyn, als er sich mit sechs und zwanzig Jahren der Miene des männlichen Alters näherte. – Er trat mit etwas ernsten Gesichtszügen gegen die Frau vom Hause, ohne dem Fräulein von A**. eine Antwort zu geben. Diese fuhr unbesonnen fort: Es fehle ihm nichts, als die Falten und die Warzen der Frau von B**, so würde er eben so knurrig aussehen, wie sie! – Aber, ohne seine Braut anzublicken, kam er zu mir, küßte meine Hand, und sagte mit Bewegung: »Ich danke Ihnen, mit aller Empfindsamkeit meines Herzens, für den Segen, mit welchem Ihr schöner Mund die Erfüllung einer meiner Pflichten belohnte.« –

Denken Sie sich, meine Mariane, mein Erstaunen und die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft, welche mein Oheim zu einer unmäßigen Höhe trieb, da er einfiel: »Gewiß, meine Rosalia hätte über eine schöne Handlung der Nächstenliebe niemals gespottet. –[22] Ich weiß noch, wie mit vieler Achtsamkeit Du mit dem häßlichen und unfreundlichen Vater meiner Baase umgiengest!« – O, mein Oheim, sprach ich ganz verwirrt, alle Welt muß sagen, daß Sie zu viel Güte für mich haben! – Auch sahen alle meinen Oheim, mich und Herrn St**, an. Dieser hatte seine Augen auf mich geheftet. – Meine Bestürzung war ihm leid, und er wandte sich an den nächsten Tisch: »Spielen Sie fort, ich bitte recht sehr! die Schönheit der Seele ist allezeit mit Bescheidenheit verbunden. – Die Mademoiselle C**. will nicht mehr umsehn, da sie Sich so bewundert sieht.« – Ich gieng mit der Frau des Hauses in ein Fenster, wo ich mich über ihren Sohn beklagte, der die Ursache dieser Scene war, da er seinem Freund von meinem ihm ertheilten Lobe gesagt hatte. Es schmerzte mich, dem Herrn St**. zu seiner Rache Anlaß gegeben zu haben. – Gerne wäre ich zu dem Fräulein von A**. gegangen, und hätte mit ihr gesprochen, aber sie warf Feuerblicke gegen mich und meinen Oheim. Endlich ging sie weg, ohne vom Herrn St**. etwas anders, als eine tiefe Verbeugung erhalten zu haben. Nun[23] redte ihm alles zu, sich wieder auszusöhnen! Ich bat ihn darum als um eine Genugthuung für den Verdruß, den mir die Rachsucht seiner Eigenliebe dabey verursacht hätte. »O, verdammen Sie mich nicht,« sagte er, »Ihr Mißvergnügen durchbohrt mein Herz, aber, es ist unmöglich, ganz unmöglich, daß ich meine Verbindung mit dem Fräulein von A** vollziehe. Wir haben uns betrogen! es ist keine Simpathie unter unsern Seelen!« – Ich eilte durch ein Nebenzimmer fort; und zu Hause sagte mein Oheim bey der Wiederholung, daß oft die Umstände den Werth einer Handlung erhöhten oder verminderten. – Wäre der junge Mann weniger schön, oder hätte er diesen schuldigen Dienst der Menschenliebe einer schönen Frau angeboten, so hätte man nicht davon geredet. – Hätte seine Braut nicht gespottet, da ihn andere lobten, so hättest Du keinen Liebhaber an ihm bekommen; und gewiß hätte die alte Frau einem übel aussehenden Menschen kein so schönes Geschenk gemacht! – Das schlimmste ist, sagte ich, daß die Tugenden der Nächstenliebe so selten geworden sind, sonst würde man ihn nicht so gelobt und beschenkt haben! Aber[24] zum Liebhaber möchte ich keinen jungen Mann, der alles so arg nähme, und mir sein Herz nur in dem Augenblick seiner geschmeichelten Eigenliebe anböte.

Sagen Sie mir was über diesen kleinen Vorfall in der Liebeswelt! Der junge G**. war heut bey uns und versicherte, daß die ganze Heyrath aufgehoben wäre. St**. gäbe keinen Menschen mehr eine Sylbe Antwort, der vom Fräulein von A**. redete. –

Schönheit und Reichthum machen also auch Männer zu Stutzköpfen. Dennoch bekenne ich Ihnen, daß mir der Unmuth des von St**. sehr edel scheint. Denn auf was für einen andern Grund können wir daurende Liebe bauen, als auf übereinstimmende Neigungen?

Herr St**. unterbrach mein Schreiben. Der Mann ist wunderlich! er will mich und meinen Oheim überzeugen, daß der gestrige Tag hinreichend gewesen sey, ihm den ganzen Werth meines Charakters zu zeigen. – Ohne Zweifel denkt er dabey auch mir seine Verdienste bewiesen zu haben! – O, meine Mariane, wie froh würde ich seyn, von hier abzureisen, aber ich habe noch wenigstens drey Monathe hier auszudauren! –[25]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 19-26.
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