Zwey und sechzigster Brief

[452] Von Frau von Guden.


Rosalia! auch nach dem, was Ihr so rechtschaffener Oheim Ihnen vom Wissen der Mädchen sagte, und worinn alles Nöthige begriffen ist, was zum sichern Leitfaden auf dem Wege des deutschen weiblichen Verdienstes dienen kann; auch da noch wollen sie meine Gedanken und das geschrieben wissen, was ich von Ihnen, als Mädchen, denke?

Als Tochter und Richte eines Raths; in den vortheilhaften Umständen eines hinreichenden Vermögens, und bey so viel Unabhängigkeit sind Sie, nach Geist und Herzen, wie ich Sie verlange. Meine vertrauten Unterredungen und meine Liebe haben Sie, hoffe ich, davon überzeugt. Ob aber auf dem Grunde Ihres jetzigen Glücks auch die Keime Ihres künftigen Wohlstandes aufwachsen, weiß ich nicht; weil ich ihren Cleberg nicht kenne, und mit ihm, um es freymüthig zu sagen, eben weil sie so wenig von ihm reden, und mir auch keinen Brief von ihm weisen, ganz unbekannter[452] weise unzufrieden bin, und gewiß glaube, daß der Ton seines Kopfs sehr verschieden von dem Ihrigen und Ihres Oheims seinem ist. Eben auch hier mein Kind, liegt mein Zweifel an Ihrem künftigen Glücke. Nur au sich, nur an Ihren Oheim gewöhnt; so lange gewöhnt – Sie werden Opfer machen müssen. Rosalia! Lieben Sie stark genug, um dieses ohne bittern Schmerz, ohne heimlichen Widerwillen zu thun? Der Uebergang aus der väterlichen Gewalt, unter die Obermacht eines Manns, dünkt mich nicht so schwer, als der, von Ihrem Oheim zu Clebergen: wenn es nicht das völlige Hingeben der wahren Liebe seyn sollte, die freylich nur viel geben zu können wünscht. – Aber, ich soll ja wissen, daß Sie ihn lieben, und mich nur an Ihren Platz stellen, besonders in dem Falle, da Sie, edles gutes Mädchen, Ihren Oheim dahin zu bringen suchen, sein Vermögen, das er Ihnen zur Hälfte geben wollte, in drey Theile zu legen, damit die Kinder seiner zweyten Schwester, und eine Familie ärmerer Verwandten gleiches Erbe mit. Ihnen bekommen mögen. – Ihre Berechnung, daß Sie durch Ihre Reise mit ihm, da er alle Ausgaben für[453] Sie übernimmt, so viel an Ihrem väterlichen Vermögen ersparen, daß Ihnen das Opfer dieses Drittheils gänzlich ersetzt werde, diese Berechnung, meine Liebe, ist gewiß einer der schönsten Züge Ihres Lebens; weil nicht jugendliche Freygebigkeit, sondern Menschenliebe und Gerechtigkeit, Sie dazu führten. –

Cleberg hat es gut geheißen, gelobt, ob er schon sahe, daß sein eigner künftiger Wohlstand dadurch vermindert wurde. Ich bin überzeugt, daß es ihm Ernst war; denn, in seinem Alter ist immer Großmuth bey der Liebe; und persönliche Sorgen fühlt er auch nicht. Aber ein Wink lag in Ihrer Erzählung; als ob Sie fürchteten, er möchte darüber einmal anders denken; und das würde Ihnen weh thun. – Nun, Rosalia! will ich an Ihren Platz treten, und sagen, was ich thun würde. Cleberg ist, mit all seinen Vortreflichkeiten, ein Mensch. Vielleicht zeigt sich das Unvollkommne, das er mit uns allen gemein hat, gerade auf dieser Seite. Die an meinen Verwandten bewiesene Edelmüthigkeit möchte ich nicht zurück nehmen: aber den Abgang des Erbes will ich zu ersetzen suchen. Und da die Einrichtung des Hauses sammt der Obsorge[454] darüber, nebst meinem Kleidervorrath, ganz allem von mir abhängt; so will ich in beyden alles Ueberflüßige und Kostbare vermeiden. Die Eigenschaft des Neuseyns giebt ohnehin auch den mittelmäßigsten Sachen einen Schimmer. Wenn ich, nebst der Dauerhaftigkeit, Farben und Formen von gutem Geschmack wähle, und mich der Kunst befleiße, alles an seinen rechten Ort, und in sein gehöriges Licht zu stellen: so kann mein Hauswesen und meine Person das Ansehen von Wohlstand haben, das man bey uns suchen wird, ohne daß ich so vieles Geld darauf verwende. Mit den einfachen Farben meiner Kleidung soll alles Uebrige einstimmen. Ein neuer Ehemann, und die Besuche sind ohnehin nur bey den ersten Erscheinungen auf das Glänzende erpicht; und dieses sollen sie in meinem wohlgewählten Hausrath und Putze, noch mehr aber in meiner Heiterkeit, Gefälligkeit, Anstand und Würde finden. Reinlichkeit in meinem ganzen Hause, Nettigkeit und Sorgfalt im Anzug und Bezeigen meiner Person, soll die Zufriedenheit meines Mannes unterhalten; und dieser Ton von Mäßigkeit, ununterbrochen fortgesetzt, wird wir Ehre und Nutzen bringen.[455] Ueber all dieses aber will ich eine ordentliche Rechnung führen; und wenn mein Cleberg durch die Zeit an diesen Ton gewöhnt, und überwiesen seyn wird, daß ihm und seiner Rosalia durch den Mangel der Pracht nicht das Geringste von der Hochachtung der Vernünftigen verlohren gegangen ist: so bleibe ich dabey meinen Vorzug in dem Ruhme der Rechtschaffenheit meines Manns und meiner Bescheidenheit zu suchen. Ich nähme auch wohl die, uns so oft vorgeworfene, weibliche Eitelkeit zu Hülfe. Die gute Bildung meiner Person; edle, angenehme Geberden, geschickte und nützliche Arbeiten, Höflichkeit, Güte, Verstand und Munterkeit meiner Gespräche: alles dies müßte in meinen Plan des Ersatzes meiner großmüthigen Abgabe des größern Erbstückes. In wenigen Jahren wäre es gewonnen, und noch dabey den schwachdenkenden Personen meines Geschlechts der Schmerz des neidischen Gefühls über Kostbarkeiten erspart, die sie sich nicht verschaffen konnten. Und, Rosalia, unter uns gesagt, der Zweck des Lobes und Gefallens, den wir alle haben, würde doch, und zwar bey den besten Männern erreicht, die diesen vereinigten[456] Eigenschaften gewiß Beyfall und Verehrung schenken werden. – Dann fände sich einmal eine Stunde, in der ich Clebergen die Rechnung über die verschenkten und ersparten Summen vorlegen könnte; wo gewiß ein edelmüthiger Mann mit meinem Geben und Halten vergnügt seyn würde. –

Ich habe in meinen jüngern Jahren eine Frau gekannt, die auch sehr wohlthätig, aber mit einem Manne verbunden war, der etwas Härte in seinem Charakter hatte, seiner Frau aber bey ihrem Putz alle Freygebigkeit erzeigte. Sie nahm von ihrem, zur Kleidung und Anzuge bestimmten Gelde, schaffte sich neue Sachen, aber minder kostbar, so daß sie an ihrer Pracht so viel ersparte, daß sie eine Familie unterstützte, ohne die Ausgaben ihres Hauses zu vermehren. – Möchten wir nur im Privatstande, besonders in Familien, wo das Vermögen allein in der Besoldung des Mannes besteht, die Idee des Unterschieds und Hervorthuns vor andern Ständen, auf die Seite der übenden Tugend, angenehmer Kenntnisse, schöner Handarbeiten, und Liebenswürdigkeit des Umgangs legen: so würden weniger unglückliche Herzen und verkehrte Köpfe unter uns[457] seyn! Ich bin aber gewiß, daß das Elend und die Langeweile, die man am Ende des Weges von dem Modeton antrifft, unsere im Grund immer deutsche Seelen auf das Abweichen von dem edlen, reinen Pfade ihrer ursprünglichen Anlage aufmerksam machen, und unsere Töchter und Enkelinnen dahin zurück leiten wird. Vielleicht entsteht noch aus deutschem Fürstenblute ein Beherrscher über den größten Theil unsers mütterlichen Bodens, der von vaterländischem Geist beseelt, Sitten und Gebräuche untersuchen und durchsieben wird; wo alles Spreuartige und Nachgeäfte verworfen, und sogar eine eigene Kleidungsart eingeführt werden wird. Wir haben einzelne Beweise genug, zu was für einer Höhe der Vollkommenheit des Gründlichen und Schönen der Deutsche in Wissenschaften kommen kann. Und wenn wir, wie Franzosen und Engländer es thun, natürliche Fähigkeiten, deren jede Nation eigenthümlich ausgezeichnete besitzt, mit Vaterlandsliebe, hauptsächlich allem Fremden vorziehend, anbauten und zur edlen Stärke und Schönheit erhöheten: so vergrößerten wir unser eignes Verdienst; hätten eigene Freuden, eigenes Glück. Die Hochachtung anderer[458] Völker wäre Tausch gegen die unsere; und nicht, wie jetzt, unser Beyfall ein Tribut, den wir ihnen schuldig zu seyn, und der ihrige ein Geschenk, so sie uns zu machen glauben. Aber wir verzehren einen großen Theil unserer Urkräfte im Nachahmen, und werden, wenns hoch kommt, als Lehnträger fremder Güter angesehen. Wir verbrennen halbe deutsche Wälder, um einige schmachtende fremde Pflanzen in unsern Glashäusern zu haben.[459]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 452-460.
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