Fünf und siebzigster Brief

Madame Guden an Rosalien.

[195] Segnen Sie mich, Rosalia! oder vielmehr segnen Sie uns Alle. Das Haus, die Scheune, alles in Wollinghof ist fertig, sogar die Schreinerarbeiten, alles; denn diese Letztern besorgte der Beamte in einem benachbarten Dorfe, das auch dem Herr von Mahnberg gehört und geschickte Handwerksleute hat. Frau Mooß hatte alles über sich genommen, was Betten, Küchen- und Hausgeräth anging. Es geschah dadurch ihr und uns ein großer Dienst, denn sie reiste nach der Stadt W**, um einzukaufen und konnte zugleich ihre Verwandte besuchen, die sie lange nicht gesehen hatte. Ich bemerkte an ihr Freude und Verlegenheit,[195] als ich sie bat, mir diese Gefälligkeit zu erweisen, und lange dauerte es, bis die gute, redliche Frau mir gestand, ihre besorgliche Mine komme daher, weil sie einen Verwandten dort habe, dem sie schuldig sey; weswegen sie auch schon einige Jahre nicht in die Stadt gegangen, weil sie nicht im Stande gewesen, es abzutragen. – Der Harm der Mutter, der ehrliebenden Frau, des edlen, uneigennützigen Weibes, alles lag in ihrem Gesichte. Ich hatte unsägliche Mühe, sie dahin zu bringen, daß ich den Abtrag ihrer Schuld besorgen durfte. Wie reichlich hat ihr dankbares, rechtschaffnes Herz die Zinsen davon abbezahlt! indem sie Alles auf das Beste besorgte. Ich konnte den Mann ohnehin nicht bewegen, meine Hülfe anzunehmen, als durch den Ausweg, ihn zum Rechnungsführer des ganzen Baues und meiner Renten zu machen, und darüber eine jährliche Besoldung zu bestimmen, die er nun als auf so viel Jahre zum voraus empfangen betrachtet. Wie gern willigte ich in diesen Gedanken, der ihn von Verbindlichkeit und mich von Besorgnissen befreyte. Wie sehr ich dabey die strenge Beobachtung seiner Pflichten verehre, kann ich[196] nicht genug ausdrucken; da er mir nicht im mindesten deswegen gefällig zu seyn suchte und ganz genau auf die abgemeßne Gränze unsers Guths schaute, so daß nicht eine Spannebreit mehr auf unser Feld und Waldung kam, als im Kaufbrief aufgesetzt war. Ich achte dies als einen herrlichen Zug.

Meine Wollinge kämpfen mit der Idee des Glücks, ich seh es; denn oft ist mehr Ausdruck vom Schmerz, als Freude, in ihren Augen, wenn sie das nun recht gut dastehende Haus anblicken. Alles ist schon so ausgetrocknet, daß wir in acht Tagen darinn wohnen werden. Das Haus ist sehr breit, aber nur zwey Stockwerk hoch; keine doppelte Zimmer, aber auf beyden Seiten des Thors vier geräumige Stuben gegen Mittag, und gegen den Hof zu, einen breiten offnen Gang, über welchem in dem zweyten Stock auch einer herumläuft, der auf Pfeilern ruht. Da konnte die Luft alles recht bald trocknen. Seit vierzehn Tagen wurde bey offnen Fenstern in allen Zimmern Feuer angemacht, und in der Küche gekocht. – Vorgestern hat der Beamte alles Hausgeräth in der Nacht herführen lassen, weil, wenn alles an Ort und Stelle[197] steht, und es lauter einfach aussehende Sachen sind, es nicht so viel zu seyn scheint, als wenn es auf Wagen herbeygeführt und abgeladen wird. – Dieses Ansehen von vielen Sachen wollte ich der feinen Empfindung meiner Wollinge ersparen, und lasse ihnen deswegen das Haus nicht sehen, bis alles eingerichtet ist. Meine Wohnung, –– die werden Sie, hoff ich, selbst sehen, wie das Uebrige. ––

Herr Wolling spielt die Flöte recht artig zu meinem Klavier, und ich versichre Sie, daß unsre Abende sehr schön sind. ––

Unser Gemüsgarten steht voll Wintervorrath. Der Baumgarten ist schon völlig zugerichtet damit man die von Wolling gezognen Bäume, die er verkaufen wolte und andre, die ich kommen lasse, einsetze. Alles in Ordnung geräumt, alles zu kleinen Verzierungen vorbereitet. Schmerzhaft war mir der Abschied, den die Arbeitsleute nach und nach nahmen. Ich schenkte jedem noch ein Stück Geld und Alle verliessen uns mit bewegtem Herzen und ihrem Segen dabey. ––

Meine Meta trauerte alle die Tage darüber. Ich fragte sie, warum? »Ach, sagte sie, die Leute waren so glücklich und so gut[198] um Sie herum; vielleicht werden sie bald wieder elend, und bös dabey; – und beydes jammert mich.« ––

Einer hatte noch den letzten Sonnabend, da Alle des Abends um mich herum aßen, so herzlich gesagt, sie wünschten alle, daß ich eine Stadt zu bauen hätte; sie würden gern weniger Lohn nehmen, nur in meinen Diensten zu seyn. – Mit diesem war das liebe Mädchen gar sehr zufrieden und hoft auch Gutes für ihn, weil er dadurch sein Gefühl für Tugend angezeigt hatte. ––

Ich glaube, Rosalia, es ist Ihnen lieb, daß ich noch diese Tage über verzog, diesen Brief abzuschicken, weil Sie nun zugleich hören können, daß wir würklich in Wollinghof wohnen. ––

Herr Mooß, und seine gute Frau hatten alles so wohl besorgt, daß nicht das geringste, so zu einer Landhaushaltung gehört, vergessen war. Alles gut, alles nett und simpel, wie ich es verlangt hatte. Nirgends der Schein von Pracht noch Ueberfluß. Auch nirgends nichts schlechtes, nichts häßliches; aber überall nur, was hingehörte und nöthig war. –[199]

Ich redte mit Wolling ab, daß wir seine Frau hindern wolten, einen förmlichen Abschied von ihrer Hütte zu nehmen. Sie ist nicht ganz wohl. Eine Erschütterung schadte ihr zu sehr. Ich bestelte also ein Abendessen für uns und für das Gesinde, im Wollinghof. Meine Meta besorgte dies und die Zubereitung der Betten, mit den zwey Mädchen recht gut. Es sollte niemand Fremdes bey uns seyn. Mein Mahnheimer Bauer hatte zwey Glucken setzen müssen, die von sehr schöner Art sind. Die Küchelchen sind vor zwey Wochen schon ausgekrochen. Beyde Mütter wurden aber mit ihren Jungen gewöhnt in zwey großen Hühnerkörben zu fressen und zu schlafen. Diese ließ ich bringen, sagte der Frau Wolling ganz ruhig, unser Bauer brächte den Abend zwey hübsche Hennen mit ihren Küchelchen, die wolten wir den Kindern im Hofe auslaufen lassen, um zu sehen, was für Freude sie haben, und ob ihre Vorliebe für ihre alten Hühner sich da stark zeigen würde. – Sie war sehr mit dem Gedanken zufrieden; ich glaube auch deswegen, weil sie doch auch etwas neugierich auf das Innere vom Wollinghof seyn mochte, –– Wir gingen also bin.[200] Die Körbe standen im Hofe, die Hühnchen piepten um Fressen. Die Kinder bewunderten die schönen Thierchen, waren aber gleich wegen des Hungers beängstiget und Carl wolte laufen, um was aus der Hütte zu holen. Ich winkte da meiner Meta, die schon unterrichtet war und gleich den Kindern zurief, sie möchten mit ihr kommen, sie wolle ihnen was geben. Sie machte die Vorrathskammer auf, und gab jedem ein hölzernes Schüsselchen voll Hühnerfutter. – Frau Wolling blickte hinein, wurde roth, ihre Augen fülten sich mit Thränen, die sie aber wieder zerstreute, und ihren Kindern emsig zusah, ohne ein Wort zu reden. – Indessen ging ich mit ihrem Mann an eine Gitterthür, die unter meiner Wohnung in den Baumgarten führt, und bat ihn, seine Charlotte zu mir in das nächste Zimmer zu bringen, da die Kinder und Meta im Hofe waren und die erste Bewegung schon in ihr angefangen hätte. Er konnte nicht sprechen, sondern machte mir eine Verbeugung. Meta wußte, daß sie die Kinder aufhalten sollte, bis man sie rufen würde.–Die beyden Lieben traten wankend in das Zimmer, wo ich sie erwartete. Ich nahm Frau Wolling bey der Hand und[201] leitete sie gegen eine von den Polsterbänken, die in den zwey Fenstern stehen, setzte mich da dicht neben sie, nahm dann ihre beyden nur so hinhängenden Hände in meine, küßte sie. –– »Nun, meine theure Charlotte! sey mir willkommen in Deinem Hause. – Gott segne diese ersten Augenblicke, und lange künftige Jahre, mit der Tugend Deines vergangnen Lebens – und mit dem Glück, so Du verdienst.« –

Sie sank an mich; ich umfaßte sie. Zum Glück weinte sie laut. Ich vergoß stille Thränen. – Der Mann betrachtete uns, mit gedrängtem Herzen, – stürzte mit ausgebreiteten Armen vor uns hin und umfaßte so, stumm, aber mit dem stärksten Ausdruck männlicher Freude und Liebe uns zugleich. –

»Charlotte! van Guden!« – war alles, was er nach einigen Augenblicken sagen konnte. – Dann faltete er seine Hände. –– »Gott! – gütiger Gott!« – seine Lippen bewegten sich noch still. ––

Rosalia! niemals ist reineres Dankopfer zum Himmel gestiegen, als in den Blicken dieses edlen Mannes, die er aufs höchste erhob. Die Abendsonne beleuchtete ihn; alle[202] Züge seines Gesichts voll Redlichkeit, voll Ergiessung seiner Seele. – Ich hatte mich zu dem Auftritt vorbereitet, ich konnte beobachten.

Ich sagte seiner Frau und zeigte auf ihn: »Sieh, liebe Charlotte! dies ist die Einweihung Eures Hauses. Gott sey Dank daß er mir diesen seligen Anblick gönnte.« ––

Hier ergriff Wolling eine meiner Hände und eine von seiner Frau, küßte sie wechselweis, während daß Thränen über seine Wangen flossen. Seine Frau küßte mich nun auch – und ich nahm mein Schnupftuch, wischte ihr und Wollings Gesicht damit ab, faßte es zusammen: »Ich will sie verwahren, diese vereinigten Thränen Eurer Herzen. – Zufriedne Tugend und Freundschaft vergossen sie; – es können keine schönere geweint werden.« ––

Dies gab ihrem Gefühl eine neue Wendung. Er blickte mich und sie an, deutete auf mich: – »Unsre Mutter! unser Haus!« – küßte nochmals meine Hand! – »edle, großmüthige Hand! ich verehre, ich segne dich. Gott! wird dich belohnen.« – Und da gab er sie Charlotten zu küssen.[203]

Ich sagte: »Meine Kinder, Euer Dank und Segen ist mir eben so werth, wie Euer Glück. Ich hoffe, daß wir lange beysammen leben werden. Gott hat uns zu diesem Vergnügen geleitet, nun wollen wir es geniessen. Heut Abend hab ich die Küche besielt; Morgen muß Frau Wolling die Mühe über sich nehmen;« – und damit stund ich schnell auf und ließ sie beysammen allein, wo nun Wolling seiner Frau sagte, daß wir da blieben. – Die beyden Tische, so links und rechts an dem Thorweg an der Mauer fest sind, die man zu Hausarbeiten und zum Essen in der schönen Jahrszeit herunter läßt, wo an dem einen das Gesind die Bänke von der Seite hinstellt, und wir auf der andern, unsre hübschen Strohstühle: – Diese Tische waren gedeckt, und mit etwas Milch und Mehlspeisen besetzt. Carl mußte seine Eltern zum Essen rufen. Ich, Meta, Lottchen und Nanny sassen auf einer, Wolling, seine Frau und zwey Söhne auf der andern Seite, wo sie auf den Gesindetisch sehen, und durch den Blick, als Hausherr und Hausfrau, Ordnung halten und Befehle geben konnten. Frau Wolling aß wenig. Es war mir lieb und sie[204] hatte große Freude über ihre zwey ältern Kinder daß die noch mit Meta in die Hütte gelaufen waren und ihre vier Hühner geholt hatten, damit diese auch im schönen Hause schlafen und Morgen gleich die neuen Hünchen sehen könnten.

Nachdem das Gesind aufgestanden und die Kinder noch ein wenig herumgelaufen waren, sagt ich: »Charlotte du mußt mich in mein Zimmer führen, Herr Wolling leuchtet uns.« – Das geschah und Meta legte indessen die Kinder zu Bett. Carl schläft an dem Arbeitszimmer seines Vaters, das gerad am Thor ist und ein Gitterfenster in den Thorweg hat; die Andern am Schlafzimmer der Eltern. – Den andern Morgen kamen die lieben Geschöpfe alle vier mit Vater und Mutter, und brachten mir Blumen und dankten für die guten Betten. – Ich sagte Carln, er möchte die Flöte holen, wir wolten sehen, wie mein Klavier hier lautete. – Ich unterbrach hierdurch neue Aufwallungen der Frau Wolling. – Den andern Tag wars Sonntag; wir gingen nach Mahnheim in die Kirche und nahmen den Beamten und seine Frau mit uns zurück. Frau Wolling machte die[205] Hausfrau mit vielem Anstand. – Nachmittags kamen alle Moosische Kinder, und gegen Abend unser Bauer, der die Feldarbeiter ansagte – und mit Wolling herumging. –– Der ältere Sohn des Herrn Mooß will sich nun auch darauf befleissen, daß Nutzen und Zierlichkeit verbunden werde; nichts ändern, nichts ausreißen. – Aber hie und da einen Rasen oder Obstbaum setzen und etwas düngen, daß er wohl fortwachse; die Hecken schneiden, für die Wege sorgen. ––

Unsre Entwürfe für den Berg sind gar herrlich und ziemlich einfach dabey. Eine Phantasie, die ich bey der Form unsers Daches angebracht haben wollte, ist Ursach, daß wir eine köstliche Entdeckung machten. Man brauchte einige Stämme von Natur gebogenen Holzes; die mußte man im ganzen Wald umher aufsuchen und gerieth auf eine schmale Höhe des Bergs, wo man ihrer viele fand, die man alle abhauen ließ um sie nachmals zu Wagnerarbeit zu verkaufen. Dies gab Platz zu einem neuen Spaziergang und zeigte uns auf einmal, an einem kleinen Absatz, den diese Höhe hat, etwas Sumpfiges und dann eine beträchtliche Wasserquelle, die von oben kam,[206] in diesem Absatz sich ausbreitete und auf der Seite mühsam auslief. – Diesen Sumpf heben wir aus, werfen Steine und Letten in das Bett des Bächelgens, raumen oben die faulen Bäume weg und dürfen nur an einem Platz einen großen Stein legen, so haben wir einen Wasserfall, zwanzig Schuh hoch und oft über eine Elle breit, der in das nun hübsch besorgte Becken sich ergießt und dann in das Thal über schroffe Felsenstücke an diesem und jenem Ort hinunterfließt. – Dies wird ein Theil von unserm Gebieth, welchen mancher Fürst gern mit Tausenden bezahlte; und ich bekams so leicht und in äusserster Schönheit. – Gönnen Sie mirs – und wünschen Sie mir Glück. – Adieu Rosalia.[207]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 195-208.
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