Neun und achtzigster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[396] O, wie groß ist das stille Verdienst der vortreflichen Familienmutter! – lassen Sie mir doch Alles Ihnen schreiben, was von der Frau Itten in meiner Seele haften blieb. –

Sie konnten auf Clebergs Billet nicht. schweigen, sondern antworteten, es würde beyde Eltern freuen, den Herrn Residenten bey sich zu sehen. Mein Mann ging gleich hin, fand Beyde in einem geräumigen, äusserst reinlichen, aber nach alter Art ausgetäfelten Zimmer, den Tisch in der Mitte, auf welchem ein großer Teppich lag; die Stühle und Spiegelrahme von schwarz gebeitztem[396] Holz; ein Ruhbett mit vielen Polstern von Wollgenähter Arbeit. – Der Mann schien ihm sehr verlegen und die Frau gerührt und aufmerksam zu seyn. Beyde dankten ihm, für die gütige Gesinnung die er für ihren Sohn bewiese und die Frau wünschte zu wissen wie er auf einen ganz unbekannten jungen Menschen gekommen sey? ––

Cleberg sagte, er hätte sich an dem Tage, wo ihm mein Oheim seine Stelle verschafte, vorgenommen, auch einen jungen Mann, von rechtschafenen Eltern, in sein Haus zu nehmen, wie mein Oheim ihn nahm, und ihn auch nach seinen Kräften zu unterstützen, so wie ihm wiederfahren sey; – mit der einzigen Bedingung, daß der junge Mann einst wieder so denken möge. Er hätte sich daher, nachdem er völlig in seinem Dienst und Hause eingerichtet gewesen, nach jemand umsehen wollen. Die gute Bildung und vielversprechende Physiognomie ihrer Söhne, habe ihn auf einen von Beyden angezogen; die guten Zeugnisse ihrer Lehret hätten ihn bestärkt, und es würde ihn freuen, wenn sie den Vorschlag annähmen und er dadurch mit einer so schätzbaren Familie in ein Verhältniß käme. ––[397]

Sie waren Beyde in großer Bewegung, hatten Thränen in den Augen, sprachen einige Minuten nichts. – Endlich stand Herr Itten auf, faßte die Hand meines Manns: »Ist es Ihnen Ernst? –– ganz Ernst?« – »Werther Herr Rath, wie schlecht wäre mein Charakter, wenn ich mit zwey verehrungswerthen Eltern ein Spiel treiben wollte!«

Nun sagte die Frau: »Geh, Lieber, und ruf unsere Söhne.« – Als er weg war fing sie an; »Herr Resident! Ihr Vorschlag hat mich in das größte Staunen gesetzt. Aber, der Beweggrund, den Sie angeben, hat mir alles Vertrauen eingeflößt. Es sind vier und zwanzig Jahr, daß ich hier bin; und ich kann sagen, daß es eben so lang ist, daß ich von der ganzen Welt abgesondert lebe und nur mit meinem Mann und Kindern war. Es ist mir süß, sagte sie mit einigen Thränen, daß die Versorgung eines meiner guten Kinder, mich wieder hervorruft. – Sie werden meinen Segen haben, und an meinem Sohn einen Jüngling voll Fähigkeiten, Güte und Tugend finden. – Nähren Sie! ach, nähren Sie die Tugenden, die Sie in ihm[398] finden werden. Lassen Sie ja nicht zu, daß die einzige Belohnung, die ich für mütterliche Mühe, Kummer und Arbeit hatte, daß mir diese verlohren gehe!« ––

Sie war da aufgestanden, gegen meinen Mann mit flehendem Gesicht und Händen hingetreten und hatte ihn angeblickt, daß er, ganz erweicht und bewegt, ihre beyden Hände ergriff, und ihr vor Gott angelobte, getreu für die Sitten und Gesinnungen ihres Sohns zu sorgen. Wenn sie aber einmal befürchten sollte, daß Gefahr für seine moralische Güte da wäre, so wollte er dulden daß sie ihn wieder nähme.

»Ach, wiedernehmen! dieses hälfe nichts mehr. Denn wenn er einmal bey Ihnen ist, so wird seines Vaters Haus nicht mehr für ihn seyn, was er bis jetzo war.« ––

»O, glauben Sie gewiß, daß Verehrung und Liebe für seine Eltern, die Gefühle seyn werden, die ich um eifrigsten in ihm unterhalten will.« ––

»Das glaub ich wohl. – Aber es ist so viel Reitz in dem Glänzenden, das Sie umgiebt, daß die Sinne des jungen Menschen hingerissen werden, –– Wie sollte es ihm[399] dann wieder hier, und mit uns gefallen.« – sie wies da in dem Zimmer umher.

»Aber, theure Frau Räthin, es wäre ja so nicht möglich, daß Ihre Söhne immer bey Ihnen blieben.« ––

»Das weiß ich, und deswegen willigten wir gleich in Ihren Antrag; – auch vergeben Sie, besonders ich deswegen, weil Sie so nah bey uns wohnen. Nicht aus übertriebner Mutterliebe für mein Söhnchen, sondern allein in Hofnung, den Gang seiner Gesinnung genauer bemerken zu können.« –

»Zu dieser Absicht, theure Frau Räthin, wird Ihnen die Bekanntschaft mit meiner Frau am meisten dienen. Sie ist nur vier und zwanzig Jahr alt, aber ihre Seele ist voll Edelmüthigkeit und Tugend, ob sie schon in einem großen' gesellschaftlichen Zirkel lebte.« ––

»O! ich bin überzeugt, daß dieser große Zirkel viele, viele vortrefliche Menschen hat. Aber die Umstände müssen günstig seyn. Dies konnt ich meinen Kindern nicht versichern, deswegen hielt ich sie zu Hause, und wollt es so lange thun, bis die Denkungsart, die ich in ihnen wünschte, so stark, und so zur[400] Gewohnheit geworden wäre, daß sie sich niemals ganz verlieren könnte.« ––

»Ich verehre Sie wegen alles dieses, werthe Frau Räthin. Glauben Sie nur, daß meine Rosalia und ich nichts untergraben werden, was Sie aufbauten!«

Nun kam der Vater mit beyden Söhnen in das Zimmer. Die jungen Leute hatten sich etwas gut angekleidet, machten furchtsam, aber mit Anstand, ihre Verbeugung und blickten ihre Mutter an. – Sie hatte sich völlig gefaßt, ging gegen sie, nahm sie bey der Hand und sagte meinem Manne: »Hier sind meine zwey guten Söhne, von denen Sie einen zu haben wünschen. Beyde haben Ihr Billet gelesen. Der Aeltere war brüderlich genug, dem Jüngern zu sagen, daß, wenn es ihn kränken sollte, diesen angenehmen Platz nicht zu haben, so möchte er es ihm vertrauen; es würde ihm lieb seyn, ihm durch den Vorzug, den er ihm geben wollte, eine Probe seiner Liebe abzustatten. Der Jüngere dankte, und erklärte da, daß er gerne Theologie studiren möchte, und also von seinem Weg abkäme. Doch, weil der Antrag so edelmüthig gemacht wäre, und es ein Vortheil[401] für ihre guten Eltern, vielleicht auch für ihre übrigen Geschwister seyn würde: so wär es billig, daß der Herr Resident wählen sollte. Träfe das Loos ihn, so wollte er dann seinen Wunsch nach dem theologischen Studium aufgeben, um so mehr, da er nun wisse, daß sein Bruder es ihm gern gönnen würde.« ––

»Nun wählen Sie;« sagte der Vater.

Stellen Sie sich, theure Mariane, einen Augenblick die Gruppe vor; – Vater, Mutter, zwey Söhne, mein Mann, der wählen sollte; – die Andern auf seine Augen, auf. ihn sehend! – Er ging gegen die jungen Leute, und reichte jedem eine Hand. »Da Sie, edle Jünglinge, Beyde ein gleiches Vertrauen in mein Herz haben, wie ich zu Ihnen: so will ich so wählen, daß Sie Beyde zufrieden seyn werden. Sie, zu den Aeltern, vertrauen sich und Ihr Schicksal mir; und Sie, zum Jüngern, sind mein Freund, – und erlauben, daß ich eine Stelle im fürstlichen Stipendio für Sie nachsuchen darf, wo Sie Ihr Studium verfolgen können.« ––

Da wollten die junge Leute Clebergs Hände küssen; aber er umarmete Beyde von Herzen[402] und freute sich, daß er junger Mann von acht und zwanzig Jahren, der Gegenstand des Danks und der Hochachtung dieser schäzbaren Eltern und Söhne war. – Die Mutter ergrif die Hände ihrer Kinder hielt sie an ihre Brust: »Dank, meine Kinder! innigen Dank und Segen, für die Freude, die euer Wohlverhalten mir giebt! –– Nun bin ich belohnt! – ich seh den Anfang eures Glücks, auf euren Fleiß und Tugend gegründet. – Freut euch auch, eure Mutter glücklich gemacht zu haben!« ––

Die guten Söhne konnten nun nichts mehr sagen, sondern küßten den Eltern die Hände. Mein Mann sprach dann von dem Gehalt und den Beschäftigungen, die er ihm geben wolle, und daß er doch die mathematische Stunden fort halten sollte. – Von Frau Itten bat er sich die Erlaubniß aus, daß ich zu ihr kommen dürfe. Sie sagte aber, daß sie den andern Tag mit ihrem Mann und Söhnen zu uns kommen würde. – Nachdem kam mein Cleberg herrlich, wie von einer Eroberung, zurück, umarmte mich mit Entzücken. »Salie, liebe Salie! Du sollt meinen Dank annehmen, den ich gern diesen Augenblick[403] Deinem Oheim sagen möchte. – Er, der gute, rechtschaffene Mann, hat durch sein Beyspiel mich fähig gemacht, zu thun, was ich an den Ittens thun will und er hat mir den seligen Morgen bereitet.« – –

Da erzählt er mir, was ich Ihnen schrieb; und ich fahre fort, auch das aufzusetzen, was mir die liebe Frau von ihrem Leben und Grundsätzen sagte. – Wir liessen sie auf ein Frühstück bitten, weil Nachmittags immer viel Leute zu uns kommen, und wir diese Frau allein geniessen wollten. – Ich nahm sie aber nicht in meinem großen Besuchzimmer an, sondern in dem ganz weiß getäfelten, so an unserm Eßzimmer ist, wo wir den Caffee geben; weil es, im neuen Geschmack eben so simpel ist, als Frau Itten Zimmer nach dem alten; denn die Stühle haben auch nur hölzerne Lehnen, die Kissen von Zitz und alles Holzwerk weiß in Oelfarbe gemahlt. – Ich und mein Mann kleideten uns auch äusserst simpel an, um diese schätzbare Frau durch keinen Schein von Pracht zu verletzen. –– Die erste halbe Stunde ging mit dem Frühstück und allgemeinen Gesprächen vorüber, wobey ich immer alles unterbrach, was Danksagung[404] gewesen seyn würde. Cleberg nahm dann den Vater und die Söhne in seine Bibliothek, und als ich bey der Frau allein war, sagte ich ihr, daß der junge Herr Itten von mir alle Freundschaft und Sorge einer Schwester geniessen sollte; daß ich sie aber bäte, mir auch die Bekanntschaft und Umgang ihrer Töchter zu schenken. ––

»Ach, Frau Residentin, ich werde wohl den Bitten meiner Kinder nachgeben müssen. Es sind die ersten, die sie mit so viel Eifer an mich thun. – Aber ich sehe daraus, wie viel Gewalt sie sich bisher angethan haben, keine Freude ausser meinem Hause zu suchen. Ich danke nur Gott, daß, da der Strom der Welt in meine Familie dringen sollte, er nur eine Schleuse aushob, und nicht die Dämme niederriß, welches durch Verführung meiner Söhne geschehen wäre.« –

»Ich bin auch froh, daß ihr Haus nur der edlen und redlichen Hand meines Clebergs geöffnet wurde. Denn so wie ich Sie jetzt kenne, würde ich jedem Andern den Zutritt beneidet haben. Laffen Sie es sich nicht leid seyn, theure Frau Räthin, daß Sie dem Ruf des Schicksals nachgaben. Ihre[405] guten Kinder sind ja doch für die gesellschaftliche Welt geboren und so erzogen, daß sie Gutes darin thun können. Eine Frau schließt sich leicht ein, und lebt nur für ihr Haus, weil sie am End ihrer Bestimmung ist. Aber junge Personen, die noch keinen gewissen Platz haben, die müssen gekannt seyn daß man sie suchen kann.« ––

»Das weiß ich nicht; sagte sie. Ich kenne freylich von dem hiesigen Frauenzimmer nur die, welche in unsere Pfarre gehören; aber ich habe seit vier und zwanzig Jahren viel artige und schöne Töchter aufblühen sehen, die dem Auge durch ihre Gestalt und abgeänderten Modeputz und Kleidung besser gefallen mußten, als meine Töchter, die ganz gewöhnliche Figuren, und gar, gar keine abwechselnde Verzierung ihrer Person haben. –– Ich seh auch viele junge Mannsleute so kostbar und reich in ihrem Anzuge, daß sie gewiß Vermögen haben, eine Frau zu unterhalten. Und die bekannten Frauenzimmer, mit denen sie sprechen und sie begleiten, welken dennoch, mit all ihren Reitzen, Putz und Talenten, an der Seite ihrer Mütter dahin, wie es meinen[406] Töchtern, in der Einsamkeit meines Hauses und ihrem einförmigen Aufzuge geschehen wird; – und ich bekenne Ihnen, daß ich meine Töchter dahin gebracht habe, daß sie lieber als ungesehene Blumen einer Einöde, die allein der Sonne und dem Himmel blühten, absterben wollen, als, von vielen gesehen und von keinem gewünscht, eine Zeitlang glänzen, endlich als eine schon lange gewöhnte Sache, an der nichts Neues mehr zu bemerken ist, ausser aller Achtung gelassen werden.« ––


»Ich kann Ihnen, in alle diesem nicht Unrecht geben. Die zu eifrige Nachahmung der französischen Erfindungen, der Pracht und kostbaren Zeitvertreibe, sind allem Ansehn nach Ursache, daß die Heyrathen seltner werden; weil man immer fürchtet, sein Auskommen reiche nicht zu, mit Frau und Kindern standsmäßig zu leben.« ––


»Das ist auch wahr. Denn wenn ich nach dem Titel meines Mannes und der jetzigen Mode, wie man es heißt standsmäßig hätte leben, mich und Kinder kleiden, das Hausgeräth schaffen sollen: so hätt ich kaum für[407] zwey Kinder das Nöthige gehabt, und die andre fünfe hätten darben müssen.« ––

»Sind denn die Einkünfte des Herrn Rath so gering?« ––

»Wissen Sie denn nicht, daß er eigentlich nichts als zweyter Registrator ist, und nur der kleine Stolz seiner Frau Mutter ihm den Rathstittel kaufte? Ich war auch stolz und klug genug, als Frau Räthin mich keiner Geringschätzung bloßzugeben, und ganz geduldig als Frau Registratorin kärglich zu leben.«

»Sie sind nicht von hier, meine Frau Räthin, das weiß ich. Haben Sie auch keine nahe Verwandte in der Stadt?«

»Ich bin fremd. Mein Mann hat Verwandte, aber keine Freunde, sonst hätten wir auch nicht so eingeschlossen gelebt.« ––

»Keine Geschwister sind es doch nicht, diese unfreundliche Verwandte?«

»Nein, nur ein Oheim mütterlicher Seite, der großes Vermögen, aber eigne Kinder hat und meinen Mann, der stillen, ruhigen Ganges lebt, nicht achtet und ihm blos zu dieser Stelle half. Wenn mein Vater länger gelebt hätte, so wär er besser besorgt[408] worden. Aber er starb, als ich noch Braut war, hinterließ auch sieben Kinder, wovon mein ältester Bruder, seine Oberamtmannsstelle mit der Bedingung bekam, meine Mutter und die übrige Kinder zu unterstützen. Er hat es getreu gethan, – und Gott lohnt es ihm; denn er steht gut, und hat rechtschaffne Kinder. Zwey meiner Brüder und eine Schwester sind in Amerika recht glücklich; einer, der als Pfarrer mit deutschen Emigranten hinzog, und meine ältere Schwester zu Führung seines Hauswesens, und den Bruder als Baumeister mitnahm. Eine Schwester ist Hofmeisterin in einem adelichen Hause, und die vierte wartete unsrer guten Mutter bis ans Ende mit kindlicher Liebe; wo sie dann mit dem Amtsschreiber unsers Bruders verheyrathet wurde, und bey fünf Stiefkindern eine eben so gute, zärtliche Mutter ist, als ich bey meinen eigenen. – Meines Mannes Vater, und der meinige, waren Universitäts Freunde gewesen, und das stille Gemüth meines Itten brachte seinen Vater auf den Einfall, er würde sich am besten auf das Land schicken, zumal da er Blumen und allerhand kleine Handarbeiten,[409] Feldmessen, Zeichnen, u.s.w. allen andern Zeitvertreiben vorzog. Er schickte ihn mit neunzehn Jahren zu meinem Vater in die Kost und Lehre. Unser Graf hatte da sein Schloß bis auf die Schreynereysachen aufgebaut. Der schöne Itten war immer beym schnitzeln und hobeln, machte, was ihm mein Vater zu thun gab, gut; besonders hielt er die Registratur in der größten Ordnung, er schrieb eine schöne Hand und war in seinem Betragen sanft, voll Güte, Gefälligkeit und Ruhe. Zwey Jahr achtete er auf nichts als Schreiner- und Tüncherarbeit im neuen Schlosse, worüber ihm auch mein Vater die Aufsicht gegeben hatte. Viehzucht, Acker- und Wiesenbau gefiel ihm auch; aber Amthalten und Berichte machen, das gefiel ihm nicht. Philosophische und moralische Schriften waren seine Freude und im Winter laß er uns Mädchen bey unsrer Arbeit halbe Tage vor. Endlich faßte er eine heftige Liebe für mich. Mein Vater wollt ihn durch mich zu weiterm Studiren bringen; aber er redte mir so viel gegen die Rechtsgelehrtheit, und von dem Vermögen seines Vaters; und daß wir nur von der Landwirthschaft leben wollten,[410] und so, daß ich ihn nicht weiter plagte. Sein Vater starb vor dem meinigen, da er in Eile heim mußte, um ihn noch zu sehen. Seine Mutter zog in die Stadt, wo sie immer gern war, in das Haus, wo ich noch wohne, und suchte da durch ihren Bruder, ihrem einzigen Sohn in der Stadt ein Amt zu erhalten. Es ging ein Jahr hin, eh es geschah und sein Oheim hielt ihn zu nichts tauglich, als zum Registrator, welches seiner Frau Mutter zu wenig dünkte. Sie kaufte ihm den Titel eines Raths, wollte ihn auch vornehm verheyrathen; aber er sagte ihr seine Liebe für mich, worüber sie sehr böse war, weil sie ihn in eine reichere und größere Verbindung zu bringen hoffte. Er grämte sich über ihren Widerspruch zum Krankwerden. Verlieren wollte sie ihn nicht, und gab endlich ihre Einwilligung; aber ich sollte nicht bey ihr essen und wohnen. Das verbarg mein Mann alle vor unserer Trauung, weil er befürchtete, ich würde sonst mein Wort zurücknehmen. – Aber auf unserer Hieherreise sagte er mirs mit Thränen und Bitten, mit seiner Mutter Geduld zu haben. Was sollt ich thun? – er hatte sich mehr geliebt,[411] als mich und litte dabey eben so viel, wohl mehr, weil er sich Vorwürfe machte, mich in die Gewalt einer bösen Frau gegeben zu haben. Denn seine Mutter ließ mich nur Einmal zu ihr kommen, und sagte mir da, auch mit Rauhigkeit, ich sey an dem ersten Ungehorsam Ursache, den ihr Sohn, ihr erwiesen hätte; und da sie, als Mutter, wisse, wie viel ich seinem Glücke geschadet habe, so dürfte ich mich nicht wundern, wenn sie mich nicht gern um sich leiden könne. Ich möchte also sehen, wie ich mit der halben Besoldung meines Mannes für meine Kost, Wäsche, Holz, Licht und Kleidung, auch für Gäste, sagte sie spottend, zurecht kommen könne. Denn da sie um meinetwillen nicht allein essen und der Gesellschaft ihres einzigen Sohns beraubt sein wolle, so müsse er mit ihr speisen und die halbe Besoldung zu einem Kostgelde fortgeben. Er habe sonst die andre Hälfte für sich allein gehabt; weil er sich aber gegen ihren Willen verheyrathet hätte, so möge er fühlen, was die Straffe Gottes für Ungehorsam sey, und sein Weibchen möge ihm büssen helfen. –– Ich sagte, es wäre mir leid, gegen ihren[412] Willen in ihr Haus gekommen zu seyn. Mein Mann wäre mir deswegen nicht weniger lieb. Sie möchte also doch ihm sein Leben nicht verbittern, ich wollte mir von seiner Mutter Alles gefallen lassen, aber es freue mich zu wissen, daß Itten von meinen Eltern niemals die geringste Härte zu erdulden gehabt habe. Da nannte sie mich ein naseweises Ding, ich solle ihr aus dem Gesicht gehen. Das that ich. Ihr Bruder nahm meinen Besuch gar nicht an, und ich wollte niemand sehen; machte also nur dem Pfarrer einen Besuch und ging nirgends hin, als in die Kirche und im Sommer, Abends im Mondschein, wenn meine Schwiegermutter schlief, mit meinem Mann spazieren, welches auch die einzige Gelegenheit war, in der ich die Stadt sah. Und so ist es auch meinen Töchtern gegangen. – Nach Hause schrieb ich nichts, als ich wäre zufrieden. Helfen konnten mir die Meinigen nicht; ich hätte sie also vergebens gekränkt. Es war mein Glück, daß ich Betten und Weißzeug von Hause hatte, sonst wäre mir übel gegangen; denn die Magd durfte mir nichts geben und ihre Tochter, die mir zugegeben wurde, mußte alle meine Schritte beobachten,[413] so gar aß das böse junge Ding mit mir. Ich hatte nur die Hälfte meiner Aussteuer fertig gemacht bekommen, und das Uebrige an Stücken. Da nähre und strickte ich, kaufte mir Flachs und Baumwolle, spann da fleißig, klagte nie, aß gering, immer entweder nur Suppe oder nur Gemüs, wenig Fleisch, – schrieb alles auf was ich brauchte und gab am Ende des ersten Quartals meinem Mann noch Geld zurück. Was er für mich litt, kann ich nicht genug beschreiben. Seine Mutter haßte so gar meine Kinder; und der Weberin, die zugleich ihre Magd war, erwies sie alle Freundschaft und Achtung. In den lezten fünf Wochen ihres Lebens, da ich sie bewachen und warten half, bereute sie es, bat mich um Vergebung, und schenkte mir die Kleider, die sie noch übrig hatte. Nach ihrem Tode fand sich das Vermögen sehr gering, so daß sie in der That, die halbe Besoldung meines Mannes nöthig gehabt hatte, weil sie gar gut lebte. Nun verkauften wir was an Silber und anderm entbehrlich war und kauften uns einen Acker und Wiese, weil uns die Landhaushaltung immer freute. Der große Garten meines[414] Hauses stößt an einen, der ganz nahe am Thor liegt; den kauften wir auch. Da konnten wir zwey Kühe halten, zogen durch Pacht unser Korn, in den Gärten Gemüs und Obst selbst, und aßen gering. – Ich hob alle meine artigen Kleider für meine Töchter auf und trug die, von meiner Frau Schwieger-Mutter. Mein Bruder schickte mir wohlfeilen und guten Flachs, davon schafte ich mit meinen Töchtern und der Magd, die das beste Geschöpf wurde, viel Weißzeug. Die Weberfamilie hatt ich beybehalten, und that ihr Gutes. Diese webten immer auf zwey Stühlen für mich. Ich bleichte in meinem Garten und verhandelte dann Leinwand und Baumwollenzeug gegen das, was ich für meinen Mann und Kinder brauchte, machte auch vieles zu Gelde für meine Kinder, und gab meinen Töchtern die Freude, das immer Jede was zu ihrer Ausstattung erhielt, und immer das Beste, so sie selbst gesponnen hatten. Seitdem alle viere mit mir und der Magd spinnen, hat es Vieles getragen. Meine Kinder waren mir Gesellschaft genug. Ich suchte ihnen ihr Leben zu versüssen, so viel ich konnte. Sie sind alle gute Landwirthe[415] und meine Mädchen wissen alle Weibsarbeiten von mir, wie meine Söhne Schreynerey, Tünchen, Zeichnen und etwas mahlen von ihrem guten Vater gelernt haben. – Alles, was sie in der Moral und Geschichte lernten, musten sie bey mir und ihren Schwestern wiederholen und ich hatte das Glück, Alle mit der Hoffnung einer herrlichen Zukunft, bis auf diesen Augenblick, zu führen. –– Ihre Seelen sind rein, wie sie am Tage ihrer Taufe waren. Ihr Verstand ist hell, weil niemals das geringste Vorurtheil, oder Märchen darein gelegt wurde. Sie sind gut, weil ihnen niemals übel begegnet war; gesund und schön, weil Ordnung und Einfalt in Leben und Nahrung beobachtet wurde. – Ach, bis hieher hat Gott geholfen. – Ich muß Ihre Freundschaft für einen Fingerzeig von ihm ansehen, mit welchem er meinen Kindern ihre Lebensbahn bezeichnen will; und ich will ihm in Ihnen und Ihrem Gemahl, vertrauen. – Nur eins bitte ich. Wenn Sie mich auch besuchen und meine Töchter sehen werden, auch diese manchmal wohl allein zu Ihnen kommen könnten: legen Sie durch Ihre Achtung, für mich und[416] durch Ihren Beyfall einen Werth auf meine Grundsätze; – und daß glänzende Freuden, die sie geben, meinen Kindern das Einfache nicht verächtlich machen.« –

O, Mariane! ich zerfloß in Thränen, und bat die edle, würdige Frau um die Erlaubniß, sie Mutter zu nennen.

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797, S. 396-417.
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