Dritter Auftritt

[28] Vorige. Ulrich von Hutten.


ULRICH schnell eintretend und mit ausgebreiteten Armen auf Franz zu.

Franziskus Sickingen!

FRANZ ihm eben so entgegeneilend.

Ulrich von Hutten!


Beide umarmen sich ausdrucksvoll.


ULRICH hat jetzt erst Marie bemerkt, er macht einen Schritt auf sie zu, und verbeugt sich.

Nehmt, edles Fräulein, meinen ehrerbiet'gen Gruß,

Wie froh macht's mich, daß ich Euch wiederseh.[28]

MARIE.

Habt Dank, Herr Ritter! Glaubt, mich freut es auch.

FRANZ.

Ich hör, Ihr kennt Euch schon von Mainz.

ULRICH.

Ja wohl.

Bei dem Turnier trug ich des Fräuleins Farben,

Obwohl mit minderm Glück als gutem Willen.

Ich hielt mich ziemlich. Meine Lanze hatte

Wohl drei bis vier der Ritter schon entsattelt,

Da kam so ein Zyklop aus Brandenburg,

Vom Bruder an des Albrechts Hof gesandt,

Vierschrötig und an Kraft fast einem Stiere gleich,

Der brachte mich gar unsanft da zu Fall.

MARIE.

Herr Ritter, glaubt, mir tat's im Herzen weh,

Als ich Euch stürzen sah um meinethalb.

Ich fürchtete, der schwere Fall hätt' Euch

Geschädigt. Nimmer hätt' ich's mir verziehn!

ULRICH sich lächelnd verbeugend.

Das war es nicht, mein Fräulein, was mich schmerzte.

Schnell abgeschüttelt war der leichte Fall;

Doch daß ich Eure Farben nicht, wie sie's

Verdient, zum Siege bringen konnte – daß

Ich Euch vielleicht in minder günst'gem Licht

Erscheinen konnte, als ich wünschte, Fräulein,

Das schmerzte mich.

MARIE mit Feuer, obwohl verschämt.

Wie könnt Ihr also sprechen!

Wer trifft nicht in den Waffen seinen Meister?

Und ist das rohe Schwert die einz'ge Waffe

Die mit Bewundrung uns am Mann erfüllt?

Ihr schwingt noch andre, mächtigere Waffen,

Es sagt der Ruf, daß sich mit Eurer Feder

Nichts in der Christenheit vergleichen könne!

Dies helle Geistesschwert –

Ihr schwingt es für der Menschheit höchste Güter,

Für Freiheit und für Licht, für alles Große,

Für alles Edle schwingt Ihr's heldenhaft

Mit siegender Gewalt!


Sie tritt tief errötend, als habe sie sich zu weit hinreißen lassen, zurück.


FRANZ lächelnd zu Balthasar.

So sieh doch, Balthasar,

Was dieses Ding da plötzlich sprechen kann!


Auf Marie und Ulrich zugehend.
[29]

Ein großes Wort hast da gesprochen, Kind.


Den Arm auf Hutten legend.


Auf dieser Feder ruht des Landes Hoffnung,

's gibt keine beßre in der Christenheit!

Und doch ist sie das Größte nicht an ihm.

Vielleicht wird's einst gleich gute Federn geben,

Vielleicht noch bessere – doch niemals

Gibt's bessern Mut und deutschere Gesinnung!

BALTHASAR auf Hutten zugehend.

Nehmt hin, Herr Ritter, jetzt auch meine Huldigungen.

Von einem Manne kommen sie, dem Ihr

Das alte Herz oft warmgeschrieben habt.

ULRICH ihm die Hand schüttelnd.

Ihr seid Herr Slör? Wer sollte Euch nicht kennen!

Weit geht im Lande Euer Ruf und Eurer

Diplomatie gewaltig Lob. Man sagt,

Ein halbes Heer wär't Ihr dem Sickingen.

FRANZ.

Man hat nicht Unrecht. Wollt' er nur nicht immer

So hoch hinaus – ein fähigerer Kopf

Wär schwerlich wohl zu finden. – Doch, Herr Ritter,

Ihr kommt, wenn ich nicht irre, jetzt von Brüssel

Von Kaisers Hof?

ULRICH mit einem Seufzer.

Wohl komme ich daher!

FRANZ.

Berichtet uns! Wie habt Ihr Karl gefunden?

ULRICH mit abgewendetem Haupt.

Ich hoff auf keinen Fürsten mehr.

BALTHASAR zu Franz.

Da seht Ihr's!

Da habt Ihr Euren Karl –

FRANZ ihn unterbrechend, sehr ernst.

Schweig, Balthasar,

Und triumphiere nicht. – Wenn es so ist –

Nun, um so schlimmer dann für mich wie ihn.


Zu Ulrich.


Gleichwohl, berichtet. Ich muß alles hören.

ULRICH.

Herr, kurz ist mein Bericht. Ich zog nach Brüssel,

Um bei dem neuerwählten Kaiser für

Die reine Lehr' und für die große Sache

Der deutschen Freiheit mächtig hinzuwirken.

In dieses Jünglings Seele hoffte ich

Begeisterung, der Jugend reines Erbteil,

Zum Tatendurst gewaltig zu entzünden,

Aus dessen Drange diese Welt verjüngt

Und herrlicher erstanden wäre. –[30]

Ihr wißt, es, welche Hoffnungen wir alle,

Das ganze Deutschland und Ihr selbst zumeist,

Auf dieses Jünglings Haupt gesetzt. –


Er hält inne. Sickingen macht ihm mit der Hand Zeichen, fortzufahren.


Nun seht!


Mit halb unterdrücktem Unwillen.


Nicht mal zur Audienz könnt' ich gelangen,

Nicht bei dem Kaiser, noch bei seinem Bruder,

Erzherzog Ferdinand!

FRANZ nachdenklich für sich.

Schlimm, wahrlich schlimm!

ULRICH.

Hört weiter!

Von Romanisten und von Kurtisanen,

Des Papstes Kreaturen, fand ich

Des Kaisers Ohr umlagert. Unheimlich

Und wie von tückischem Triumph belebt,

Gehoben von geheimer Schadenfreude,

Weilte mit Hohn auf mir der Feinde Blick!

Bald kam's heraus!

Die Freunde kamen angstvoll angestürzt:

Papst Leo hab' befohlen, mich zu greifen

Und mich nach Rom gebunden ihm zu liefern.

Des Kaisers und der Fürsten weltlichen Arm

Hab' er zu der Vollstreckung aufgefordert.

FRANZ unwillig ans Schwert greifend.

Wär's möglich! So weit sollten sie es treiben!

Glaubt man, wir würden's dulden? Ihr, der Ihr

Euch gegen die Gewalt im freien Mut

Erhoben habt um Eures Volkes Sache,

Ein Sprecher der Nation, Ihr solltet jetzt

So schmahliche Gewalt, Ihr selbst, erleiden?

Oh, nimmermehr!

ULRICH.

Der Unschuld mir bewußt,

Auf meine reine Sache kräftig bauend,

Lacht' ich der Warnung erst. Doch immer mehr

Der Zeichen kamen, immer ängstlicher

Stürmten die Freunde flehend auf mich ein.

Der Kaiser werde heft'ger stets gedrängt!

Bis ich aus sichrer Quelle denn erfuhr,

Ich hätte – keinen Tag mehr zu verlieren!

Das war nicht alles, Ritter! Ich erfuhr,

Ja, ich erfuhr, daß, wenn der Kaiser zögre,[31]

Ich um so sichrer nur verloren sei.

Beschlossen hab' der Romanisten Haß,

Durch Gift und Schwert mich heimlich zu verderben.

Gleich sei das Mittel! Fortgetilgt

Müßt' ich von dieser Erde schleunigst werden!

Ich müßte eilends fliehn! Nicht eine Stunde

Könnt' ich des Leibes länger sicher sein.

MARIE die, ebenso wie Balthasar, dem Bericht mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gefolgt ist und ihn mit ihrem Gebärdenspiel begleitet.

Gerechter Gott!

ULRICH.

Von solcher Hand kam mir die Kunde, ward

Bestätigt durch so vieler Aussagen,

Daß ich unmöglich länger zweifeln durfte.

So floh ich eilends denn! – Und wie nach Deutschland

Ich nun geritten kam, den Rhein hinauf,

Da traf ich ein'ge Deutsche, die aus Rom

Soeben kamen. Diese sagten mir,

Schon freue man in Rom sich meiner Ankunft.

Es kenne sich der Papst vor Zorn nicht mehr.

Ja, in den Städten traf ich üb'rall schon

Von meinem Untergang den lauten Ruf,

Ich sei gefangen, hieß es, oder tot.

Wie ich in Mainz und Frankfurt einritt, kamen

Der Freunde viele weinend mir entgegen,

Die für verloren mich bereits gehalten,

Begrüßten mich wie einen Totgeglaubten

Und hingen schluchzend mir am Hals!

MARIE.

O armer Mann!

FRANZ mit Bedeutung.

Jetzt seid Ihr wohlgeborgen, Ulrich!

ULRICH mit wehmütigem Ausdruck fortfahrend.

Gar viele Freunde freilich traf ich auch,

Die kleinmütig und scheu sich jetzt von mir

Zurückezogen, angstvoll vor des Papstes Bann.

Die einen offen, andre wolltens nicht

So grad heraus mir sagen, doch ich sah

Gar wohl, wie ich zu Lasten ihnen war.

Die dritten endlich, welche meine Stimme

In böser Zeit gar tröstlich hat gestärkt

Und denen ich ein Anker war gewesen

In manchem Sturm – die sagten jetzo mir,

Sie wollten heimlich Freund und wohlgesinnt mir bleiben,[32]

Doch könnten sie, wie ich begreifen würde,

Sich öffentlich nicht fürder mit mir zeigen.

Sie könnten es mit Rom nicht ganz verderben!


Er hält einen Augenblick inne.


Seht, Herr, von Freunden das erfahren müssen,

Denen man stets mit willigem Gemüt

Und freier Liebe hingegeben war,

Oh, das schmerzt hart!


Er hält schmerzlich inne.


FRANZ.

Herr Ulrich, seid ein Mann.

Laßt Euch nicht grämen das Gewöhnliche,

Den staubgebornen Wankelsinn der Menschen.

Wie sollt' es Euren großen Sinn betrüben,

Daß Ihr an Euch erleben müßt, was eben

Gleich sehr natürlich – wie verächtlich ist!

Es hält sie alle Rom in seinen Banden,

Durch Furcht und mehr noch – durch Intresse!

Es will ein jeder dies und jenes haben,

Und mehr noch, dies und jenes nicht verlieren,

Was er schon hat! Wer gar nichts für sich will,

Der hat doch Brüder, Schwestern, hat doch Kinder,

Um derentwillen er's mit der Gewalt

Nicht ganz verderben mag. So werden selbst

Die heil'gen Bande der Familie –

Die großen Lehrmeister der Sittlichkeit,

Die uns Natur hienieden hat gegeben,

Die uns bedeuten sollen, daß der Mensch

Über sein kleines Ich sich soll erheben –

Uns Antrieb und Verführung zum Gemeinen,

Durch der Gefühle haltlose Sophistik

Den Bessern selbst zum Kot hinzerrend.

Wohl wußten jene Päpste, was sie taten

Als sie, den großen Zweck der Weltherrschaft im Auge,

Um eine Streitmacht sich zu schaffen, die

Von allem Kleinen frei und unbeirrt

Das eine Ziel mit ganzer Kraft verfolge,

Der Geistlichkeit das sündhafte Verbot

Der Ehe auferlegt! – Doch Ihr, Herr Ulrich,

Ihr müßt Euch durch den schmerzlichen Gewinn

Solcher Erfahrungen die Kraft nicht lahmen lassen.

Wer Euerm mächtigen Berufe folgt,

Der muß sich solche Schlangen unbekümmert

Und frei um seinen Busen spielen lassen[33]

Und fester nur den Panzer schnallen, der

Ihn gegen ihren Biß, den gift'gen, sichert.

Schnallt fester jenen Panzer, Ritter, der Euch ziert,

Der Euch gar herrlich angeboren ward!

Begeisterung, die leuchtende, sie wird

Euch nicht verleugnen! – Die Wahrheit, die Ihr kündet,

Sie wanket nicht, wenn auch die Menschen wanken.

ULRICH mit Feuer.

Oh, wohl erkenn ich, daß ich vor dem letzten

Von Deutschlands Helden stehe! Sickingen,

Mit Recht malt Euch der Ruf gleich groß

In Wort wie Tat. Die deutsche Tugend,

Sie lebt in Euch noch einmal mächtig auf.

FRANZ.

Verhüte Gott, daß ich der letzte wäre!

Ihr selbst sagt mir, daß Ihr der treuen Freunde

Noch viel gefunden, die sich nicht gewandt.

ULRICH.

Wohl fand ich deren, doch sie selber trieben

Mich eifrig drängend aus den Städten fort,

Fürchtend, mich gegen offnen wie geheimen

Anschlag der Feinde schützen nicht zu können.

Papst Leo soll geschworen haben, jeden,

Der mich nicht ausliefre, als seinen Feind

Betrachten und verfolgen ihn zu wollen.

Ihr wißt – die Stadt', in denen Wissenschaft

Und Bildung mächtig ihren Aufschwung nimmt

Und auch gar edlen Freiheitssinn erzeugt,

Sie sind der reinen Lehre Freund. Jedoch,

Ihr wißt ja wohl, wie es zu gehen pflegt.

Die Mehrzahl jener gravität'schen Herrn,

Die herrschend sitzen in der Städte Rat,

Sind gar bedenklich und bedächtig, wollen

In Händel nicht verwickelt werden, scheuen

Mit diesem oder jenem Fürsten, der

Des Papsts Befehl gemäß mich ausbegehre,

In Streit zu kommen –


Einen Moment innehaltend.


Vielleicht hätten sie

Mir doch ein still Asyl geschenkt; jedoch –

Sie wissen, daß ich selbst nicht ruhen kann!

Ich kann nicht schweigen, kann durch Schweigen nicht

Mir Obdach und des Leibes Sicherheit erkaufen!


Mit immer steigendem Feuer und einer wilden Begeisterung.
[34]

Mich treibt der Geist! Ich muß ihm Zeugnis legen,


Ans Herz schlagend.


Kann nicht verschließen, was so mächtig quillt.

Je härter anwächst die gemeine Not,

Daß in Verzweiflung, wie wenn Pest uns schreckt,

Ein jeder still ins eigne Haus sich birgt,

Lautlos am anderen vorüberschleichend –

Nur um so mehr treibt mich des Geists Gewalt,

Entgegen der Verheerung mich zu werfen,

Je mehr sie droht, je mehr sie zu befehden!

O hätt' ich tausend Zungen – grade jetzt

Mit allen tausenden wollt' ich zum Lande reden!

Viel lieber will ich, elend wie ein Wild gehetzt,

Von einem Dorfe mich zum andern tragen,

Als an der Wahrheit schweigend zu verzagen!

Wohl mag es der Gewalt, mich zu verderben, glücken,

Des Geistes Stimme soll sie nie mir unterdrücken.

FRANZ.

Das ist der Heldensinn, der Euch geziemt.

Ist's doch, als ob die ganze Kraft der Zeit

In zween Männer nur gefahren wäre;

Ihr und der Luther stellt sie leuchtend dar!

Was sind wir andern neben diesen Riesen!

– Gebt Eure Hand. Was Ihr mir hier gesagt,

Es würde zur Bewunderung mich treiben,

Wenn ich sie nicht schon lange Euch gezollt.

ULRICH.

Lobt mich nicht drum, Franziskus! Viele leben,

Die mich darum schon hart getadelt haben.

– Und doch, wenn ich es recht erwäge, glaub ich

Nicht Tadel und nicht Lob drum zu verdienen.

Wenn ein Gemüt mir mitgegeben ward,

Dem der gemeine Schmerz weher als andern tut,

Dem mehr als andern die gemeine Not

Zu Herzen geht – ich kann's nicht ändern, Herr!

Es ward mir eingepflanzt!


Er halt einen Augenblick inne.


Die Freunde wußten das,

Drum trieben sie in banger Sorge drängend

Mich aus den Städten fort; mit Euch, Franziskus,

Sollt' ich beraten.

FRANZ.

Wahrlich, weisern Rat

Vermochten Euch die Freunde nicht zu geben.

Ihr habt an eine feste Mauer Euch[35]

Gelehnt, Herr Ulrich, welche stürzen kann,

Doch die kein Sturm zum Wanken bringen wird.

BALTHASAR.

Sie rieten, Herr, Euch doppelt weise. Traun!

So weise für sie selbst, als wie für Euch.

ULRICH.

So steh ich denn wie ein Geächteter,

Franziskus, vor Euch da!


Er tritt auf Franz zu und ergreift seine Hand.


O seht, es schmerzt mich doch,

's ist nicht die Sorge um den eignen Leib,

Nein, etwas andres, Ritter, schmerzt mich tief.

Warum denn trag ich solche Fahr und Not?

Warum so groß Beschwerde? Weil gemeinem Nutz

Ich mich ergeben. Um der Huld und Liebe,

Der Wahrheit und des Vaterlandes trag ich sie.

Und mich will die Nation zuschanden werden lassen?

Einer hat sich für alle frei erhoben –

Und alle wollten nicht den einen freudig schirmen?

Wo ist die Redlichkeit, wo ist die Tugend

Der Deutschen hin? Wo ihre Stärk' und Mannheit,

Davon des Erdballs Völker singen, sagen?

Den wollen sie geruhig binden lassen,

Der sie der Bande alle wollt' entled'gen?

Das zeigt beim Volk noch einen dumpfen Sinn!

FRANZ.

Läßt's Euch nicht anfechten. – Es gleicht das Volk

'nem Kinde, das Ihr erst erziehen müßt,

Wenn Freude Ihr daran erleben wollt.

Wie wollt Ihr, daß bei diesem Pfaffendruck,

Bei dieser künstlichen Verdummung sich

Das Edle in dem Volk entfalten sollte?

Ja, wär' das möglich – traun, wir hätten dann,

Ihr müßt es selbst gestehn, weit mindern Grund

Zur Klage wider dies System. –

Was Euch betrifft, so wollt' ich nur, daß ich

Die allgemeine Not so leicht wie Eure

Beseit'gen könnte! –


Er geht nachsinnend auf und ab.


Doch auch was die Sache

Des Landes und den Kaiser anbelangt,

So wollen wir den Mut noch nicht verlieren;

Ich will ihm schreiben, will ihn sprechen selbst,

Mich soll er sprechen –

ULRICH lebhaft einfallend.

Überall erzählt man

Gar Großes von der hohen Gunst, in der[36]

Ihr bei dem Kaiser steht; wie er in Aachen

Bei seiner Krönung vor den Fürsten allen

Euch gar gewaltig ausgezeichnet hat.

Und sicher – er hat guten Grund dazu.

Einstimmig geht durchs ganze Land der Ruf,

Daß Euch die Kaiserkrone er verdankt!

FRANZ.

Doch nun zu Euch. Ich stelle meine Burgen

Euch alle zur Verfügung. Schaltet drin

So wie ich selbst – und hier mein Wort, Herr Ulrich,

Vor Reich und Kaiser schütz ich Euch, dafern

Es nötig werden sollte! Doch ich denke,

Es wird vom Sickingen Euch niemand fordern.

– Wählt Euren Aufenthalt, doch wollt Ihr mir

Ein Liebes tun, so bleibt Ihr hier bei mir

Und nehmt die Ebernburg zur Herberg' an.


Beim drittletzten Verse haben sich alle drei im Halbkreis um Ulrich gruppiert.


ULRICH mit gehobener Stimme.

Herberge der Gerechtigkeit will ich sie nennen,

Weil nur in ihr das freie Recht noch wohnt.

Im Lied soll sie die spätste Nachwelt kennen,

Und durch Unsterblichkeit sei ihr gelohnt.

FRANZ.

Auch sollt Ihr mir nicht feiern, sollt nicht schweigen.

Ich will Euch Eure Batterien schaffen,

Die uns so trefflich und so recht zur Zeit,

Das Wort in eine Kugel zu verwandeln,

Die weithin in das fernste Ziel einschlägt,

Der Gutenberg vor noch nicht hundert Jahren

Erfunden hat; will Euch 'ne Presse hier errichten.

Da feuert tapfer denn ins Land hinaus,

Ermahnt, belehrt, verbreitet, stachelt an!

Klärt auf, erregt, entzündet die Nation!

Zeigt was der Geist vermag. Verscheucht die Finsternis,

Wies Licht der Sonne Nebelwolken scheucht!

Ich selbst will mit der schwachen Kraft Euch helfen.

Auch könnt Ihr Euerm Freund, dem Luther, schreiben,

Dem andern großen Rufer in dem Streit:

Wenn es ihm dort nicht mehr geheuer sei,

Wenn man die Feder ihm beengen wolle –

Hier auf der Ebernburg fand' er nicht nur

Bereit Asyl – er fänd' auch Druckfreiheit![37]

Braucht' sich um keinen Kurfürst mehr zu kümmern;

Und käm' es schlimm, so müßte an den Wällen,

Den unbezwinglichen, der Ebernburg

Gar manches Heer sich erst den Kopf einrennen,

Eh' sie auch nur ein Haar ihm krümmen sollten!

BALTHASAR.

Auch treffet Ihr auf unsern Burgen schon

Gar manchen Hirt der neuen Lehre an,

Manch trefflichen Verkündiger des Worts,

Der sich in gleichem Schutz geborgen hat

Und der Euch tröstlich an sein Herz wird schließen.

MARIE.

Auch ich will bieten Euch, was ich vermag,

Wie wenig es auch sei! Ihr liebt, ich weiß, Gesang.

Wenn Gram Euch übermannt, will ich die Sorgen

Verscheuchen Euch mit meinen schönsten Liedern!

FRANZ.

Doch jetzo kommt, die neue Herberge

Euch zu besehn, die Ihr bewohnen sollt.

Auch hab ich noch allein mit Euch zu reden.

ULRICH.

Wie wird in diesem liebenden Vereine

Das Herz mir weich und doch von Kraft erfüllt!

Wie wird mir in der tiefsten Brust der reine

Drang nach Verständnis mächtig hier gestillt!

Wie unterm warmen Liebesblick der Sonnen

Das Saatkorn sich zur reifen Frucht entfaltet,

Fühl ich in dieses Augenblickes Wonnen

Wie reifre Kraft mich plötzlich neu durchwaltet.

Es strömen in mir frische Lebensbronnen,

Zur Klarheit wird das Dunkle mir gestaltet.

Hier find ich erst des Wortes Glutgewalten,

Und was ich bin – werd ich erst hier entfalten!


Er wendet sich bei den letzten Worten stürmisch um und stürzt, von den andern gefolgt, der Tür zu. Der Vorhang fällt.

Ende des ersten Akts.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 28-38.
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Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
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