Sechster Auftritt

[92] Marie. Ulrich.


MARIE.

Ihr hier, Herr Ritter?


Ihn betrachtend.


Welche Änderung

Hat sich inzwischen mit Euch zugetragen?

Mich schreckte Euer Ansehn, als Ihr mich

Vorhin verließt, und jetzt find ich Euch wieder

Mit heitrem Blicke. Euer Auge strahlt,

Der Seelenfriede lacht aus Euren Zügen,

Und wunderbar mit tiefer Ruh' sich einend flammt

Begeistrung leuchtend von der Stirne Euch!

ULRICH.

Das macht, ich hab den Seelenarzt gefunden,

Der mir den Frieden schnell zurückgegeben hat.

MARIE schnell, lebhaft.

Wie glücklich macht mich das!


Verwirrt, sich mäßigend.


Ich wollte sagen,

Ich bin sehr froh darum – um Euretwillen – auch

Um meinetwillen – nein, des Vaters wegen –

– Ihr müßt darauf nicht hören, was ich sage;

Der schnelle Wechsel der Empfindungen

Hat in Verwirrung mich gebracht. Genug,

Ich bin recht froh. Die schönen Tage kehren

Zurück, die ich entflohen schon geglaubt.

Der heitre Kreis, der Musen holder Sitz,

In den Ihr diese Burg verwandelt habt,

Bleibt unversehrt, und wieder lausch ich Euch,

Wenn Ihr der Dichtkunst hohe Meisterwerke,

Des Altertums Gesänge uns verkündet.

ULRICH.

Mein edles Fräulein! Von dem Lärm des Tages wird

Zum Schweigen jetzt der Muse Lied gebracht.

Doch nein! Falsch drücke ich mich aus: Es will[92]

Zur Wirklichkeit die Dichtung sich erheben,

Umdichtend greift sie in die Welt hinaus. –

Ich muß von hinnen, Fräulein, muß ein flüchtig

Lebt wohl Euch sagen!

MARIE erschrocken und erblassend.

Wie? Ihr wolltet fort?

ULRICH.

In dieser Stunde noch.

MARIE mit steigender Angst.

Wohin? Warum?

Kehrt Ihr uns bald zurück?

ULRICH.

Wohl lange nicht!

Ich zieh in Fehde, edles Fräulein.

MARIE zusammenschreckend und leichenblaß.

Fehde?

In Fehde, Ulrich, Ihr? Aufstand – Gott, meine Ahnung!


Sie sinkt bei diesen Worten zusammen, Ulrich eilt ihr zu Hülfe und fängt sie in seinen Armen auf.


ULRICH.

Ulrich ruft Ihr? Was für ein Ton? – Wär's möglich!


Hingerissen.


Marie! – –

MARIE in seinen Armen, halb bewußtlos, leise.

Ulrich!

ULRICH in höchstem Feuer.

Nein, es ist keine Täuschung!

Marie, Ihr liebt mich wie ich Euch!

MARIE zu sich kommend, sich aus Ulrichs Armen losreißend und wie außer sich nach der Ecke der Bühne fliehend, aber auf Ulrich zurückblickend, der die Arme nach ihr ausgestreckt stehenbleibt.

O Gott!

Sprecht, sagt' ich was? – Ich habe nichts gesagt!

Nichts sagte ich! Hört Ihr? – Und dennoch – doch –


In dem vollsten Erguß der Leidenschaft.


Ja – doch – ich sagte! – Fliehe hin

Du mädchenhafte Scham, unwürdiges Verstellen!

Ist Er ein Mann wie andre? Warum soll ich

Mich dessen schämen, was doch stolz mich macht?

Was kann ein Weib auf Erden Größres tun,

Als ihn zu lieben? Ist es nicht, als ob

Ich all das Große, Edele, das Ihr

Vollbringt und seid, mir selbst zulege – Teil

An Eurer Seele hohem Fluge nehme,

An Eurem mächtigen Vollbringen Teil,

Wenn ich Euch liebe? –

Wenn Liebe uns veredelt und erhöht –[93]

Warum sich freudig nicht

Wie einer Andacht offen ihr ergeben?

Wer bin ich zwar, daß ich es wagen sollte,

Empor zu Euch die Augen aufzuschlagen?

Doch ist es uns gegeben, ist es schön,

Vor uns das Vorbild,

Das leuchtende, zu sehn und nicht

Im tiefsten Herzen für es zu entbrennen? –

Ja, Ulrich – ich gesteh's – ich liebe Euch,

Lieb Euch mit aller Kraft des reinen Busens,

Dem Ihr der Menschheit Ideal bedeutet!

Ich liebe Euch – und sehet her, was mir,

Indem ich's sage, von der Stirne flammt,

Ist der Begeistrung nur, und nicht der Scham, Erröten!

Schon früh war meine Neigung Euch gewandt,

Als ich an Albrechts Hof Euch kennenlernte.

Das heitre Kind zog Euer ernstes Wesen

Gar mächtig an! Es flocht der Ruhm

Um Eure Stirne eine Aureole,

Die mich halb schreckte und halb fesselte.

Bei Eurem Namen regte sich der Besten Blut,

Und wenn Ihr spracht, so tönte es wie Ahnung

Von einem Höh'ren in mein kindliches Gemüt.

Ich wußte nicht, daß ich Euch liebe – eins

Nur wußt' ich, daß die andern Männer

Mir neben Euch so klein – so klein erschienen!

Doch seit Ihr bei uns seid – seit Ihr mir hier

Die Himmel alle selber habt erschlossen,

Die Ihr in Eurem Herzen tragt – seit Ihr

Zu neuem Dasein, neuem Denken

Des Kindes Seele mächtig großgezogen –

Da wußt' ich auch, – ich liebe Euch!

Könnt' Ihr mir, Ulrich, Gleiches schenken,

Bin ich die Glücklichste, die je auf Erden war –

Und könnt Ihr's nicht – doch soll's mich nie betrüben,

Daß ich das Größte konnte, mußte lieben!

ULRICH.

Du engelreines Wesen!

Lang hab ich dich im Herzen still geliebt.

Nie würdest du's von mir erfahren haben,

Wenn du nicht selbst die Zunge mir entfesselt!

MARIE.

So will ich preisen jenen Schreck, der mich

Erst überwältigt – und dann Mut mir gab![94]

Doch ach! – Indem ich mich daran erinnre,

Fällt wieder mir der dunkle Grund aufs Herz,

In meiner Freude hellen Jubelton

Wie eine schwarze Hand der Götter greifend.

In Fehde wollt Ihr ziehn? Sagt Ihr nicht so?

In Fehde? und vielleicht in – Schlimmers noch

Als bloße Fehde? – Sagt mir, gegen wen?

ULRICH.

Dem Kurfürst Richard gilt sie, Erzbischof von Trier.

MARIE.

Nur gegen ihn? Ein mächtig Haupt, ein gar

Gewaltiges, und dennoch bin ich froh,

Daß sie nur ihm gilt – Schlimmres hatt' ich schon

Besorgt! Doch nein – ich kann mich jetzt nicht fürchten!

Seit mein Geheimnis von den Lippen floh,

Ist's mir, als hätt' ich eine Zentnerlast

Von meinem Busen abgewälzt. Mir ist's,

Als ob mich höh'rer Mut seitdem durchdringt,

Als hätte jetzt ich mich erst selbst gefunden,

Als sei ich meiner und der Welt gewiß!

Es schaut mich alles jetzt so sonnig an,

Das Herz lacht freudig in die Welt hinaus,

Die Welt mir liebend in das Herz hinein!

Nein, nein, es kann nicht sein – ich kann Euch nicht

Im selben Augenblick gefunden und –

Zugleich verloren haben! – Glaubet Ihr,

Ulrich, nicht auch an eine höh're Fügung?

ULRICH mit Bedeutung.

Das große Ganze kann auf sie wohl bauen!

In eigner Weisheit planvoll sich verschlingend,

Führt es sich seinem eignen Ziele zu,

In allen Windungen sich nie verlierend;

Gleichwie ein Reigentanz nur scheinbar sich

Von sich entfernt und in Verwirrung löst,

Doch innerlich der Ordnung stets gedenkend

Ununterbrochen nach sich selber strebt.

Ja selbst was sich dem stumpfen Eintagsblick

Als Hindernisse darzustellen pflegt,

Sind grad nur Mittel für das Weltgeschick,

Die zur Vollbringung es zurecht sich legt.


Er hält etwas inne.


Der einzelne – steht auf des Zufalls Pulvermine,

Auffliegend sprengt sie in die Lüfte ihn![95]

MARIE.

Nein, Ihr habt Unrecht! Weil Ihr Männer nur

Fürs Ganze Herzen habt, wollt Ihr auch nur

Im Ganzen Lieb' und Ordnung gelten lassen.

Ich bin gewiß, ich werd' Euch wiedersehn.

Mir sagt's das Herz! Ihr kehret sieggeschmückt

Aus diesem Krieg. Dann tretet Ihr vor meinen Vater,

Begehrt der Tochter Hand – dann sind wir glücklich, Ulrich!

ULRICH auffahrend, in heftigem Kampf.

Ich um Euch freien? Niemals!

MARIE betroffen.

Wie sagt Ihr?

Ihr wollt nicht um mich freien? Fürchtet Ihr,

Daß Euch der Vater meine Hand wird weigern?

O glaubt es nicht. Ich weiß, er liebt Euch so,

Fast wie mich selbst! Er wird es nicht versagen.

ULRICH düster.

Das ist es nicht! – Ich freie nicht um Euch!

MARIE zurückfahrend, ihr Gesicht mit den Händen bedeckend.

Ulrich!

ULRICH mit tiefer Trauer.

Was Ihr mir hier gesagt, Marie, es hat

Unendlich glücklich mich gemacht – jedoch

Gleich einem Traumbild muß es allzuschnell verschwinden.

Verweht sei jedes Wort! –


Mit abgewendetem Gesicht.


Nehmt hier Euch selbst zurück!

Ich kann Euch nicht – darf Euch nicht an mich binden.


Mit Leidenschaft.


Ich sollt' in meines Lebens unstet Wirrsal

Dies Kind, das lebensfrohe, mit verstricken?

Auf dem Vulkane meines eignen Daseins

Täglich ihr Haupt mit Zittern zu erblicken?

Wenn ich im regellosen Laufe mit dem Erdball

Zusammenschmettere, zerstört in hundert Stücken,

Im ungeheuren Stoß sie mit mir zu erdrücken?

O nimmer darf das sein!

MARIE die erst bei den letzten Versen die Hände vom Gesicht genommen.

Ulrich, Ihr sprecht

In Fieberhitze! Kaum versteh ich Euch –

Kaum hört' ich Euch! Als Ihr mich habt – verschmäht,

Schlug es wie Wogen brausend über mich zusammen.

ULRICH.

Mißkenn mich nicht, Marie! Ich darf dich nicht

Verflechten in dies kampfgeweihte Leben![96]

So weit mein Blick zurückreicht, trifft er nur

Auf jedes Elend, welches Menschen hassen.

O kenntest du die Hälfte meines Schicksals,

Du würdest mich verstehn – du selbst trügst Scheu,

Dem Unglück, seiner angetrauten Braut,

Dies qualverfallne Dasein zu bestreiten.

MARIE.

Wie seid Ihr ungerecht wider Euch selbst!

Ihr, den Natur mit ihren reichsten Gaben

Verschwenderisch beschenkt, Ihr, Ulrich, nennt Euch –

ULRICH sie leidenschaftlich unterbrechend.

Auf meiner Fußspur zieht ein Dämon nach,

Den Keim des Glückes selbst in Unglück wandelnd.

Eilf Jahre zählt' ich kaum, als mich bereits

Begabung, die man an mir wahrnahm, zu

Lebendigem Begräbnisse verurteilt.

In Fuldas Klostermauern sollte ich,

Zum Mönch bestimmt durch meines Vaters Willen,

Vertrauern dieses sonnenhelle Dasein!

Fünf Jahre litt ich, da erfaßte mich der Geist.

Ein Kind von sechzehn Jahren floh ich heimlich

Des Klosters Nacht. Nach Erfurt zog ich, dort

An seiner Hochschule, der weitberühmten,

In gier'gen Zügen mir des Wissens Durst zu stillen.

Abzog der schwer durch diesen Schritt gereizte Vater

Die Hand von mir – von fremder Menschen Gnade

Mußt' ich des Lebens dürft'ge Fristung mir erflehn!

Was war mir das! – Erschlossen waren uns seit kurzem

Des Altertumes goldne Schätze! Inbrunstvoll

Lag ich an seinen Brüsten, mich berauschend

An jener Milch der Freiheit, welche ewig

Aus ihnen frisch und unvergänglich quillt!

Aus seiner Dichter leuchtenden Gebilden

Den Atem einer freiern, großern Menschheit

In die bewegte Seele mächtig saugend.

Doch wie Kometen hinter sich den Schweif herziehn,

Zog mir das Unglück auf der Ferse nach.

Ich war kein Jahr in Erfurt – kam die Pest,

Sprengte die Hochschul'! Schlagend, drohend

Vertrieb mit seinem Schwert der Würgengel

So Lehrer wie Studierende! – Nach Köln

Zur Universität zog ich! –

Hier herrschte noch in ungestörter Blüte[97]

Wie noch bis heut der Finsterlinge Schar,

Der Dunkelmänner schmachvolles Gelichter,

Die Nachtkobolde, welche wie Vampire

Verzehrend saugen an der Menschheit Blut.

Hier herrschten, feist vor krasser Ignoranz,

Von Blutdurst trunken, Menschenfleisch-gefräßig,

Arnold von Tungern, Gratius und andre,

Vor allen andern Jakob Hochstraten,

Das flammenspeinde Ungetüm!

Sprich, was du willst – er kennt nur eine Antwort:

Das Feuer ruft er stets auf dich herab!

Nicht jenes, welches leuchtet und erwärmt –

O nein, des Holzstoßes, des Scheiterhaufens

Stupide Flamme kennt er nur. Ob wahr,

Ob falsch, was du gesagt – sein Wort ist: Feuer!

Wenn recht, so Feuer! Feuer auch, wenn irrig;

Von Feuer ist er ganz, aus seiner Kehle

Schlägt züngelnd stets die lohe Flamm' heraus!

Hier, weil den Götterreiz der alten Poesie

Ich weihend andern Jünglingen enthüllte,

Traf mich der Blitzstrahl aus der Finsterlinge Hand.

Für dies Vergehn ward ich als ein Verführer

Der Jugend, als ein Schänder der Religion,

Von jener Hochschul' schimpflich ausgestoßen. –

So griff ich denn zum drittenmal zum Stab!

– Erstanden war ein neuer Ort des Lichts,

In ferner Mark, an Frankfurt an der Oder,

Ein neuer Sitz der Wissenschaft gegründet.

Der freien Künste Lehrer lebt' ich hier

In würd'ger Freunde gleichgesinntem Kreis.

Doch hier – ergriff mich eine Schreckenskrankheit,

Furchtbar des Lebens Mark an seiner Quelle dörrend,

Von der ich niemals ganz geheilet ward.

Kaum halb genesen, faßte mich der Geist,

Der niemals rastende; mich trieb der Drang,

Die Wissenschaft dem Leben zu verbinden,

Nach Wirklichkeiten drängt' es unklar mich.

Ich wollte Menschen, Länder, Städte sehn.

In einem Ostseehafen schiffte ich mich ein,

Doch nicht ertragen konnte mich das Schiff,

Zusammen brach es unter mir! –

MARIE.

Entsetzlich![98]

ULRICH.

Entblößt von allem, halb verhungert

Kam ich nach Greifswald. Doch von hier vertrieb mich

Wertloser Menschen übermüt'ger Stolz.

Ich ging – doch nicht entging ich ihrem Haß.

Des Meuchelmordes Beute wurde ich,

Der mich halb nackt auf offner Heerstraße,

Mit meinem Blut das Eis des Bodens wärmend,

Schutzlos dem Winterfrost zum Raube ließ.

Mit meiner Spur des Weges Länge rötend,

Schleppt' ich, erliegend fast, nach Rostock mich.

MARIE.

O armer Mann! Und fiel kein Sonnenstrahl

In diese Nacht?

ULRICH.

Nennt's Qual, nennt es nicht Nacht!

Es fiel der Sonnenstrahl, er zeigte mir

Hell meines Daseins Zweck, endlose Reihe

Von neuen Qualen mir zugleich erzeugend.

Nicht lang nach jener Zeit war es, daß sich die Phalanx,

Die festgeschlossene der Dunkelmänner,

Wider die neu erwachte Wissenschaft

Im mächt'gen Haß erhob!

Schon fühlten sie vom Hauch des Altertums

Verscheucht die finstre Glaubenstyrannei

Des mönchischen, verruchten Truggewebes

Und auf des Geistes sonnenhellen Flügeln

Befreiung dringen in der Völker Herz.

Es galt im Keim den Keim der Freiheit zu ersticken!

Der Nestor deutscher Wissenschaft, Reuchlin,

Ward ausersehn, an seinem greisen Haupt

Den Streich, den tödlichen, zu führen.

Der Kölner Streit brach los. Auf Reuchlins Schriften wurde

Der Kirche Anathem herabgerufen,

Von Erfurts, Mainz', Paris' und Löwens Fakultäten

Sein Buch als ketzerisch verdammt – in Köln,

Der deutschen Residenz der Pfaffentücke,

In feierlichem Aufzuge verbrannt.

Im ganzen Deutschland regt' es sich, allüberall

Scharten sich um Reuchlin des Geistes Kämpen,

Und jenseits der Scholastiker und Bettelmönche

Gedrängte Reihn. Wie Guelf und Ghibellin,

So flog der Schlachtruf teilend durch das Land.

Da lag auf einmal meines Lebens Zweck[99]

Mir licht vor meiner Seele ausgebreitet,

Hell ward, was Ahnung bis dahin gewesen.

Der Drang nach Wissenschaft, der Drang nach Wirklichkeit,

Die bis dahin sich meine Brust geteilt,

Zusammenwuchsen sie in ein befriedigt eins.

Ich wußte jetzt, wozu ich ward geboren,

Wozu so hart gehämmert in des Unglücks Esse!

Wie sich ins Meer die Woge tosend stürzt,

Wie Brandung von dem Ufer widerschlägt,

So stürzte ich mich flammensprühnden Auges,

Zitternd vor Leidenschaft, vor Wollust rasend,

Kopfüber in den ungeheuren Streit.

Des Zornes Axt, des Spottes Stachelkeule

Schwang ich zermalmend auf der Gegner Haupt,

Unter Europas lautem Beifallklatschen

Und seines schallenden Gelächters Wucht

Ihr Jammerdasein auf der Parodie

Schaubühne an den offnen Pranger schlagend.

Doch eine Welt von Haß erzeugt' ich mir,

Die mit mir ringt, der ich entgegen ringe

Auf Tod und Leben, Brust an Brust gedrängt!


Er hält einen Moment inne.


Hin trieb's mich mächtig nach Italien,

Es drängte mich, auf meines Feindes Wunden,

Die eiternden, die Finger selbst zu legen

Und des Verderbens ganzen Abgrund zu durchspähn.

Ich griff zum Wanderstab – ein fahrnder Schüler,

Im schmutzigen, zerrissenen Gewand,

Von milder Menschen Almosen, ein Bettler, lebend,

Durchzog ich Ostreich, Böhmen und Tirol.


Marie macht eine stumme Gebärde des Schreckens.


Soll ich dir sagen, Mädchen, wie ich in Pavia,

Vom Feind im eignen Haus belagert,

Schon auf mich gab, wie ich mich schon

Gekommen glaubte an des Elends Grenze

Und mir im Lied die eigne Grabschrift setzte!

Wie ich gefangen ward, entfloh und dann,

Furchtbar durchschüttelt von des Fiebers Frost,

Furchtbarer noch von Mangel und von Armut,

Die Schlangen gleich in wilder Üppigkeit

An meinem abgezehrten Leib sich mästeten,[100]

Vom – Hunger, der nicht Wahl mir ließ, getrieben,

Als ein gemeiner Lanzknecht in Italien

Eintrat in Kaiser Maximilians Heer,

Wie ich dort –

MARIE ihn laut aufschreiend unterbrechend.

Ulrich, haltet ein! Ich kann –

Ich kann das Gräßliche nicht langer hören!

Ich wollt' Euch längst schon unterbrechen, doch es war,

Als ob der Schreck die Zunge mir gelähmt,

Die Sprache mir geraubt – noch mehr gesteigert,

Schenkt er sie jetzt mir wieder! Fürchterlich

Ist dieses Unglücks lange Graunverwicklung!

Ist's möglich, daß so aufgehäuftes Elend

Auf eines Menschen Haupt sich sammeln konnte,

Auf Eures, Ulrich! Ist es möglich,

Daß einer alles dies ertragen konnte? –

Ich kannte nur den Sonnenschein des Glücks,

Und keine Ahnung hatt' ich von dem Schatten.

Ich fühl es, wie Eu'r furchtbarer Bericht

Sich über meines Herzens Knospen alle,

Die zu der Freude Licht aufatmend streben,

Ausdörrend, trocknend, wie ein Samum legt

Und unter seinem gift'gen Todeshauche

Mir eine nach der andern hin verwelkt!

Wie Unglücksahnung zieht es über mich.

O haltet ein! – Auch hören heißt erleben!

Macht eine Pause –

ULRICH sie unterbrechend.

Längre Pause nicht,

Als auch mein Unglück Pause hat gemacht.

Wenn's dich gelüstet, Mädchen, mich zu lieben,

So kenn zuvor den Fluch, von dem ich bin getrieben!

MARIE.

Ein Fluch auf Euch? Ihr mißversteht mich, Ulrich.

Ihr werdet mich nicht schrecken! Euretwegen

Bricht es die Seele mir, so Gräßliches zu hören;

Doch selbst der Leiden lange Kette macht

Euch nur noch teurer meinem Frauenherzen;

Es liebt das Weib den Sohn der bittern Schmerzen.


Sie hält inne.


Nein, Ulrich, nein! Auf Eurem reinen Haupte wohnt

Kein Fluch!

ULRICH.

Kein Fluch, sagt Ihr? Ihr irrt, Marie!

Es ist der mächtigste, der unabwendbarste[101]

Von allen, die aufs Haupt der Sterblichen

Ein Gott im Ingrimm seiner Liebe schleudert!

Oh, ewig bleibt die alte Fabel wahr!

Als sich im alten Rom ein Abgrund öffnete,

Pest und Verderben drohend jener Stadt,

Da sagten die Orakel: nur das Kostbarste,

Geworfen in den Schlund, könne die Götter sühnen.

Und sieh, auf hohem Roß im festlichen Geschmeide

Des Waffenschmucks sprang Curtius hinein,

Den Unterirdischen, den Finsteren sich weihend!

Die Besten müssen springen in den Riß der Zeit,

Nur über ihren Leibern schließt er sich,

Nur ihre Leiber sind der seltne Samen,

Aus dem der Völkerfreiheit üpp'ge Pflanze

Grünend hervorschießt, eine Welt befruchtend.

Das ist der Fluch, der auf den Besten lastet,

Dämonisch sie und was sich ihnen naht

Dem finsteren Verderben weiht!

MARIE.

Wohl! diesen Fluch

Ich will – wie gern! – ihn mit Euch teilen, Ulrich,

Der Streich, der Euch zerschmettert, treff' auch mich.

ULRICH.

Du starkes Mädchen! Dir geziemt es, so

Zu denken, doch würd' es auch mir geziemen,

In solches finstre Opfer einzuwill'gen?

Einsam muß gehen durch die Welt, wer sich

Den dunklen Todesmächten hat geweiht.

Hör mich, Marie! Ich will nicht länger dir

Mit meines Leids ausführlichem Bericht

Dein weiblich Herz, das fühlende, zerfleischen.

Verschleiert seien all die einzeln' Züge

Des großen Trauerspiels, das ich gelebt.

Eins nur vernimm! Ich hatte lange Jahre

Ein schmählich und verächtlich Armut still getragen,

Als mir der Vater starb. Jetzt fielen mir,

Dem Erstgebornen, der Familie reiche Güter

Anheim! Doch sollte ich bei meinen Planen,

Die täglich mich dem Sturz zutreiben konnten,

Auch meiner Brüder, auch der Mutter Haupt

In meinen Untergang mit mir verflechten?

Das wollt' ich nicht! Und ich verzichtete

Auf das Familiengut! Verzichtete

Auf jede Lebensfreude, die der Reichtum[102]

Uns gütig schöpft mit seiner vollen Hand,

Auf des Besitzes sicheres Gefühl.

Ein Bettler blieb ich wie zuvor, und nichts,

Nichts nenn ich mein als Schwert und Feder.

Und was ich für die Brüder, für die Mutter

Getan, ich sollte es für dich nicht tun?


Marie will ihn unterbrechen.


Nein, unterbrich mich nicht! Hör mich erst aus.

Wenn's dir gelänge, mich zu überreden,

Hast du die Folgen für mich selbst bedacht?

Wenn mich bisher des Unglücks wilder Strudel

An alle Lebensklippen tosend angeschmettert –

Ich war doch glücklich, denn ich hatte mir

Des Busens freud'ge Einigkeit bewahrt.

Doch wenn mich weiter jetzt die Brandung wirft,

Wenn ich dich, Mädchen, Arm in Arm mit mir

Anschmettern seh an jeder Felsenkante,

Dich leiden, was ich selbst gelitten habe –

Der Flucht, der Armut, des Gefängnisses,

Des Elends, der Verfolgung, des Exils,

Der bittern Erdenleiden alle, alle,

In einen Kranz geflochtne Dornenkrone

Auf deinem Kindeshaupt, dem glückgewohnten, schaue –

– Wenn ich dein mut'ges Engelsantlitz sehe,

Den Schmerz verschließend, der dann doppelt nagt,

Auflächeln zu mir, um mich mehr nicht zu belasten –

Glaubst du, Marie, ich könne das ertragen?!

Was ich bisher gelitten habe,

War nur des Unglücks Schein. Was litt ich denn?

Ich war ja einig, einig mit mir selbst!

Nichts konnte mir die klare Seelenruh'

Des starken zweckbewußten Herzens,

Das innre Glück – nichts konnte es mir rauben!

Die ungezähmte Kraft, die meine Seele

Stets freudig schwellte, daß des Unglücks Schlägen

Sie stolzer noch entgegenschlug – Du willst sie brechen,

Willst Spaltung in den ein'gen Busen bringen,

Den Demantschild willst du mir jetzt entwinden,

Der gegen eine Welt von Feinden mich gedeckt,

Den Panzer von mir reißen, daß der Feinde Schwerter

Endlich den lang umsonst gesuchten Weg

Zu meines Herzens rotem Leben finden![103]

Den innern Zwiespalt willst du mir erregen,

Der einzig wahren Unglücks Quelle ist.

Wenn ich dich mit mir leiden säh', Marie –

Wär' dann nicht jedes Leid ein Widerhaken

In meines Herzens innre Fügung ein sich beißend,

Jeder mir eine andre Seelenfiber fassend

Und im entsetzlichen Verzweiflungsriß

Den Bau des Herzens auseinanderwindend?

Des Elends tiefsten Abgrund soll ich kennen,

Um dich zu würgen, soll ich mein dich nennen?

Der Streich, der mir entreißt, was mir beschieden,

Was mir allein kein Elend konnte wenden,

Die freud'ge Kraft, der Seele heitern Frieden –

Er soll mich treffen aus der Liebe Händen?

Vorn droht die Welt mir Tod mit wildem Hassestriebe,

Im Rücken droht Verzweiflung mir die Liebe!

MARIE langsam, sehr ernst.

Es reift zum Weib in einer Nacht die Jungfrau,

Man sagt, daß wohl ein Tag des herben Grams

Das blühnde Haar des Scheitels bleichen könne;

So fühl ich mich im Laufe dieser Stunde

Gereift, ich möchte sagen fast – gealtert!

Die ganze Leiter der Empfindungen,

Vom Gipfel des Entzückens bis zum tiefsten

Schwermüt'gen Schmerz habt Ihr im kurzen Raum

Von einer Stunde mich durchlaufen lassen,

Und schwerer wiegt sie, als mir Jahre wogen.

– Es sei so, wie Ihr sagt. Vieles hab ich gelernt.

Ich sah die Welt, ich fühl es, irrig an.

Wie alles sich im Sonnenscheine wärmt,

Wie in dem güt'gen Glanze der Natur

Die kleinste Mücke harmlos freudig spielt,

So glaubt' ich an das Glück! Ich hielt es für ein Recht,

Ein allgemeines, jeder Kreatur.

Ich seh, ich irrte. Anders als in der

Sich jedem gleich hingebenden Natur

Hat in der Welt der Haß der Menschen sich

Des ruhelosen Daseins Last gestaltet.

Das Glück, ich seh's, es muß nicht sein; zwar spät,

Doch um so herber nur kommt mir die Lehre.

Ich will nicht meiden meinen Anteil an

Dem allgemeinen Los der Sterblichen,[104]

Will meines Busens selige Befried'gung nicht

Auf Kosten Eurer Kraft, um Eures Elends,

Um Euerer Verzweiflung Preis erkaufen,

– Es sei so, Ulrich, wie Ihr sagt; doch seht!

Ich bin noch jung, kann so mit einmal nicht

Von jeder Lebenshoffnung Abschied nehmen,

Bin noch nicht festgehämmert, so wie Ihr,

In dieser herben Schule der Entsagung;

Zur Hoffnung reißt sich noch die Seele auf,

Zum Licht des Daseins strebt sie noch empor.

Die Hoffnung laßt mir, Ulrich, raubt sie nicht!

Wenn Ihr aus dieser Fehde seid gekehrt –

ULRICH.

Dann geht's in größre Fehde.

MARIE mit Bedeutung.

Ich weiß es jetzt.

Doch seht! Auch diese Fehde endigt.

Es endigt ja sich jeder Traum im Leben,

Der finstre wie der schöne; alles endet!

Das Glück selbst endet, wie ich jetzt erfuhr,

Warum nicht auch das Unglück? Warum sollt' es,

Es ganz allein, mit dem Entsetzensvorrecht

Endloser Dauer ausgestattet sein?

Wenn Ihr dereinst aus jener Fehde kehrt,

Dann, Ulrich –

ULRICH mit Leidenschaft.

Dann, wenn ausgetobt der Kampf,

Erreicht des Lebens treibende Bestimmung,

Dann darf ich Euch an meinen Busen drücken,

Durch Eueren Besitz zum Gotte mich beglücken.

Ich einer hätte dann erschöpft die Welt,

Zur Neige ausgeleert, was sie enthält

An Glück wie Unglück! Eine Welt im kleinen,

Würd' ich das ganze Los der Menschheit in mir einen!

Doch fürcht ich, neidisch sind des Schicksals finstre Mächte

Und dulden nicht, daß man sich Götterkronen flechte!


Er geht schnell ab.


MARIE ihm lange nachsehend.

Beschütze, Himmel, ihn! – Du hast in Deinen Reichen

Kein Kleinod, welches ihm sich könnte gleichen!


Geht ab.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 92-105.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
Franz von Sickingen

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon