|
[114] Saal im Pfalzgräflichen Schlosse zu Heidelberg. Es treten auf der Geheimschreiber des Pfalzgrafen und ein Ritter des Erzbischofs von Trier. Dann Kurfürst Ludwig.
GEHEIMSCHREIBER.
So argen Drang erleidet Euer Herr?
Erzählt doch weiter, kargt mit Worten nicht.
RITTER.
So arg, daß ich zwei Pferde ritt zu Tod,
Die Zeit um ein'ge Atemzüge zu betrügen!
Es kann die Stadt mit jedem Tage fallen.
Wo weilt Eu'r Herr, und warum führt Ihr mich
Nicht hin zu ihm?
GEHEIMSCHREIBER.
Er wird bald hier erscheinen.
Geduldet Euch indes und stillet mein Verlangen.
Wenn Euer Herr so stattlich Heer gesammelt,
Was zog er nicht entgegen ihm, die Stadt
Im offnen Feld mit seiner Brust zu decken,
Vermeidend so die Furcht des Hungers wie Verrats?
RITTER.
Freilich, wenn Ihr, Herr Sekretarius,
Erst Feldherr wärt – Ihr würdet sicherlich
Den Franz in offner Schlacht besiegen! Wer
Bezweifelt es?! Wir andern Sterblichen
Sind nicht so kühn. Wo der Franziskus führt,
Verwandelt jeder Lanzknecht sich zum Helden
Und ficht, als könnt' er Kronen sich erbeuten!
Der Pfalzgraf tritt auf.
Doch seht, da naht sich endlich Euer Herr.
Sich verneigend.
Heil, hoher Herr!
LUDWIG.
Seid Ihr der trier'sche Ritter?
RITTER.
Ich bin es, den an Eu'r kurfürstlich Gnaden
In seiner höchsten Not mein Herr, der Erzbischof,
Abschickt, an die Verträge Euch zu mahnen.
LUDWIG.
Wie steht die Sache Eures Herrn? Sagt an!
RITTER.
Gnädiger Fürst! Maßlos schwillt an die Flut.[114]
Schon hält der grimme Ritter Trier selbst
In eherner Umarmung fest umschlossen
Und preßt die Stadt so ungestüm ans Herz,
Haß ihr des Busens Eisenmieder springt
Vom wilden Druck so grauenvoller Liebe.
Indem ich spreche, fließt der Edlen Blut,
Wankt unter der Geschütze Last die Mauer –
Wer weiß was uns die nächste Stunde bringt!
LUDWIG.
Wie konnte in so kurzer Zeit Franziskus
So um sich greifen? Auf die erste Kunde
Von Eurem Herrn hab ich ihm zugesendet
Vertragsgemäß von Reisigen und Mannen
Stattlichen Zuzug, und ein Gleiches wurde
Von andern Freunden ihm zuteil. Wie kommt's,
Daß er an seines Adels, seines Landvolks Spitze,
Durch solche Hülf' verstärkt, das Landgebiet
Nicht länger wider Franz verteid'gen konnte?
RITTER.
O fragt nicht, Herr; da war kein Halten möglich!
Des Namens Schrecken flog vor ihm einher,
Ein Gorgobild, den Widerstand versteinernd.
Wie einem zweiten Holofernes zogen
Ihm mit Trompetenschall und Paukenklang entgegen
Gemeinden, Magistrate, weißgeschmückte
Jungfrauenreihn. Was widerstand, das mähte
In ungestümen Schwingungen sein Schwert.
Grimberg, St. Wendel, Bliescastel nahm er
Mit Sturmeshand und wälzte sich sodann,
Wie eine Feuersäule laufend wächst,
Vor Trier. Der Kriegsgott selbst, wenn er vom Himmel stieg,
Hatt' seiner Furie Einhalt nicht getan!
Heut schon war Trier in seiner Hand, wenn nicht
Ein Zufall oder Wunder uns gerettet.
LUDWIG.
Was meint Ihr? Sprecht!
RITTER.
Derweil Franziskus, Herr,
Burgen und Städte brach, gen Trier rückend,
Warf unser Kurfürst in die Eifel sich,
Den Landsturm seines Volkes aufzubieten.
Doch Franz ersieht's; das linke Moselufer
Läßt er vom Bastard von Sombreff besetzen,
Dem Erzbischof die Rückkehr abzuschneiden.
Der tolle Bastard aber, hingerissen[115]
Vom Obereifer seines eignen Muts,
Dringt ja die Eifel vor, dem Kurfürst folgend.
Der täuschet ihn durch klug verschlungne Märsche,
Find't frei das Ufer und erreicht zwei Tage,
Eh' Franz vor Trier anlangt, seine Stadt. –
Fand der Franziskus Trier ohne Herrn,
Warf zitternd sich die Stadt an seine Brust
Und im Gebirge irrte jetzt der Kurfürst
Flüchtig, geschreckt von jedes Spähers Tritt.
LUDWIG.
Kein Zufall, Gottes Fügung war es, welche
Solch Unglück hat von seinem Haupt gewandt! –
Doch jetzt, gedeckt durch Triers starke Mauern,
Die mondenlang wohl der Belagrung trotzen,
Wie kann er fürchten also schnellen Fall?
RITTER.
O Herr, wie lange soll so zahlreicher Besatzung
Der Vorrat währen in der eingeschloßnen Stadt?
Doch ist's nicht das allein. Ein Teil der Bürgerschaft –
– Aus aufgefangnen Briefen weiß es unser Herr –
Hält's murrend mit Franziskus. Selbst die Beßren,
Sie werden schwierig, wenn sie Tag und Nacht
Zur Abwehr bald und bald zum Löschen ruft.
Als ich mich wandte, schickt' er grad sich an,
Die Stadt mit glühnden Kugeln zu beschießen,
Und vielen Stürmen hält sie schwerlich Stand.
Doch, Herr, auch frohe Botschaft künd ich Euch.
Von Philipp, Hessens Landgraf, bring ich Nachricht,
Den ich in Darmstadt sprach zu gleichem Zweck.
Des edlen Fürsten Wange glühte zornig,
Als er des Bundsgenossen Drang erfuhr.
Eh' sich die sechste Sonne senkt ins Meer,
Schwur er zu stehn an eines Heeres Spitze.
Ein Gleiches, Herr, erwartet er von Euch;
Ihr sollt bestimmen ihm den Sammelort,
Zu Triers Entsatz vereint dann vorzurücken.
LUDWIG zögernd.
Ein Heer zu rüsten in so kurzer Zeit –
Denkt Ihr daran? – Das ist unmöglich, Freund!
Zudem –
RITTER.
O zaudert nicht, mein kurfürstlicher Herr!
Denkt des Vertrags! Bedenkt, daß jede Stunde
Im Schoß kann führen nie zu Änderndes.
LUDWIG.
Gern tu ich, was ich kann. Ich will von neuem
Ein Fähnlein Euch zu Hülfe senden.[116]
RITTER bitter.
Ja!
Und sputet Euch, damit's noch zeitig eintrifft,
Um mitzuzechen bei Triers Leichenschmauß.
Nach einer kurzen Pause, während welcher der Pfalzgraf sinnend auf und ab geht, mit bittendem Ton.
Mit halber Hülfe ist hier nichts getan;
Nur Eure ganze Macht, mein Fürst, kann retten.
Ahmt nach des Hessen edles Beispiel, Herr!
Ein Heer schart um Euch, rückt vereint mit Philipp
Gen Trier vor, sonst sinkt die Stadt in Trümmer.
Bald könnt Ihr selbst nicht mehr, was Ihr noch heute könnt!
LUDWIG stehenbleibend, für sich und mit innerer Bewegung.
Ich sollte wider Franz an Heeres Spitze ziehn?
– Das wär' ein Kampf auf Tod und Leben! Niemals
Verzeiht er's mir – und nie ich ihm, geh ich so weit!
– Nein! Mag das Philipp tun, wenn er's mit seinem
Lutherischen Gewissen einen kann!
Mich bindet andre Pflicht. – Franz! Franz! So weit
Sollt' ich vergessen jahrelanger Liebe,
Der Treue, die du und dein Haus – – vor meinen Augen
Steigt Schweickhardts, Deines Vaters, blutiges
Gespenst herauf, das Haupt abmahnend schüttelnd –
RITTER drängend.
Entschließt Euch, Herr! Indem wir sprechen, fallen
Die eh'rnen Lose, die der Kriegsgott wirft.
LUDWIG mit Bestimmtheit zum Ritter.
Es kann nicht sein! Unmögliches begehrt nicht.
Philipp reicht hin. Verstärkung send ich ihm,
Und – alles ist das, was ich leisten kann.
RITTER.
Dann ist es aus, und große Dinge wird
Mitanschaun dieses Jahres Sonne noch,
Und unabwendbar in Erfüllung bringt sich
Des Franzens Wort!
Will gehen.
LUDWIG.
Was für ein Wort, Herr Ritter?
RITTER.
Es hatte in St. Wendels Mauern sich
Der beste Adel Triers eingeschlossen:
Bruno von Schmidtburg, Waldecker von Keimt,
Otto von Kettig und noch andre mehr,
Des Erzstifts Säulen, feierlichen Schwurs,
Den Platz zu halten, sei's ihr Untergang.
Zweimal vergeblich stürmt der Ritter an,[117]
Abschlägt ihn dieser Tapfern Heldenmut.
Doch heißer nur zu grimmer Wut entflammt,
Rast an Franziskus, und beim dritten Sturm
Zerbricht wie Glas er Mau'r und Widerstand.
Wie er nun steht im Schloß des Erzbischofs,
Umringt von seiner Kriegsobristen Schar,
Und des gefangnen Adels lange Reihn
An sich vorüberführen läßt – die schlagen
Zur Erde ihren gramgebeugten Blick –
Da drängt im frohen Übermut der Stunde
Des sonst so schlau Verschlagnen Herz zur Lippe sich.
»Ihr Herren«, ruft er aus, »schaut froher drein!
Ihr habt 'nen Fürsten, der, wenn er es bleibt,
Des Guts genug besitzt, um Euch zu lösen;
Doch wenn, was wie Ihr seht auf bestem Wege ist,
Geschmückt mit seinem kurfürstlichen Purpur,
Franziskus treten sollte in der Sieben Reihn
Und Ihr dann seinem Banner folgen wollt,
Soll Euch Gewinn nur bringen dieser Tausch!«
LUDWIG sehr hastig und erregt.
Franziskus in der Sieben Reihen? Wie?
Das sagte er?
RITTER.
Bei meinem Heil, Herr Pfalzgraf! –
Ja, jeder Lanzknecht in dem Heer des Franz
Schwört laut, sein Herr werd' Kurfürst – oder mehr!
LUDWIG.
So fahre hin denn, Unentschlossenheit!
Hier schwindet jede Rücksicht! Wie, Franziskus!
Du mit dem übergreifenden Gemüt
Den kurfürstlichen Purpur dir erbeuten?
Den Kurhut auf so ruhelosem Haupt? – So täuschte
Mich mein gerechter Argwohn also nicht,
Das war der Zweck der Landauer Vereinung?
O niemals, Franz! – Jetzt tut's zu handeln Not.
Fliegt hin zu Philipp, tut von mir ihm kund,
Ich denke der Verträge, die wir schlossen.
Im Fluge rüst ich mich mit ganzer Macht,
Send ihm noch Botschaft, wo ich zu ihm stoße;
Er soll bedenken, was Minuten wiegen!
Eilt, eilt!
Zum Geheimschreiber.
Laß schnell ein frisches Roß ihm geben.
Fort jetzt, Herr Ritter! nehmt des Sturmwinds Flügel![118]
RITTER sich verneigend.
Heil Euch, mein Fürst! So große Freudenbotschaft
Verwandelt mich zum Pfeil! Verlaßt Euch drauf!
Geht schnell mit dem Geheimschreiber ab.
LUDWIG allein.
Den deutschen Brutus nennt man dich im Volk,
Jetzt gilt's zu wissen, Franz, ob du der Brutus bist,
Der siegreich die Tarquinier vertrieb –
Ob jener, der umsonst ermannt, zuletzt
Sich mit dem eignen Schwert durchbohren mußte!
Geht schnell ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
|
Buchempfehlung
Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro