Fünfte Szene.


[194] Der Herzog Karl. Die Vorigen ohne Laura, die später erst zurückkehrt. Bleistift (im Vorzimmer bleibend).


HERZOG in Jagdkleidung, eine lange Peitsche in der Hand, mit welcher er klatscht. Seinem Erscheinen hinten voraus ein Tambour, der einen Wirbel schlägt und jenseits des Vorzimmers zurückbleibt. Sowie er durch die Glastür schreitet und Rieger sieht, sagt er. Wie geht dir's, alter Sünder? Fortschreitend.

RIEGER. Nach Gottes Ratschluß, Durchlaucht!

HERZOG. Um was alles soll sich der Herrgott speziell kümmern! – Grüß di Gott, Franzel Küßt sie auf die Stirn. Der Großfürst wird wohl noch diese Nacht eintreffen, 's gibt Not, meine Jagd ist noch nicht ganz in Ordnung, wenn's was Apartes werden soll – na, Frau Gevatterin Zur Generalin. die Demoiselles unsrer Schule sind doch in Ordnung, mit weißgewaschenen Kleidern, niedergeschlagenen Augen, gutem Gewissen und guter französischer Aussprache?

GENERALIN. Ich hab' den Demoiselles noch zu sagen vergessen, daß ein gutes Gewissen die Augen niederschlagen soll.

HERZOG sie auf die Wangen klopfend. Blitz, die Bäbele ist unwirsch – Bleistift winkend. Sessel! Bleistift bringt hastig einen Sessel. Ich bin müde wie ein Jagdhund. Das Bauernvolk stellt sich an, als ob es das Hirschezusammentreiben erst heute lernen sollte. Sich setzend, zu Silberkalb:. Hat Er nachgefragt, Hauptmann, drüben beim Nieß, ob in der Karlsschule was vorgefallen ist?

HAUPTMANN. Zu Befehl, Durchlauchtigster Herr.

HERZOG. Wie hieß der Ulmer Vers, Bäbele, welcher dem Schubart den Hals gebrochen hat?

GENERALIN.

Als Dionys zu Syrakus

Aufhören muß

Tyrann zu sein,

Da wurd' er ein Schulmeisterlein.

HERZOG lacht. Sieh, wie gut du dein Sprüchlein kennst! Das schmeckt dir wohl besonders?

GENERALIN. Wie süßes Zwetschenmuß.

HERZOG. Hat denn das Sprüchlein recht?

GENERALIN. Nein.

HERZOG. Nicht? Warum nicht?[195]

GENERALIN. Man kann ein Schulmeister werden und ein Tyrann bleiben.

HERZOG. Bäbele, du bist – ein ganz gescheites Frauenzimmer. Bleistift, 'nen Schoppen Achtundvierziger, ich bin ganz ausgetrocknet. Bleistift ab. 's ist ein Herbst, der den Sommer nicht vergessen kann. – Wie weit seid ihr mit der Komödie, Franzel?

GRÄFIN. Die Probe wird eben zu Ende gehn.

HERZOG. Das ist recht – ich kann die Spielerei jeden Augenblick brauchen zum Unterhaltungsimbiß für unsre Gäste; denn mit der Jagd ist's noch nicht so weit, und die italienischen Sänger haben nur zum bestimmten Abende ihre Stimme und dann nicht immer, dies Sängervolk lernt kein Kommando. Unsre Eleven und Demoiselles haben wir aber Tag und Nacht zur Disposition. Ihr habt doch für 'ne gute Garderobe gesorgt?

GRÄFIN. Für eine passende.

HERZOG. Prächtig muß sie sein, sag' ich dir, Franzel! Mit eurer historischen Treue ist nichts getan; denn es ist doch und bleibt ein erhöhter Zustand bei solcher Aufführung, und verhältnismäßig muß alles im Sonntagsstaate sein – und diesmal also sind die Frauenzimmerrollen mit Demoiselles besetzt?

GRÄFIN. Du hast so befohlen.

HERZOG. Ganz recht. Für Fremde geht's nicht mit meinen Buben. Du hast doch hübsche ausgesucht, Bäbele?

GENERALIN. Wie sich's schickt nach der Rolle.

HERZOG. Na?!

GENERALIN. Hübsch braucht nur die Liebhaberin zu sein, und das ist die Laura.

HERZOG. Richtig, eine hübschere gibt's nicht, wo ist denn die kleine Hexe?

GENERALIN. Wird gleich hier sein!

BLEISTIFT ist unterdes gekommen und präsentiert auf einem silbernen Brette einen Schoppen. Achtundvierziger! Service!

HERZOG halblaut. Ist was vorgefallen, Bleistift?

BLEISTIFT. Non, Sire – nur der Mosje Herr Hauptmann hier scheint viel Geld zu brauchen, hat heute vor dem Lever der Sonne einen Kurier durchs Ludwigsburger Tor hinausgesprengt –

HERZOG. Er konspiriert doch nicht, Hauptmann?[196]

HAUPTMANN. Im Sinne Serenissimi –

HERZOG. Wohin der Kurier?

HAUPTMANN. Nach der Pfalz.

HERZOG. Was?

HAUPTMANN. Morgen verhoff' ich Auskunft eben zu können. Beiseite über Bleistift. Tölpel!

HERZOG. Ist nötig! – Jetzt regieren! General Rieger, Kommandant des Hohenasperg, vor! Rieger marschiert bis zur Linie des Herzogs – die Generalin folgt ihm einige Schritte, die Gräfin setzt sich zur äußersten Rechten. Halt!

GENERALIN beiseite. Wenn nur die Laura käme!

HERZOG. Wir wollen alle Winkel des Hauses ausfegen, damit unser Besuch nirgends ein Häuflein Unrat entdeckt. Wie steht's oben bei dir, sind deine Gefangenen in Ruhe?

RIEGER. Sie fürchten Gott und loben ihn.

HERZOG. Ach was, dabei kann man seinen Herrn auf Erden tadeln! – Wie steht's mit dem Schubart?

RIEGER. Er hat den alten Menschen ausgezogen.

HERZOG. Und du ziehst ihm den neuen an, du verstehst das Schneiderhandwerk. Keine Redensarten! Hat er's aufgegeben, die Preußen auf unsre Kosten zu loben, und macht er keinen Versuch mehr, die Schwaben aufzuhetzen?

RIEGER. Seine Seele ist abgewendet vom irdischen Wirrsal, und er küßt die Rute, die ihn geschlagen.

HERZOG. Klägliches Volk, diese Schreier! Wenn ihnen das Messer an die Kehle kommt, dann kriechen sie zu Kreuze – und mit denen soll eine neue Zeit ankommen! Mut ist die Seele jeder großen Idee! Weiter!

RIEGER. Nur zuweilen noch kommt der Teufel über ihn und flößt ihm ein Gedicht ein. So in diesen Tagen ein gottloses Poem, welches er die »Fürstengruft« genannt hat.

HERZOG. Ein schönes Thema – hat Er's da?

RIEGER. Nein, ich denk' es aber zu fahen, es soll schon hier unten sein, und in diesem Betracht, Durchlauchtiger Herr, hab' ich zu vermelden, daß er in den Ruf der Heiligkeit kommt, wie ein Prophet in der babylonischen Gefangenschaft, und daß die neuen Juden aus allen vier Winden gewandert kommen, sein Auge zu sehn, seine Stimme zu hören.[197]

HERZOG. Was? Deutlich!

RIEGER. Nicht nur allerlei fremdes Volk wallfahret zum Asperge seinetwegen, auch von hier, von Stuttgart selbst kommt man hinaufgestiegen –

GENERALIN. Rieger!

RIEGER sieht sich einen Augenblick um, fährt aber fort. Sogar Leute, die sonst die Kleider des Herzogs tragen, kommen in bürgerlicher Hülle, zum Beispiel gestern ein junger Mann – In diesem Augenblicke kommen von links an die Tür Schiller und Koch und rechts aus der Tür Laura.

GENERALIN. Rieger –! denk an Hohentwiel!

RIEGER. Ein – Er stockt, nachdem er sich umgesehen.

GRÄFIN winkt den beiden jungen Männern fortzugehen.

HERZOG der vor sich hingesehen hat. Was ist?

BLEISTIFT. Sire, Madam Kontessa winken mir, ich weiß nicht pourquoi.

HAUPTMANN macht eine leichte Bewegung nach hinten, als der Herzog auf die Seite nach Bleistift sieht.

HERZOG sich darauf ganz umsehend und die jungen Männer erblickend. Was wollt ihr?


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 194-198.
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