Vierte Szene.


[218] Pfeiffer Roller. Scharpstein Schweizer. Peters Schufterle. Hover Ratzmann. Die Vorigen, bald darauf Nette.


PFEIFFER schon außen. Es lebe die Nacht und die Freiheit!

SCHARPSTEIN. Es lebe der jüngste Tag in Schwaben!

KOCH. Schreit nicht so.

HOVER. Es lebe die Zukunft und die Republik.

PETER singend. »Ein freies Leben führen wir.

KOCH. Zum Henker schreit nicht so, bis die Tür hinter euch verschlossen ist – der Nieß könnte euch hören.

SCHARPSTEIN. Nieß liegt im Siechbett seit heut nachmittag – seine ärgerliche Leber hat ihn mit Gelbsucht übergossen.


Schiller geht vorn quer auf und nieder.


Alles sehr schnell und fast gemeinschaftlich.

PFEIFFER. Ich wollt', er wär' erst blau und schwarz, wie unsere Montur!

PETER singt. »Ein Leben voller Wonne!«

HOVER. Wer macht Feuer, wo ist die Nette!

SCHARPSTEIN. Die Nette kommt gleich – guten Abend Hauptmann.

PFEIFFER. Bonus dies, Moor!

HOVER. Was ist dem Moor?

SCHARPSTEIN. Er phantasiert!

HOVER. Will Fiesko nicht sterben?


Schiller geht nach hinten.


PETERS. »Der Wald ist unser Nachtquartier.«

SCHARPSTEIN. Zum Teufel, so rede doch, Moor!

SCHILLER. Hat keiner den Streicher gesehen?

SCHARPSTEIN. Nein!

PFEIFER. Nein.

HOVER. Doch – die kleine Nette hat ihn gesehen, er hat ihr einen Brief für dich gegeben.

SCHILLER. Wahrhaftig? – Wo ist der Bub', wo ist er?

PETER singt. »Bei Sturm und Wind marschieren wir.«[218]

KOCH. Still doch, Schufterle, man hört ja sein eigen Wort nicht.

HOVER. Er wird gleich kommen – er holt frischen Rum und Tabak und bringt warmes Wasser.

SCHILLER. Viktoria! Koch vorführend. So käme die Entscheidung noch zu rechter Zeit! Dann wieder nach hinten eilend und dort harrend.

KOCH. Wenn sie nur was taugt!

PETERS der währenddem singend phlegmatisch am Tische Pfeifen gestopft. Sessel herbei, Sitzung eröffnet, Feuer angezündet; mort de ma vie, wo sind denn unsre symbolischen Bücher? – Die hat ja der Teufel geholt!

SCHARPSTEIN. Wahrhaftig.

HOVER. Wie?

PFEIFFER. Was?

KOCH. Was heißt das? Alle suchen. Wo sind die Räuber und die Anthologie?

PETER. Dies ist meine bescheidene Frage.

KOCH. Wer hat du jour?

SCHARPSTEIN. Schufterle!

PETER. Ich. Daher meine bescheidene Frage – ich habe gegen Abend den Altar der Südsee in Ordnung gebracht, die Bücher daher gelegt!

KOCH. Hast sie vergessen, Schufterle!

PFEIFFER. Hast geschlafen.


Pfeifen anzündend, Feuer machend.


NETTE erscheint hinten während Schufterles Rede, einen großen Napf heißen Wassers tragend.

SCHILLER. Du hast einen Brief für mich?!

KOCH. Da kommt der Stift. Zutretend.


SCHARPSTEIN. Verbrüht die Nette nicht – gib das Wasser her!

PFEIFFER. Hierher den Rum, Nette.

PETERS singt. »Der Mond ist unsre Sonne.

SCHILLER. Wo hast du ihn? Heraus, heraus!

NETTE in Hundejungenlivree grau und grün, entstellt durch Flaschen, Pakete, Klarinette, die unter den Kleidern verborgen sind. Ja, ja, gnädiger Herr.

KOCH. Na, so mach' doch, Stift. Den Brief!

NETTE. Hier, Herr Spiegelberg. Reicht die Flasche.[219]

KOCH. Das ist ja eine Flasche. Sie Pfeiffern reichend.

NETTE. So?

SCHILLER. Mein Brief, Bursche!

NETTE. Gleich, Herr Hauptmann, hier. Die Klarinette hinreichend.

KOCH. Der Junge ist dämlich geworden –

PETERS. Geworden! Wie höflich!

KOCH. Macht unser jüngstes Genie nicht dumm! Dies Nervensystem der Bleistifte ist zart, verträgt keine Zudringlichkeit – Streichelt und visitiert ihn, Nette lächelt. Nette, du hast ihn gewiß in der Tasche?

NETTE. Erraten!

KOCH visitiert ihn vorn. Nein!

SCHILLER. Zum Verzweifeln!

NETTE. Doch – aber da hinten!

KOCH. Ah! Entschuldige, Stift – hier Moor, der Brief aus Franken vom Reichsgrafen, diesmal Reichsfreiherrn.

SCHARPSTEIN. Hierher, Nette!

PFEIFFER. Feuer machen!

HOVER. Kessel aufsetzen!

PETERS bereitet neben Nette am Kamine, wo Feuer angezündet worden, den Punsch, indem er Zucker, Zitronen, die Nette in Paketen gebracht, und Rum in den Napf schüttet; etwas vom Rum obiger Flasche kostend, ruft er: Es lebe Laura, des Herzogs lustiges Töchterlein!

SCHARPSTEIN. Keine Klatscherei, das verbitt' ich mir!

PETERS. Wer hat hier zu verbitten?

SCHARPSTEIN. Sogar zu verbieten, wenn mir eure Lästerung nicht gefällt.

PETERS, PFEIFFER UND HOVER. Holla, ho, Schweizer, keine Tyrannei!

SCHILLER der unterdes gelesen, läßt den Brief fallen und läuft in Verzweiflung nach hinten.

KOCH der aufmerksam auf ihn gesehen. Armer Schiller! Hebt den Brief auf.

PFEIFFER. Moor! Wonaus, Moor? Was beginnst du?

HOVER. Was hat er, was hat er? Er ist bleich wie die Leiche.

[220] SCHARPSTEIN. Das müssen schöne Neuigkeiten sein! Laß doch hören, Spiegelberg!

PETERS. Erster Akt, zweite Szene, ins Leben übersetzt!

KOCH liest. »Ihr bis in den Tod ergebenster Iffland, Schauspieler. – Verehrtester Herr Schiller! Legen Sie's um's Himmelswillen nicht meiner Saumseligkeit zur Last, wenn ich Ihnen kein besseres Resultat vermelden kann.«

Da schmeckt schon der Essig vor!

»Alles, was in meinen schwachen Kräften liegt, hab' ich aufgeboten bei unsrer Exzellenz, dem Herrn Intendanten, Sie von Ihrem Herzoge für unser Theater zu erbitten und Ihnen eine, wenn auch zunächst kleine Anstellung als Theaterdichter anzutragen. Es würde ja ein ganz neues Leben über das deutsche Schauspiel kommen, wenn junge Dichter von ihrer Außerordentlichkeit ein Wort mitzusprechen hätten. Es war alles umsonst. Exzellenz sagte: Ich kann so was nicht wagen vor dem Herzoge von Württemberg, es könnte meinen Ruf kompromittieren.«

SCHARPSTEIN. Aha!

KOCH ohne Unterbrechung lesend. »Schiller ist ein exzentrischer Kopf,«

HOVER. So?

KOCH. »der allerdings großes Talent haben mag,«

PFEIFFER. Wirklich?!

KOCH. »für dessen Zukunft aber kein Mensch einstehen kann, am wenigsten ein Mann in meiner Stellung. Ich wage schon das Äußerste, wenn ich die Räuber aufführen lasse.«

PFEIFFER. Wie heißt die – Exzellenz!

SCHARPSTETN. Stille, Herr von Dalberg ist immer noch einer von den Besten.

Sehr schnell.

SCHILLER hervoreilend. Einer von den Besten! Jawohl! Das sind die Besten! O Vaterland, was hab' ich dem Manne alles vorgestellt, wie hab' ich mich hingegeben, mich zu flehenden Bitten erniedrigt, alles umsonst! Umsonst die Beweisführung, daß der Dichter in diesem Kamaschendespotismus, in dieser kleinstädtischen Schulpedanterie ohne Horizont und ohne Schwung erlahmen und verkümmern müsse, umsonst der Zuruf, daß ein herzhaftes Beispiel nottue fürs ganze deutsche Vaterland, umsonst der Hinweis auf den jungen Fürsten von Weimar und[221] den Götz von Berlichingen und den Herder und Wieland, umsonst Zuruf und Beweis und Beispiel, umsonst Bitten, Flehen und Tränen, diese Großen in unserm Vaterlande sind nichts mehr, als gehorsame Diener des Augenblicks, ohne eigenen Geist, denn sie behelfen sich mit dem Witze der Franzosen, ohne mutiges Herz, denn sie wagen nicht mehr ohne Kommando zu lieben oder zu hassen, sie leben nur noch vom Abfall der Herrenti sche und vom Flittertande, der ihnen gnädigst erlaubt wird, diese Großen sind kleine Bediente geworden, und wir armen Schlucker, wir sind die Hundejungen dieser Bedienten, und dabei floriert das heilig römisch-deutsche Reich seinem Untergange entgegen!


Wendet sich wieder nach hinten.


SCHARPSTEIN. Du hast recht!

PFEIFFER. In die böhmischen Wälder!

HOVER. Fort über das Meer!

ALLE. Es lebe Karl Moor, unser Hauptmann!

SCHILLER. Ja, ewiger Gott, was wir hier als Knabenspiel getrieben, es gewinnt eine fürchterliche Bedeutung. Übers Weltmeer sollten wir uns retten, hinweg aus einem Lande, das seine hingebenden Söhne mit Füßen tritt, das in seinen besten Männern die Manneswürde verloren hat, das selbst durch seine größten Fürsten kein Heil mehr erobern kann, nein, nein, nein, kein Heil mehr für uns unglückliche Deutsche, deren großer König Friedrich uns weder Geist noch Poesie zutraut, deren edler Kaiser Joseph gewaltsam die Besserung erzwingen muß und von Nadelstichen zermartert nicht erzwingen kann, kein Heil mehr für uns auf unsrer geliebten deutschen Erde! Er sinkt Koch in die Arme.

KOCH. Fasse dich, Freund, wir sind jung!

HOVER. Wir haben Mut, unser Ideal zu verwirklichen.

SCHARPSTEIN. Unsere Pläne auszuführen mit dem neuen Staate!

PFEIFFER. Wo es keine Polizei mehr geben soll.

HOVER. Kein Eigentum und kein Erbrecht.

PETERS. Keine Examina und keine Karzer!

KOCH. Und unter andern nötigen Dingen keine Zöpfe mehr – lassen wir die Possen mit unserm Schlaraffenstaate, in dem wir's noch weniger aushalten könnten als hier![222]

SCHARPSTEIN. Spiegelberg!

Sehr schnell hintereinander.

HOVER. Du bist ein Verräter.

PFEIFFER. Nieder mit ihm!

SCHARPSTEIN. Standrecht über ihn!


PETERS. Das Bundeslied angestimmt! – Nette, an deinen Posten!

PFEIFFER. Standrecht über Spiegelberg!

KOCH. Standrecht, so? Aber keine Polizei! – Laßt mich ungeschoren mit Eurem Plunder! Dem Schiller muß geholfen werden! Das ist die Hauptsache! Geht zu Schiller, der sich auf den Sessel links geworfen hat, und scheint zu ihm zu sprechen.

Alle nach den Plätzen um den Tisch.

PFEIFFER. Also Sitzung halten.

HOVER. Sitzung und Beratung halten.


PETERS. Das Bundeslied angestimmt!

SCHARPSTEIN. In die Höhle, Stift!

PETERS der sich immer mit dem Punsch beschäftigt, jetzt den Napf aufsetzend. Da ist auch Jupiters Nektar, um den Geist aufzuklären!

HOVER. Erst das Bundeslied, damit wir in Stimmung kommen!

PETERS. Nette! Der links in den Kamin gekrochen ist. Den Ton angeben! Nette bläst die ersten Tone des Liedes: »Ein freies Leben« usw. – Laura öffnet.

LAURA erscheint. Der Herzog naht – was ist zu tun, da sie meinem Zettel nicht gehorchen!?

ALLE außer Schiller und Koch; Gesang. »Ein freies Leben führen wir.«

LAURA rückwärts sehend. Er kommt, ich muß hinweg!

ALLE. »Ein Leben voller Wonne!«

LAURA ruft. Der Herzog kommt! Rettet euch!


Ab rückwärts in ihre Tür.


ALLE springen auf, Nette bläst weiter.

SCHILLER bleibt in Gedanken sitzen.

ALLE außer Schiller. Was war das?

Der Herzog kommt!

Der Herzog kommt?

PETERS. Sauve qui peut –?

PFEIFFER. Nehmt den Punsch mit!

SCHARPSTEIN. Kreuz Donnerwetter![223]

HOVER. Und die Pfeifen!

PETERS. Sauve qui peut!

SCHARPSTEIN. Haltet Stand!

KOCH schreiend. Halt! Ruhe, Fassung. Nette, stopf' die Klarinette – ist das die Bande, welche die Welt reformieren will?!

SCHARPSTEIN. Er hat recht.

HOVER. Ruhe.

PETERS. Den Teufel auch, der Herzog kommt!

KOCH. Wer hat's gesagt? Wo kam der Ruf her?

PFEIFFER. Wer weiß es!?

HOVER. Ich weiß es nicht!

KOCH. Wo kann er hergekommen sein?! Beim Herzoge drüben ist alles beschäftigt mit der Festlichkeit, Nieß liegt krank, ein Verräter ist nicht unter uns, und die Wände sprechen nicht mehr heutigestages – hat sich einer von uns einen Witz gemacht?! An die Tür rechts gehend. Diese Tür ist verschlossen. Zur Mitteltüre. Diese ebenfalls hier. Links. Holla?! – ist kein Mensch –! Wer kann's gewesen sein?!

PETERS. Am Ende der Nette!

SCHARPSTEIN. Der Stift im Kamine!

KOCH. Straf mich Gott, die Stimme war dünn – junger Bleistift, musikalisches Genie, was untersteht du dich?!

NETTE im Kamine. Ich, gnädiger Herr?

KOCH. Was fällt dir ein, Witze zu machen?

NETTE. Der Wald ist unser Nachtquartier – dritte Strophe, hohes E –

KOCH. Hohes Beh! – Aber die Blamage habt ihr verdient – Singen und Trinken statt unserm Hauptmann da zu helfen – 's ist wirklich unser Hauptmann! Hat gar keine Notiz genommen von euerm Hasenpanier, und wer wäre mehr bedroht als er, wenn der Herzog käme. Armer Dichter!

SCHILLER hat während des Lärmens ein Blatt Papier aus der Tasche gezogen und darin gelesen. Jawohl Schubart, »o Mensch, wie klein bist du!« Jawohl, Schubart, und dein Schicksal steht mir bevor!

KOCH. Was tun, Schiller! Faß einen Entschluß! Du kommst auch ohne Dalberg durch die Welt. Was hast du da?[224]

SCHILLER. Ein Papier für den Herzog.


Der Herzog erscheint in der Nische.


KOCH. Doch keine Supplik?

SCHILLER. Eine Replik, mein Junge. Schubarts Fürstengruft.

ALLE nähertretend. Was ist das?

SCHILLER. Das neueste Gedicht des Aspergopfers; ich war gestern oben bei ihm.

KOCH. Um dein künftig Logis zu betrachten?

SCHILLER. Du kannst recht haben. Vater im Himmel, nicht vor der Gefangenschaft erschreck' ich, nicht vor der Zerstörung des Leibes, nein, aber vor der Zerstörung der Seele –

HOVER. Ist der Schubart wahnsinnig geworden?

KOCH. Schwachsinnig –?

SCHILLER sie ansehend. Wißt ihr, was Wahnsinn, wißt ihr, was Schwachsinn ist, wenn man sechs lange Jahre schmachtet – fromm ist er geworden!

ALLE. Was?

SCHILLER. Ein Pietist! Diese einst so kerngesunde Natur ist von dem Holofernes Rieger so lange geknetet worden, bis ihre Spannfedern zerbrochen sind. Mir hat Schubart, der Chronist Schubart, gestern gesagt: daß er alltäglich Gott auf den Knien danke für die Gnade; welche ihm sein Fürst angetan mit der einsamen Einsperrung im Gefängnisse, mit der Überlieferung an einen Kommandanten, wie Rieger, dadurch sei er zur Ruhe, zur höhern Einsicht gekommen und habe sich, Demütig. das heißt, seinen ewigen Menschen wiedergefunden – – Aufspringend. Dies ist der Triumph der Tyrannei! Nach vorn gehend.

ALLE. Entsetzlich.

SCHILLER. Fürchterlich! Fürchterlich! Gott, wenn mir dies bevorstünde – lieber den Tod! Der Herzog verschwindet.

KOCH leise. Lieber Flucht, da es noch Zeit ist.

SCHARPSTEIN. Und diese Fürstengruft ist also zahm?

SCHILLER. Nein, nein, diese nicht – er hat noch Rückfälle, es ist ein Chaos in ihm, wie vor der Schöpfung. Diese Fürstengruft ist ein Zeugnis dafür.

ALLE. Lies! Lies! Moor! Drängen sich.[225]

SCHILLER. So hört. Beim ersten Worte tritt durch die Logentür der Herzog ein und nähert sich langsam, ungesehen.


Die Fürstengruft.

Da liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer,

Ehmals die Götzen ihrer Welt.

Da liegen sie, vom fürchterlichen Schimmer,

Des blassen Tags erhellt.


Wie fürchterlich ist hier des Nachhalls Stimme,

Ein Zehentritt stört seine Ruh.

Kein Wetter Gottes spricht mit lautrem Grimme:

O Mensch, wie klein bist du!


Denn ach, hier liegt der edle Fürst, der gute,

Zum Völkersegen einst gesandt,

Wie der, den Gott zur Nationenrute

Im Zorn zusammenband.


KOCH. Solch eine Zuchtrute kennen wir!

SCHILLER ihm die Hand reichend. Und liegen ohnmächtig unter den Streichen derselben!

HERZOG die Hand auf Schillers Schulter klopfend. Les' Er weiter! –

ALLE erstarrt einen Schritt zurücktretend und nur ganz leise sprechend. Der Herzog!


Pause.


KOCH leise. Nun helf uns Gott, das ist ein Unglück.

HERZOG sieht sie alle der Reihe nach an und geht dann zum Tische. Sergeant!

BLEISTIFT ist hinten ans der kleinen Tür, durch welche nun auch der Hauptmann und unbemerkt von diesem zuletzt Laura getreten. Sire! Ist sehr bewegt und sieht sich ängstlich nach Nette um.

HERZOG. Das saubre Getränk soll in die Schloßapotheke getragen und es soll untersucht werden, ob eine Tollwurzel oder was ähnliches Sinnverwirrendes darin enthalten sei –

BLEISTIFT. Service, Sire! Tollwurzel –

HERZOG. Dieser unsaubere Tabak samt Pfeifen auf eine Torwache – die Gemeinen mögen versuchen, ob ihnen solch eine Zungenbeize ansteht, welche durch die Eleven der Karlsakademie nobilitiert worden ist – wo sind die Bücher, die hier zu liegen pflegen? – Wer antwortet?! Wer ist der Rädelsführer?[226]

SCHILLER. Ich muß als solcher von Durchlaucht betrachtet werden.

HERZOG. Er gehört nicht mehr zur Akademie, Er gehört zum Regiment Augé, Ihm gebührt ein Militärgericht.

SCHILLER. Ich bitte Durchlaucht, die Eleven von dieser Verantwortlichkeit des Exzesses zu entlassen und auf mein Haupt allein die Strafe zu sammeln.

KOCH. Durchlaucht –!

HERZOG. Er hält wohl sein Haupt für erstaunlich groß?

SCHILLER. Diese unerlaubten Versammlungen stammen noch aus der Zeit, da ich die Ehre hatte, Eleve der Akademie zu sein. Die gegenwärtigen Akademisten sind also dazu wie zu etwas Herkömmlichem verleitet worden, und da ich allein von außen her damit in Verbindung geblieben bin, so halt' ich es für meine Schuldigkeit –

HERZOG. Alles auf sich zu nehmen?

SCHILLER. Ja, Durchlaucht!

LAURA leise. O wie brav!

KOCH. Durchlaucht –!

HERZOG zu Koch. Schweig' Er da, bis Er an die Reihe kommt! Zu Schiller. Er bildet sich ein, mir durch solche Großmut zu imponieren?! Mit nichten. Ich kenne die Wurzel dieser Großmut. Sie heißt Überspanntheit und Überschätzung. Es ist krankhafte Großtuerei gegen gesetzliche Macht. Wo sind die Bücher?

KOCH. Wir wissen's nicht, Durchlaucht – sie waren schon weggenommen, als wir ankamen.

LAURA leise nach Koch zu. Still doch davon!

HERZOG. Was waren's für Bücher?

KOCH. Poesien.

HERZOG. Poesien – so? Mit dem aufsteigenden Löwen, der die Tyrannen zerreißen soll.

KOCH leise. Um Gottes willen, er kennt die Räuber!

SCHILLER ebenso. Ich bin verloren!

HERZOG. Wird sich finden! – Ich hab' Ihm gesagt, Er soll weiterlesen, les' Er!

SCHILLER. Ich?

HERZOG. Ja Er! Was Er da in der Hand hat von Freund Schubart –[227]

SCHILLER. Das soll ich –?

HERZOG. Das soll Er mir vorlesen.

SCHILLER. Mein Gott!

KOCH. Weh' uns! Schrecken unter den Übrigen.

HERZOG. Die Fürstengruft heißt es ja wohl?

SCHILLER. Ja!

HERZOG. Nun, was zögert Er? 's ist ja doch auf mich gemünzt! Jetzt kann Er's an den Mann bringen. Besser kann's doch der Schubart und seinesgleichen nicht verlangen. Also les' Er! Drei Verse hab' ich schon gehört bis zur »Nationenrute, die Gott im Zorne zusammenband« – da fahr' Er fort, und mit dem gehörigen Ausdruck; wir stehn vor den Särgen tyrannischer Fürsten.

SCHILLER nimmt das Blatt auf, sieht hinein, zögert, sieht den Herzog an, der sich auf den Stock stützt.

HERZOG. Nun wird's? Erhöhter Schrecken der Übrigen, die leise zurücktreten.

SCHILLER anfangs schwach, allmählich überwältigt ihn der Inhalt, und er liest mit vollem Feuer.

Da liegen Schädel mit erloschnen Blicken,

Die ehmals hoch herabgedroht,

Der Menschen Schrecken! Denn an ihrem Nicken

Hing Leben oder Tod.


Nun ist die Hand herabgefault zum Knochen,

Die oft mit kaltem Federzug

Den Weisen, der am Thron zu laut gesprochen,

In harte Fesseln schlug.

HERZOG mit der Linken auf seine Rechte deutend. Diese Hand!

SCHILLER flüchtig danach sich umsehend.

Damit die Quäler nicht zu früh erwachen,

Seid menschlicher, erweckt sie nicht.

Ha, früh genug wird über ihnen krachen

Der Donner am Gericht.


Wo Todesengel nach Tyrannen greifen,

Wenn sie im Grimm der Richter weckt,

Und ihre Greul zu einem Berge häufen,

Der flammend sie bedeckt.


Pause.

[228] Im Tone wechselnd.


Ihr aber, beßre Fürsten, schlummert süße

Im Nachtgewölbe dieser Gruft,

Schon wandelt euer Geist im Paradiese

Gehüllt in Blütenduft.


Pause.


HERZOG. Den letzten Vers hat Er wohl in der Geschwindigkeit hinzugereimt?

SCHILLER sieht ihn an.

KOCH leise. Schweig! Das kann dich retten! Oder sag' ja!

HERZOG. Na, hat er soviel Genie!

SCHILLER. Nein, auch dieser Vers ist von Schubart


Pause.


HERZOG. Der Mann hat viel Talent zum Versemachen, aber wenig Talent zur Freiheit.

SCHILLER. Um so mehr Gnade, daß ihm Durchlaucht bei solcher Ansicht doch vor kurzem die Freilassung versprochen haben –

KOCH leise. Schiller!

LAURA bewundernd ebenso. O, Schiller!


Pause.


HERZOG. Ich glaube, Er untersteht sich, für einen Autor zu petitionieren, während Er selbst – trag' Er Sorge, Er deklamierender Apostel Schubarts, für seinen eigenen Hals und Kragen!

LAURA vorkommend. Seien Sie gnädig, Onkel Durchlaucht. Das ist ein edler Mensch!

BLEISTIFT halblaut. Himmel Sakkerment! Sie ruinieren mich ja.

ALLE. Fräulein Laura!

SCHILLER. Das Fräulein, gütiger Himmel!

HERZOG. Was ist das, Mädchen, in dieser Maskerade, was unterstehst du dich?! Weißt du denn nicht, daß es unanständig ist, so allein unter Mannsbildern umherzulaufen?

LAURA. Ach, Onkel Durchlaucht, mir ist das Herz so voll Mitleid und guter Gedanken, daß von so was gar nicht die Rede sein kann. Du aber verkennst und bedrohst da einen edlen Menschen, und das schickt sich nicht für einen so guten Fürsten, wie du bist und sein sollst!

HERZOG. Laura –![229]

SCHILLER. O welch ein Engel erscheint für uns!

HERZOG. Hauptmann, nehmt Ihr den groben Mantel ab! Dieser tut's, indem er rasch hinter der Reihe zu ihr kommt.

LAURA. Die Tanten sagen's auch beide, und du wirst schon sehen, daß du Übles anrichtest, wenn du auf Tante Franziska nicht hörst – sei gut, Onkel Durchlaucht!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 218-230.
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