Erste Szene.


[258] Gräfin das Exemplar der Räuber in der Hand haltend tritt eilig aus der ersten Tür links und eilt nach hinten zu der offenen Glastür, um in den Schloßhof hinabzusehen. Generalin (tritt nach ihr aus der Tür links und bleibt im Mittelgrunde.


GENERALIN. Die Parade kann noch nicht zu Ende sein! Rieger wollte fort, so bald er nur die Parole erfahren, und ich hab' ihn noch nicht vorbeireiten sehn.

GRÄFIN vorkommend. Ich wollte, er wäre fort! Mich peinigt eine namenlose Angst, und solange er da ist, fürchte ich das Schlimmste.

GENERALIN. Das Buch ist also wirklich so arg?

GRÄFIN. Entsetzlich, Bäbele, entsetzlich!

GENERALIN. Ach, ihr vornehmen Leute übertreibt alles – der Schiller kann nichts Böses schreiben.

GRÄFIN. Was ist in diesem Falle bös? Was dafür gilt! – Meine Meinung bleibt –

GENERALIN. Den Schiller heraufbringen zu lassen –

GRÄFIN. Das ist jetzt zu spät Der Herzog könnte kommen, und ihm muß er, wenn irgend möglich, wenigstens heute nicht ins Gedächtnis gerufen werden – der Eindruck, welchen das Buch auf den Herzog gemacht hat, scheint fürchterlich zu sein. Bäbele Deren Hand ergreifend. ich bin doch an ihn gewöhnt; aber ich zittre jetzt noch, wenn ich daran denke, wie er mir heute morgen das Buch gab. Er hat offenbar auch in der Früh keine Auge zugetan, sondern nur gelesen; sein Auge war starr, seine Hand heiß, seine Stimme trocken und er sprach nur das eine Wort: Lies!

GENERALIN. Und nun wird er dein Urteil hören wollen.

GRÄFIN. Ja –[258]

GENERALIN. Und du bist seit kurzem nicht gut zu sprechen auf den jungen Mann.

GRÄFIN. Ach nicht doch!

GENERALIN. Du wirst nicht mit besonders günstigem Auge gelesen haben –!

GRÄFIN. Sei nicht töricht, Bäbele, jetzt solcher Spielereien zu gedenken. Es handelt sich um Freiheit und Leben des Schiller. Er muß fort von hier; die Flucht allein kann ihn retten; ich kann ihn nicht mehr retten, nachdem der Herzog diese Räuber gelesen –

GENERALIN. Du großer Gott! –

GRÄFIN. Was ist dir?

GENERALIN nachdenklich. Jetzt hältst auch du die Flucht für nötig – nun muß es schlimm aussehn.

GRÄFIN. Schlimm? Lebensgefährlich!

Schnell.


GENERALIN. Und er will nicht!

GRÄFIN. Wer? Was?

GENERALIN. Schiller –

GRÄFIN. Du hast ihn gesprochen?

GENERALIN. Ja.

GRÄFIN. Er will nicht fliehen?

GENERALIN. Nein.

GRÄFIN. Ist er rasend?

GENERALIN. 's ist so was wie Raserei.

GRÄFIN. Bäbele –!

GENERALIN. Soll ich dir's denn sagen?

GRÄFIN. Bäbele –! Wie soll ich helfen, wenn ich nicht alles weiß.

GENERALIN. 's macht dich am End' wieder bös – wir haben das Mädchen verkannt, Franzel, die Laura ist ganz anders, als wir dachten. Das merkte ich heute beim Frühstück. Deshalb ging ich beizeiten zum Schiller hinab. Der Offizier hat keine besondere Order er läßt ihn frei heraus in den Bogengang, und wie fand ich den Schiller?

GRÄFIN. Nun?

GENERALIN. Unbekümmert um sein Schicksal, strahlend von Glück und Übermut.

GRÄFIN. Bäbele! Die jungen Leute –!?[259]

GENERALIN. Sind offenbar einig miteinander!

GRÄFIN. Die Unglücklichen!

GENERALIN. Ach, sie sind so rührend, das Kind in seiner stillen Seligkeit, der Schiller in seiner lauten Schwärmerei – Weint. es könnte einen Stein erbarmen, daß diese beiden Leute nicht glücklich werden sollten!

GRÄFIN. Die Unglücklichen – wenn der Herzog eine Ahnung davon hätte, so wäre Schiller jetzt schon in Ketten und Banden! Nun bete zu Gott, daß der Herzog gleich hinausreitet zur Jagd, ohne nach ihm zu fragen –


Trommel und klingendes Spiel im Schloßhofe.


GENERALIN. Da ist er!

GRÄFIN. Das ist er! Hinweg! Sie geht zunächst nach der Glastür um vorsichtig hinabzusehen. Wenn ich ihn nur selbst vermeiden könnte, damit ich nichts über das Buch zu sagen brauchte? Aber er wird mich aufsuchen – – – Schiller muß aus Stuttgart, ehe der Herzog von der Jagd heimkehrt!

GENERALIN. Das tut er nicht!

GRÄFIN. Er muß – da kommt der Herzog! Ruf die Laura zu mir! Gott schütz' uns alle! So sieht er aus, wenn er ein Todesurteil unterschreiben will. Vorkommend. Hinweg! Und ruf mir die Laura!

GENERALIN. Ja. Beide ab links.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 258-260.
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