Achte Szene.


[74] Cato. Wilhelmine.


WILHELMINE welche während alle dem nur Cato im Auge behalten, kommt jetzt hastig links am Tische vorüber nach dem Vordergrunde. Fritz! Fritz, was tust du?!

CATO welcher desgleichen nur, nach Wilhelminen blickend, auf diesen Augenblick des Alleinseins gewartet, eilt vor dem Tische zu ihr. Verdamme mich nicht, Wilhelmine!

WILHELMINE. Ich schäme mich ja zu Tode für dich! In einer Dienerlivree finden wir dich, zu gemeiner Komödiantenwirtschaft bekennst du dich! Was wird die Mama sagen, wenn sie erfährt, daß du es seist, was wird der Vater sagen, wenn er es hört, Fritz, was muß ich denken, die ich von jeher alles auf dich gestellt habe, mein ganzes Denken und meinen ganzen Glauben, Fritz, Fritz, ich kann's ja nicht überleben, wenn du nicht ordentlich und ehrlich bist!

CATO. Ich beschwöre dich, Wilhelmine, meine gute, liebe Wilhelmine, ich beschwöre dich, vertraue mir weiter, wie du mir bisher vertraut hast! Du bist das einzige Wesen, dessen Mißtrauen mich unglücklich machen würde. Wilhelmine, ich fühle mich vor Gott[74] verantwortlich für dein Glück. Denn ich liebe dich, ich habe dich auferzogen, ich habe dich erfüllt mit den Idealen meiner Seele, ich hätte dich ja verdorben, wenn ich ein bloß leichtsinniger oder gar ein schlechter Mensch gewesen wäre, nicht wahr, Wilhelmine!

WILHELMINE. Freilich!

CATO. Und nicht wahr, du liebst mich noch, du vertraust mir noch, auch wenn du mein Puppenspiel in dieser Welt nicht gleich verstehst, nicht wahr, du liebst mich noch?!

WILHELMINE. Ich muß wohl, wenn ich nicht verzweifeln soll.

CATO. Gott lohn' es dir!

WILHELMINE ohne sich zu unterbrechen. Ich hab' ja niemand, an den ich mich halten kann! Vater und Mutter hab' ich so spät gesehen, weil ich beim Onkel in Franken aufgewachsen bin, und ich kann mich schwer in ihre Weise finden, seit sie mich geholt haben. Sie sind ganz anders, Fritz, als der Onkel war, sie sind stolzer und betrachten alle Dinge anders als ich, das heißt als du! Denn ich seh' ja alles mit deinen Augen, ich verstehe ja alles nur mit deinem Verstande. Umarmung. Bleibe um Gottes willen brav, Fritz, sonst bin ich verloren!

CATO. Meine gute Wilhelmine! Ach du wirst es gar bald verstehen, was ich treibe; denn die Dinge eilen mit reißender Schnelligkeit ihrem Ende zu!

WILHELMINE. Wenn du nur die garstige Livree auszögst!

CATO. Kind, man wird sie mir vielleicht sehr bald ausziehen. Erschrick nicht und fasse dich, Wilhelmine, ich bin in Gefahr! Ich drängte mich solchergestalt in dieses Haus, weil ich von Gottfried erfuhr, daß du hierher kämest, und weil ich in deiner Nähe sein wollte! Offen konnte dies nicht geschehen; denn du weißt, wie deine Eltern meinen Austritt aus der Armee übel aufgenommen und mir alle Verbindung mit Eurem Hause untersagt haben. Wer konnte wissen, daß der Krieg plötzlich wieder diese Stadt einnehmen, wer konnte wissen, daß just in diesem Hause sich so viel zusammendrängen würde, um die Aufmerksamkeit der Kriegsfürsten hierher zu lenken! Jetzt ist leider kein Zweifel mehr, daß dies Haus ein Schauplatz gefährlicher Untersuchungen wird, und daß es einen bedenklichen Aufenthalt abgibt für einen, der sich auch zu verbergen hat. Noch weiß ich aber nicht gleich, wie ich wieder hinauskommen soll, ohne mich aufs Neue zu verdächtigen, und ich habe auch nicht[75] die Kraft, aus deiner Nähe, aus deiner so lange und so sehnlich erwünschten Nähe gleich wieder zu scheiden.

WILHELMINE. O dann geh, Fritz, geh, wenn du einen Zufluchtsort weißt!

CATO. Ich weiß kaum einen andern – meine Bekannte sind junge Literaten und jetzt nicht hier! – ich weiß kaum einen andern als bei Gellert!

WILHELMINE. Der Gute und Liebe! Ja, zu dem flüchte dich!

CATO. Ei ei, er ist dir fast gar zu lieb, du schreibst ihm zärtliche Briefe!

WILHELMINE. Pfui doch, Fritz, das ist ja eine andre Liebe! Wenn du's nur wüßtest, warum ich geweint und Rat und Trost bei ihm gesucht!

CATO. Darf ich's nicht erfahren?

WILHELMINE. Ja, wenn du nicht so leichtsinnig wärst! – Von einem ausländischen Grafen in Dresden hat mir die Mutter vorgesprochen – aber es kommt wohl jemand! – Eile zu Gellert, Fritz!

CATO. Auch zu ihm ist die Flucht nicht ratsam. Er ist nach der Tür rechts geeilt, ob jemand komme, und kehrt nun zurück. Er wird wahrscheinlich ebenfalls verwickelt in die hereinbrechende Untersuchung.

WILHELMINE. Gellert! Der edle Mann! Auf wen soll man sich denn noch verlassen?!

CATO. Auf dein Herz und deines Herzens Glauben. Man ist noch nicht verdächtig, wenn man den Machthabern verdächtig wird. Sei getrost, Gellert wird stand halten, aber dieser hohle Gottsched nicht, und darin liegt unsre Gefahr!

WILHELMINE. Ach Fritz, lieber Fritz, was soll aus uns werden! Wenn ich mich auch in deine lustige Weise finden könnte, Vater und Mutter werden's nie; sie nennen sie leichtsinnig, und sie würden außer sich sein, wenn sie deinen jetzt wieder so befremdlichen Lebenswandel erführen. Geh' zu Gellert, bitt' ihn um Fürsprache, auf ihn hören sie, Fritz, und wenn dich dieser edle Mann kennt, wie ich dich kenne, guter Fritz, so muß er ja für dich sprechen! Sonst weiß ich ja gar keine Hilfe für uns! Ich kann doch Vater und Mutter nicht widersprechen, und all' unsre schöne Liebe führt uns nicht zusammen, wenn Vater und Mutter nein sagen – wir sind verloren füreinander, Fritz!

CATO. Du hast mich lange nicht gesehen, Wilhelmine, du bist[76] schwermütig. Ich werde dich aufheitern, und du wirst mir zugestehen, daß man mit dem Leben spielen und es doch sehr ernsthaft nehmen kann. Gellert allein kann uns aber auch nicht helfen, ich kenne deiner Eltern altmodisch stolzen Sinn nur gar zu gut, und im gewöhnlichen Laufe der Dinge haben wir gar keine Aussicht auf Vereinigung, wenn du ganz und gar abhängig sein willst vom Befehle deiner Eltern.

WILHELMINE. Aber, Fritz, das ist ja meine Kindespflicht.

CATO. Man kommt! Nach rechts zurückweichend. Verrate um Gottes willen nicht mit einem Blick des Auges, daß du mich kennst!


Die erste Tür rechts geht auf.


WILHELMINE. Ich kann ja aber und darf doch nicht lügen.

CATO. Aber schweigen darfst und kannst du!


Man hört Gottsched innen an der Tür.


WILHELMINE. Und die Mutter, welche dich jetzt gesehen, und welche dich ja später erkennen muß, sie vergibt dir's nie!

CATO im äußersten Vordergrunde rechts. Still, still! Geh' zurück!


Während Wilhelmine dies tut, tritt Gottsched ein.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 74-77.
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