[127] Die Wachen vor dem Vorzimmer präsentieren. Vor dem Prinzen schreiten zwei Gardisten mit Armleuchtern, welche sie auf den Tisch setzen, dann die Adjutanten Wedell und Zastrow. Wedell in Uniform der Garde, ähnlich der des Prinzen; Zastrow in Uniform der Seydlitzer Kürassiere. Sie treten an die zehn Schritte voraus vor dem Prinzen in den Saal, postieren sich an beide Seiten der Tür und strecken ihre Stöcke von sich. Ihnen folgt der Prinz. Hinten auf dem Vorsaale kommen Ratsherren, welche auf dem Vorsaale stehen bleiben. Die Grenadiere stellen sich, nachdem der Prinz herein ist, mitten vor die Türe des Vorzimmers und halten ihre Gewehre mit ausgestrecktem Arme zur Seite auf dem Fußboden aufgestützt.
PRINZ HEINRICH sobald er in die Tür getreten zu dem an der rechten Türseite stehenden Wedell. Leutnant von Wedell! Ich lasse die Herren von Leipzig bitten, mich zu erwarten. Drücken Sie ihnen meine Erkenntlichkeit aus für den Eifer, mir zum Freiberger Siege Glück zu wünschen, und entschuldigen Sie in meinem Namen die Verzögerung. Generalleutnant von Seydlitz hätte aber ein Geschäft vorbereitet, welches die Leipziger Herren nahe angehe, und welches ich erst erledigt sehn wollte, eh' ich mit ihnen spräche.
Einige Schritte vorschreitend, nachdem er eine verabschiedende Bewegung mit der Hand gemacht, und darauf Wedell sich gewendet hat und abgegangen ist. Während des Folgenden sieht man, das Wedell die Leipziger Ratsherren draußen nach rechts hinüber verweist. Der Prinz spricht, fast ohne zu pausieren, weiter. Rittmeister von Zastrow! Zastrow tritt hastig heran zur linken Hand des Prinzen. Sogleich eine reitende Ordonnanz nach der Dresdner Heerstraße hinaus, wo General Seydlitz noch zu finden sein wird – doch nein! kontremandiert! – die Auswahl rascher Pferde ist hier leichter. Ist jemand zur Hand, der die Pferde Eures Regiments genau kennt?
ZASTROW. Königliche Hoheit, Wachtmeister Siegmund hat sämtliche Kampagnen dieses Krieges beim Regimente mitgemacht und gilt für besonders kundig in Beurteilung der Meriten eines Rosses.
PRINZ. Soll herkommen! Geht wieder einige Schritte vor.
ZASTROW geht nach der Tür und winkt schon von weitem Siegmund, der dort im Vorzimmer steht, rechts nach dem Eingange zum Auditeur zu.[127]
SIEGMUND sehr rasch, so daß er schon herankommt, während der Prinz noch schreitet, zur Linken des Prinzen, da Zastrow zurückbleibt. Königliche Hoheit, zu Befehl!
PRINZ ihn anblickend. Aha, du bist's, alter Bekannter von Roßbach! Schlesisch Blut!
SIEGMUND. Aus dem Gebirge, Königliche Hoheit.
PRINZ. Suche die sechs schnellsten Pferde aus dem Regiment, und die sechs leichtesten Reiter. Sie sollen ohne Küraß reiten, und sollen Station nehmen von hier nach Wurzen. Ich erwarte über Wurzen Kuriere von Dresden. Deren Briefschaft sollen sie in Beschlag nehmen und in gestrecktem Galopp hierherbringen. Je drei! verstehst du? Die anderen drei warten, ob der zweite Kurier komme, und tun alsdann desgleichen. Verstanden?
SIEGMUND. Zu Befehl, Königliche Hoheit!
PRINZ. Marsch! Siegmund macht Kehrt und geht zur Tür rechts hinaus in den Vorsaal. Rittmeister von Zastrow! Tritt heran. Es ist den Regimentern unter meinem Kommando und insbesondere der Kavallerie befohlen, sich möglichster Schonung zu befleißigen gegen die Einwohner des Landes, namentlich in Sachsen; denn gerade Sachsen leidet am schwersten von dem langen Kriege. Die Sachsen sind unsre Landsleute, wenn sie auch unter andrer Regierung stehen. Euer Chef sagt mir von auffallenden Widersetzlichkeiten hier am Orte, welche zur Untersuchung vorliegen. Sind Ihm, Zastrow, Exzesse bekannt von Seinem Regimente, Exzesse, welche die hiesigen Einwohner gereizt haben könnten?
ZASTROW. Nein, Königliche Hoheit.
PRINZ. Ich sehe aber hier Sich nach dem Vorsaale umsehend. zum Beispiel, daß Ihr im Rathause auf dem blauen Fußboden Feuer anzünden laßt, welche das Haus und die Stadt gefährden können?
ZASTROW sieht wie um Unterstützung bittend auf Wedell, der schon bei Siegmunds Abgange wieder links eingetreten ist.
WEDELL. Königliche Hoheit: der Fußboden ist mit Quadersteinen gepflastert –
PRINZ. Rittmeister von Zastrow! Hat der Auditeur des Regiments die Vergehungen qualifiziert, von welchen General Seydlitz sprach?
ZASTROW. Zu Befehl, Königliche Hoheit.
PRINZ. Laß Er sich das Papier ausliefern, und halt' Er mir Vortrag. Ich kann draußen die Herren von Leipzig nicht mit fröhlichem[128] Gewissen sprechen und kann ihre Glückwünsche nicht wohl in Empfang nehmen, solange Leipziger Einwohner unter schwerer Anklage harren. Es sollen sogar, wie mir Seydlitz sagt, Professoren unter den Angeklagten sein –
ZASTROW. Zwei, Königliche Hoheit.
PRINZ. Den Vortrag!
ZASTROW. Zu Befehl, Königliche Hoheit! Ab nach rechts in das Zimmer des Auditeurs. Wedell bleibt hart an der Tür, so daß außer der rechten Seite die ganze Bühne frei ist.
PRINZ geht nach dem Tisch, dann quer über die Bühne, so daß er vor die Damen kommt. Dort lüftet er den Hut, sich nach hinten wendend. Behalten Sie Platz, meine Damen! Diese verneigen sich nur ohne sich zu setzen. Er geht nach hinten auf Wedell links zu. Als er etwas über die Mitte der Bühne gekommen, präsentiert sich rechts im Vorzimmer Siegmund militärisch. Der Prinz macht ihm eine Bewegung mit der Hand, welche ausdrücken soll: es sei gut, er geht dann weiter nach links hinten. Siegmund macht Kehrt und verschwindet im Vorsaale. Der Prinz wendet sich hinten vor Wedell und kommt auf den Tisch zu, rückt sich den Stuhl rechts vor den Tisch und setzt sich, Hut und Handschuhe langsam auf den Tisch legend.
ZASTROW mit einem langen Portefeuille tritt von rechts ein, als der Prinz nach vorn geht, und wendet sich hinter dem Prinzen nach der Kulissenseite des Tisches, den Stuhl, welchen er nicht benützt, zur Seite schiebend. Er hält einen Bleistift in der Hand, schlägt das Portefeuille auf und beginnt auf einen Handwink des Prinzen daraus zu lesen. Erstens. Graf Bolza. Ausländer. Gefährlicher kaiserlicher Parteigänger. Im Rücken des Heeres tätig auf dem Erzgebirge und in Leipzig, den Kaiserlichen Nachricht und Ratschläge zu geben. Blank erwiesen in der aufgefangenen Depesche an General Serbelloni. Ohne Umstände Standrecht über ihn zu halten; zu erschießen. Bewegung des Schreckens auf der rechten Seite. Zweitens. Friedrich von Rothenhain. Ausländer. Offizier der Reichsarmee in Zivilkleidern im Rücken des Heeres tätig. Verfasser einer aufrührerischen Druckschrift, mit blankem Degen widersetzlich bei der Verhaftnahme. Standrecht; wahrscheinlich zu erschießen.
Noch größere Bewegung auf der rechten Seite.
PRINZ sich halb noch Zastrow wendend. Wie lange ist der Auditeur beim Regiment?
ZASTROW. Seit der Affäre bei Kunersdorf.
PRINZ. Weiter![129]
ZASTROW. Drittens. Professor Numero Eins. Inländer. Rädelsführer einer respektswidrigen und gefährlichen Protestation von Gelehrten. Abfasser eines verräterischen Schreibens an den feindlichen General Serbelloni, Hehler des Grafen Bolza und des Offiziers von der Reichsarmee. In naher Verbindung mit der sächsischen Linie von Manteuffel. Vor ein Kriegsgericht zu stellen. Festung erster Klasse. Bewegung rechts. Besonders Frau Gottsched ihre teilnehmende Bestürzung gegen Gottsched ausdrückend. Viertens. Professor Numero Zwei. Ausländer. Mitunterzeichner der gefährlichen Protestation. Ebenfalls Hehler des Grafen Bolza und zwar offen widersetzlicher. Kriegsgericht. Festung zweiter Klasse Teilnahme für Gellert rechts. Fünftens. Gräfin von Manteuffel. Sie fährt auf. Ausländerin. Gattin des bei Freiberg entdeckten Manteuffel. Der Mitwissenschaft verdächtig an dortigen hochgefährlichen Umtrieben von Manteuffels. Unterstützter Verdacht durch ihren Reitknecht, welcher unkundig Spionsdienste verrichten sollte zwischen Leipzig und den österreichischen Vorposten. Vor ein Kriegsgericht!
WILHELMINE leise. Mutter!
ZASTROW ohne Unterbrechung fortfahrend. Sechstens. Siebentens. Achtens. Dienerschaft. Sämtlich Ausländer. A. Selbiger Reitknecht. Als sehr dumm erkannt und nicht zurechnungsfähig. In Gnaden zu entlassen mit einem Denkzettel.
SCHLADRITZ leise. Der kann lachen!
ALLE rechts. Pst!
ZASTROW sich einen Augenblick umsehend, dann ohne Unterbrechung fortfahrend. B. Männlicher Diener des Professor Numero Eins. Als sehr naseweis erkannt – angemessene Spießruten.
SCHLADRITZ vortretend. Als wie ich?!
ALLE auf der rechten Seite. Pst!
ZASTROW wie oben. Weiblicher Diener. Als wohlgesinnt bekannt im Regiment. Mit einem Verweise zu entlassen. Befehlen Königliche Hoheit, daß der Auditeur dies Brouillon mündlich ergänze?
PRINZ. Ist nicht nötig. Ich kenne durch den Generalleutnant den Zusammenhang der Anklage. Steht auf. Wer ist Graf Bolza?
BOLZA drei Schritte vortretend. Ich bin's, zu Eurem Befehl, Königliche Hoheit, und mit der Bitte, mir einige Worte der Rechtfertigung zu gestatten!
PRINZ. Das versteht sich von selbst.[130]
BOLZA. Nun dann, Königliche Hoheit, kann ich das Wort Rechtfertigung sogleich zurücknehmen. Ich habe mich nicht zu rechtfertigen; denn ich habe nichts Unrechtes getan, es müßte denn ein Unrecht sein, daß ich nicht in diesem Lande geboren, und daß ich der Sohn eines Mannes bin, welcher vor dem Kriege zum Ärger der Sachsen wohlhabend geworden ist. Was trag' ich dabei für Schuld? Oder welche Schuld trag' ich den Preußen gegenüber? Als dieser Krieg begann, war es eine ihrer ersten Anordnungen, daß die Meißner Fabrik, deren Ausbeute man uns so sehr zum Vorwurf macht, uns gewaltsam abgenommen und preußischer Verwaltung übergeben wurde! War es also verwunderlich, daß wir unser Geschick und unsre Wünsche an die Waffen der Kaiserlichen knüpften? Das Gegenteil wäre wunderlich. Welche zivilisierte Armee straft Wünsche, die sich nicht in Taten äußern?! Ich bin nirgends tätlich gegen die Preußen aufgetreten!
PRINZ. Dieser hochfahrende Ton ist Ihrer Sache nicht günstig. Sie wären jetzt viel weniger gefährdet, wenn Sie offen tätlich auf dem Schlachtfelde uns entgegengetreten wären. Hinter unsrer Armee sind Sie zu finden gewesen mit Ihrer Tätigkeit, die mir aus dem Erzgebirge gar wohlbekannt ist. Zu den Übrigen rechts. Ist hier jemand, der einen haltbaren Grund anzugeben wüßte für die Anwesenheit dieses Mannes in Leipzig?
FRAU GOTTSCHED scheint sprechen zu wollen, spricht aber nicht.
Kurze Pause.
PRINZ. Sie sehen mich sogar geneigt, Entschuldigung anzunehmen, welche von Mitangeklagten ausginge. Aber es ist niemand vorhanden, der sich Ihrer anzunehmen wagte!
FRAU GOTTSCHED tritt zwei Schritte vor. Doch! Königliche Hoheit! Ich wage es, mich des Grafen Bolza anzunehmen!
Allgemeine Bewegung.
GOTTSCHED halblaut. Adelgunde!
GELLERT desgleichen. O wie brav!
FRAU GOTTSCHED. Ich kenne den Grafen Bolza aus dem Zirkel unsers gnädigen Kurprinzen in Dresden, und ich kann bezeugen, daß der Graf Bolza hierher kam in Angelegenheiten – des Herzens. – Eine – Dame zu sehen, welche der Krieg von ihm getrennt, erschien er erst heute vormittag in Leipzig
GOTTSCHED halblaut. Frau![131]
WILHELMINE scheint vortreten zu wollen.
PRINZ. Hätte man wirklich recht mit dem Vorwurfe, daß die deutschen Frauen den verweichlichten Franzosen und Italienern so gern ihre Gunst gewährten!
WILHELMINE. Aber ich lieb' ihn gar nicht, Königliche Hoheit!
GRÄFIN. Wilhelmine!
BOLZA. Komtesse!
WILHELMINE. Seien Sie gnädig, Königliche Hoheit, schicken Sie ihn ungestraft nach Italien! Ich wünsche ihm alles Gute und vor allem eine glückliche Reise.
GRÄFIN. Wilhelmine!
CATO ein wenig zwischen den Übrigen vortretend, um sich Wilhelminen bemerkbar zu machen, winkt ihr ermunternd zu.
WILHELMINE. Vergeben Sie meine Offenherzigkeit, königlicher Herr, aber ich habe gar keine andre Aussicht mehr als die Hilfe eines so mächtigen Herrn wie Sie, welcher bei aller Kriegsstrenge so milde schaut und so gnädig spricht.
GRÄFIN. Ich verbiete dir, Wilhelmine, weiter zu sprechen! Es ist deines Namens unwürdig, auf offenem Rathause deine kindischen Liebeswünsche mitzuteilen.
PRINZ tritt einen Schritt auf alle zu und macht eine zurückweisende Bewegung mit der Hand, worauf alle wieder in die frühere Reihe an der Wand rechts zurücktreten. Dann spricht er mit lächelnder Ironie. Es ist durchaus nicht meine Absicht und nicht meines Amtes: Vertrauter und Schiedsrichter zu werden in Liebesangelegenheiten. An seinen Stuhl zurücktretend, ganz ernsthaft. Ist der heut' aufgefangene Brief zur Hand an den General Serbelloni?
ZASTROW. Zu Befehl! Überreicht ihn aus dem Portefeuille offen ausgebreitet.
PRINZ sieht einen Augenblick hinein, dann wendet er sich plötzlich und geht bis an die Mitte des Theaters, auf Cato blickend. Sie sind wohl der von Rothenhain?
CATO vortretend. Zu Ihrem Befehle, Königliche Hoheit!
PRINZ. Sie haben sich erdreistet, mir eine aufrührerische Flugschrift einzusenden. Allgemeines Erstaunen.
GOTTSCHED leise. Einzusenden!
GELLERT desgleichen. Einzusenden!
WILHELMINE desgleichen. Armer Fritz![132]
CATO. Eine Flugschrift einzusenden, ja. Für aufrührerisch halte ich sie nicht, sonst hätte ich nicht gewagt, sie Eurer Hoheit vorzulegen.
PRINZ. Wie weit geht die Anmaßung der jetzigen Jugend? Kein bestehendes Verhältnis, kein Untertanenverband wird respektiert, und kühnlich wird doch hinzugesetzt, dergleichen verwegene Schimäre sei nicht aufrührerisch.
CATO. Verzeihung, Königliche Hoheit, wenn ich dennoch gegen dies Wort protestieren muß. Einen Schritt weiter tretend. Ich habe die Schrift Eurer Hoheit eingesandt, weil ich versichert zu sein glaubte, Ihr hoher politischer Standpunkt und Ihr deutsches Herz würden das Ungewöhnliche darinnen – was Sie jetzt schimärisch nennen – zu würdigen wissen. Denn die Grundzüge der Schrift sind erwachsen Mit erhöhter Stimme. aus den Taten des Königs Friedrich! König Friedrich kann sie nicht aufrührerisch nennen!
PRINZ drei Schritte gegen das Publikum vorgehend. Nicht übel!
CATO folgt ihm, übrigens in seiner Entfernung verbleibend, diese drei Schritte. Ich habe ein Recht zu dieser Folgerung, Königliche Hoheit. Unser Vaterland ist seit dem Dreißigjährigen Kriege tief zerspalten, und innerhalb dieser Spaltungen sind die politischen Rechtsverhältnisse schwankend geworden. Denn unser Kaisertum beherrscht sie nicht mehr. Dies hat man tausendfach zum Nachteil Deutschlands ausgebeutet. Endlich überrascht uns ein genialer König. Sein Ursprung ist deutsch, sein Land ist deutsch, seine Taten entrollen sich wie Donner Gottes zu Deutschlands Ruhme. Die Beweggründe dieses Königs, die Beweggründe seiner Taten wurzeln in einer – kühnen Deutung jener schwankend gewordenen Rechtsbegriffe in Deutschland, und er, dieser kühne Held oder sein ihm zunächst stehender Bruder, sie könnten es anmaßend schelten, wenn die Jugend auf dem gegebenen neuen Grunde neue Pläne entwerfen mag zu Deutschlands Größe?! Sie könnten fordern, daß die Neugestaltung Deutschlands nur ihnen allein zustehe? Ihnen allein und nicht jedem Deutschen? Gewiß nicht. Ich habe gesagt, daß es keinen großen König von Preußen geben kann ohne Deutschland, und ich werde dies Wort vertreten bis zu meinem Tode!
Kurze Pause.
PRINZ. Das wird auch nötig sein.
Kurze Pause.[133]
WILHELMINE. O seien Sie ihm gnädig, königlicher Herr, er ist ein guter Mensch!
PRINZ Wilhelmine und Cato einen Augenblick ansehend. So? Nachdrücklich. Ich habe gesagt, daß die Vertretung solcher Grundsätze mit Lebensgefahr verknüpft ist, und – Schwächer. ein trauriger Beweis Auf die Gräfin sehend. dafür liegt uns nur zu nahe. Einen Schritt auf die Gräfin zugehend. Nicht wahr, Madame, Sie sind die Frau Gräfin von Manteuffel?
GRÄFIN etwas erschrocken. Diese bin ich, zu Eurer Hoheit Befehl.
PRINZ. Ihr Herr Gemahl kämpft gegen uns in Reih und Glied; Ihre Dienerschaft wird betroffen auf Handlangerdienst, welcher dem Verdachte der Spionerie ausgesetzt ist!
GRÄFIN stolz. Königliche Hoheit, das letztere ist die Mißdeutung eines Zufalls und was das übrige anbelangt, so hab' ich nie geleugnet, daß die Familie Manteuffel feindlich gesinnt ist gegen das preußische Haus Hohenzollern!
PRINZ. Gott sei Dank, dem ist nicht also. Das preußische Haus und Land zählt Herren von Manteuffel unter seinen glorreichsten Verteidigern. Dies ist aber das Herzeleid! Parteinahme hat selbst die bravsten Familien zerspalten. So wenig weiß Deutschland, Zu Cato. junger Mann, von wo ihm Kraft und Zukunft erblühen mag. Frau Gräfin von Manteuffel, Ihr Herr Gemahl ist gefangen!
GRÄFIN. Gerechter Gott!
WILHELMINE halblaut. Mein Vater!
FRAU GOTTSCHED desgleichen. Der Graf!
GOTTSCHED desgleichen. Auch gefangen!
CATO desgleichen. Auch er!
PRINZ. Gott ist gerecht; denn Ihr Gemahl hatte es um uns verdient. Er kämpfte nicht bloß in Reih' und Glied, sondern mit den giftigen Waffen der Intrige. In seinem Gepäck wurden Papiere gefunden, welche die undeutschesten Verabredungen mit Frankreich und Rußland enthalten, und welche – sein Leben verwirken!
GRÄFIN. O Tag des Jammers!
WILHELMINE. Liebe Mutter – o königlicher Herr!
Kurze Pause.
Der Prinz geht während derselben zu seinem Stuhle zurück; die übrigen sind[134] wieder mehr in geordneter Reihe; auch Cato ist wieder mehr zurückgetreten; steht aber noch etwas vor.
PRINZ zu Cato. Da sehen Sie, junger Mann, wohin es führt, wenn sich jeder selbst seine politischen Maximen bilden und sie auf eigene Faust verwirklichen will – zu schimpflichem Tode kann es führen!
GRÄFIN fährt zusammen.
CATO. Ich kann nicht einräumen, daß dies meiner Lage entspreche. Frankreich und Rußland, das wirkliche Ausland, hereinzuziehen, ist himmelweit verschieden von dem, was ich will. Ich will, daß es innerhalb Deutschlands kein Ausland gebe.
PRINZ. Danach sieht es in dieser Gesellschaft nicht aus! Ein deutscher Professor hat sich hier sogar aufs äußerste kompromittiert, um einen gefährlichen Italiener gegen uns zu unterstützen! Zu Zastrow. Professor Numero Eins ist doch Herr Gottsched?
ZASTROW bejahend. Gottsched!
PRINZ auf Gottsched zugehend. Sie sind wohl Professor Gottsched?
GOTTSCHED. Zu Befehl, Königliche Hoheit.
PRINZ. Sie sind noch obenein ein geborener Preuße!
GOTTSCHED. Bei Königsberg in Preußen bin ich geboren.
PRINZ. Und nicht bloß geboren! Sie haben Ihre Bildung eines Gelehrten dort erhalten. Warum haben Sie das Land verlassen?
GOTTSCHED. Königliche Hoheit –
PRINZ. Ich will Ihnen die Antwort erleichtern. Sie haben sich dem Soldatenstande entziehen wollen, zu dem Sie ausersehen waren!
GOTTSCHED sich zusammenraffend und einen Schritt vortretend. Ausersehen, ja, meiner stattlichen Leibesbeschaffenheit wegen, und weil Eurer Königlichen Hoheit hochseliger Vater ohne Rücksicht auf sonstige Eigenschaften des Menschen Gardisten eintrieb aus allen Ständen.
FRAU GOTTSCHED. Gottsched!
GOTTSCHED. Ich habe mir's nie zum Vorwurf gemacht, Königliche Hoheit, und die gebildete Welt Europas ist, Gott sei Dank, bisher meiner Meinung gewesen, daß ich mich für mehr als eine bloß körperliche Maschine erachtet habe, und daß ich das Geistesleben höher geschätzt als das Dienstleben eines Gardisten!
PRINZ. Und zum Dank, daß Ihnen Preußen dies nicht nachgetragen,[135] lassen Sie sich auf feindlichen Schritten gegen Preußen betreffen!
GOTTSCHED. Nicht feindlich; unbefangen sind meine Schritte gewesen. Ich habe immer getrachtet, mich über den Parteiungen zu erhalten, und ich bin auch mit einem Verkehr beehrt worden, ich kann wohl sagen, mit einem gnädigen Verkehr von den verschiedensten Potentaten, welche untereinander im Streite waren. Auch Seine Majestät, König Friedrich, haben mir darüber nie ein Mißwollen, wohl aber Ihr allergnädigstes Wohlwollen zu erkennen gegeben!
PRINZ. Über den Parteiungen! Das nennen Sie über den Parteiungen! Wer steht an der Spitze einer politischen Protestation, welche hier zur Bestrafung vorliegt?!
GOTTSCHED. Sie ist eben eine Protestation gegen Parteiung. Wer sie uns abgenötigt, der nahm Partei! Man verlangte von der Wissenschaft Parteinahme für das, was augenblicklich herrscht! Dies widerspricht dem hohen Standpunkte der Wissenschaft, und es war also unsers Amtes, dagegen aufzutreten.
PRINZ. Und Verfasser aufrührerischer Flugschriften zu schützen, ist das auch Ihres Amtes? Kurze Pause. Gellert tritt einen Schritt vor.
GELLERT. Ja. Königliche Hoheit. Im vorliegenden Falle war auch dies unsers Amtes. Ich muß auf meine eigne Gefahr meinen Kollegen hierbei in Schutz nehmen durch mein Zeugnis. Die Protestation wegen der Flugschrift hat er nicht gewünscht. Ich aber hab' sie mit größter Bereitwilligkeit untertrieben und bin erbötig, sie zu vertreten, so weit mir schwachen Manne Gott Kraft dazu verleiht.
PRINZ zu Zastrow. Dies ist der zweite Professor?
ZASTROW. Ja.
GELLERT. Nur ein außerordentlicher Professor, ja. Aber ist auch mein Kopf nicht ausgezeichnet genug, mich auf die oberste Stufe zu heben, ich habe vor manchem Höheren den Vorteil voraus, daß mein Herz lebendig und wirksam redet. Verachten Sie ein Herz nicht, königlicher Prinz, in so herzloser Zeit! Mein Herz aber sagt mir, daß es jetzt nicht genug sei, verwüstete Felder, zerstörte Wohnungen zu beklagen, geängstigte Menschen, verstümmelte Menschen, getötete Menschen zu beweinen, daß es nicht genug sei, über all' den sichtbaren Jammer des Krieges zu stöhnen, über den Jammer eines Krieges, der unter Brüdern eines Vaterlandes wütet – nein nein, mein Herz sagt mir, daß auch unser innerer Mensch bedroht, daß auch [136] das tödlich bedroht sei, was wir Moral nennen, und, Königliche Hoheit, mein Herz hat recht, das weiß ich! Zwei Schritte nähertretend. Wir gewöhnen uns, einer auf den andern zu lauern, einer den andern zu bevorteilen – denn der Vorteil ist jetzt selten, und der Nachteil mit seinen Gefahren ist jetzt allerwege – wir gewöhnen uns, Noch einen Schritt nähertretend. einander zu beargwohnen, ja einander zu verdächtigen, wenn's vor dem täglich vorhandenen Feinde was helfen kann, wir gewöhnen uns – nichtswürdig zu werden, Königliche Hoheit! Und nun kommt uns in solcher furcht baren Zeit, es kommt uns Männern der Wissenschaft, die wir Sorge tragen sollen für Edles, Großes und Unvergängliches, es kommt uns, die wir die Arche lauterer Grundsätze retten sollen auf unsern Schultern aus dem allgemeinen Schiffbruche, es kommt uns die Zumutung, den Schriftstellern aufzupassen, daß sie im drängenden Gewirr des Krieges nicht ein unbedachtes warmes Wort sprechen, es kommt uns die Zumutung, wenn einem braven Manne ein unbedachtes Wort entschlüpft ist, auf ihn zu fahnden und ihn an die Strafbank zu liefern – Königliche Hoheit, es mag nötig sein im Staate, also zu spüren und zu verfolgen, aber bei meiner armen Seele, das Geschäft derer, welche die Forschung ermuntern, welche Wissenschaft und Sitte lehren sollen, das Geschäft der Professoren ist dies nicht, – und darum, Königliche Hoheit, haben wir protestiert, und ich erst recht, und darum protestiere ich hier noch einmal vor Ihrem eignen mir verehrlichen Antlitze und Haupte, und vor dem Angesichte des ganzen Landes.
PRINZ. So spricht in ganz Deutschland – Seydlitz hat mir nur Gottsched genannt – so spricht aber in ganz Deutschland nur ein Mann, nur ein Mann greift so in Herz und Nieren, dieser eine Mann müssen Sie sein, Sie müssen Gellert sein!
ALLE. Gellert! Gellert!
GELLERT fast weinend. Ja freilich bin ich Gellert, königlicher Herr!
PRINZ mit großer Wärme. Gellert! Gesegnet sei die Stunde, da ich Sie finde und halte, Ihn umarmend. an meinem Herzen halte, des Vaterlandes bravsten Mann!
Allgemeine Bewegung.
GELLERT. O mein Gott, blähe mich nicht auf in Freude der Eitelkeit! Königlicher Herr, meine Hände, meine Stimme zittern, meine Augen weinen nicht bloß darüber, daß Sie mich schätzen.[137] Auch darüber, ja ja, aber nicht bloß darüber! Nein, beim gütigen Gott da oben, es ist die Sorge um das Allgemeine, um die Not des Vaterlandes, um die Not derer, die hier eines Richterspruches harren, ohne doch Übeltäter zu sein!
PRINZ. Ich weiß es, Gellert, ich weiß es! Und glauben Sie nur, daß auch mein Herz darunter leidet, glauben Sie, daß auch bei uns, bei meinem Bruder und mir und bei allen guten Preußen diese Sorgen des vaterländischen Herzens bittre, bittre Qual verursachen. Fürchten Sie nicht, daß irgend eine edle Wallung eines Deutschen von uns verkannt oder gar beleidigt werden könnte. Verkennen Sie mich nicht, Gellert, wenn Sie mich das strenge Amt eines Soldaten erfüllen sehen. Innerlich bin ich nicht bloß Soldat, und ich weiß, Sich aufrichtend. ich weiß die notwendige Unabhängigkeit der Wissenschaft gar wohl zu würdigen. Ihre tapfere Verteidigung derselben, Professor Gellert, ist Ihnen bei mir zur Ehre angeschrieben, auch wenn ich sie strafen müßte im Drange des Kriegs. Wieder zu Gellert gewendet. Und das muß ich nicht! In diesem einen Falle mit der Universität darf ich meinem Herzen folgen. Darin kenne ich meinen Bruder!
GELLERT. Gott lohn' es Ihnen!
PRINZ. Wenn Deutschland was werden soll, so muß es tapfre Männer haben. Und tapfer ist man nicht bloß auf dem Schlachtfelde, tapfer ist jeder, der in seinem Kreise feststeht gegen jegliche Zumutung.
GELLERT. Jawohl, mein königlicher Herr!
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Gottsched und Gellert
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