Vierte Szene.


[104] Monaldeschi.


MONALDESCHI allein. Er steht mit untergeschlagenen Armen eine Zeitlang schweigend in der Mitte des Zimmers. Dies ist der Fluch des Abenteurers,[104] daß er von einem Extrem dem andern zugeschleudert wird; aus der Hütte hinauf an des Thrones Stufen, von den Stufen des Thrones bis in den Kerker. Ihn schützt kein Herkommen und kein Maß, er ist vogelfrei. Wieviel ihm gelinge, er ist unglücklich, denn er ist haltlos. Das Behagen eines ruhigen, sicheren Besitzes, er genießt es nimmer, die Hatz des Schicksals ist ihm ewig auf der Ferse.


Pause. Er geht umher und setzt sich dann.


Es liebt mich niemand auf der weiten Welt,

Ich bin ein ausgestoßen, ein verloren Kind!

Erobern kann ich wohl mit Geist und Mut,

Ja unterwerfen – ach, welch kläglich Ding!

Wer da erobert, bin das ich? ich ganz?

's ist eine Eigenschaft, 's ist eine Fähigkeit

In mir – sonst nichts; dies ganze Wesen aber,

Dies ganze Ich, dies eigene Geflecht

Von Kraft und Schwäche, Lust und Unlust, ach

Dies launenhafte, wetterwend'sche Ding,

Das nach dem Himmel lechzt und ihn nicht kennt,

Das mit der Hölle spielt und sie nicht kennt,

Das Gott verspottet, um nicht klein zu sein,

Und das Gott sucht mit Gierde Tag und Nacht,

Und doch sich selbst verhehlt, daß es ihn suche, –

Dies Ich, so straff zum Glück, und im Genusse

So durstig doch, so spöttisch doch, dies Ich,

Es mag's in Wahrheit niemand; niemand liebt's,

Es ist allein auf dieser weiten Welt,

Und darum ist's verbrecherisch –

Denn was allein bleibt, was sich nicht vermischt,

Das ist der Welt zur Last, das nennt sie Störnis,

Und Störnis bin ich, ach, von Mutterleibe!

Die Mutter selbst, wie tief hat sie's empfunden!

Bald küßte sie mich, entzückt von mir,

Und herzte mich zum Ersticken –

Dann stieß sie mich mit Füßen fort

Und schrie: Du kannst nicht lieben!


Springt auf.


Dies ist das Wort, der Angstschrei meines Herzens!

Ich kann nicht lieben, nein, ich kann es nicht –[105]

Ich weiß das Reizende wohl zu ergreifen,

Mit Hast, mit Feuer,

Und das Ergriffne mir zum Gott zu weihen,

Doch jene goldne Täuschung andrer Menschen,

Gedankenlos in Reiz sich zu verlieren,

Sich hinzugeben taub und augenlos

Für allen Mangel, der mit im Geleite,

Dies Herz der Liebe, es ist mir versagt!

Im schönsten Taumel bleibt mein Auge offen

Und lauscht mein Geist, ob irgendwo ein Fehl –

Der Segen aller Hingebung ist mir versagt.

Ist's meine Schuld? Was Schuld! Frag' ich um Schuld?

Ich frag' um Glück! Und dessen will ich rauben

Soviel ich kann – ein Räuber bin ich worden,

Weil sich die Kräfte so in mir gefügt,

Und grade so. Das Raubtier wird geschaffen,

Und lebt wie den Beruf sein Raubtierleben.

Wer es geschaffen, wird es auch vertreten,

Und wer es zwingt, der tötet's, also ist

Der Lauf der Welt – so rolle, Welt, dahin!

Erhebe mich, zermalme mich,

So wie du kannst und magst! –


Setzt sich wieder.


Ach, wer nicht lieben kann, wird nicht geliebt.

Er mag wohl eine Leidenschaft erregen,

Doch keine feste und dauernde Neigung.

Ein Felsenriff im Meere hält ein Schiff,

Das Seil und Anker daran festgeklammert,

Es hält ein Schiff, solang' die Wogen ruhn;

Allein bewahren kann es sich kein Schiff!

Wenn sich die See erhebt, entflieht das Fahrzeug,

Und flieht es nicht, so muß der Felsen selber,

Der's halten will, es schmettern und vernichten;

Ich bin ein Felsenriff und nicht geliebt –

Die Neigung dieser Königin ist nichts,

Als eine spielerische Liebelei

Und ein Gehorsam gegen Manneskraft;

Dies Weib hat keine Stimme und kein Herz,

Denn echtes Herz ist sinnenhaft bewegt.[106]

Sie tändelt mit dem Geistesreiz der Liebe,

Und weil es ihr versagt ist, Weib zu sein,

Putzt sie mit Kopf und Bildung eitel auf,

Was sie nicht kennt, und was die Dichter schildern.

Vergeblich Mühn! Was die Natur verdrängt

Aus ihren großen, starken Unterschieden,

Das bringt kein Kopf, wie stark er sei, zur Stärke.

Mann oder Weib! Doch was dazwischen faselt,

Bringt weder echten Krieg, noch echten Frieden.

Wer weiß, ob sie den Mut hat, mich zu retten,

Und hat sie ihn, wir finden doch kein Heil,

Denn es gebricht uns doch das Blut der Liebe.


Pause.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 104-107.
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Monaldeschi
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