Zweite Szene.


[113] Santinelli. – Christine.


SANTINELLI kommt dieselbe Treppe herauf und bleibt daran stehn.

CHRISTINE sieht ihn erst nach einer Weile.

Ach der! mein treuer, lästiger Schatten!

Wie töricht, das Gewissen abzuleugnen!

In hundert Zellen wohnt in unserm Innern

Die furchtbar unparteiische Behörde,

Die unsern Kopf nicht fragt, um abzuurteln:

So zeigt sich dieser Mann mir blind ergeben,

Blind führt er aus, was ich ihm auch befehle,

Selbst ein Verbrechen würd' er mir vollführen,[113]

Und dennoch bleibt er meinem Herzen fremd,

Unheimlich selbst; ich seh' die schlimme Treue,

Das Böse selbst in ihm – ich seh' es nicht,

Mein Kopf sieht nichts davon, doch seh' ich's.

In Monaldeschi aber sieht mein Kopf

Die schlimmsten Eigenschaften klar und deutlich,

Und doch beschützt ihn meine innre Stimme,

Doch neigt das Herz sich immer mehr ihm zu –

Und wir sind stolz auf unsers Geistes Macht,

Die wir nicht wissen, wo der Geist uns wohnt!

Die wir allstündlich überrascht uns sehn

Von Geistesmacht und unbekanntem Geiste!


Pause.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 113-114.
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Monaldeschi
Monaldeschi: Tragödie in Fünf Acten Und Einem Vorspiele (German Edition)