Vierte Szene.


[186] Königin. Die Vorigen.

Pause.


KÖNIG. Ich dank' Euch, Mathilde, daß Ihr Eure Nerven so mächtig bezwingt – ach, könnt' ich's auch! – und daß Ihr kommt. Ich weiß selbst nicht warum, aber es ist mir eine Genugtuung, Struensee und Gräfin Gallen sogleich verbunden zu sehn. Das Paar gefällt mir ganz besonders – Euch doch auch, Mathilde?

KÖNIGIN sieht schweigend einen nach dem andern an.

KÖNIG. Nicht?

KÖNIGIN. Jawohl!

GALLEN ihr die Hand küssend. O meine gnädige Königin!

KÖNIG. Wo ist der holsteinsche Prediger?[186]

LORENZ. Königlicher Majestät zu Befehl.

KÖNIG. Verrichtet Euer Amt, und segnet dieses Paar!


Erneutes und steigendes Geräusch aus dem Schloßhofe.


LORENZ. Majestät verzeihen der Nachfrage, ob alle kirchlich gesetzlichen Vorbedingungen erfüllt sind –?

STRUENSEE. Nein.

KÖNIG. Was?

GULDBERG. Majestät mögen verzeihen, der Mann ist aus den deutschen Provinzen und dänisches Kronenrecht ist ihm nicht hinreichend geläufig – Zu Lorenz. der König von Dänemark ist Haupt der dänischen Kirche; wovon er dispensiert, das ist gesetzlich!

KÖNIG. Legt ihre Hände ineinander, ich bitte, Königin Mathilde – Ihr seid noch krank, Euer Antlitz ist ganz blaß.

KÖNIGIN. Mag sein, doch hierfür bin ich stark genug! – Deine Hand, Mathilde! Struensee, die Eurige! Als sie seine Hand ergreift. o Gott!

STRUENSEE leise. Weh uns! – Ich kann es nicht!

KÖNIGIN noch leiser. Ihr müßt! Während die Königin erschöpft zur Seite tritt, und Lorenz ihre Stelle einnimmt, spricht die.

GALLEN leise zu Struensee. Was sagtet Ihr? Ihr gönnt mir keinen Blick!

LORENZ. So weih' ich Euch denn, Euch Mathilde Gräfin von Gallen und dich Friedrich Grafen Struensee –

STRUENSEE. Halt ein, ich kann nicht lügen!

KÖNIGIN. O Gott!

KÖNIG. Was ist?

RANZAU. Wie?

GULDBERG. Da tritt's zutage! Ranzau die Hand reichend. Jetzt, Graf, ist's Zeit!

KÖNIG. Was ist zu lügen?

STRUENSEE. Lüge wär's, wenn ich ein Bündnis segnen ließe und mit meinem Ja besiegelte, von welchem mein Herz in diesem Augenblicke entfernt ist –

GALLEN. Struensee!

STRUENSEE. Vergebt mir, Gräfin, gönnt mir Zeit! Vergebt mir, wenn ich nicht die rechten Worte finde – ich Steigender Lärm von unten. bin zerstreut durch die Sorge um den Staat, vergebt, mein König! –

[187] GULDBERG zur Gräfin. Bedürft Ihr noch der Aufklärung?


Donnernder Lärm.


KÖNIGIN sich gewaltsam fassend. Was bedeutet jener Lärm?

KÖLLER an der offnen Tür. Der Aufruhr wälzt sich in den Schloßhof herein!

KÖNIGIN. Der Aufruhr?

GULDBERG. Revolution?

RANZAU. Gegen wen?

KÖNIG. Still!


Pause. Man hört Massengeschrei: Nieder mit Struensee.


KÖLLER. Das Volk verlangt den Kopf Graf Struensees!

KÖNIG. Struensee, rechtfertige dich? Warum stürmt mein Volk gegen mein Haus? Warum weichst du zurück vor dem erwünschten Ehebunde?

STRUENSEE. Auf letztre Frage, Majestät, mag mir die Antwort jetzt erlassen werden. Bin ich auch meines Königs und des Staates Diener, mein Herz ist frei in seiner Wahl; niemand auf Erden hat ihm zu gebieten.

GULDBERG. Ihr vergeht Euch!

RANZAU. Welche Sprache!

KÖNIG. Rede weiter!

STRUENSEE. Der Gräfin Gallen, die ich lieb' und ehre, werd' ich darüber Rede stehn! Euch, Majestät, mein gnäd'ger Herr und König, dem ich ergeben bin bis in den Tod, hab' ich Verantwortung zu leisten für den Aufruhr. Hier bin ich schuldig, und ich werd' es büßen. Die Vorfälle dahier im Schlosse haben mich, ich muß es eingestehn, seit heute morgen so befangen, daß ich meine Pflicht verabsäumt, mit Brandt mich nicht beraten und den Strom der aufgereizten Kopenhagener bis daher gelassen habe. Nicht Euch, mein königlicher Herr, mir gilt der Sturm; Oberst Köller kennt genau, was er berichtet, durch mich nur ist der Sturm zu beschwören, sei's durch mein Wort, das Kopenhagens Bürger aufklärt gegen die adligen Empörer, die Quelle all des Unheils, – sei's durch mein Haupt, das man zur Sühnung heischt. Erneuter Volkslärm. Entfernt Euch, Majestät, ich bitte sehr, mit der Frau Königin – hier seid Ihr ausgesetzt! Mir aber, Oberst Köller, lasset öffnen und Platz schaffen auf dem Treppenplane; der Struensee, nach dem sie schrein, soll ihnen werden! Er geht nach hinten ab. Immer stärkerer Lärm.[188]

KÖNIGIN. Es ist unwürdig, König Christian, sich gegen Empörer durch Entschuldigung zu verteidigen. Ein meuchlerischer Schuß, der aus der Menge Struensee darniederwirft, wird die höhnische Antwort sein, und das Ansehn dieses Schlosses mit Schmach besudeln. Man soll die Truppen vorrücken und die Kanonen lösen lassen! Struensee und Köller hinaus.

KÖNIG sie betrachtend. Königin Mathilde!

KÖNIGIN. So redet, ratet, helft, Ranzau und Guldberg! Ist es uns angemessen, mit dem Straßenaufruhr gütig und nachgiebig zu unterhandeln?

RANZAU. Nein.

KÖNIGIN. Nun also, auf, laßt die Soldaten handeln! Wofür seid Ihr Männer!

RANZAU. Ich hab' kein Amt dazu! Befehlshaber ist Graf Struensee! Befiehlt mein König, daß ich handle, so ist dies Vollmacht und ich handle flugs.

KÖNIG sieht ihn schweigend an.

KÖNIGIN. Graf Ranzau feilscht im Augenblick der Not –


Erneuerter großer Lärm.


RANZAU. Königin, ich heiße Ranzau.

GULDBERG. Soviel erweist sich Nach hinten zeigend. Struensee beschwichtigt Kopenhagen nicht! –

KÖLLER erscheint oben. Ich bitte um Befehl! Struensee vermag nichts, niemand will ihn hören, hundert Waffen sind gegen ihn erhoben, und auch für uns und unsre Truppen weiß er kein Kommando –

RANZAU. Ernennt einen Befehlshaber, Majestät.

GULDBERG. Befehlt, befehlt, König von Dänemark!

KÖNIGIN nach hinten eilend. Ich werd' befehlen, wenn es niemand tut –


Der Lärm außen dauert fort.


STRUENSEE eilig eintretend; die Soldaten drängen sich hinter ihm und besetzen in Masse die Tür mit nach außenhin gestrecktem Gewehr – er bleibt zunächst oben stehen. Man hört mich nicht! Ich beschwöre den König und die Königin, sich in den hinteren Flügel des Schlosses zurückzuziehen; ich werde die Führer des Aufruhrs hier erwarten, und werde ihnen Rede stehn!

KÖNIGIN. Ihr seid von Sinnen, Struensee, und wißt die Macht, die Euch in Händen ruht, nicht zu gebrauchen. Laßt die[189] Kriegsleute handeln und Gewalt mit Gewalt vertreiben! Das ist Eure Schuldigkeit!

KÖLLER. Die Truppen sind zu schwach und widerwillig –

STRUENSEE. Schweigt, Oberst Köller! Seht Ihr dort das Zeughaus? Seht Ihr den Grafen Brandt dort auf der Warte? Ein Wink von mir, und die Kartätschen säubern mörderisch den Schloßhof, und Eurer Truppen, die ihr widerwillig nennen müßt zu Eurer eignen Unehre, und Eures Degens, Herr, bedarf es nicht!

KÖNIGIN. Nun denn, was zögert Ihr?

STRUENSEE herabsteigend. Ich zögre aus Gewissenhaftigkeit! – Laßt Euch beschwören, königliche Frau und königlicher Herr, zieht Euch zurück, und überlaßt es mir allein, den Aufruhr zu bestehn! Ich kann nicht, ich kann nicht schießen lassen auf verführtes Volk, ich kann nicht töten lassen, bloß um mich zu retten –

KÖNIGIN. Die Majestät der Herrschaft sollst du schützen, törichter Mann –

STRUENSEE. Sie ist nicht gefährdet, mir gilt's, nur mir! Und wer bin ich? Ich bin am Ruder, weil ich allgemeine Freiheit, allgemeines Glück versprochen habe. Jedweden Bürger, den reichen wie den armen, will und soll ich schützen. Ich scheitre an dem Eigennutz der Kaste; diejenigen, die ich beschützt, sind gegen mich gehetzt – soll ich mich so verlieren, daß ich dieses Volk, dem ich alles gewidmet, zusammenschießen lasse, wenn es irrt und tobt? Nein, beim lebendigen Gott! Es kann mich stürzen, kann mich töten, doch es soll mich einstens segnen!

KÖNIGIN nach vorn kommend. Weh uns! Dies ist ein bürgerlicher Träumer, in dessen Kraft wir alle uns getäuscht – entschließt Euch rasch, befehlt, daß man vom Zeughaus schieße! Gehorchet mir! Bei meiner Ungnade verlang' ich es!

STRUENSEE flehend zu ihr vorkommend. Dies, gnäd'ge Königin, stürzt mich in Verzweiflung! Ich kann nicht gegen mein Gewissen handeln, und fürchte doch auf dieser Welt nichts mehr, als Eure Ungunst – seid mir gnädig!


Großer Lärm.


KÖLLER. Die Treppe wird gestürmt! Flieht, König Christian!

KÖNIG. Wer wagt's, mir so zu sprechen! Er betrachtet die Königin und Struensee, der auf ein Knie sich vor ihr niedergelassen. Denkt Eurer Würde, Königin Mathilde, so es noch Zeit, zieht Euch zurück![190]

KÖNIGIN zu Struensee. Hinweg! Und wählet rasch! Dort handelt wie ein Mann, oder bleibt ein Schwätzer, der nie, niemals wieder ein Wort an seine Königin zu richten hat!

STRUENSEE aufspringend. So mag mir Gott vergeben, denn ich kann nicht anders! Er eilt nach hinten.


Donnernder Lärm.


KÖNIG. Halt, Struensee! – Dies Spiel ist aus! – Und niemand folge mir, wer nicht ein Däne! Der König geht rasch die Treppe hinauf und tritt hinaus – es wird sogleich ruhig.

KÖNIGIN. König Christian!

STRUENSEE. Der König!

RANZAU. Der König selbst!

GULDBERG. König von Dänemark! – Ich bin ein Däne und ich folge ihm. Ebenfalls hinauf und hinaus.


Man hört Jubelruf: Es lebe König Christian!


KÖNIGIN kaum hörbar. Weh uns!

STRUENSEE ebenso. Ich bin verloren! König, Guldberg, Köller kommen herab – der König tritt zwischen Struensee und die Königin, beide abwechselnd betrachtend.

GULDBERG. Das Schloß ist frei, die Bürger kehren heim, es lebe König Christian! Zur Gräfin Gallen leise. Seid Ihr nun aufgeklärt und wohl entschlossen gegen jenen Mann?

GALLEN leise. Das bin ich, Herr!

GULDBERG. Zur Rache?

GALLEN. Nichts Süßeres mehr für mich als Rache!

GULDBERG. Sie soll Euch werden! Zu Ranzau gehend. Jetzt, Graf, ist er reif und ich beginne! – Befiehlt der König, daß das Maskenfest abbestellt werde?

KÖNIGIN. Wer möchte heut' noch tanzen?! –


Pause.


KÖNIG. Verlarvt Euch, Königin! Wir wollen tanzen! Er winkt Guldberg und geht nach seinem Zimmer zu.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 24, Leipzig 1908–09, S. 186-191.
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