1. Konstantin an Valerius.
Den 20. März 1830.

Die Sehnsucht, wieder einmal mit Menschen umzugehen, läßt mich schreiben – mit Menschen, denn hier gibt es nur Oberpräsidenten, Unteroffiziere, Leutnants, Regierungsräte usw. So wenig Ihr – ich hoffe, Du wirst mein Sendschreiben unserem erlauchten Kreise mitteilen – nach diesem Eingange von meinem hiesigen Nichtleben erwarten möget, so fange ich doch damit an, und gehe erst später zu Angenehmerem.

Wenn zur Glückseligkeit weiter nichts erforderlich ist als gutes Essen und Trinken, Tabak, Whist, Pikett, Patentvisiten, Gesellschaften, reine Wäsche und ein gutes Bett, so bin ich jetzt überaus glücklich. Doch ist mir's, als fehlten mir noch einige Kleinigkeiten.

Man lebt hier ein thrakisches (böotisch ist durch uns nobilitiert) und selbst für mich, der ich doch kein Kostverächter bin, tragisches Leben. Ich lebe wie mit zugeschnürter Kehle und denke an die Poesie wie an eine verbotene Frucht. Neben der pupillarischen Substitution, der Intestat-Erbfolge und der querela inofficiosi testamenti geht mir der Bernhard von Weimar sporenklirrend im Kopf herum, nur seh' ich zuviel Schwierigkeiten, den Mann dramatisch zu besiegen. Gibt's im poetischen Vereine viel Neues? Ich habe sehr wenig gemacht und bin nur einmal aus diesem Sibirien nach Spanien gegangen.

Uhland scheint wieder zu erwachen; ich habe schon hin und wieder Kleinigkeiten von ihm gelesen – das wäre für mich von großer Wichtigkeit, denn er veredelt und erhebt mich immer sehr: mein demokratisches Treiben grinset mich zuweilen[1] ein wenig an, nur in ihm ist es ewig schön, ja ist es das Urschöne.

Dem Fähnrich Pistol, meinem liederlichen Hippolyt gib die Beilage, grüß den William und die böotischen Brüder und lebe wohl – hörst Du, lebe wohl! –

A propos, ich verweise Dich auf das Abenteuer, das Du am Schluß des beiliegenden Briefes findest; ich sehe Dein Stirnrunzeln und Deine drohende Unterlippe und höre des finsteren William grollende Worte: »Es ist und bleibt ein rohes Volk« – ich hoffe, Du sprichst als echter Tragöde jetzt nur in Jamben. »Auf Donnerstag, mein Graf? – Die Frist ist kurz!« Ade, Du dunkelfarbiger Romeo!


Konstantin an Hippolyt.
Ein Lied nüchtern zu singen.

1. Und es war ein Mann zu Bahri, der hieß Semajah, der blies die Posaune und sprach:

2. Was trotzest du also und freust dich deiner Schande?

3. Deine Zunge trachtet nach Schaden, und schneidet mit Lügen wie ein scharfes Schermesser.

4. Du redest lieber Böses denn Gutes, und falsch denn recht. Sela.

5. Du redest gern alles, was zum Verderben dient mit falscher Zunge. Sela.

6. Darum wird dich auch Gott ganz und gar zerstören und aus deiner Hütte reißen und aus dem Lande der Lebendigen dich ausrotten. Sela.

7. Ich aber werde bleiben wie ein grüner Ölbaum im Hause Gottes usw.


Ich hoffe, mein Hippolyt, Du hast das sorgfältig gelesen, und bist jetzt in einem gesammelteren Zustande. Ach, Dein Brief duftete wieder so kräftig nach Sekt, daß ich auch ohne die Handschrift zu kennen, und ohne Unterschrift den[2] Autor sogleich würde erraten haben. Sage mir, lieber Junge, kommt es wohl noch vor, daß Du Dich in einer ganz nüchternen Stimmung befindest? O pfui! und Du hattest doch so schöne Vorbilder; ich sah Dich früher oft in Gesellschaft eines wohlbeleibten Mannes mit einem heiteren Blick und sittigen Betragen, hat der all seinen Einfluß auf Dich verloren? Ich will es nicht hoffen, mein Fähnrich! Der heitere Mann hat ein kleines Fläschlein zarten Ausbruchs vor sich stehen, er trinkt Dir ein mäßiges Gläschen zu, tu ihm Bescheid und befolg seine Lehren. In Deiner wilden Unbändigkeit rennst Du also jetzt nach einem Epos? Wunderlich, als stiege die epische Lust aus gleichem Stoff – ich suche eben auch. Ich sehe Dich des Vormittags bei verhangenen Fenstern wirtschaften, die Helden abschlachten, und Dein wildes Haupt stolz in den Nacken werfen. Ich hoffe wenigstens, daß Du aus Dankbarkeit deutsch schreibst; denn wahrlich, die geringe Zivilisation, welche Du besitzest, hast Du doch lediglich uns zu danken; nicht viel anders als der schwarze Falke vom Lorenzstrome kamst Du in unsere erlauchte Gesellschaft. Fähnrich, tu mir die Freundschaft an, schreib deutsch, es ist die schönste Sprache. Nur bei schwerem Sekt, Du kennst das edle Gewächs, das eben vor meinen Blicken goldglühend wächst – nur bei schwerem Sekt ließ sich Pistols und Sir Johns zungenschweres, lallendes Englisch verbrauchen. Schreib deutsch, Pistol! Es ist eine Universalsprache, selbst wenn Dir die duftigen Träume des Guadalquivir wiederkommen, wie sie Dich manchmal in sternenheller oder morgenfrüher Seligkeit des Julius an den Boden warfen, selbst wenn Deine spanische Jugend die weichen weißen Arme um Dich schlägt – hat die deutsche Sprache auch nicht Deine wollüstigen spanischen Liebestöne, so hat sie doch eine göttliche Zärtlichkeit, die mich selbst oft vor ihr erröten macht. Schreib deutsch, Hippolyt!

Ich habe noch neulich Tassos Jerusalem gelesen! Ja,[3] aus jener Zeit ist es schön usw., aus den dunkeln Lagunen, wo die romantische Verborgenheit und unergründliche Tiefe der Sehnsucht, wo das tiefblaue Dunkel des zurückgestrahlten Himmels die Sinne umstrickt, – aber ich würde es für keinen Gewinn halten, wenn wir heutzutage mit dergleichen beschenkt würden.

Ich bin sehr beschäftigt, und zwar mit den verschiedenartigsten Dingen. Es besucht mich fast niemand, und ich gehe nur wöchentlich zweimal zu einem Bekannten, mit dem ich Schach spiele, lese, und dessen Flügel ich benutze. Die Musik kommt mir seit langer Zeit vornehm, fremd vor, es ist mir, als ob sie mich über die Achseln ansähe – so war's doch früher nicht, und ich begreife durchaus nicht, was der Dame einfällt – ich glaube, sie liebt den Sekt nicht. Auch bringt sie mich stets ein wenig aus dem Gleise, es wird mir, als säß ich einer früheren Geliebten gegenüber, der ich untreu geworden, Jünglingserinnerungen klopfen mich unsanft wie Fächerschläge auf die Wangen – es ist wunderlich, aber ich kann das Klavierspiel nicht lassen, es ist eine schmerzliche Lust, mit alten Geliebten zu plaudern. Außerdem ist das Theater meine einzige Erholung. Ich bin wirklich, so sehr ich mir Mühe gebe, auch wenn ich ausgestreckt auf dem Sofa liege, nicht ganz ruhig. Ich schreibe dies und das, reiße mich aber mit Gewalt wieder los, denn ich will einige Zeit wieder etwas lernen. Ich weiß nicht, was das Volk in mir für eine Wirtschaft treibt, es gebärdet sich manchmal wie eine mit der Regierung unzufriedene Nation. Ich hoffe, das Studieren wird sie beschwichtigen. Ich gäbe viel darum, wenn ich jetzt unseres kleinen Kupido Chronik hier hätte. Wenn einmal jemand mit einem zu leichten Wagen hieher fährt, so pack' ihm doch das Ding auf. Was macht Kupido? Sitzt er noch in den Bergen bei seiner idyllischen Landschöne? Sein letzter Brief war wie die Sage eines wandernden Minstrels; der Junge lauft im Lande umher, schöne Mädchen zu suchen. Ich fürchte, er wird nächstens einmal der[4] Polizei in die Hände fallen und uns Schande machen, was man so Schande nennt.

Heute wäre so ein rechter Phantasietag, wenn wir beisammen wären; es regnet und stürmt, und dunkelglühende Grogschatten ziehen vorüber. Aber ich will dem Salamander abschwören, er stört mich jetzt, denn ich bin mitten in einer Liebesintrige. Höre, wie das kam!

Ich saß vorn im Sperrsitz des Theaters und sah der Gaukelei zu. Ein junges Soubrettchen machte mir Spaß, sie war so nett und fix und rund und drall: Du weißt, das lieb' ich. Bald darauf kam sie im Ballett wieder zum Vorschein. Hochgeschürzt entwickelte sie einen behenden, makellosen Wuchs, eine geregelte muntere Formenschönheit schoß aus Fuß- und Handspitzen blitzende Funken in mich. Mein Nachbar meinte, es sei ein unternehmendes Kind, und Dein Sir John verfügte sich alsbald hinter das Geheimnis der schützenden Kulissen. Glühend sprang sie eben aus der Szene herein in die dunkle Verborgenheit, als wollte sie heiß dem Korydon in die Arme fliegen. Der Korydon war da und stellte sich ihr sehr lebhaft vor, eine kurze Topographie seines inneren neuentdeckten Terrains entwerfend, die üppige Vegetation seiner Triften beschreibend. Das muntere Ding nahm es harmlos auf, und im raschen Flusse der Worte und Begebenheiten – denn die phantastische Welt des Balletts spielte im Köpfchen noch weiter – überließ sie sich nach geringem Sträuben der Woge meines Anerbietens, sie nach Hause zu geleiten. Ich schwor bei Pistols Sekt und Fallstaffs Schwert – sie hatte Heinrich IV. wahrscheinlich noch nicht gesehen – ich würde die Stadt anzünden, wenn sie nicht in diesem reizenden Kostüme bliebe, sie gewährte, warf den Mantel um und wir gingen.

Dabei, lieber Hippolyt, muß ich im Vorbeigehen dem Valerius recht geben, und ihm Dank sagen; er behauptete oft, wenn von dem Reiz der Schauspielerinnen die Rede war, daß man mit diesen Damen nur verkehren müßte, wenn sie noch in[5] selbigem Anzuge seien, der sie auf der Bühne geschmückt, mit dem Gewande schwinde die Illusion, und man bekäme ein Gedicht in schleppende Prosa übersetzt.

Wahrhaftig, die Welt der Täuschung ist ja das einzige, was am Leben erfreut, ein Narr, der einen Fetzen davon aufgibt. Das Gepränge der Täuschung macht die Schauspielerinnen gefährlich, – wer möchte in die Gefahr eingehen und den Glanz wegwerfen. Eine Bajadere in ein Kattunkleid gesteckt, das zwei Ellen lang, lieben wollen, heißt sich an einer Statue ergötzen, die gegen die Witterung in Leinwand gehüllt ist.

Kurz, ich führte meine Bajadere nach Hause und sprach geflügelte Worte mit ihr. Aber das Erzählen ist träg – ein andermal von Euern Taten, Sir John – Ade, mein Fähnrich!

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 1-6.
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