10. Konstantin an Valerius.

[50] Es ist eine Schwäche, daß ich meine Rhapsodien, wieder an Dich beginne, aber ich will schwach sein. Laß mir die Freude oder das Leid. Ich bin sehr allein.

Geehrtes Volk der Myrmidonen, ich danke Euch für Eure gute Meinung, die mir William in ein paar albernen Zeilen kundgibt, daß ich ruiniert sei. Und wenn ich eben an den Galgen hinaufgezogen werden sollte, ich würde dem hyperboräischen, frommen Manne sagen, er sei ein Schwachkopf – der Mensch hat mich in Harnisch gesetzt mit seinen biblischen Auszügen – man soll sich aber nicht in Harnisch bringen lassen, vielmehr sich einer gewissen innern Ruhe befleißigen, nicht zu schwere Weine trinken, ins Kloster gehen. Wir sind alle mehr oder weniger Ophelien. O Hamlet, Welt, warum warst du so kühl gegen mich! Pfui doch! –

O lieber Valer, tu mir die Freundschaft und tritt recht derb in den Dreck der Dir verhaßten Welt – ja so, Dir ist sie ja nicht verhaßt – wenn Du dann die Füße nicht mehr regen kannst, so bildest Du Dir ein, festzustehen.

Brust heraus, Kopf in die Höhe! Und nun laß sausen und brausen – Mut, klare Augen! Indem ich dies schreibe, tun mir meine Augen sehr weh. Ich habe die Dinger in den romantischen Jahren der heimlichen Gymnasiastenlektüre gar zu sehr angestrengt, und büße jetzt für die Kleindrucksünden des Zwickauer Walter Scott.

Noch immer wate ich getrost in der trostlosen Pfütze unserer Jurisprudenz; warum ich das tu', ist leicht begreiflich: hungern ist immer besser als verhungern. Wenn ich mehr Mut hätte, tät' ich's vielleicht nicht. Mut, Mut! der fehlt uns und ganz Europa, sonst läg' es nicht so im argen.[50] Nicht der Mut, Gendarmen zum Einhauen zu kommandieren, wohl aber der, Lächerlichkeiten ruhig anzusehen oder Ernstes genau und unbefangen zu prüfen. Die Welt will jetzt nicht nach Gesetzen leben, die da sind, weil sie da sind, sondern nach Gesetzen, die aus der Zeit und dem Bedürfnisse hervorgehen, von denen sie weiß, warum sie da sind. Gebt gutwillig, was man Euch später nimmt, und Ihr könnt für willenlose Puppen Menschen einhandeln, meines Erachtens ein schöner Tausch. Ich bin kein Narr, der den Staat für ein Rechenexempel ansieht, das in einer Stunde zustande gebracht ist, aber ich bin auch kein Esel, der sich beruhigt, wenn er Disteln hat. O, ich sage mit Kaiser Max: »Wenn sich Gott nicht der Sache erbarmt, ich armer Kaiser und der versoffene Julius werden's nicht besser machen.«

Steht auf aus euren Gräbern, die ihr sie zugeschnitten habt jene rote Mütze, welche jetzt am Horne des Mondes hängt, vor allen du, Rousseau! Wirf noch einmal dein heiß- und vollblütiges Herz über den Erdkreis, daß ihnen der Blutregen die Augen füllt statt der vergossenen Tränen. Wenn ich oft knirschend am Boden meines Zimmers liege, da richtet mich der Gedanke an jene metallenen, mit Blut bespritzten Helden der Franzosenjugend auf, der Gedanke an den brüllenden Danton mit der Athletenfigur, dem von Pocken zerrissenen Gesichte, wie er einen Vulkan des zertretenen Menschenrechts nach dem andern aus der wogenden Brust herausschleudert; an den blitzenden Desmoulins mit dem garstigen schwarzen Antlitz, der schönen Frau im Arm und die tödliche Gerechtigkeit auf der sprudelnden Lippe; an den rigoristischen frommen heuchlerischen Narren Robespierre und die Helden des Ultraismus Sankt Justs, welche die neue schöne Lehre von der Freiheit mit dem stockigen Gifte enthaltsamer Tugend versetzten – wahrhaftig, Du hattest recht, als Du mir sagtest, alles andere Studium sei heut' toter Kram, die französische Revolutionsgeschichte enthalte alle[51] Fußstapfen unserer kommenden Jahre, man solle sie studieren, und den Deutschen endlich eine schreiben, denn sie haben noch keine und nur die Henkerlisten davon, und dann sollten sie die Schulbuben auswendig lernen. Valer, das war Dein größter Gedanke – o rote Freiheitsmütze, wann sieht dich Europas bleiche Sonne wieder! Mein krankes Auge dürstet nach deinem Anblick. –

Es ist gut, wenn man an jemand hängt, es ist eine Art Stütze. Wenn man auch im Wasser ist und sieht nur von fern Land, so hofft man auch wieder. – Warum bist Du nicht bei mir; wie ein verliebtes, schwindsüchtiges Mädchen schmacht' ich nach Dir – selbst Hippolyt wäre jetzt nicht für mich, in einiger Zeit ja, denn ich weiß es, in einiger Zeit werd' ich sehr munter leben, wenn ich wissen werde, wo ich die Million stehle, die ich in die Lüfte und Spelunken streuen will. Kronen und Millionen stiehlt man ungestraft, nur die kleinen Diebe hängt man, nur die kleinen Sünder beichten und büßen. Alles kommt auf die Quantität, die Masse an – mit Millionen von Goldstücken, oder von Liebe, oder von Ehre, oder Lust ist jedermann zu bestechen. Ich schwör' es, jedermann. O, will mich niemand bestechen!?

Um mich verrückt zu machen, fehlt weiter nichts als die Liebe – wenn ich nicht so sehr liebte, wär' ich längst verrückt. Es gibt keinen liebevolleren Menschen als mich. Die winselnden Lyrika scheinen uns verlassen zu haben, und das ist gut, ich halte sie nur für eine Übergangsstufe. Der Dichter soll und muß über der Empfindung stehen.

Ach, und doch wären mir einige lyrische Gedichte notwendig und erleichternd, wie Tränen. Ich habe beides nicht. Frag nicht nach dem Mädchen, denn ich hasse es. Deine nächsten Briefe schicke frankiert. – Ade!

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 50-52.
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