3. Konstantin an Hippolyt.

[12] Ich habe sehr schöne Gedanken und Reflexionen im Kopfe, aber ich weiß ja, was Du dazu sagst, wenn man sie zwischen Handeln und Tat spreut. »Handle, lebe,« pflegtest Du zu sagen – »von den sieben Weisen Griechenlands herunter haben die Leute philosophiert, systematisiert, schematisiert und doch nichts gelernt, sie haben alles in Formeln gebracht und darüber die schöne Zeit verloren, während welcher sie glücklich sein konnten. Lebe, sagtest Du mir beim Abschiede, und da Du ja auch ein Federheld bist, schreib mir's, wie und was Du lebst, aber ohne Beisatz, Beigeschmack und Brimborium; schick mir das nackte Leben, und ich werd' mir's schon selbst ankleiden.«

Nun denn! – Rosa gehört zu den wunderlichen Geschöpfen, welche die ersten Schritte der Bekanntschaft, wie Du gesehen, am auffallendsten erleichtern – das kommt von der Bühne. Die dramatischen Dichter machen sich das immer unglaublich leicht: die Personen sehen sich und merken alsobald[12] beide, daß sie viel miteinander zu tun haben müssen, sie bombardieren sich ohne weiteres mit Sentiments, und wenn man ihnen nach einer viertelstündigen Bekanntschaft im ersten Akte viel zu schaffen macht, so gehen sie ohne weiteres im zweiten Akte miteinander durch – Pässe brauchen sie nie, und Geld findet sich immer. Ich lasse mir das im höheren Schauspiele gefallen, wo die modernen bürgerlichen Verhältnisse in ihrer Kleinheit verschwinden vor der künstlerischen Höhe der Gedanken und Gefühle, aber im Lustspiele bleibt's doch immer sehr drollig. Darum bin ich noch immer der Meinung, nur ein Mann von Welt wisse ein feines modernes Lustspiel zu schreiben. Es müßte denn wie in Williams Lustspiele das bunte Zelt phantastischer Poesis zum Ort der Handlung aufgeschlagen werden.

Rosa fand unsere schnelle Bekanntschaft ganz in der Ordnung, alle die kleinen Nebenwege der gewöhnlichen Liebschaften sind ihr durch die Bühne abgeschlossen worden, sie fängt auf dem Punkte an, wo andere Mädchen nach mannigfachen telegraphischen Depeschen, verhüllten Andeutungen, Pfänderspielen, gegenseitigen Träumen, schüchternen Worten, geflügelten Sonetten, Notenaustausch usw. anlangen. Ich gestehe, das ist Mangel eines romantischen Reizes, das ist selbst mir zu modern, obwohl sehr bequem. Auf jenem Punkte bleibt sie nun aber stehen; das ist ein Mißverhältnis in den einzelnen Teilen, reizt mich zwar ein wenig, ist mir aber unbehaglich.

Man läuft gern lang nach einer goldenen Frucht, aber am Baume angekommen streckt man nicht gern die Hand tagelang aus.

Sie duldet meinen Kuß auf den Arm, auf die Schulter, aber wenn ich sie umfasse und auf den Mund küssen will, so hält sie mir den Mund zu und wehrt mich entschieden ab. Das würde mir bald langweilig werden, wäre sie nicht gar so hübsch.

Die alte Pflegemutter hatte zu Muhmen und Basen geschwatzt, ich wolle Rosa heiraten – meinen Namen hatte sie schon am andern Tage erfahren – das hat sich bald verbreitet,[13] und heute fragt mich meine Schwester danach. Das ist mir sehr fatal und verleidet mir die Sache. Das Ganze wird dadurch so platt bürgerlich. Was einem das dumme Volk das Leben erschwert! Das Märchen konnte so duftig einsam abgesungen werden, wie in einem dunkeln Kiosk im Morgenlande. Ich werde an Rosa schreiben und versuchen, der Sache einen andern Schwung, eine andere Wendung zu geben.

Ade!

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 12-14.
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