34. Valerius an Konstantin.

[159] Hippolyt ist auf der Reise nach Paris, ihm kann ich nicht schreiben, Du wirst wohl in Deiner begonnenen Metamorphose noch soviel Gedächtnis übrig behalten haben, daß Du ein wenig Interesse an mir und meinen Angelegenheiten nimmst; ich will nichts über Staat und Kirche schreiben, mein Herz drängt mich aber zur Mitteilung, ich muß sprechen, muß schwätzen, höre mir zu. Sie ist wiedergekommen, Kamilla nämlich. Errötend trat sie mir entgegen, ein ganzer Morgenhimmel von Schamhaftigkeit glänzte auf ihrem liebreichen Gesichte; damals wußte ich nicht warum, jetzt weiß ich's. Ich war spazieren geritten, als sie ankam; der Himmel war blau, die Sonne, das Auge Gottes auf dieser Erde, wärmend und freundlich in milder Liebe, die Lerchen sangen ihre jauchzendem Stoßtöne der Freude, die Bäume mit Früchten beladen sahen wie glückliche Mütter freundlich drein in die helle Welt, ich schaukelte mich auf dem Pferde in gesunder fröhlicher Empfängnis all dieser Freuden, die der Schöpfer allen, auch den Ärmsten freigebig schenkt, die Weltgeschichte ging rosenfarbig an mir vorüber, ich hoffte das beste für die strebenden Menschen. In dieser Stimmung ritt ich langsam in den Schloßhof. Auf den Stufen vor dem Schlosse sah ich zwei Damen stehen und die eine – ich erkannte Alberta am weißen leuchtenden Gewande – mir mit dem Tuche winken. Kamilla war die andere, sie war eben angekommen. In meine glückselige Seele fiel ihr verschämter Blick wie ein[159] tiefsinniger Liebesgedanke Byrons, die ruhige Freude in mir, die wie ein glücklicher Vogel in den Baumzweigen saß, erhob plötzlich die Schwingen und flatterte jubelnd in die Höhe, die ruhige Freude in meinem Innern erhob sich zu einem Jauchzen über namenloses Glück. Ich sah plötzlich, daß ich Kamilla liebte. Sie reichte mir ihre schöne, weiße Hand, ich drückte sie innig an meine zuckende Lippe, ich sah aus meinem Glück heraus ihr tief in die feuchten glänzenden Augen bis ins Herz hinein, unsere Hände vermählten sich, und die harmlose Alberta freute sich unserer Freude. Wir gingen in den Garten und spielten wie die glücklichen Kinder. Kamilla war weich, innig und warm wie ein Maiabend, und ihr Auge hing wie ein küssender Engel an meinen Blicken; sie war nicht wie sonst munter und ausgelassen, sie lachte nicht, aber sie sah wie ein Engel aus, der sich freut. Nur wenn mein Glück mitunter aufjauchzte, sprang ihr sonstiges hüpfendes Temperament aus ihr hervor, die Augen blitzten, alle Züge des Gesichts jubelten, alle Glieder hoben sich zum schwebenden Tanze, sie begann ein fröhliches Lied und tänzelte eine Strecke hin. Ich konnte ihr nicht sagen, was mir das Herz bewegte, denn Alberta ging nicht von unserer Seite. Wir schwärmten also in romantischer Ungewißheit den halben Tag in Garten und Wald umher, unsere Blicke sprachen von vollem Herzen, von süßem Glücke, unsere Lippen bargen die Schönheit der Welt. Hie und da schien mir ein Schatten über Kamillas Angesicht zu fliegen, wenn ich mit Alberta tändelte und mit dem lieben kindlichen Wesen kosende Worte wechselte.

Der Graf ist in der letzten Zeit unserer Einsamkeit wieder aufgelebt; an die Stelle des langweiligen Fips, der endlich seine diplomatischen Bestrebungen aufgegeben und seine Lenden gegürtet hat, ist sein bunter Marschall der Laune, Kamilla getreten. Wir leben wie die Engel, und wollen in einigen Monaten nach Paris kommen. Die romantische Ungewißheit[160] mit Kamilla hat sich in die reizendste Klarheit aufgelöst. Wir saßen in den ersten Tagen ihrer Ankunft auf der Plattform unter dem Zelt, dessen Seitenwände wir aufgeschlagen hatten. Es war gegen Abend, der Himmel rot, die Erde duftete in Wollust. Ich sah glücklich ins Land hinein und stand mit untergeschlagenen Armen neben Kamilla, welche die Gegend zeichnete. Alberta stand auf der andern Seite und sang, den Kopf an die Säule des Zeltes hinauslehnend, sang ein Wanderlied des lieben Wilhelm Müller. Kamilla sah von Zeit zu Zeit auf und hing ihre innigen Blicke an mein freudestrahlendes Auge. Es küßten sich unsere Seelen. Die Nachtigall schlug in Albertas Gesang. Auf einmal kehrte sich diese um, küßte Kamilla, reichte mir die Hand und sprang hinweg, um zu musizieren – der Gesang, sagte sie, sei ihr zu wenig, sie müsse die Töne, die in ihr herumwogten, ausströmen. Ich setzte mich neben Kamilla und sah bald auf ihre Zeichnung, bald in ihr Auge. Ich fühlte es, daß ich im Begriff stand, unsern Dämmernebel zu zerreißen. Der Mann ist darin immer plumper als das Weib, er trachtet in seiner Nüchternheit mehr nach bestimmten Formen, er ist griechischer, das Weib romantischer, christlicher. Das reine Weib liebt jahrelang ohne Worte, der Mann nicht soviel Monate. »Kamilla,« sprach ich leise – sie ahnte, was kommen würde und bebte zusammen. »Valerius,« fragte sie kaum hörbar zurück. Der Bleistift fiel ihr aus der Hand, sie neigte sich danach und die Fülle ihrer Haare fiel ihr über Wange, Schultern und Busen. Ich ergriff ihre Hand, führte sie an meinen Mund und sah ihr bewegt in die Augen. Sie erwiderte den Druck meiner Hand nicht, aber die Tränen standen ihr im Auge, und als ich meinen Kopf an ihre Schulter in die herunterwallenden Locken drückte, da zog sie die Hand aus der meinen, und ich fühlte den weichen runden Arm um meinen Nacken, und ihre Träne fiel auf meine Stirn. Ich sah in ihr seliges Gesicht und sagte leise: »Kamilla, ich[161] liebe Dich.« Ihr leises Weinen ging in Schluchzen über, und ihr Antlitz an meinem Haupte verbergend vernahm nur mein nahes Ohr die kaum hörbaren Worte: »Ich liebe dich unsäglich.« Da sprang ich auf, hob ihr Gesicht in die Höhe, küßte ihr die Tränen vom Auge und drückte die weiche nachgiebige Gestalt fest an mein Herz. Sie lächelte jetzt wie ein Engel, und wir küßten uns und freuten uns unserer Liebe. Aller frühere Übermut, dieser reizende vielfarbige Knabe, kam mit diesem Geständnisse wieder über sie. Blöde und bescheiden vorher, war sie nun toll und ausgelassen. Aber rührend klagte sie mir, was sie damals gelitten, als sie Alberta im Garten an meiner Brust gesehen habe; mit neuen Tränen gestand sie, daß sie deshalb hinweggereist, und sie sah mich unsicher, schwankend, halb ungläubig von der Seite an, als ich ihr die Versicherung gab, sie sei im größten Irrtume gewesen, und es habe zwischen mir und Alberta nie etwas anderes als ein freundschaftliches Verhältnis bestanden. Endlich hielt sie mir den Mund zu und sagte: »Ich glaube dir, aber sei kein roher Mann und laß Alberta nie etwas von unserem Übereinkommen in Liebe und Zärtlichkeit wissen – hörst du?« Ich versprach's mit Freuden. Durch die vielen Hindernisse unserer bürgerlichen Gesellschaft, durch die Polizei und die Strafgerichte, durch die Unsicherheit unseres ganzen Lebens, die Ungewißheit des nahen oder fernen Todes sind wir so furchtsame Wesen geworden, daß wir das Schönste, was wir besitzen, oft dann schon gefährdet glauben, sobald es nicht mehr unser Geheimnis ist. Die herzdurchdringende Liebe will keine andere Wohnung als das Herz, sie flieht und haßt die Märkte – so ist ihre Jugend. Sie gleicht dem jungen Bürger in der hoch- und dumpfgebauten Reichsstadt, er schleicht aus dem strahlendsten Sonnenschein, der vor den Toren üppig seine Arme um die Erde schlägt, aus der lebendigen Menschenmenge, die sich laut des Daseins freut, auf das düstere Stübchen seines Mädchens, und oben[162] in der dunklen Einsamkeit sind beide froh, daß nicht Sonnenschein noch Menschenwoge zu ihnen dringt. Dies äußerlich aristokratische Absonderungswesen ist aller jungen Liebe eigen. Ich freute mich noch aus vielen andern Gründen über Kamillas Vorschlag. Ist doch meine öffentliche Liebe Sünde gegen Klara. Fragst Du mich, warum ich mein Klärchen nicht suche, da ich doch erfahren, sie sei noch frei und harre wahrscheinlich ihres alten Geliebten, so kann ich Dir nicht viel Tröstliches für die meisten Leute erwidern. Der Liebesharm ist eine süße Krankheit, die mit dem schönsten Schmerz beglückt und mit reiferer Gesundheit endet. Der deutsche Liebesharm ist ein chronisches Übel, das Jüngling und Mann entnervt. Man muß gegen ihn kämpfen. Ich will nicht treu sein, weil ich die Treue zumeist für eine Sünde gegen unsern fort und fort rückenden Planeten und das, was darauf und daran ist, halte. Treue ist ein Schutzmittel für schwache, nicht ausreichende Kräfte; die Kräfte sollen aber am Ende stark werden. Solange man diese Krücken der Liebe nicht fortwirft, lernt man nicht selbständig lieben. Auch die Liebe verläßt sich in jener sogenannten Tugend auf das Herkommen und ruht aus auf einem hergebrachten Privilegium, statt auf eigener, unversiegbarer Kraft zu bestehen. Es ist ein Traditionsgut, wie jedes andere auch, die Länge der Zeit ist das Verdienst, nicht die Größe oder Schönheit der Sache. Alle die tausend gebrochenen Herzen, alle die langweiligen verdrossenen Ehen sind die Kinder der Treue. Jedes schwindsüchtige Mädchen, jeder jämmerliche Jüngling verläßt sich auf ihren Schutz, wenn es ihr oder ihm gelungen, in einer schwachen Stunde eine Eroberung zu machen. Die Treue ist das große Gängelband der menschlichen Faulheit und Schwäche, sie ist auch die Poesie der Kraftlosigkeit und ein »getreuer Eckard,« unserer Tage, wie Du ihn einst vorhattest, ist eine Sünde wider den Geist der Zeit, und der Geist der Zeit ist der Zeit heiliger Geist. Wenn der König von Gottes Gnaden[163] sich auf Herkommen und angestammte Treue beruft, und darin matt in der Vortrefflichkeit seiner Regierung die Notwendigkeit derselben finden läßt, so ist dies die steife Lehre von der Treue. Nur was Blut hat, soll leben, nicht was nach Leben aussieht; ist Deines Lebens Blut in Deiner alten Liebe zu finden, dann sei treu, dann ist Deine Liebe jung. Dies ist die schöne Lehre von der Beständigkeit, die dann eine Tugend ist, wenn die äußeren Verhältnisse mit den inneren harmonieren. So ist die Ehe nur ein Damm gegen den Strom der Geselligkeit; wißt Ihr auf freiere Weise den Strom zu leiten, so braucht Ihr keine Dämme. Wenn erst Tausende nichts mehr dem Herkommen zuliebe tun, so ist das Lebenselement des Herkommens, seine Unzweifelhaftigkeit, vernichtet, und eine neue Welt nähert sich im Sturmschritt. Es geht alles Hand in Hand, die Gesetze sind eine große Kette: trennt ein Glied, und die andern klirren ebenfalls auseinander. Die neuen Staaten machen nach eben diesen Grundsätzen die Ämter beweglich, nur die Kraft behält sie, dem Herkommen zahlt man keinen Deut – alles gilt nur durch das, was es ist, nicht was es war oder heißt. Soll es mit den Ämtern der Liebe nicht ebenso werden? Dasselbe Geschrei, das sich gegen Aushebung von Ehe und Treue jetzt erheben wird, erhob sich gegen den wechselnden Staatsdienst in den neukonstruierten Staaten. – Fülle vom Leben bringt allerdings auch oft schnellen Tod; man wird neue Gesetze für jenes gesellschaftliche Verhältnis erfinden, wie man sie für diese gefunden, denn auch die Freiheit hat ihre Gesetze. Aber sie müssen sich in allen Teilen erweitern, darin ruht das unbehagliche Drängen des jungen Geschlechts. Der Furchtsame mag davor erschrecken, den Mutigen gehört die Welt. Was man nicht erwerben kann, fürchtet man am meisten zu verlieren; wer die Kraft in sich fühlt, bangt vor keinem Verlust, und nur die Kraft soll herrschen, nicht das Herkommen.

Dies und manches andere sprach ich in stillen Stunden[164] zu Kamilla. Sie hörte aufmerksam zu, schmälte oft, es sei ihr zu hoch, nötigte mich deutlicher zu sprechen, nickte lächelnd, daß sie mich verstünde, weinte dann, daß sie mich verlieren werde und lachte wieder, daß sie mich jetzt habe. »Ich glaub' es gern, daß du recht hast, denn ich glaub' dir alles« – sagte sie. – »Du sollst mich nicht heiraten, wenn du nicht willst, das Heiraten ist auch wirklich nicht hübsch, es ist wirklich philisterhaft. Ich will bei dir bleiben, solange du mich magst, und magst du mich nicht mehr – nun – nun so will ich die Vergangenheit noch einmal allein leben und doch glücklich sterben.« Sie war einen Augenblick traurig, und wir küßten uns heiß und leidenschaftlich, dann trocknete sie sich die Augen, fuhr mit der Hand über die Stirn und durch die Luft, als wollte sie schlimme Gestalten hinwegjagen und sprach dann fröhlich weiter: »Wie es mich reizt, die große Revolution mitbeginnen, mitbezahlen zu helfen; wie ich mich freuen werde, wenn die Leute mich anklagen und doch beneiden werden, daß ich frei und fessellos ein schönes Liebesleben mit dir führe. Meine guten Eltern sind tot, ihnen mach' ich keine Sorge durch dies neue, ungewöhnliche, darum verdammte Leben; mein Vermögen reicht hin nach den Wünschen unseres Herzens zu verkehren, und nicht wahr, so schnell und sogleich wird dir nicht eine andere besser gefallen, mein lieber Valer – – in Paris bleiben wir zurück, wenn der Graf heimkehrt, und wir fragen um nichts, als daß wir einander gehören.« Das gute Kind ist ein Engel, und ich bin überaus glücklich; ihre unverfälschte Seele, welche der Frohsinn vor allen Flecken bewahrt hat, schleicht mit liebenswürdiger Zudringlichkeit in alle Ritze meines Herzens und nistet sich fest – o, es ist eine freie göttliche Liebe, von der die Heiratskandidaten keine Ahnung haben. – Bald erfährst Du mehr, schreib' bald, ob Hippolyt angekommen ist.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 159-165.
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