2. Auftritt

[6] Vorige. Bernhardy.


BERNHARDY etwas exzentrisch gekleidet, außerordentlich lebhaft in seinen Bewegungen. Kellner, ein Glas Madeira!

JEAN. Ein Glas Madeira! Ab Hintergrund.

KISSLING. So wahr ich lebe, Bernhardy!

BERNHARDY. Salem aleikum, mein lieber Herr Kißling, darf ich bei Ihnen meinen Wigwam aufschlagen?

KISSLING. Wird mich außerordentlich freuen. Seit wann sind Sie denn wieder im Lande?

BERNHARDY sich zu ihm setzend. Heute morgen bin ich in Berlin eingetroffen.

KISSLING. Und wo waren Sie inzwischen, Sie unruhiger Geist, wenn ich fragen darf?

BERNHARDY. Fragen Sie lieber, wo ich nicht war. Sehen Sie mich an. Meinen Anzug habe ich mir in London arbeiten lassen, den Hut in Paris gekauft, die Stiefel mir in Wien bauen lassen, diese Uhr in Genf ausgesucht, und die Zigarette, die ich rauche, mir extra in Kairo anfertigen lassen.

KISSLING. Mit einem Wort, Sie sind eine wandelnde internationale Industrieausstellung. Aber sagen Sie mir nur, aus welchem unserer Weltteile, deren wir gewiß zu Ihrem größten Leidwesen nur fünf haben, kommen Sie jetzt?[7]

BERNHARDY. Aus Afrika von der Löwenjagd. Vergnügt naiv. Denken Sie sich nur, ich hatte früher noch nie eine Löwenjagd mitgemacht.

KISSLING lachend. Das war freilich eine peinliche Lücke in Ihrer irdischen Glückseligkeit.

BERNHARDY heiter. Was wollen Sie, dieses ruhelose Umherstreifen liegt einmal in meinem Naturell, und ich vermute fast, daß der ewige Jude verheiratet gewesen ist und ich einer seiner Nachkommen bin.

KISSLING. Werden Sie jetzt längere Zeit hier bleiben?

BERNHARDY. Wer kann das voraussagen? Vor allen Dingen will ich meine Freunde wieder einmal aufsuchen, na, dann werden wir ja sehen, ob ich mich hier wohl fühle, oder der Reiseteufel mich wieder packt und in die weite Welt hinausführt.

KISSLING. Das allerbeste wäre für Sie, Sie heiraten.

BERNHARDY entsetzt. Ich heiraten? Lachend. Unsinn! Was soll ich denn mit einer Frau anfangen, wenn ich das ganze Jahr unterwegs bin?

KISSLING trocken. Sehr einfach – mit der Frau hübsch ruhig zu Hause bleiben. Von der Welt hätten Sie, dächte ich, doch jetzt genug gesehen, um sich nach einem gemütlichen Heim und nach Ruhe zu sehnen.

BERNHARDY. Das ist wahr! Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Zu Hause kann man eigentlich auch bleiben. Das soll sogar mitunter hübsch sein.

KISSLING. Ei freilich. Sie erzählen Ihrer Frau von Ihren Reisen, Erlebnissen, Ihren Abenteuern.[8]

BERNHARDY. Mit Auswahl natürlich.

KISSLING. Das ist Ihre Sache. Sie schildern ihr die Sitten und Gebräuche fremder Völkerschaften.

BERNHARDY. Aber nicht alle, nicht alle, lieber Freund.

KISSLING. An Unterhaltung würde es Ihnen sicher nicht fehlen. Es käme nur darauf an, ein Mädchen zu finden, daß Sie dauernd zu fesseln wüßte.

BERNHARDY. Ha, da müßte ich also wieder auf Reisen gehen.

KISSLING. Warum?

BERNHARDY. Um ein solches zu suchen.

KISSLING. Sie sind unverbesserlich.

BERNHARDY. Durchaus nicht, aber bitte, entschuldigen Sie mich jetzt, ich muß rasch noch einige Besuche machen.

KISSLING. Lassen Sie sich nicht stören. Auf Wiedersehen!

BERNHARDY. Auf Wiedersehen, – eh, das heißt, vorausgesetzt –

KISSLING lachend. Daß Sie morgen noch hier sind.

BERNHARDY in das Lachen einstimmend. So ist s! Adio! Rasch ab.[9]

KISSLING. Adio! – Wie verschieden doch die Geschmäcker sind! Ich würde dafür danken, so jahraus jahrein auf der Landstraße zu liegen. Kellner, noch ein Pilsener!

JOSEPHINE zu Jean. Pst! Sie! Ich möchte zahlen!

JEAN. Eine Schokolade! Haben Sie Gebäck?

JOSEPHINE. Fünf von dem da! Zeigt auf das Gebäck.

JEAN. Neunzig Pfennig.

JOSEPHINE zahlend. Hier, für Sie!

JEAN. Danke.

JOSEPHINE. Sagen Sie, Kellner, ist das weit von hier, Chausseestraße 198 einhalb?

ERSTER GAST. Kellner, zahlen!

JEAN. Zahlen? Gleich! Zu Josephine. Einen Moment! Eilt zum andern Tisch.

EUGEN hat etwas Theatralisches an sich und kann den Buchstaben L nicht aussprechen. Hat die ganze Zeit in eine Rolle studiert, heftig gestikuliert, so das Josephine öfter erschrocken zusammenfuhr; sich zu Josephine wendend. Sie werden am besten tun, eine Droschke zu nehmen.

JOSEPHINE. Sie sind sehr gütig, mein Herr. Es ist also sehr weit bis dahin?

EUGEN. Ein tüchtiger Weg, ich kenne ihn, das Haus gehört meinem Vormund.[10]

JOSEPHINE. Ach, Herrn Schöller, in dessen Pension ich während meines hiesigen Aufenthalts zu wohnen beabsichtige.

EUGEN. Ganz richtig, der Inhaber dieser Pension, Schönner, ist mein Vormund.

JOSEPHINE. Ich denke, er heißt Schöller?

EUGEN. Nun ja, ich sagte ja auch Schönner – der Buchstabe l fällt mir etwas schwer.

JOSEPHINE. Ach so. Aber ich muß doch Schöller gleich erzählen, wie hübsch uns der Zufall hier zusammengeführt hat.

EUGEN. Ich möchte Sie im Gegentein bitten, ja nicht zu verraten, daß Sie mich um diese Zeit hier im Restaurant gesehen haben.

JOSEPHINE neugierig. Ja, aber warum denn nicht?

EUGEN. Das dürfte Sie wohn kaum interessieren.

JOSEPHINE. O doch! Bin ich doch einzig und allein nach Berlin gekommen, um zu sehen, zu hören und Stoff zu sammeln. Sie müssen nämlich wissen, ich bin Schriftstellerin, ich schreibe Romane für die Gartenlaube.

EUGEN. Schriftstennerin sind Sie, Künstnerin? O, dann werden Sie mich auch verstehen und begreifen!

JOSEPHINE ihr Notizbuch hervorziehend. Ha, ich sehe schon, Sie wollen sich ebenfalls der Kunst widmen.[11]

EUGEN. So ist es. Mein Vormund besteht aber darauf, daß ich Kaufmann bneibe.

JOSEPHINE. Ein recht hübscher Konflikt, zwar nicht mehr ganz neu, aber immerhin zu verwerten.

EUGEN. Scheinbar füge ich mich auch seinem Winnen und habe meine Kommisstenne in dem Bankgeschäft beibehanten. Meine freie Zeit aber habe ich inzwischen benutzt, dramatischen Unterricht zu nehmen. Die Stunde kostet zwar fünf Mark, aber mein Nehrer behauptet auch, ich hätte ein riesiges Tanent. – Finden Sie nicht, daß ich Albert Bassermann sehr ähnlich sehe? Anne meine Freunde behaupten es.

JOSEPHINE notizen machend. Gewiß, gewiß, erzählen Sie nur weiter.

EUGEN. Nächstens aber möcht ich nun einman hier in der Nähe öffentnich auftreten.

JOSEPHINE notierend, eifrig. Und fallen durch.

EUGEN. Ernauben Sie! –

JOSEPHINE. In meinem Roman lasse ich Sie durchfallen. Ich lasse Sie alle Stadien des Künstlerelends durchmachen. Sie verzweifeln sogar an Ihrem eigenen Talent, bis sich schließlich Ihre Begabung Bahn bricht und Sie, alle Schwierigkeiten überwindend, ein gefeierter Künstler werden. Ihr Vormund sieht sein Unrecht ein, schließt Sie gerührten Herzens in seine Arme und segnet Ihren Herzensbund mit seiner einzigen, inniggeliebten Tochter.

EUGEN. Er hat ja gar keine.[12]

JOSEPHINE. Schadet nichts. In meinem Roman hat er eine, verlassen Sie sich drauf.

EUGEN auf seine Uhr blickend. Schon ein Uhr, Kenner! Zahnen! Ein Gnas Punsch und eine, Zu Josephine. Sie entschuldigen, ich muß auf die Bank.

JOSEPHINE. Und ich zu Schöller. Werde ich Sie dort wiedersehen?

EUGEN. Heute ist Gesennschaftsabend dort, vieneicht komme ich hin. Empfehne mich! Ab rechts, Josephine folgt.


Quelle:
Carl Laufs: Pension Schöller. Berlin 11[o.J.], S. 6-13.
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