Erster Auftritt

[1550] Das Sprachzimmer im Kloster der heiligen Justine. Eine Nonne ist gegenwärtig.


JULIUS tritt herein. Ruft die Äbtissin – Nonne geht ab. – Ich muß sie sehn, und wenn ein Engel mit einem feurigen Schwerte vor ihrer Zelle stünde, Äbtissin tritt auf. – ich will die Schwester Blanka sprechen.

ÄBTISSIN. Gnädiger Herr, Sie wissen das Verbot Ihres Vaters.

JULIUS. Frau Äbtissin, mein Vater ist heute sechsundsiebenzig Jahr alt, und ich bin sein Erbprinz.

ÄBTISSIN. Ich verstehe Sie – alsdann weiß ich meine Pflichten, und ich werde Ihrem Sohne unter ähnlichen Umständen dasselbe antworten.

JULIUS. Sie sollen mir für sie haften – Nonne oder nicht Nonne! – Was ist älter die Regel der Natur, oder die Regel des Augustins?[1550] – in meine Kammer will ich sie führen, und wenn sie eine Heilige geworden wär, und einen Nimbus statt des Brautkranzes hineinbrächte, und wenn der Priester, statt des Segens, den Bannfluch über uns bis ins tausendste Glied ausspräche. In diesem Saal will ich ihren Schleier zerreißen, das schwör ich Ihnen bei meiner fürstlichen Ehre.

ÄBTISSIN. Ich darf nichts, als Sie bedauern.

JULIUS. Wie ich sage, Sie sollen mir haften. Und find ich zu der Zeit, die Sie wissen, daß der Verdruß nur einen ihrer Züge tiefer gemacht hat – ich werde schon unterscheiden, was die Traurigkeit getan hat – so zerstör ich – merken Sie sich das, Frau Äbtissin! – so zerstör ich Ihr Kloster bis auf den Altar, und Ihre Schutzheilige wird dazu lächeln, wenn sie eine Heilige ist.

ÄBTISSIN. Gnädiger Herr, wir sind nur Schafe, aber wir haben einen Hirten.

JULIUS geht einigemal auf und ab. Wie lange sind Sie im Kloster?

ÄBTISSIN. Neunzehn Jahr.

JULIUS. Was schied Sie von der Welt – die Andacht oder diese Mauren? Haben Sie nie geliebt? Waren Sie eher Nonne als Weib?

ÄBTISSIN. Ach Prinz lassen Sie mich. Sie weint. Neunzehn Jahr hab ich geweint und noch Tränen!

JULIUS. Nicht wahr, an diesem Gitter hat er geweint, und er ist tot? nicht?

ÄBTISSIN. Ach mein Ricardo! – Nach einer Pause. Sie sollen Blanka sehen. Verschließt die äußere Tür und geht ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1550-1551.
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