[1556] Julius. Aspermonte.
Treten von verschiedenen Seiten auf.
JULIUS. Ach Aspermonte – ich habe sie gesehen – sie gesprochen, sie geküßt.
ASPERMONTE. Blankan? – Was für ein Schritt!
JULIUS. Der Riesenschritt der Liebe – Über tausend Bedenklichkeiten und Gefahren. Soll denn ein Verliebter, wie ihr andern vernünftigen Leute, vom Gedanken zum Entschluß, und vom Entschluß zur Tat, Tagereisen hinken?
ASPERMONTE. Sie sind zu rasch! Voreilig ist kein höhrer Grad des Schnellen. In dem zu heißen Strahl der Sonne, der ein Gewächs versengt, wird es nie zeitig. Und was haben Sie itzt von Ihrem Besuche, als einen Widerhaken mehr im Herzen![1556]
JULIUS. Hätten Sie sie gesehn, Sie würden nicht fragen. – O des entzückenden Streites der Religion und Liebe um ihre Seele! Beide vermischten sich so in ihren Empfindungen, daß keine zur andern sagen konnte, diese Träne ist mein, und diese ist dein. Nur einmal sah ich in ihrem Blicke das Lächeln der Liebe – auf ihrem Nonnengesichte, wie eine Rose, die aus einem Grabe blühet. Auch öffnete sie mir ihr Herz nicht, bis es von selbst borst, und versiegelte ihr Geständnis mit einer Ohnmacht, dem Bilde des Todes, wie sie ihre Liebe mit dem Tode selbst versiegeln würde. Kein Geliebter war so glücklich als ich! – ich habe zweimal die Wange eines Mädchens glühen sehn, als sie mir ihre Liebe nicht gestehen wollte, und gestand – Wunderbar! der erste Frühlingstag in einem Jahre zweimal. – Aber nennen Sie mir auch etwas, das ich nicht für Blankan tun will! Die mächtigsten Triebe und Kräfte brütet der Strahl der Liebe in unserm Innersten, das zu erreichen der Strahl jeder andrer Leidenschaft zu kurz ist, und nur ein Verschnittener mag sagen: Die Menschheit ist schwach. Alles in meiner Seele lebet und wirket – Kennen Sie den allmächtigen Hauch im Lenze, so reich an Kraft, daß es scheint, er werde die Grenzen der Schöpfung verrücken, und das Leblose zum Leben erwecken? Ein solcher Hauch hat mein ganzes Wesen durchdrungen – Und alles, was ich vermag, seh ich nicht einmal immer. Nur zuweilen zeigt mir ein Entschluß den ganzen Reichtum der Menschheit – zeigt ihn mir auf einen Augenblick, wie ein Blitz, der durch eine unterirdische Schatzkammer fährt, das aufgehäufte Gold.
ASPERMONTE. Ihre Phantasie brennt in einem Grade, daß ich mich fürchte.
JULIUS. Red ich unvernünftig? – Gut, der Himmel und Ihr Mädchen vergeben es Ihnen, wenn Sie in ähnlichen Umständen vernünftig reden!
ASPERMONTE. Und mit ebendiesem Ton haben Sie zu Blanka geredet? Sie haben sie doch nicht gar in Ihren romanhaften Plan blicken lassen?
JULIUS. Romanhaft nennen Sie einen Plan, wozu ein wunderbares Zusammenstoßen von Charakteren und Umständen im geringsten nicht nötig ist, wozu ich kaum einen Menschen brauche? Meine Füße tragen mich über die Grenzen von Tarent. Sehn Sie da das ganze Wunder.
ASPERMONTE. Wunder genug, daß ein Jüngling mit der Kraft,[1557] für alles, was groß ist, begabt, diese Kräfte mit einem Liebesliedchen einschlummert! – Aber glauben Sie es mir, Julius, es wird eine Zeit kommen, in der Sie für Hunger nach edlen Taten schmachten werden.
JULIUS. Und ich sag Ihnen, daß ich diesen Ruhm und diese Geschäfte hassen würde, wenn ich Blankan nie gesehn hätte. Es ist nichts in dem Stande eines Fürsten, was sich für mich schickte, von seiner heiligsten Pflicht an bis auf die goldenen Fransen an seinem Kleide – Ach geben Sie mir ein Feld für mein Fürstentum, und einen rauschenden Bach für mein jauchzendes Volk! – einen Pflug für mich und einen Ball für meine Kinder! – Ruhm? – denn mag die Geschichte mein Blatt in ihrem Buch leer lassen – der letzte Seufzer Blankas sei auch der letzte Hauch, den je ein Sterblicher auf meinen Namen verwendet.
ASPERMONTE. Wie listig Sie Ruhm und Pflicht miteinander verwechseln! – Die Menschen sind nicht da, um nebeneinander zu grasen, und ein Mann kann sich mit einem süßern Gedanken schlafen legen, als daß er satt ist! – Es gibt gesellschaftliche Pflichten. Im Schuldbuch der Gesellschaft steht Ihr Leben, Ihre Erziehung, Ihre Bildung, selbst diese Kraft zu sophistisieren. Was steht in Ihrer Gegenrechnung? – Prinz, ein Biedermann bezahlt seine Schulden.
JULIUS. Wahrhaftig, ich bin diesen gesellschaftlichen Einrichtungen viel schuldig. Sie setzen Fürsten und Nonnen, und zwischen beide eine Kluft. Beim Himmel! ich bin der Gesellschaft viel schuldig.
ASPERMONTE. Kaltes Blut, Prinz! Sie sollen itzt untersuchen.
JULIUS. Itzt soll ich kaltes Blut haben – Glauben Sie, daß ich ein Tor sei? – Aber gut, der Staat gibt nur Schutz, und fodert dagegen Gehorsam gegen die Gesetze. Ich habe diesen Gehorsam geleistet, die Rechnung hebt sich.
ASPERMONTE. Meine Behauptung wischt mehr Tränen ab, als die deinige. Siehe Jüngling, dein Vernünfteln ist falsch.
JULIUS. Ist denn Tarent der Erdkreis, und außer ihm Unding? – Die Welt ist mein Vaterland, und alle Menschen sind ein Volk. – Durch eine allgemeine Sprache vereint! – Die allgemeine Sprache der Völker ist Tränen und Seufzer; – ich verstehe auch den hilflosen Hottentotten, und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub sein! – und mußte denn das ganze menschliche Geschlecht, um glücklich zu sein, durchaus[1558] in Staaten eingesperrt werden, wo jeder ein Knecht des andern, und keiner frei ist – jeder an das andere Ende der Kette angeschmiedet, woran er seinen Sklaven hält – Narren können nur streiten, ob die Gesellschaft die Menschheit vergifte! – Beide Teile geben es zu, der Staat tötet die Freiheit – Sehen Sie, der Streit ist entschieden! – Der Staub hat Willen, das ist mein erhabenster Gedanke an den Schöpfer, und den allmächtigen Trieb zur Freiheit schätz ich auch, in der sich sträubenden Fliege. Ach nur zweierlei bitt ich vom Himmel: Blanka, und daß ich keinen Augenblick länger nach Luft, als nach Freiheit schnappe.
ASPERMONTE. Wie Sie umherschwärmen – Prinz, Ihre Schlüsse macht die Vernunft der Liebe.
JULIUS. Ist das Vorwurf? – – Wissen Sie es, Aspermonte, jeder hat seine eigne Vernunft, wie seinen eignen Regenbogen! – Ich die Vernunft der Liebe; – Sie die Vernunft der Trägheit! – – Wenn wir keinen Augenblick von Leidenschaften frei sind, und die Leidenschaften über uns herrschen, was ist der eingebildete göttliche Funken? da dunsten aus dem kochenden Herzen feinere und kraftlosere Teile – steigen ins Gehirn, und heißen Vernunft. Aber eben deswegen müssen wir nicht streiten. Hören Sie lieber das Resultat meiner Entschließungen – ich kann, ich kann diesen fürchterlichen Monat nicht aushalten – Morgen will ich mit Blanka von hier.
ASPERMONTE. Morgen?
JULIUS. Ja morgen! – Ha! mir ist in Tarent so bange, als wenn die Mauren über mich zusammenstürzen würden.
ASPERMONTE. Heute früh wollten Sie noch einen ganzen Monat abwarten, und itzt keinen Tag, und doch haben Sie keinen einzigen Grund zur Flucht mehr, als heute früh.
JULIUS. Keinen Grund mehr? Hab ich sie denn nicht weinen sehen?
ASPERMONTE. Ziehen Sie hin, und lassen Sie Ihren Vater in seinem Sterbezimmer umsonst nach einem Sohne suchen – Ach, Sie wissen es noch nicht, was es für eine Wollust ist, einem kranken Vater die Küssen zu legen – Ziehen Sie hin! – Sie haben es noch nicht gesehen, wie ein Sohn jeden Morgen auf dem Gesicht des Vaters nach dem Lächeln der Genesung spürt – wie er auf den Nordwind zürnt, der um das Zimmer des Kranken heult, wenn er schlafen möchte. – Ziehen Sie hin! – Wahrhaftig, Sie können es nicht gesehen haben, wie der schon[1559] sprachlose Vater das Gesicht noch einmal nach dem Jüngling drehet, und es nicht wieder wendet. – Ziehen Sie hin!
JULIUS. Aspermonte, der Gedanke an meinen Vater, den Sie mir da erwecken, durchbohrt mir das Herz! – und doch: – meinen Plan auf ewig aufzugeben!
ASPERMONTE. Nicht auf ewig, nur diesen Monat sollen Sie abwarten – es ist ja nur ein Monat.
JULIUS. Einen Monat? – Ach ich mag tun was ich will, so bin ich unglücklich – Werd ich am Ende des Monats, Blankan, oder meinen Vater weniger lieben?
ASPERMONTE. Das nicht, aber Sie werden kühler werden – und das ist notwendig – denn auf jeden Fall müssen Sie wählen.
JULIUS. Gut – also einen Monat! – aber das ist ein entsetzlicher Zeitraum – was werd ich in demselben leiden!
ASPERMONTE. Vieles. Aber Sie werden sich auch oft zerstreuen, und wenn Sie Ihrem Schmerz noch so getreu bleiben wollten, so werden Sie doch endlich, wenn Sie lange an dem Gegenstand desselben gehaftet haben, auf einen benachbarten abgleiten und von diesem wieder auf einen andern, und so kommen Sie, ohne es zu wissen, über die Grenzen der Traurigkeit! – dies ist der einzige wahre Trost der Sterblichen, und so kann ein Sklave bei seiner Kette anfangen, und bei einem Göttermahle aufhören – aber ich bitte Sie, Prinz, geben Sie der Zerstreuung nach.
JULIUS. Ich will sehen.
ASPERMONTE. Fassen Sie sich, Cäcilia kommt, sie hat heute schon einigemal nach Ihnen gefragt.
JULIUS. Cäcilia? – und warum denn eben itzt?
ASPERMONTE. Fassen Sie sich! Sie ist schon zu nahe, um abgewiesen zu werden. Geht ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Julius von Tarent
|
Buchempfehlung
Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro