Sechster Auftritt

[1572] Blankas Zelle.


BLANKA sitzt vor einem Tische, worauf einige Bücher und anderes geistliches Gerät liegen, sie liest in einem Folianten. Ich kann nicht weiter, meine Andacht ist Sünde. Julius! immer um den dritten Gedanken dein Bild! Macht das Buch zu und steht auf. Und dieser Wechsel von Metten und Vespern, von Begierden und Reue, das ist es, was sie das Leben nennen, und Jugend, der Frühling des Lebens? Gott, was gibt meiner Seele Friede? – vereinigt diese Empfindungen, von denen eine die andere bekämpft, und diese Gedanken, von denen jeder den andern Lügen straft?


Pause.


Nichts als der Tod! Noch Julius mein Lieblingsgedanke? – In den Tagen der Freude dacht ich anders – ich dachte, Tod verändert die Liebe nicht – ich habe meine Unsterblichkeit nie so stark, als in Julius' Armen gefühlt, ich empfand, meine Liebe ist ewig, also, dacht ich, muß es mein Geist auch sein. Aber itzt, da ich ihre Qualen kenne – er wird mein starres Auge nicht zudrücken. – Nein, nein, die Liebe stirbt. Sie liest einige Augenblicke, schlägt aber bald das Buch zu. Ach ich habe ja schon einmal das Entzücken der Andacht gefühlt; sie ist mit der Liebe die erste Empfindung unsrer Natur. Und sind sie nicht verwandt, verschiedene Gesänge auf eine Melodie? – Ich glaubte mich schon so stark, und die Erde schon unter meinen Füßen; – Sein Bild, sein Bild! – ich sank ganz zurück, und sah mit Erstaunen, daß ich kaum einen Schritt zurücksank – arme Blanka! Weint.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1572.
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