Der Büßer

[845] Wer ist ein wahrhaft armer Mann?

Ists der in hoffnungsloser Kerkernacht?

Wer bei der sterbenden Geliebten wacht?

Wer auf dem Balken treibt im Ozean?

Ists, wer von Zweifeln ewig wird zerrissen?

Wer eine Schuld beherbergt im Gewissen?

Wem seine Tochter rohe Krieger schänden?

Wer auf dem Hochgericht den Sohn sieht enden?


Nein! wer den Jammer trinkt bis auf die Neige

Und wahrhaft elend, ist allein der Feige;

Ein Feiger, hoch vom Schicksal hingestellt

Und ausgesetzt den Blicken einer Welt,

Die alle fragen, ob er kühn sich stemme

Anstürmenden Gefahren oder nicht?

Ob er ein Mann soll heißen oder Memme?

Wenn bleich und zitternd er zusammenbricht.[845]

Wie schmeckt die Rute, Herzog von Narbonne,

Graf von Toulous' und Markgraf von Provence?

Da stehst du, nackt von deinem Fürstenglanze,

Im Büßerhemd ein Fürst, o Priesterwonne!


Rings in unübersehlichen Geschwadern

Gafft Volk; tut nichts! der Abt weiß bleiche Linnen

Zum roten Fürstenmantel umzuspinnen,

Er haut den Purpur dir aus deinen Adern.


Die Stole ist dir um den Hals gebunden,

Dran zieht der Abt den stolzen Fürsten jetzt,

So geht am Strick der Farre, müd gehetzt,

Mit Lustgebell umtanzt von Metzgerhunden,

Wie du dem Priester folgst ins Gotteshaus,

Indes die Mönche jauchzend dich umschwärmen

Und dankend für das Fest Gebete lärmen

Und Glocken schallen in des Volks Gebraus.

Des Abtes Linke hält der Stola Enden,

Die Rechte peitscht dem Fürsten in die Lenden.


Das Volk erschien zum unerhörten Fest,

Die Schmach Raimunds der Nachwelt zu verbürgen;

Es murrt, daß er vom Mönch sich schlagen läßt,

Daß er den Mut nicht hat, ihn zu erwürgen.


Hin ist sein Mut, den manche Schlacht erprobte,

Der Trotz, der gegen Rom so feurig tobte,

Seit er, um Frieden flehend für sein Land,

Vor Innozenz und seinem Zorne stand.


Der Büßer wird gestellt zum Hochaltar:

Man reicht ihm Hostie und Reliquien dar,

Drauf muß er schwören nach des Mönchs Befehle,

Mit bleichen Lippen und gebrochner Seele,[846]

Daß er gehorsam, treu, und heiß ergeben

Der Kirche dienen wolle all sein Leben,

Nach ihrem Wink zu leben und zu sterben

Und bald sein Schwert mit Ketzerblut zu färben.


O Fürst, an Leib und Seele wund geschlagen,

Was freut auf Erden dich so unermeßlich,

Daß du nicht lieber stirbst, wie Schande tragen,

Was lockt hienieden dich so unvergeßlich?

Die Erde ist, und was sie hat, nicht wert,

Daß sich ein Mann, um drauf zu sein, entehrt.


Viel hundert Knecht' und lumpichte Gesellen

Stehn da und bohren dir Verachtungsblicke

In deines Leibes rutenwunde Stellen;

Sie schauen ihre niedrigen Geschicke

Mit deinem Lose prachtvoll ausgeglichen,

Da also schnöd der Mut von dir gewichen.


Wohl brennen dich die Blicke deiner Knechte;

Die Blicke auch der Treuen, die dich lieben,

Denn jeder wünscht: o wär er tot geblieben

Im mattesten, unrühmlichsten Gefechte!

O hätt er Gift geschluckt in seinem Schrecken,

Das Zittern seiner Glieder zu verstecken!


Sie staunen schmerzlich, daß du sie verlassen

Und schwörst, bis zur Vertilgung sie zu hassen. –

Wer untergehn im Strome den Genossen

Unrettbar sah und schaudernd auf die Stelle

Vom Ufer hingestarrt, wo ihn die Welle

Verschlungen und sich über ihm geschlossen,

Der hat gefühlt verwandten Schmerz des Leides,

Das Raimunds Freunden in die Herzen stach,

Als über ihm zusammenschlug die Schmach,

Als sie die Worte hörten seines Eides. –[847]

Drauf schwört Graf Raimund: daß er nie und nimmer

Den Mord Pierres von Castelnau geboten;

Er schwörts bei Gottes letztem Gnadenschimmer

Und betet kniend für den frommen Toten.


Wie wahren Eid Graf Raimund hier geschworen,

Weiß jener Mann, der dort am Rhonestrand

Dem Mönch den Tod, dem Rosse gab die Sporen

Und ohne Spur verschwunden aus dem Land.


Der Abbas spricht: »Des Bannes schwere Bürde

Heb ich von deinem Haupt und jede Schuld;

Die Kirche nimmt dich auf in ihre Huld,

Sie schenkt zurück dir jede Macht und Würde.

Nimm hin das Kreuz, ihr heiliges Geschenk,

Trags auf der Brust und rüste Tag und Nacht,

Brich auf zu Christi Heer mit ganzer Macht,

Sei deines Eids, der Rute sei gedenk!«


Vorüber ist die qualenvolle Stunde;

Schamflüchtig vor des Volkes dichtem Schwalle,

Mit wundem Leib und tiefrer Seelenwunde,

Enteilt Raimund durch eine Seitenhalle;

Und muß, obs Zufall, ob Vergeltung sei,

Am Grab Pierres von Castelnau vorbei.

Er hätte gern sein Los zum Tausch geboten

Dem ruhigen und hochgeehrten Toten.


Und traun! er läge besser auf der Bahre,

Als noch die bangen, ruhmenterbten Jahre,

Die Kraft in Scherben und den Mut in Splittern,

Umherzuschwanken in den Kampfgewittern,

Bald diesem Heer, bald jenem zugesellt,

Bis er versiechend auf das Lager fällt,

Und da ihn lange niemand will bestatten,

Sein Leib zuletzt zur Speise wird den Ratten.[848]


Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 845-849.
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