Ein Schlachtfeld

[832] Ein weites Feld mit Leichen übersät,

Still – alles tot – verstummt das letzte Ächzen;

Verklungen auch der Priester Dankgebet,

›Te Deum laudamus‹ nur die Geier krächzen.


Was einst Hesekiel verhieß den Geiern:

›Der Herr wird lassen euch die Mahlzeit feiern

Auf seinem Tisch und Roß und Reuter fressen!‹

Die Geier habens heut noch nicht vergessen.


Ein Geier nur den andern Geier hört,

Neidlos, denn reiches Mahl ist hier geboten,

Die Fliegenschwärme summen um die Toten,

Und sonst kein fremder Laut die Gäste stört.


Der Klageruf verlaßner Mütter, Bräute,

Ertönt zu ferne vom Gefild der Schlacht;[832]

Das Raubtier kann bei ungestörter Nacht

Einschlafen, wenn es mag, auf seiner Beute.


Im Osten kommt der Mond heraufgezogen,

Und Schatten gaukeln um die Angesichter,

Und um die Toten schleichen irre Lichter.

O Mensch, wie bist du um dein Glück betrogen! –


›Hat Gott der Herr den Körperstoff erschaffen?

Hat ihn hervorgebracht ein böser Geist?‹

Darüber stritten sie mit allen Waffen

Und werden von den Vögeln nun gespeist,

Die, ohne ihrem Ursprung nachzufragen,

Die Körper da sich lassen wohl behagen.


›War Christi Leib echt, menschlich und gediegen?

Für Schmerz und Tod wie unserer empfänglich?

Half ihm ein Scheinleib Schmerz und Tod besiegen

Und steigen aus dem Grabe unvergänglich?‹

Die Frage war so heiß und ernst gemeint,

Daß jetzt der Mond auf ihre Leichen scheint;

Die sind gediegen, echt, das ist gewiß,

Wie durch die Welt der tiefe Wundenriß.

O Gott, wie du auch heißen magst, es bleibt

Ein Schmerz, daß Glauben solche Früchte treibt!


Da liegen sie zu Tausenden, kalt, bleich;

Das Blut kann nicht mehr in den Boden sinken,

Der Erde ekelt schon es aufzutrinken,

Dort in der Niedrung stehts, ein roter Teich.


Weil Tausende getan den letzten Hauch,

Meint Innozenz, der Zweifel tat ihn auch?

Nein! durch das Walgefild Alfar dort schreitet,

Und kummervoll sein Blick darüber gleitet,

Und er gelangt dem Blutteich in die Näh;

Da springen die Gedanken ihm hinein,[833]

Wie aufgeschreckte Unken in den See,

Und singen ihm betrübte Melodein.

Sie rufen übers weite Schlachtgefild

Das Unkenlied des Zweifels dumpf und wild:


Was soll das ewig antwortlose Fragen,

In dessen Ungeduld sie sich erschlagen?

Warum das Schicksal so viel Schmerz verschwendet?

Zu neuem Schreck an Leichen sich erfrischt?

Und ist ein Bild der Menschheit halb vollendet,

Den blutgen Schwamm ergreift und es verwischt?


Ob das ein Gott, ein kranker ist zu nennen,

Der eine Welt in Fieberglut errichtet

Und bald im Frost des Fiebers sie vernichtet?

Ist Weltgeschick sein Frieren nur und Brennen?


Ists nur ein Götterkind, dem diese Welt

Als buntes Spielgeräte zugefallen,

Das bald sich dran ergetzt, bald es zerschellt

Und seine Wünsche nur vermag zu lallen?


Was ists? – und Christus? – wunderliche Märe!

Daß er für uns sich kümmert, zeigt uns nicht

Dies tote Durcheinander zweier Heere,

Wo jedes fiel im Wahn der Christenpflicht.

Wird er bei uns bis an das Ende bleiben,

Solang die Zeit was findet aufzureiben?

Vielleicht daß Wahnsinn auf der Menschheit lastet,

Daß Christus als ein fixer Irrgedanke

Sie nicht verläßt, die unheilbare Kranke,

Bevor das letzte Herz im Tode rastet?


Da liegen sie; – wann klingen die Posaunen,

Die weckenden? – und gibts ein solches Klingen?

Die Fliegen wissen nichts davon zu raunen,[834]

Und auch die Geier keine Kunde bringen,

Wenn sie dort ungeduldig mit dem Schnabel

Auf Panzer und auf Eisenhelme pochen,

Ob nicht Unsterblichkeit die schlimmste Fabel,

Die je ein Mensch dem andern vorgesprochen?

Ein Wahn, der Herzen plündert, und ein Trug,

Der frech dem Elend sagt: hast Freude gnug!

Hier ist dein Los zu dulden und zu darben,

In andern Welten reifen deine Garben;

Der Sensenmann wird kommen, sie zu schneiden,

Dir tausendfach vergeltend alle Leiden,

Und Ernte wirst du feiern mit den Engeln;

Sei froh, wenn du ihn hörst sein Eisen dengeln!? – –


Hörst, Innozenz? – in also düstern Weisen

Beginnt das Herz des Zweifels Lied zu singen,

Weil du es willst zu deinem Gotte zwingen,

Ihm seinen Himmel mit dem Schwert beweisen! –


Der Morgen graut, die Sonne kommt, doch nicht

Begrüßt die Lerche hier das Morgenlicht.

Zertreten sind die Saaten auf den Fluren,

Die Lerchen flohen mit den Troubadouren.


Die heitern Vögel werden wiederkommen;

Ist aber einem Volk die Freude fort

Und aus dem Herzen ihm das Lied genommen,

So kehrt ihm nie zurück das schöne Wort.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 832-835.
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