Der Sturm


[611] Faust und Mephistopheles spazieren auf dem Verdecke.


FAUST.

Wir wandeln auf dem Schifflein hin und her,

Das Schifflein jagt dahin im weiten Meer,

Das Meer ist mit den Winden auf der Flucht,[611]

Die Erde samt dem Schifflein, Meer und Winden

Schießt durch den weiten Himmelsraum und sucht

In ewger Leidenschaft, und kanns nicht finden.

Mir ist das Meer vertrauter als das Land;

Hier rauscht es unbestreitbar in die Seele,

Was dort ich leise, dunkel nur empfand,

Daß die Natur auch ewge Sehnsucht quäle

Nach einem Glücke, das sie nie gewinnt;

Und was da lebt im regen Labyrinth,

Kann sich in Ruhe nirgendwo verschanzen,

Stets in den Sturm der Sehnsucht fortgerissen;

Und flücht ich nach den Grabesfinsternissen,

Muß meine Asche um die Sonne tanzen.

MEPHISTOPHELES.

Nur scheinbar lacht die Ruhe selbst den Rindern,

Die auf der Weide gehn in Maientagen

Und Blumen morden, fressen mit Behagen,

Herodes jeder Ochs den Frühlingskindern;

Indessen kocht in seiner kleinsten Ader

Das Leben mit dem Tod den heißen Hader.

Die Weide mahnt mich an den Rossehirten;

Wir trafen ihn, als wir auf Abenteuer

Zu Pferde das Magyarenland durchirrten,

Im Wald, bei Nacht, an seinem Wachefeuer.

Die schwarzen Hengste grasten in der Runde,

Seltsam bestrahlt, der wilde Mähnenhang

Im Nachtwind flog, und deinem Lauschen sang

Der Hirt ein traurig Lied aus fremdem Munde;

Dann schwieg er still und starrte in die Glut

Und türmte drüber manche Blättersäule

Und starrte wieder mit verschloßnem Mut:

Da kam aus Schattendickicht eine Eule

Und schwirrt unheimlich krächzend um sein Ohr,

Und der geneckte Hirte sprang empor,[612]

Griff in die Flamme mit gewaltger Hand

Und raffte einen ungeheuren Brand

Und schwang ihn um sein Haupt in wilder Hast,

Die Eule scheuchend fort, den schlimmen Gast.

Wie jener Hirt in Waldeseinsamkeit

Ums Haupt im Kreise schwang das Flammenscheit,

So schwingt der ewge Hirt mit starker Hand

Im Kreis ums feste Haupt den Weltenbrand,

Zu scheuchen fort aus seiner Nacht die Eule,

Die sonst ihm krächzend naht: die Langeweile.

FAUST.

Und wenn der Sterne große Wanderscharen

Nur Funken wären, jenem Brand entfahren,

Den um sein Haupt der starke Hirte schlägt,

Wo sind die Rosse, die der Hirte hegt?

MEPHISTOPHELES.

Die werden auch noch wo zu finden sein.

Du treibst mir die Metapher in die Enge,

Sie aber wäre nicht mein Töchterlein,

Wenn sie sich nicht aus deiner Frage schlänge.

Die Rosse, die dem Hirten weiden gehen,

Und die allein dem alten Hirten teuer,

Um derentwillen brennt das Weltenfeuer,

Die Rosse nennt der Philosoph Ideen;

Mir aber ists ein inniges Ergetzen,

Heranzuschleichen mich mit feinem Tritt

Und plötzlich mich auf so ein Roß zu setzen

Und durch die Welt zu machen einen Ritt,

Bis mich das Roß abwirft und scheu zurück

Zu seinem Hirten flieht und Weideglück;

Denn was Natur gebiert, die reiche Mutter,

Verzehrt die Herd' als frisches Weidefutter.

Du, Röslein, bist für dieses Los zu gut,[613]

Drum steck ich lieber dich an meinen Hut.

Sieh, dort am Himmel kommen andre Rosse,

Dort kommt die schwarze Donnerwolkenherde;

Kennst du den Flug, die wilde Kraftgebärde?

Hallo! schon kracht das Schiff vom ersten Stoße!

FAUST.

Wie wenn die Rosse durch die Heide fliegen,

Hinsausend an den schlanken Graseshalmen,

Und sie mit ihrem Sturmgeschnaube biegen

Und sie mit ihrem starken Huf zermalmen:

Durchfliegen diese Himmelsrosse rasend

Die grüne Meeresheide als Verwüster

Und wiehern Sturm aus aufgerißner Nüster,

Der Masten schlanke Halme niederblasend.

MEPHISTOPHELES.

Hallo! es krachen, brechen unsre Masten:

Siehst du den Kapitän, den schreckerblaßten?

Das ist der Käfer, der am Halm gebaumelt

Und mit dem abgeknickten niedertaumelt.

FAUST.

Hört, bleicher Kapitän! erhebt Euch doch!

Das ist kein Mann, wes Blut im Sturmgehudel

Geduckt zurückschleicht, ein gepeitschter Pudel,

Zur Herzenskammer, seinem Hundeloch.

Zeigst du nicht augenblicklich Mannesmut,

So werf ich dich, beim Teufel! in die Flut!

Schämst du dich, Memme! vor dem Sturme nicht?

Ich dulde nicht die Schmach im Angesicht,

Den Menschen da in seiner Bettlerblöße

Genüber der Natur in ihrer Größe.[614]

KAPITÄN.

Seit zwanzig Jahren fahr ich dieses Meer,

So schrecklich denk ich keinen Sturm, wie der.

Wie jeder Nagel, jede Fuge kracht!

Weh uns! wie alles wankt und bricht und reißt!

Wie uns der Abgrund jetzt zu Himmel schmeißt!

Der nächste Augenblick ein Ende macht!

Ich zittre nicht für mich, und ich erblasse

Nur, weil ich Weib und Kind nicht gern verlasse;

Sie sollen beten einst an meinem Grab.

FAUST.

Verfluchter Mahner! feiger Wicht! hinab!


Wirft ihn ins Meer.


EIN PRIESTER auf den Knien.

Erbarme dich, du großer Gott!

Barmherziger, hilf in unsrer Not!

Herr! deines Sohnes Christi Blut

Helf in der Not uns Armen,

Besänftige mit Erbarmen,

Ein heilig Öl, die Sturmesflut!

MATROSEN auf den Knien.

Erbarme dich, du großer Gott!

Barmherziger, hilf in unsrer Not!

FAUST ruft in die Wolken.

Mach, was du willst, mit deiner Sturmesnacht!

Du Weltenherr, ich trotze deiner Macht!

Hier klebt mein Leib am Rand des Unterganges,

Doch weckt der Sturm in meinem Geist die Urkraft,[615]

Die ewig ist, wie du, und gleichen Ranges,

Und ich verfluche meine Kreaturschaft!

MEPHISTOPHELES.

Bravissimo! zu Schanden geht der Nachen;

Den kleinen Bissen hat der Ozean

Lang hin- und hergespielt in seinem Rachen,

Nun beißt er drein mit seinem Klippenzahn.


Wehgeschrei der Mannschaft.


Nun schluckt er ihn! Faust! spring auf diese Zacken,

Hier kann die tolle Flut dich nimmer packen.

FAUST.

Schon steh ich fest; doch sterben die Matrosen,

Wohl gerne lebten noch die Rettungslosen.

MEPHISTOPHELES.

Sie haben meist das Eiland schon betreten,

Die Kerle schwimmen kräftger, als sie beten;

Doch ist der bleiche Kapitän ersoffen,

Vergebens war auf trocknes Grab sein Hoffen.

Auch dort der Pfaff ein nasses Ende nimmt,

Der mag doch kräftger beten, als er schwimmt.

Wie wirbelt ihn die Flut! im Untersinken

Läßt er noch einmal sein Tonsürchen blinken;

Dasselbe ists, das einst bei jenen Bauern

Zum Vorschein kam.


Lachend.


Wo wird sein Liebchen trauern?[616]

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 611-617.
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