Fausts Tod


[629] Klippenstrand. Nacht. Fortwährender Sturm.


FAUST auf einem Felsen sitzend.

Der starke Görg hat meiner Nacht

Auch keinen Funken Trost gebracht.

Nach dem, was er so kalt entbehrt,

Hat er mein Sehnen nur vermehrt.

Wohlan, mein Herz! in dieser Stunde

Will ich in dein Geheimnis schauen

Und greifen tiefst in deine Wunde;

Halt fest und duld es ohne Grauen!

Auf diesem Fels, in Sturmesmitten,

Werd ichs entsetzlich nun gewahr,

Wie ich der Lieb und Heimat bar,

So ganz allein und abgeschnitten.

Die Welle, die der Sturm bewegt,

Die schäumend an die Klippe schlägt,

Der Wind, der heulend Wälder splittert,

Der Blitz, der durch den Himmel zittert, –

Mehr Heimat haben sie und Ruh,

Mein einsam Herz, als du!

Ich habe Gottes mich entschlagen

Und der Natur, in stolzem Hassen,

Mich in mir selbst wollt ich zusammenfassen;

O Wahn! ich kann es nicht ertragen.

Mein Ich, das hohle, finstre, karge,

Umschauert mich gleich einem Sarge.

Im Starrkrampf wilder Eigensucht

Warf mich der Teufel in die Schlucht.

Lebendig in den Grabesfinsternissen,

Hab ich, erwacht, die Augen aufgerissen,

Und ich begann mit unermeßnen Klagen[629]

Mich selber anzunagen.

Ich habe nun gesprengt die dumpfe Haft,

Mit doppelt heißer Leidenschaft

Streck ich die Arme wieder aus

Nach Gott und Welt aus meinem Totenhaus.

Nach Gott? – doch nein! – der Kummer ist es nur:

Könnt ich vergessen, daß ich Kreatur!

Ein unersättliches Verlangen

Ist meinem Innern aufgegangen;

Erst wars ein glühendes Entbrennen,

Die Welt zu fassen im Erkennen;

Nun würde mir, geschöpft in vollsten Zügen,

Erkenntnis nimmermehr genügen.

Wenn ich die Welt auch denken lerne,

So bleibt sie fremd doch meinem Kerne,

In Einzelwesen kalt zertrümmert,

Wo keines sich des andern kümmert.

Solang ein Kuß auf Erden glüht,

Der nicht durch meine Seele sprüht,

Solang ein Schmerz auf Erden klagt,

Der nicht an meinem Herzen nagt,

Solang ich nicht allwaltend bin,

Wär ich viel lieber ganz dahin. –

Ha! wie das Meer tobt himmelwärts

Und widerhallt in dir, o Herz!

Ich fühls, es ist derselbe Drang,

Der hier in meinem Herzen lebt,

Und der die Flut zum Himmel hebt:

Die Sehnsucht nach dem Untergang;

Es ist das ungeduldge Zanken,

Hindurchzubrechen alle Schranken,

Im freudevollen Todesfalle

Zusammzustürzen alle – alle! –[630]

O greife weiter, weiter, Sturm,

Und nimm auf deine starken Schwingen

Den höchsten Stern, den tiefsten Wurm,

Uns endlich alle heimzubringen!

Wie hier der Sturm die Flut aufwühlt,

So rührt er mir die Seele auf,

Daß sich Vergeßnes wiederfühlt,

Aus meiner Jugend frühstem Lauf.

Als ich ein irischer Knabe war

Und einst dem Priester am Altar

Die Meß bedient als Ministrant,

In seine Formeln stimmend ein

Mit unverstandenem Latein,

Das von den Lippen mir gerannt,

Wie's Bächlein übern Kiesel geht,

Der vom Gemurmel nichts versteht,

Als ich das Glöcklein schellt und lustig schwenkte

Das rauchende Thuribulum:

Da schien dem Knaben plötzlich alles krumm,

Mein Herz ein stolzer Ärger kränkte,

Daß ich dem Gottesbild zu Füßen

Hab knien und opferrauchen müssen,

Mir schiens an meinem Werte Spott,

Daß ich nicht lieber selbst ein Gott.

Was noch als Irrlicht, flüchtig, leicht,

Dem Knaben durch die Seele streicht,

Kehrt in die Brust des Manns einmal

Plötzlich zurück als Wetterstrahl.

O welche Qual in dem Gedanken:

Daß die Geschaffnen, Schlingepflanzen,

Den Urstamm ihres Gotts umtanzen,

Von ihm getragen aufwärts ranken!

Betracht ichs scharfen Angesichts,

Ist solch ein Los im Grunde nichts,[631]

Das Schlinggewächs ist Gaukelschein,

Bestand und Kraft der Stamm allein.

Woher ist mir der Stolz gekommen?

Geschöpfen kann nur Demut frommen;

Doch ist mir Stolz ins Mark gefressen.

Abhängigkeit, den Sklavenring,

Der diesseits ehern mich umfing,

Soll ich ihn jenseits nicht vergessen?

Mit ihm all die Entwicklungstreppen

Der Ewigkeit hinan mich schleppen?

Ha! lieber soll mein stolzer Geist,

Der Gott zu sein mich wünschen heißt,

Mit meinem Leib zugleich versiechen

Und sich als Grabgewürm verkriechen

Und, dringt er je aus meiner Gruft,

Als fauler Dunst verfahren in die Luft. –

Doch – ist das alles nicht ein trüber Schein?

Und daß ich abgeschnitten und allein?

So ists! Ich bin mit Gott festinniglich

Verbunden und seit immerdar,

Mit ihm derselbe ganz und gar,

Und Faust ist nicht mein wahres Ich.

Der Faust, der sich mit Forschen trieb,

Und der dem Teufel sich verschrieb,

Und sein und alles Menschenleben,

Des Guten und des Bösen Übung,

Der Teufel selbst, dem jener sich ergeben,

Ist nur des Gottbewußtseins Trübung,

Ein Traum von Gott, ein wirrer Traum,

Des tiefen Meers vergänglich bunter Schaum.

Und zeugt der Mensch, wie Faust, ein Kind,

Ein Traum dem andern sich entspinnt;

In jedem Kind, in jedem Morgenrot

Sich Gottes Phantasie erfrischt.[632]

Und schlägt ein Mensch, wie Faust, den andern tot,

Ein Traum den andern nur verwischt.

Ergreift den Menschensohn mit Macht

Des Forschens Trieb und Ungeduld,

Daß er bei Tag und später Nacht

Um einen Blick der Wahrheit buhlt,

So ists vielleicht, daß Gott im Traume spürt,

Er träume nur, und daß Erwachensdrang

Im Morgenschlaf an seinem Traume rührt?

Und schlummert er vielleicht nun nimmer lang?

Du böser Geist, heran! ich spotte dein!

Du Lügengeist! ich lache unserm Bunde,

Den nur der Schein geschlossen mit dem Schein,

Hörst du? wir sind getrennt von dieser Stunde!

Zu schwarz und bang, als daß ich wesenhaft,

Bin ich ein Traum, entflatternd deiner Haft!

Ich bin ein Traum mit Lust und Schuld und Schmerz,

Und träume mir das Messer in das Herz!


Er ersticht sich.


MEPHISTOPHELES.

Nicht Du und Ich und unsere Verkettung,

Nur deine Flucht ist Traum und deine Rettung!

Des wirst du bald und schrecklich dich besinnen,

Laß nur des Herzens Wellen erst verrinnen.

Ist erst der Strom des Blutes abgeflossen,

Der brausend das Geheimnis übergossen,

Kannst du hinunterschauen auf den Grund,

Dann wird dein Wesen dir und meines kund.

Mich wird man nicht so leichten Kaufes los.

Du töricht Kind, das sich gerettet glaubt,

Weils nun mit einmal sein geängstet Haupt

Dem Alten meint zu stecken in den Schoß

Und ihm den Knäul zu schieben in die Brust,[633]

Den's frech geschürzt, zu lösen nicht gewußt.

Er wird nicht Mein und Dein mit dir vermischen,

Das tote Glück dir wieder aufzufrischen.

Du warst von der Versöhnung nie so weit,

Als da du wolltest mit der fieberheißen

Verzweiflungsglut vertilgen allen Streit,

Dich, Welt, und Gott in eins zusammenschweißen.

Da bist du in die Arme mir gesprungen,

Nun hab ich dich und halte dich umschlungen!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 629-634.
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