Zweite Szene

[31] In Heidelbrunn. Gustchen. Läuffer.


GUSTCHEN. Was fehlt Ihnen denn?

LÄUFFER. Wie steht's mit meinem Porträt? Nicht wahr, Sie haben nicht dran gedacht? Wenn ich auch so saumselig gewesen wäre – Hätt ich das gewußt: ich hätt Ihren Brief so lang zurückgehalten, aber ich war ein Narr.

GUSTCHEN. Ha ha ha. Lieber Herr Hofmeister! ich habe wahrhaftig noch nicht Zeit gehabt.

LÄUFFER. Grausame!

GUSTCHEN. Aber was fehlt Ihnen denn? Sagen Sie mir doch! So tiefsinnig sind Sie ja noch nie gewesen. Die[31] Augen stehn Ihnen ja immer voll Wasser: ich habe gemerkt, Sie essen nichts.

LÄUFFER. Haben Sie? In der Tat? Sie sind ein rechtes Muster des Mitleidens.

GUSTCHEN. O Herr Hofmeister – –

LÄUFFER. Wollen Sie heut nachmittag Zeichenstunde halten?

GUSTCHEN faßt ihn an die Hand. Liebster Herr Hofmeister! verzeihen Sie, daß ich sie gestern aussetzte. Es war mir wahrhaftig unmöglich zu zeichnen; ich hatte den Schnuppen auf eine erstaunende Art.

LÄUFFER. So werden Sie ihn wohl heute noch haben. Ich denke, wir hören ganz auf zu zeichnen. Es macht Ihnen kein Vergnügen länger.

GUSTCHEN halbweinend. Wie können Sie das sagen, Herr Läuffer? Es ist das einzige, was ich mit Lust tue.

LÄUFFER. Oder Sie versparen es bis auf den Winter in die Stadt und nehmen einen Zeichenmeister. Überhaupt werd ich Ihren Herrn Vater bitten, den Gegenstand Ihres Abscheues, Ihres Hasses, Ihrer ganzen Grausamkeit von Ihnen zu entfernen. Ich sehe doch, daß es Ihnen auf die Länge unausstehlich wird, von mir Unterricht anzunehmen.

GUSTCHEN. Herr Läuffer –

LÄUFFER. Lassen Sie mich – Ich muß sehen, wie ich das elende Leben zu Ende bringe, weil mir doch der Tod verboten ist –

GUSTCHEN. Herr Läuffer –

LÄUFFER. Sie foltern mich. –


Reißt sich los und geht ab.


GUSTCHEN. Wie dauert er mich![32]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 31-33.
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