Sechste Szene

[71] In Leipzig. Fritz von Berg. Pätus.


FRITZ. Das einzige, was ich an dir auszusetzen habe, Pätus. Ich habe dir's schon lang sagen wollen: untersuche dich nur selbst; was ist die Ursach zu all deinem Unglück gewesen? Ich tadle es nicht, wenn man sich verliebt. Wir sind in den Jahren; wir sind auf der See, der Wind treibt uns, aber die Vernunft muß immer am Steuerruder bleiben, sonst jagen wir auf die erste beste Klippe und scheitern. Die Hamstern war eine Kokette, die aus dir machte, was sie wollte; sie hat dich um deinen letzten Rock, um deinen guten Namen und um den guten Namen deiner Freunde dazu gebracht: ich dächte, da hättest du klug werden können. Die Rehaarin ist ein unverführtes unschuldiges jugendliches Lamm: wenn man gegen ein Herz, das sich nicht verteidigen will noch verteidigen kann, alle mögliche Batterien spielen läßt, um es – was soll ich sagen? zu zerstören, einzuäschern, das ist unrecht, Bruder Pätus, das ist unrecht. Nimm mir's nicht übel, wir können so nicht gute Freunde zusammen bleiben. Ein Mann, der gegen ein Frauenzimmer es so weit treibt, als er nur immer kann, ist entweder ein Teekessel oder ein Bösewicht; ein Teekessel, wenn er sich selbst nicht beherrschen kann, die Ehrfurcht, die er der Unschuld und Tugend schuldig ist, aus den Augen zu setzen: oder ein Bösewicht, wenn er sich selbst nicht beherrschen will und wie der Teufel im Paradiese sein einzig Glück darin setzt, ein Weib ins Verderben zu stürzen.

PÄTUS. Predige nur nicht, Bruder! Du hast recht; es reuet mich, aber ich schwöre dir, ich kann drauf fluchen, daß ich das Mädchen nicht angerührt habe.

FRITZ. So bist du doch zum Fenster hineingestiegen und[71] die Nachbarn haben's gesehen, meinst du, ihre Zunge wird so verschämt sein, wie deine Hand vielleicht gewesen ist? Ich kenne dich, ich weiß, so dreust du scheinst, bist du doch blöde gegen's Frauenzimmer, und darum lieb ich dich: aber wenn's auch nichts mehr wäre, als daß das Mädchen ihren guten Namen verliert, und eine Musikantentochter dazu, ein Mädchen, das alles von der Natur empfing, vom Glück nichts; der ihre einzige Aussteuer, ihren guten Namen, zu rauben – du hast sie unglücklich gemacht, Pätus. –


Herr Rehaar kommt, eine Laute unterm Arm.


REHAAR. Ergebener Diener von Ihnen; ergebener Diener, Herr von Berg, wünsche schönen guten Morgen. Wie haben Sie geschlafen und wie steht's Konzertchen? Setzt sich und stimmt. Haben Sie's durchgespielt? Stimmt. Ich habe die Nacht einen häßlichen Schrecken gehabt, aber ich will's dem eingedenk sein – Sie kennen ihn wohl, es ist einer von Ihren Landsleuten. Twing, twing. Das ist eine verdammte Quinte! Will sie doch mein Tage nicht recht tönen; ich will Ihnen nachmittag eine andere bringen.

FRITZ setzt sich mit seiner Laute. Ich hab das Konzert noch nicht angesehen.

REHAAR. Ei ei, faules Herr von Bergchen, noch nicht angesehen? Twing! nachmittag bring ich Ihnen eine andre. Legt die Laute weg und nimmt eine Prise. Man sagt: die Türken sind über die Donau gegangen und haben die Russen brav zurückgepeitscht, bis – Wie heißt doch nun der Ort! Bis Otschakof, glaub ich; was weiß ich? So viel sag ich Ihnen, wenn Rehaar unter ihnen gewesen wäre, was meinen Sie? er wäre noch weiter gelaufen. Ha ha ha! Nimmt die Laute wieder. Ich sag Ihnen, Herr von Berg, ich hab keine größere Freude, als wenn ich wieder einmal in der Zeitung lese, daß eine Armee gelaufen ist. Die Russen sind brave Leute, daß sie gelaufen sind; Rehaar wär auch gelaufen und alle[72] gescheute Leute, denn wozu nützt das Stehen und sich totschlagen Lassen, ha ha ha.

FRITZ. Nicht wahr, das ist der erste Griff?

REHAAR. Ganz recht; den zweiten Finger etwas mehr übergelegt und mit dem kleinen abgerissen, so – Rund, rund den Triller, rund Herr von Bergchen – Mein seliger Vater pflegt' immer zu sagen, ein Musikus muß keine Courage haben und ein Musikus der Herz hat, ist ein Hundsfut. Wenn er sein Konzertchen spielen kann und seinen Marsch gut bläst – Das hab ich auch dem Herzog von Kurland gesagt, als ich nach Petersburg ging, das erstemal in der Suite vom Prinzen Czartorinsky, und vor ihm spielen mußte. Ich muß noch lachen; als ich in den Saal kam und wollt ihm mein tief tief Kompliment machen, sah ich nicht, daß der Fußboden von Spiegel war und die Wände auch von Spiegel, und fiel herunter wie ein Stück Holz und schlug mir ein gewaltig Loch in Kopf: da kamen die Hofkavaliere und wollten mich drüber necken. Leidt das nicht, Rehaar, sagte der Herzog, Ihr habt ja einen Degen an der Seite; leidt das nicht. Ja, sagt ich, Ew. Herzoglichen Majestät, mein Degen ist seit Anno dreißig nicht aus der Scheide gekommen, und ein Musikus braucht den Degen nicht zu ziehen, denn ein Musikus, der Herz hat und den Degen zieht, ist ein Hundsfut und kann sein Tag auf keinem Instrument was vor sich bringen. – Nein, nein, das dritte Chor war's, k, k, so – Rein, rein, den Triller rund und den Daumen unten nicht bewegt, so –

PÄTUS der sich die Zeit über seitwärts gehalten, tritt hervor und bietet Rehaar die Hand. Ihr Diener, Herr Rehaar; wie geht's?

REHAAR hebt sich mit der Laute. Ergebener Die – Wie soll's gehen, Herr Pätus? Toujours content, jamais d'argent: das ist des alten Rehaars Sprichwort, wissen Sie, und die Herren Studenten wissen's alle; aber darum geben sie mir doch nichts – Der Herr Pätus ist mir auch[73] noch schuldig, von der letzten Serenade, aber er denkt nicht dran ...

PÄTUS. Sie sollen haben, liebster Rehaar; in acht Tagen erwart ich unfehlbar meinen Wechsel.

REHAAR. Ja, Sie haben schon lang gewartet, Herr Pätus, und Wechselchen ist doch nicht kommen. Was ist zu tun, man muß Geduld haben, ich sag immer, ich begegne keinem Menschen mit so viel Ehrfurcht als einem Studenten: denn ein Student ist nichts, das ist wahr, aber es kann doch alles aus ihm werden. Er legt die Laute auf den Tisch und nimmt eine Prise. Aber was haben Sie mir denn gemacht, Herr Pätus? Ist das recht; ist das auch honett gehandelt? Sind mir gestern zum Fenster hineingestiegen, in meiner Tochter Schlafkammer.

PÄTUS. Was denn, Vaterchen? ich? ...

REHAAR läßt die Dose fallen. Ja ich will dich bevaterchen und ich werd es gehörigen Orts zu melden wissen, Herr, das sein Sie versichert. Meiner Tochter Ehr ist mir lieb und es ist ein honettes Mädchen, hol's der Henker! und wenn ich's nur gestern gemerkt hätte oder wär aufgewacht, ich hätt Euch zum Fenster hinausgehänselt, daß Ihr das unterste zu oberst – Ist das honett, ist das ehrlich? Pfui Teufel, wenn ich Student bin, muß ich mich auch als Student aufführen, nicht als ein Schlingel – Da haben mir's die Nachbarn heut gesagt: ich dacht ich sollte den Schlag drüber kriegen, augenblicks hat mir das Mädchen auf den Postwagen müssen und das nach Kurland zu ihrer Tante; ja nach Kurland, Herr, denn hier ist ihre Ehr hin und wer zahlt mir nun die Reisekosten? Ich habe wahrhaftig den ganzen Tag keine Laut anrühren können und über die funfzehn Quinten sind mir heut gesprungen. Ja Herr, ich zittere noch am ganzen Leibe, und Herr Pätus, ich will ein Hühnchen mit Ihnen pflücken. Es soll nicht so bleiben; ich will euch Schlingeln lehren ehrlicher Leute Kinder verführen.

PÄTUS. Herr, schimpf Er nicht, oder –[74]

REHAAR. Sehen Sie nur an, Herr von Berg! sehn Sie einmal an – wenn ich nun Herz hätte, ich fodert ihn augenblicklich vor die Klinge – Sehen Sie, da steht er und lacht mir noch in die Zähne obenein. Sind wir denn unter Türken und Heiden, daß ein Vater nicht mehr mit seiner Tochter sicher ist? Herr Pätus, Sie sollen mir's nicht umsonst getan haben, ich sag's Ihnen, und sollt's bis an den Kurfürsten selber kommen. Unter die Soldaten mit solchen lüderlichen Hunden! Dem Kalbsfell folgen, das ist gescheiter! Schlingel seid ihr und keine Studenten!

PÄTUS gibt ihm eine Ohrfeige. Schimpf Er nicht; ich hab's Ihm fünfmal gesagt!

REHAAR springt auf, das Schnupftuch vorm Gesicht. So? Wart – Wenn ich doch nur den roten Fleck behalten könnte, bis ich vorn Magnifikus komme – Wenn ich ihn doch nur acht Tage behalten könnte, daß ich nach Dresden reise und ihn dem Kurfürsten zeige – Wart, es soll dir zu Hause kommen, wart, wart – Ist das erlaubt? Weint. Einen Lautenisten zu schlagen? weil er dir seine Tochter nicht geben will, daß du Lautchen auf ihr spielen kannst? – Wart, ich will's seiner Kurfürstlichen Majestät sagen, daß du mich ins Gesicht geschlagen hast. Die Hand soll dir abgehauen werden – Schlingel!


Läuft ab, Pätus will ihm nach; Fritz hält ihn zurück.


FRITZ. Pätus! du hast schlecht gehandelt. Er war beleidigter Vater, du hättest ihn schonen sollen.

PÄTUS. Was schimpfte der Schurke?

FRITZ. Schimpfliche Handlungen verdienen Schimpf. Er konnte die Ehre seiner Tochter auf keine andere Weise rächen, aber es möchten sich Leute finden –

PÄTUS. Was? Was für Leute?

FRITZ. Du hast sie entehrt, du hast ihren Vater entehrt. Ein schlechter Kerl, der sich an Weiber und Musikanten wagt, die noch weniger als Weiber sind.

PÄTUS. Ein schlechter Kerl?[75]

FRITZ. Du sollst ihm öffentlich abbitten.

PÄTUS. Mit meinem Stock.

FRITZ. So werd ich dir in seinem Namen antworten.

PÄTUS schreit. Was willst du von mir?

FRITZ. Genugtuung für Rehaarn.

PÄTUS. Du wirst mich doch nicht zwingen wollen, einfältiger Mensch –

FRITZ. Ja, ich will dich zwingen, kein Schurke zu sein.

PÄTUS. Du bist einer – du mußt dich mit mir schlagen.

FRITZ. Herzlich gern – wenn du Rehaarn nicht Satisfaktion gibst.

PÄTUS. Nimmermehr.

FRITZ. Es wird sich zeigen.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 71-76.
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