Siebente Szene

[115] Des Prinzen Zimmer.

Er sitzt an einem Tisch voll Büchern, eine Landkarte vor sich. Zierau, ein Baccalaureus, tritt auf.


ZIERAU. Ihr untertänigster Diener, mein Prinz!

PRINZ. Der Ihrige. Wer sind Sie?

ZIERAU. Ein Baccalaureus aus Wittenberg, doch hab ich schon über drei Jahr in Leipzig den Musen und Grazien geopfert.[115]

PRINZ. Was führt Sie zu mir?

ZIERAU. Neugier und Hochachtung zugleich. Ich habe die edle Absicht vernommen, aus welcher Sie Ihre Reise angetreten, die Sitten der aufgeklärtesten Nationen Europens kennen zu lernen und in Ihren väterlichen Boden zu verpflanzen.

PRINZ. Das ist meine Absicht nicht. Ja, wenn die Sitten gut sind – – setzen Sie sich – –

ZIERAU setzt sich. Verzeihen Sie! Die Verbesserung aller Künste, aller Disziplinen und Stände ist seit einigen tausend Jahren die vereinigte Bemühung unserer besten Köpfe gewesen, es scheint, wir sind dem Zeitpunkte nah, da wir von diesen herkulischen Bestrebungen endlich einmal die Früchte einsammlen, und es wäre zu wünschen, die entferntesten Nationen der Welt kämen, an unsrer Ernte Teil zu nehmen.

PRINZ. So?

ZIERAU. Besonders da itzt in Deutschland das Licht der schönen Wissenschaften aufgegangen, das den gründlichen und tiefsinnigen Wissenschaften, in denen unsere Vorfahren Entdeckungen gemacht, die Fackel vorhält und uns gleichsam jetzt erst mit unsern Reichtümern bekannt macht, daß wir die herrlichen Minen und Gänge bewundern, die jene aufgehauen, und ihr hervorgegrabenes Gold vermünzen.

PRINZ. So?

ZIERAU. Wir haben itzt schon seit einem Jahrhunderte fast Namen aufzuweisen, die wir kühnlich den größesten Genies unserer Nachbarn an die Seite setzen können, die alle zur Verbesserung und Verfeinerung unsrer Nation geschrieben haben, einen Besser, Gellert, Rabner, Dusch, Schlegel, Uz, Weiße, Jacobi, worunter aber vorzüglich der unsterbliche Wieland über sie alle gleichsam hervorragt, ut inter ignes luna minores, besonders durch den letzten Traktat, den er geschrieben und wodurch er allen seinen Werken die Krone scheint aufgesetzt zu haben,[116] den Goldenen Spiegel, ich weiß nicht, ob Sie schon davon gehört haben, meiner Einsicht nach sollte er's den Diamantenen Spiegel heißen.

PRINZ. Wovon handelt das Buch?

ZIERAU. Wovon? ja es ist sehr weitläuftig, von Staatsverbesserungen, von Einrichtung eines vollkommenen Staats, dessen Bürger, wenn ich so sagen darf, alle unsere kühnsten Fiktionen von Engeln an Grazie übertreffen.

PRINZ. So? und wo findet man diese Menschen?

ZIERAU. Wo? he he, in dem Buche des Herrn Hofrat Wieland. Wenn's Ihnen gefällt, will ich gleich ein Exemplar herbringen.

PRINZ. Geben Sie sich keine Mühe, ich nehme die Menschen lieber wie sie sind, ohne Grazie, als wie sie aus einem spitzigen Federkiel hervorgehen. – Haben Sie sonst noch etwas?

ZIERAU. Ich wollte Eurer Hoheit in tiefster Untertänigkeit – – Herr Wieland hat seinen Goldenen Spiegel dem Kaiser von Scheschinschina zugeeignet und ich, durch ein so großes Beispiel kühn gemacht Zieht ein Manuskript hervor. ich hab ein Werk unter Händen, das, wie ich hoffe, zum Wohl des Ganzen nicht weniger beitragen wird, der Titel ist ganz bescheiden, aber ich denke die Erwartung meiner Leser zu überraschen: »Die wahre Goldmacherei; oder, unvorgreifliche Ratschläge, das Goldene Zeitalter wieder einzuführen; oder, ein Versuch, das Goldene Zeitalter ...« – ich bin mit mir selbst noch nicht einig. Überreicht ihm lächelnd das Manuskript.

PRINZ. Und worin bestehn Ihre Ratschläge, wenn ich bitten darf? geben Sie mir einen Blick in Ihre Geheimnisse!

ZIERAU. Worin? – – Das will ich Ihnen sagen. Es soll Ihnen doch dediziert werden, also Sieht sich um; etwas leise. Wenn vors erste die Erziehung auf einen andern Fuß gestellt, würdige und gelehrte Männer an den Schulen, auf den Akademien, wenn die Geistlichkeit aus lauter[117] verdienstvollen, einsichtsvollen Leuten ausgewählt, weder Mucker und Fanatiker, noch auch bloße Bauchdiener und Faulenzer, wenn die Gerichte aus lauter erfahrenen, rechtsgeübten, alten, ehrwürdigen, wenn der Unterscheid der Stände, wenn nicht Geburt oder Geld, sondern bloß Verdienst, wenn der Landesherr, wenn seine Räte – –

PRINZ. Genug, genug, mit all Euren Wenns wird die Welt kein Haar besser oder schlimmer, mein lieber ehrwürdiger Herr Autor. Vergebt mir, daß ich Euch an den Papst erinnere, der auch einem aus Euren Mitteln sein Goldmacherbuch Gibt ihm das Manuskript zurück. – Und hiemit Gott befohlen.

ZIERAU. Entweder fehlt es ihm an aller Kultur, oder der gute Prinz ist überspannt und gehört aux petites maisons. Ab.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 115-118.
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