Sechste Szene

[129] Des Prinzen Zimmer.

Der Baccalaureus. Der Magister Beza. Prinz Tandi.


ZIERAU. Hier hab ich die Ehre, Eurer Hoheit einen Gelehrten zu präsentieren, mit dem Sie vermutlich besser zufrieden sein werden, Herr Magister Beza, der den Thomas a Kempis ins Arabische übersetzt hat, und in der Philosophie und Sprachen der Morgenländer so bewandert, als ob er für Cumba geboren wäre, nicht für Sachsen.

PRINZ nötigt sie aufs Kanapee. So werden wir sympathisieren.

MAGISTER BEZA steht auf. O ergebener Diener!

ZIERAU. Der Magister ist wenigstens mit unsern Sitten[129] noch weniger zufrieden als Eure Hoheit. Er behauptet, es könne mit uns nicht lange währen, wir müßten im Feuer und Schwefel untergehen wie Sodom.

PRINZ. Spotten Sie nicht; dazu gehört wenig Witz.

BEZA. Ach!

PRINZ. Worüber seufzten Sie?

BEZA. Über nichts.

ZIERAU. Sie dürfen sich nicht verhehlen, Herr Magister, der Prinz ist gewiß Ihrer Meinung.

BEZA. Die Welt liegt im Argen – ist ihrem Untergange nahe.

PRINZ. Das wäre betrübt. Der Herr wollt es vorhin anders wissen. Ich denke, die Welt ist um nichts schlimmer, als sie zu allen Zeiten gewesen.

BEZA. Um nichts schlimmer? wie? um nichts schlimmer? Wo hat man vormals von dergleichen Abscheu gehört, das nicht allein jetzt zur Mode geworden ist, sondern zur Notwendigkeit. Das ist wohl dura necessitas, durissima necessitas. Das Saufen, Tanzen, Springen und alle Wollüste des Lebens haben so überhand genommen, daß, wer nicht mitmacht und Gott fürchtet, in Gefahr steht, alle Tage zu verhungern.

PRINZ. Warum führen Sie gerad das an?

ZIERAU. Ich muß Ihnen nur das Verständnis öffnen, der Magister ist ein erklärter Feind aller Freuden des Lebens.

PRINZ. Vielleicht nicht ganz unrecht. Das bloß Genießen scheint mir recht die Krankheit, an der die Europäer arbeiten.

ZIERAU. Was ist Leben ohne Glückseligkeit?

PRINZ. Handeln macht glücklicher als Genießen. Das Tier genießt auch.

ZIERAU. Wir handeln auch, uns Genuß zu erwerben, zu sichern.

PRINZ. Brav! wenn das geschicht! – und wir dabei auch für andere sorgen.

BEZA. Ja das ist die Freigeisterphilosophie, die Weltphilosophie,[130] aber zu der schüttelt jeder den Kopf, dem es ein Ernst mit seiner Seele ist. Es ist alles eitel. O Eitelkeit, Eitelkeit, wie doch das die armen Menschen so fesseln kann, darüber den Himmel zu vergessen, und ist doch alles Kot, Staub, Nichts!

PRINZ. Aber wir haben einen Geist, der aus diesem Nichts etwas machen kann.

ZIERAU. Sie werden ihn nicht auf andere Gedanken bringen, ich kenne ihn, er hat den Fehler aller Deutschen, er baut sich ein System, und was dahinein nicht paßt, gehört in die Hölle.

BEZA. Und ihr Herren Kleinmeister und ihr Herren Franzosen lebt immerfort ohne System, ohne Ziel und Zweck, bis euch, mit Respekt zu sagen, der Teufel holt, und dann seid ihr verloren, hier zeitlich und dort ewig.

PRINZ. Weniger Strenge, Herr! Eins ist freilich so schlimm als das andere; wer ohne Zweck lebt, wird sich bald zu Tode leben, und wer auf der Studierstube ein System zimmert, ohne es der Welt anzupassen, der lebt entweder seinem System all Augenblick schnurstracks zuwider, oder er lebt gar nicht.

ZIERAU. Mich deucht, vernünftig leben ist das beste System.

BEZA. Ja, das ist die rechte Höhe.

PRINZ. Wohl die rechte – wird aber nie ganz erreicht. Vernunft ohne Glauben ist kurzsichtig und ohmächtig, und ich kenne vernünftige Tiere so gut als unvernünftige. Der echten Vernunft ist der Glaube das einzige Gewicht, das ihre Triebräder in Bewegung setzen kann, sonst stehen sie still und rosten ein, und wehe denn der Maschine!

ZIERAU. Die echte Vernunft lehrt uns glücklich sein, unsern Pfad mit Blumen bestreuen.

PRINZ. Aber die Blumen welken und sterben.

BEZA. Ja wohl, ja wohl.

ZIERAU. So pflückt man neue.

PRINZ. Wenn aber der Boden keine mehr hervortreibt. Es wird doch wohl alles auf den ankommen.[131]

ZIERAU. Wir verlieren uns in Allegorien.

PRINZ. Die leicht zu entziffern sind. Geist und Herz zu erweitern, Herr –

ZIERAU. Also nicht lieben, nicht genießen.

PRINZ. Genuß und Liebe sind das einzige Glück der Welt, nur unser innerer Zustand muß ihm den Ton geben.

BEZA. Ei was Liebe, Liebe, das ist eine saubere Religion, die uns die Bordelle noch voller stopft.

ZIERAU. Ich wünschte, wir könnten die Jugend erst lieben lehren, die Bordelle würden bald leer werden.

PRINZ. Aber es würde vielleicht um desto schlimmer mit der Welt stehn. Liebe ist Feuer, und besser ist's, man legt es zu Stroh als an ein Ährenfeld. Solang da nicht andere Anstalten vorgekehrt werden –

ZIERAU. Wenn die goldenen Zeiten wiederkommen.

PRINZ. Die stecken nur im Hirn der Dichter, und Gott sei Dank. Ich kann nicht sagen, wie mir dabei zu Mute sein würde. Wir säßen da wie Midas vielleicht, würden alles anstarren und nichts genießen können. Solang wir selbst nicht Gold sind, nützen uns die goldenen Zeiten zu nichts, und wenn wir das sind, können wir uns auch mit ehernen und bleiernen Zeiten aussöhnen.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 129-132.
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