Eilfte Szene

[160] Ein Gärtchen am Gasthofe.

Prinz Tandi. Magister Beza. Bedienter.


PRINZ. Ich kann ihn nicht sehen, ich kann noch nicht. Fühlt Ihr das nicht, warum? Und wollt trösten, mit solch einem Herzen trösten? Leidige Tröster, laßt mich!

BEZA. Aber womit hab ich denn verdient, daß Sie mir Ungerechtigkeiten sagen? Da ich in der besten Absicht und so zu sagen von Amts und Gewissens wegen –

PRINZ. Ich hasse die Freunde in der Not, sie sind grausamer als die ärgsten Feinde, weit grausamer. Ihr kommt, Höllenstein in meine offne Wunde zu streuen, fort von mir.[160]

BEZA. Ich kann und darf Sie nicht verlassen. Die christliche Liebe –

PRINZ. Ha die christliche Liebe! entehrt das Wort nicht! wenn Ihr mit mir fühltet, so würdet Ihr begreifen, daß das, was Ihr dem Unglücklichen nehmen wollt, sein Schmerz, sein einziges höchstes Gut ist; das letzte, das ihm übrig bleibt, entreißt ihr ihm, Barbaren!

BEZA. Was das nun wieder geredt ist.

PRINZ. Es ist wahr geredt! Ihr habt noch nie alles verloren, alles, alles, was Ruhe der Seelen und Wonne nach der Arbeit geben kann; jetzt muß ich meine Wonne in Tränen und Seufzern suchen, und wenn Ihr mir die nehmt, was bleibt mir übrig, als kalte Verzweiflung.

BEZA. Wenn ich Ihnen nun aber begreiflich mache, daß all Ihre Bedenklichkeiten nichts sind, daß Gott die nahen Heiraten nicht verboten hat –

PRINZ. Nicht verboten?

BEZA. Daß das in der besondern Staatsverfassung der Juden seinen Grund gehabt, in den Sitten, in den Gebräuchen, daß weil sie ihre nächsten Anverwandte ohne Schleier sehen durften, um der frühzeitigen Hurerei vorzubeugen –

PRINZ. Wer erzählt Euch das? Weil die Ehen mit Verwandten verboten waren, durften sie sie ohne Schleier sehen, wie die Römer sie küssen durften. Wenn Gott keine andere Ursach zu dem Verbot gehabt, dürfte er nur das Entschleiern verboten haben.

BEZA. Sie sollten nur den Michaelis lesen. Es war eine bloß politische Einrichtung Gottes, die uns nichts anging, wenn's ein allgemein Naturgesetz gewesen wäre, würde Gott die Ursache des Verbots dazu gesetzt haben.

PRINZ. Steht sie nicht da? steht sie nicht mit großen Buchstaben da? soll ich Euch den Star stechen?

BEZA. Ja was? was? du sollt deine Schwester nicht heiraten, denn sie ist deine Schwester.

PRINZ. Versteht Ihr das nicht? Weh Euch, daß Ihr's nicht[161] versteht. Auf Eurem Antlitz danken solltet Ihr, daß der Gesetzgeber anders sah als durch Eure Brille. Er hat die ewigen Verhältnisse geordnet, die euch allein Freud und Glückseligkeit im Leben geben können, und ihr wollt sie zerstören? O ihr Giganten, hütet euch, daß nicht der Berg über euch kommt, wenn ihr gegen den Donnerer stürmen wollt. Was macht das Glück der Welt, wenn es nicht das harmonische, gottgefällige Spiel der Empfindungen, die von der elendesten Kreatur bis zu Gott hinauf in ewigem Verhältnis zu einander stimmen? Wollt ihr den Unterscheid aufheben, der zwischen den Namen Vater, Sohn, Schwester, Braut, Mutter, Blutsfreundin obwaltet? wollt ihr bei einem nichts anders denken, keine andere Regung fühlen als beim andern? nun wohl, so hebt euch denn nicht übers Vieh, das neben euch ohne Unterschied und Ordnung bespringt was ihm zu nahe kommt, und laßt die ganze weite Welt meinethalben zum Schweinstall werden.

BEZA. Das ist betrübt. Sie sind hartnäckig darauf, Ihr Gewissen unnötiger Weise zu beschweren, sich und Ihre Schwester unglücklich zu machen –

PRINZ. Das war ein Folterstoß. Solltest du dies Gemälde nicht lieber aus meiner Phantasei weggewischt haben? Ich sehe sie da liegen, mit sich selbst uneins, voll Haß und Liebe den edlen Kampf kämpfen, die Götter anklagen und vor Gott sich stumm hinwinden – Fällt auf eine Grasbank. Ach Grausamer!

BEZA nähert sich ihm. Alles das können Sie ihr ersparen.

PRINZ. Und das Gewissen vergiften? Fort, Verräter! das Bewußtsein, recht getan zu haben, kann nie unglücklich machen. Gram und Schmerz ist noch kein Unglück, sie gelten ein zweideutig Glück, dessen unterste Grundlage Gewissensangst ist. Wilhelmine wird nicht ewig elend sein: unverwahrloste Schönheit hat Beistand im Himmel und braucht keines verräterischen Trostes.[162]

BEZA. Soll ich Ihren Vater rufen?

PRINZ. Um ihr Bild mir zu erneuern? – Hinter mich, Satan! Stoßt ihn zum Garten naus.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 160-163.
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