Erste Szene

[173] Auf der Landstraße von Leipzig nach Dresden ein Posthaus.

Herr von Biederling, Prinz Tandi, beide auf einander zueilend, sich umhalsend.


HERR VON BIEDERLING. Mein Sohn!

PRINZ. Mein Vater![173]

HERR VON BIEDERLING. Woher kommst du? wohin gehst du? Hat dich der verdammte Schulkollege doch laufen lassen? Sag ich nicht? ob man eine Null dahin stellt oder einen Mann mit dem schwarzen Rock, die Leute sind doch, Gott weiß, als ob sie keinen Kopf auf den Schultern hätten.

PRINZ. Ich gehe nach Dresden.

HERR VON BIEDERLING. Ja ich will dir – du sollst mir schnurstracks nach Naumburg zurück, deine arme Schwester wird ja fast den Tod haben über deinem Außenbleiben. Es ist alles gültig und richtig, das Konsistorium hat kein Wort wider die Heiraten einzuwenden.

PRINZ die Augen gen Himmel kehrend. O nun unterstütze mich!

HERR VON BIEDERLING. Geschwind umgekehrt! für wen ist das Pferd gesattelt? ha ha, deine Equipage wirst du wohl in Leipzig haben lassen müssen? Nun, nun, ich hab ihm doch unrecht getan, dem Magister Beza. – Hurtig, ich befehl's dir! den Reiserock angezogen. Warum hast du mich denn nicht sehen wollen, Monsieur! da ich deinetwegen acht Stunden gefahren war? Du hast Grillen im Kopf wie die Alchymisten, und darüber muß Vater und Schwester und Mutter und alles zu Grunde gehn.

PRINZ umarmt seine Knie. Mein Vater! Diese Grillen sind mir heilig, heiliger als alles.

HERR VON BIEDERLING. Sie stirbt, hol mich der Teufel, sie muß des Todes sein für Chagrin, das Mädchen läßt sich nicht trösten. Hast du denn deinen Verstand verloren, oder willst du klüger sein als die ganze theologische Fakultät? Ich befehle dir als Vater, daß du dich anziehst und zurück mit mir, oder es geht nimmermehr gut.

PRINZ. Ich will Ihnen gehorchen.

HERR VON BIEDERLING. So? das ist brav. So komm, daß ich dich noch einmal umarme und an mein Herz drücke [174] Ihn umarmend. verlorner Sohn! Das hab ich gleich gedacht, wenn man ihm nur vernünftig zuredt, du bist hier nicht in Cumba, mein Sohn, wir sind hier in Sachsen, und was andern Leuten gilt, das muß uns auch gelten. Geh, mach dich fertig, du gibst deiner Schwester das Leben wieder – ich will derweil ein Frühstück essen, ich bin hol mich Gott noch nüchtern von heut morgen um viere. Ab.

PRINZ. Das war der Augenblick, den ich fürchtete. Ich hab ihn gesehen, Wilhelmine, deinen Vater gesehen, ich bin zu schwach zu widerstehen. Wenn du Engel des Himmels mich noch liebst – o daß du mich hassetest! o daß du mich hassetest! – Wie, wenn ich itzt mich aufs Pferd schwünge und heimlich fortjagte – Aber sie ist mein Fleisch! Gott! sie ist mein Fleisch. Laß los, teures Weib, heiliger Schatten! der Himmel fordert es, deine Ruhe fordert es – Triumph –


Will aus der Tür. Wilhelmine und Babet stürzen ihm entgegen.


WILHELMINE. Hier!

PRINZ ihr zu Füßen. Deinen elenden Mann!

WILHELMINE. Ist es ein Traum? Umarmt ihn. Hab ich dich wirklich?

PRINZ. Schone meiner! Schone deiner! O Sünde! wer kann dir widerstehen, wenn du Wilhelminens Gestalt annimmst?

WILHELMINE. Ich bin deine Schwester nicht.

BABET. Ich beteur es Ihnen mit dem heiligsten Eide, sie ist Ihre Schwester nicht. Ich war ihre Amme, ich habe sie vertauscht.

PRINZ. O mehr Balsam! mehr Balsam! göttliche Linderung!

WILHELMINE wirft sich nochmals in seine Arme. Ich bin deine Schwester nicht.

PRINZ. Das hat mein Schmerz nie gehoffet, nie gewünscht! Vom Tode bin ich erweckt. Wiederholt es mir hundertmal.

WILHELMINE. Ich wünscht in deinen Armen zu zerfließen,[175] mein Mann! nicht mehr Bruder! mein Mann! Ich bin ganz Entzücken, ich bin ganz dein.

PRINZ. Mein auf ewig. Mein wiedergefundenes Leben.

WILHELMINE. Meine wiedergefundene Seele!


Herr von Biederling mit der Serviette.


HERR VON BIEDERLING. Was gibt's hier? – Nu Gotts Wunder! wo kommst du her? Sag ich doch, wenn man ihm vernünftig zuredt, da sind sie wie Mann und Frau mit einander und den Augenblick vor einer halben Stunde wollt er sich noch kastrieren um deinetwillen.

BABET. O wir haben Ihnen Wunderdinge zu erzählen, gnädiger Herr.

HERR VON BIEDERLING. So kommt herein, kommt herein, schämt euch doch, vor den Augen der ganzen Welt mit seinem Weibe Rebekka zu scherzen, das geht in Cumba wohl an, lieber Mann! aber in Sachsen nicht, in Sachsen nicht. Gehen hinein.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 173-176.
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