Erste Szene


[305] Ein kleines Theater in Alvarez' Wohnung.

Der Vorhang ist niedergelassen. Vorn steht eine Reihe Stühle. Vor ihnen spaziert Strephon herum, eine kleine Brieftasche in der Hand.


STREPHON. Das erstemal meines Lebens, daß ich so dreist bin, etwas anzurühren, das ihr gehört. Aber es muß sein,[305] es muß sein, mein ganzes Leben hängt ab davon, das Schicksal hat es nicht umsonst in meine Hände fallen lassen. Sie, die sonst alles verschließt, dies im Speisesaal verloren – ha, wenn alles vorherbestimmt ist, was wir tun – er könnte mir nicht gelegener kommen, der Zufall, als in Augenblicken, die so entscheidend für mich sind. Durchsucht die Brieftasche. Vom Don Prado – vom Don Prado – die hat sie noch? hm! Das beste der weiblichen Herzen ist doch nicht von Eitelkeit ausgenommen – La Fare – ha! ich bin verloren, La Fare – an der Spitze aller meiner Entwürfe, meiner Laufbahn – La Fare – – Wenn ich nur das Herz erst hätte, zu lesen – sollte sie es mit Fleiß haben liegen lassen, mich zu warnen – mich zu überzeugen, wie wenig sie sich aus Briefen der Art mache – Ha ich will nur lesen, eh sie kommen – mag darin enthalten sein, was da wolle. Steckt die Brieftasche ein und liest das Billet. Ich denke, da sie weiß, daß ich eben im Begriff stehe, nach Paris zu gehen und alle unsere großen Hoffnungen auszuführen, wird sie doch so grausam nicht sein und mich – mich – Greift sich an den Kopf. nein, nein, lesen wir nur, lesen wir nur – »Wie Donna! der Fidalgo mit dem abstudierten bleichen Gesicht und weiter nichts sollte mir im Wege stehen.« Weiter nichts – –


Liest weiter.


»Hüten Sie sich, so ein Lächerliches zu geben. Es wäre das erstemal Ihres Lebens. Er bildt sich ein, ein außerordentlicher Mensch zu sein. Ich schätze seine Gelehrsamkeit« – Gelehrsamkeit? – Sie ist eine Verräterin – »noch mehr die Dienste, die er Ihrem Herrn Bruder erwiesen haben soll. Auch soll er mir im mindesten nicht beschwerlich, so wenig als gefährlich sein. Bleiben Sie immerhin seine Freundin, so wie ich um Ihrent willen sein Freund sein will. Mag er allenfalls, wenn er von seinen frostigen Beschäftigungen Atem holen will, vor den Kamin Ihrer Augen treten und sich, wie es solchen Sylphen zukommt, mit[306] einem Blick auf einige Monate abspeisen, ich bin ein Franzose, Donna, das einige Wort schließt mehr in sich, als Ihnen hundert Briefe erklären könnten.«

Holla! Marquis La Fare, nicht so gemeint – Ich merke – ich merke die ganze Absicht, warum sie ihn hat liegen lassen. Hier muß eingelenkt werden. Die Liebe leidet keine Teilung, mein luftiger Marquis, und wenn sie mir geraubt werden soll, müssen andere Leute als du mir sie streitig machen. – Also mich nach Paris zu entfernen, und mittlerweile ich Leben und Ehre in die Schanze schlage – – schöner Plan – sie kommen. Itzt den Komödianten gemacht, Strephon, oder den Narren auf ewig –


Alvarez mit der Marquisin, La Fare mit Donna Seraphina kommen und nehmen ihre Plätze ein. Strephon komplimentiert sie und entfernt sich nachher. Der Vorhang wird aufgezogen. Ein Zimmer der Ninon Lenclos erscheint.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 305-307.
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