Zehnte Szene

[225] Die Gräfin La Roche und Mariane, die wieder hereinkommen.


MARIANE. Sie werden verzeihen gnädige Frau, es ist hier alles in der größten Rappuse.

GRÄFIN. Mein liebes Kind, Sie brauchen mit mir nicht die allergeringsten Umstände zu machen. Faßt sie an die Hand und setzt sich mit ihr aufs Kanapee. Sehen Sie mich als Ihre beste Freundin an Sie küssend. ich versichere Sie, daß ich den aufrichtigsten Anteil nehme an allem was Ihnen begegnen kann.

MARIANE sich die Augen wischend. Ich weiß nicht womit ich die besondere Gnade verdient habe, die Sie für mich tragen.

GRÄFIN. Nichts von Gnade, ich bitte Sie. Es ist mir lieb, daß wir allein sind, ich habe Ihnen viel vieles zu sagen, das mir auf dem Herzen liegt, und Sie auch manches zu fragen. Mariane sehr aufmerksam, die Freude in ihrem Gesicht. Ich liebe Sie mein Engel! ich kann mich nicht enthalten, es Ihnen zu zeigen. Mariane küßt ihr inbrunstvoll die Hand. Ihr ganzes Betragen hat so etwas Offenes, so etwas Einnehmendes, daß mir Ihr Unglück dadurch doppelt schmerzhaft wird. Wissen Sie denn auch meine neue liebe Freundin daß man viel viel in der Stadt von Ihnen spricht.

MARIANE. Ich weiß wohl, daß es allenthalben böse Zungen gibt.

GRÄFIN. Nicht lauter böse, auch gute sprechen von Ihnen. Sie sind unglücklich, aber Sie können sich damit trösten daß Sie sich Ihr Unglück durch kein Laster zugezogen. Ihr einziger Fehler war, daß Sie die Welt nicht kannten, daß Sie den Unterscheid nicht kannten, der unter den verschiedenen Ständen herrscht, daß Sie die Pamela gelesen haben, das gefährlichste Buch das eine Person aus Ihrem Stande lesen kann.[225]

MARIANE. Ich kenne das Buch ganz und gar nicht.

GRÄFIN. So haben Sie den Reden der jungen Leute zuviel getraut.

MARIANE. Ich habe nur einem zuviel getraut und es ist noch nicht ausgemacht, ob er falsch gegen mich denkt.

GRÄFIN. Gut liebe Freundin! aber sagen Sie mir, ich bitte Sie, wie kamen Sie doch dazu, über Ihren Stand heraus sich nach einem Mann umzusehen. Ihre Gestalt, dachten Sie, könnte Sie schon weiter führen als Ihre Gespielinnen; ach liebe Freundin, eben das hätte Sie sollen vorsichtiger machen. Schönheit ist niemals ein Mittel, eine gute Heurat zu stiften, und niemand hat mehr Ursache zu zittern als ein schön Gesicht. Tausend Gefahren mit Blumen überstreut, tausend Anbeter und keinen Freund, tausend unbarmherzige Verräter.

MARIANE. Ach gnädige Frau, ich weiß wohl daß ich häßlich bin.

GRÄFIN. Keine falsche Bescheidenheit. Sie sind schön, der Himmel hat Sie damit gestraft. Es fanden sich Leute über Ihren Stand die Ihnen Versprechungen taten. Sie sahen gar keine Schwürigkeit eine Stufe höher zu rücken, Sie verachteten Ihre Gespielinnen, Sie glaubten nicht nötig zu haben, sich andere liebenswürdige Eigenschaften zu erwerben, Sie scheuten die Arbeit, Sie begegneten jungen Mannsleuten Ihres Standes verächtlich, Sie wurden gehaßt. Armes Kind! wie glücklich hätten Sie einen rechtschaffenen Bürger machen können, wenn Sie diese fürtreffliche Gesichtszüge, dieses einnehmende bezaubernde Wesen mit einem demütigen menschenfreundlichen Geist beseelt hätten, wie wären Sie von allen Ihres gleichen angebetet, von allen Vornehmen nachgeahmt und bewundert worden. Aber Sie wollten von Ihresgleichen beneidet werden. Armes Kind, wo dachten Sie hin und gegen welch ein elendes Glück wollten Sie alle diese Vorzüge eintauschen? Die Frau eines Mannes zu[226] werden, der um Ihrentwillen von seiner ganzen Familie gehaßt und verachtet würde. Und einem so unglücklichen Hazardspiel zu Gefallen Ihr ganzes Glück, Ihre ganze Ehre, Ihr Leben selber auf die Karte zu setzen. Wo dachten Sie hinaus? wo dachten Ihre Eltern hinaus? Armes betrogenes durch die Eitelkeit gemißhandeltes Kind. Drückt sie an ihre Brust. Ich wollte mein Blut hergeben, daß das nicht geschehen wäre.

MARIANE weint auf ihre Hand. Er liebte mich aber.

GRÄFIN. Die Liebe eines Offiziers Mariane – eines Menschen, der an jede Art von Ausschweifung, von Veränderung gewöhnt ist, der ein braver Soldat zu sein aufhört, sobald er ein treuer Liebhaber wird, der dem König schwört es nicht zu sein und sich dafür von ihm bezahlen läßt. Und Sie glaubten die einzige Person auf der Welt zu sein, die ihn trotz des Zorns seiner Eltern, trotz des Hochmuts seiner Familie, trotz seines Schwurs, trotz seines Charakters, trotz der ganzen Welt treu erhalten wollten? Das heißt, Sie wollten die Welt umkehren. – – Und da Sie nun sehen daß es fehlgeschlagen hat, so glauben Sie bei andern Ihren Plan auszuführen und sehen nicht, daß das was Sie für Liebe bei den Leuten halten, nichts als Mitleiden mit Ihrer Geschichte, oder gar was Schlimmers ist. Mariane fällt vor ihr auf die Knie, verbirgt ihr Gesicht in ihren Schoß und schluchst. Entschließ dich bestes Kind! unglückliches Mädchen, noch ist es Zeit, noch ist der Abgrund zu vermeiden, ich will sterben, wenn ich dich nicht herausziehe. Lassen Sie sich alle Anschläge auf meinen Sohn vergehen, er ist versprochen, die Fräulein Anklam hat seine Hand und sein Herz. Aber kommen Sie mit in mein Haus, Ihre Ehre hat einen großen Stoß gelitten, das ist der einzige Weg, sie wieder herzustellen. Werden Sie meine Gesellschafterin und machen Sie sich gefaßt in einem Jahr keine Mannsperson zu sehen. Sie sollen mir meine Tochter erziehen helfen – kommen Sie wir wollen[227] gleich zu Ihrer Mutter gehen und sie um Erlaubnis bitten, daß Sie mit mir fahren dürfen.

MARIANE hebt den Kopf rührend aus ihrem Schoß auf. Gnädige Frau – es ist zu spät.

GRÄFIN hastig. Es ist nie zu spät vernünftig zu werden. Ich setze Ihnen tausend Taler zur Aussteuer aus, ich weiß daß Ihre Eltern Schulden haben.

MARIANE noch immer auf den Knien, halb rückwärts fallend, mit gefaltenen Händen. Ach gnädige Frau, erlauben Sie mir daß ich mich drüber bedenke – daß ich alles das meiner Mutter vorstelle.

GRÄFIN. Gut liebes Kind, tun Sie Ihr Bestes – Sie sollen Zeitvertreib genug bei mir haben, ich will Sie im Zeichnen, Tanzen und Singen unterrichten lassen.

MARIANE fällt auf ihr Gesicht. O gar zu, gar zu gnädige Frau.

GRÄFIN. Ich muß fort – Ihre Mutter würde mich in einem wunderlichen Zustand antreffen. Geht schnell ab, sieht noch durch die Tür hinein nach Marianen, die noch immer wie im Gebet liegt. Adieu Kind! Ab.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 225-228.
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