Dritte Szene

[212] In Lille.

Jungfer Zipfersaat. Eine Magd aus Weseners Hause.


JUNGFER ZIPFERSAAT. Sie ist zu Hause, aber sie läßt sich nicht sprechen? Denk doch, ist sie so vornehm geworden?

MAGD. Sie sagt sie hat zu tun, sie liest in einem Buch.

JUNGFER ZIPFERSAAT. Sag Sie ihr nur, ich hätt ihr etwas zu sagen, woran ihr alles in der Welt gelegen ist.


Mariane kommt, ein Buch in der Hand. Mit nachlässigem Ton.


MARIANE. Guten Morgen Jungfer Zipfersaat. Warum hat Sie sich nicht gesetzt?

JUNGFER ZIPFERSAAT. Ich kam Ihr nur zu sagen, daß der Baron Desportes diesen Morgen weggelaufen ist.

MARIANE. Was redst du da?


Ganz außer sich.


JUNGFER ZIPFERSAAT. Sie kann es mir glauben, er ist meinem Vetter über die siebenhundert Taler schuldig geblieben, und als sie auf sein Zimmer kamen, fanden sie alles ausgeräumt und einen Zettel auf dem Tisch, wo er[212] ihnen schrieb, sie sollten sich keine vergebliche Mühe geben ihm nachzusetzen, er hab seinen Abschied genommen und wolle in österreichische Dienste gehen.

MARIANE schluchsend läuft heraus und ruft. Pappa! Pappa!

WESENER hinter der Szene. Na was ist?

MARIANE. Komm Er doch geschwind herauf, lieber Pappa!

JUNGER ZIPFERSAAT. Da sieht Sie wie die Herren Offiziers sind. Das hätt ich Ihr wollen zum voraus sagen.

WESENER kommt herein. Na was ist – Ihr Diener Jungfer Zipfersaat.

MARIANE. Pappa was sollen wir anfangen? Der Desportes ist weggelaufen.

WESENER. Ei sieh doch, wer erzählt dir denn so artige Histörchen.

MARIANE. Er ist dem jungen Herrn Seidenhändler Zipfersaat siebenhundert Taler schuldig geblieben und hat einen Zettel auf dem Tisch gelassen, daß er in seinem Leben nicht nach Flandern wiederkommen will.

WESENER sehr böse. Was das ein gottloses verdammtes Gered – Sich auf die Brust schlagend. Ich sag gut für die siebenhundert Taler, versteht Sie mich Jungfer Zipfersaat? Und für noch einmal soviel wenn Sie's haben will. Ich hab mit dem Hause über die dreißig Jahr verkehrt, aber das sind die gottsvergessenen Neider –

JUNGFER ZIPFERSAAT. Das wird meinem Vetter eine große Freude machen Herr Wesener, wenn Sie es auf sich nehmen wollen den guten Namen vom Herrn Baron zu retten.

WESENER. Ich geh mit Ihr, den Augenblick. Sucht seinen Hut. Ich will den Leuten das Maul stopfen, die sich unterstehen wollen, mir das Haus in üblen Ruf zu bringen, versteht Sie mich.

MARIANE. Aber Papa – Ungeduldig. O ich wünschte daß ich ihn nie gesehen hätte.


[213] Wesener und Jungfer Zipfersaat gehen ab.


MARIANE wirft sich in den Sorgstuhl und nachdem sie eine Weile in tiefen Gedanken gesessen, ruft sie ängstlich. Lotte! – – Lotte!


Charlotte kommt.


CHARLOTTE. Na was willst du denn, daß du mich so rufst.

MARIANE geht ihr entgegen. Lottchen – mein liebes Lottchen. Ihr unter dem Kinn streichelnd.

CHARLOTTE. Na Gott behüt, wo kommt das Wunder?

MARIANE. Du bist auch mein allerbestes Scharlottel, du.

CHARLOTTE. Gewiß will Sie wieder Geld von mir leihen.

MARIANE. Ich will dir auch alles zu Gefallen tun.

CHARLOTTE. Ei was ich habe nicht Zeit.


Will gehen.


MARIANE hält sie. So hör doch – nur für einen Augenblick – kannst du mir nicht helfen einen Brief schreiben?

CHARLOTTE. Ich habe nicht Zeit.

MARIANE. Nur ein paar Zeilen – ich laß dir auch die Perlen vor sechs Livres.

CHARLOTTE. An wen denn?

MARIANE beschämt. An den Stolzius.

CHARLOTTE fängt an zu lachen. Schlägt Ihr das Gewissen?

MARIANE halb weinend. So laß doch –

CHARLOTTE setzt sich an den Tisch. Na was willst du ihm denn schreiben – Sie weiß wie ungern ich schreib.

MARIANE. Ich hab so ein Zittern in den Händen – schreib so oben oder in einer Reihe wie du willst: »Mein liebwertester Freund.«

CHARLOTTE. Mein liebwertester Freund.

MARIANE. »Dero haben in Ihren letzten Schreiben mir billige Gelegenheit gegeben, da meine Ehre angegriffen.«

CHARLOTTE. Angegriffen.

MARIANE. »Indessen müssen nicht alle Ausdrücke auf der Waagschale legen, sondern auf das Herz ansehen, das Ihnen« – wart wie soll ich nun schreiben.[214]

CHARLOTTE. Was weiß ich?

MARIANE. So sag doch wie heißt das Wort nun.

CHARLOTTE. Weiß ich denn was du ihm schreiben willst.

MARIANE. »Daß mein Herz und –«


Fängt an zu weinen und wirft sich in den Lehnstuhl.


CHARLOTTE sieht sie an und lacht. Na was soll ich ihm denn schreiben?

MARIANE schluchsend. Schreib was du willst.

CHARLOTTE schreibt und liest. »Daß mein Herz nicht so wankelmütig ist als Sie es sich vorstellen« – ist so recht?

MARIANE springt auf und sieht ihr über die Schulter. Ja so ist recht, so ist recht. Sie umhalsend. Mein altes Scharlottel du.

CHARLOTTE. Na so laß Sie mich doch ausschreiben.

MARIANE spaziert ein paarmal auf und ab, dann springt sie plötzlich zu ihr, reißt ihr das Papier unter dem Arm weg und zerreißt's in tausend Stücken.

CHARLOTTE in Wut. Na seht doch – ist das nicht ein Luder – eben da ich den besten Gedanken hatte – aber so eine Canaille ist Sie.

MARIANE. Canaille vous même.

CHARLOTTE droht ihr mit dem Dintenfaß. Du –

MARIANE. Sie sucht einen noch mehr zu kränken, wenn man schon im Unglück ist.

CHARLOTTE. Luder! warum zerreißt du denn, da ich eben im besten Schreiben bin.

MARIANE ganz hitzig. Schimpf nicht!

CHARLOTTE auch halb weinend. Warum zerreißt du denn?

MARIANE. Soll ich ihm denn vorlügen? Fängt äußerst heftig an zu weinen und wirft sich mit dem Gesicht auf einen Stuhl.

WESENER tritt herein.


Mariane sieht auf und fliegt ihm an den Hals.


MARIANE zitternd. Pappa, lieber Pappa, wie steht's – um Gotteswillen, red Er doch.[215]

WESENER. So sei doch nicht so närrisch, er ist ja nicht aus der Welt, Sie tut ja wie abgeschmackt –

MARIANE. Wenn er aber fort ist –

WESENER. Wenn er fort ist so muß er wiederkommen, ich glaube Sie hat den Verstand verloren und will mich auch wunderlich machen. Ich kenne das Haus seit länger als gestern, sie werden doch das nicht wollen auf sich sitzen lassen. Kurz und gut, schick herauf zu unserm Notarius droben, ob er zu Hause ist, ich will den Wechsel, den ich für ihn unterschrieben habe, fidimieren lassen, zugleich die Kopei von dem Promesse de Mariage, und alles den Eltern zuschicken.

MARIANE. Ach Papa, lieber Pappa! ich will gleich selber laufen und ihn holen.


Läuft über Hals und Kopf ab.


WESENER. Das Mädel kann Gott verzeih mir einem Louis quatorze selber das Herz machen in die Hosen fallen. Aber schlecht ist das auch von Monsieur le Baron, ich will es bei seinem Herrn Vatter schon für ihn kochen, wart du nur. – Wo bleibt sie denn? Geht Marianen nach.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 212-216.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Soldaten
Die Soldaten (Dodo Press)
Die Soldaten. ( Literatur- Kommentar, 8). Texte, Materialien, Kommentar
Jakob Michael Reinhold Lenz, Der Hofmeister/Die Soldaten
Die Soldaten / Der Hofmeister: Dramen (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Suttner, Bertha von

Memoiren

Memoiren

»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.

530 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon