Neunte Szene

[234] In Armentières.

Ein Konzert im Hause der Frau Bischof.

Verschiedene Damen im Kreise um das Orchester, unter denen auch Frau Bischof und ihre Cousine. Verschiedene[234] Offiziere, unter denen auch Haudy, Rammler, Mary, Desportes, Gilbert, stehen vor ihnen und unterhalten die Damen.


MADEMOISELLE BISCHOF zu Rammler. Und Sie sind auch hier eingezogen, Herr Baron?

RAMMLER verbeugt sich stillschweigend und wird rot über und über.

HAUDY. Er hat sein Logis im zweiten Stock genommen grad gegenüber Ihrer Frau Base Schlafkammer.

MADEMOISELLE BISCHOF. Das hab ich gehört. Ich wünsche meiner Base viel Glück.

MADAME BISCHOF schielt und lächelt auf eine kokette Art. He he he, der Herr Baron wäre wohl nicht eingezogen, wenn ihm nicht der Herr von Gilbert mein Haus so rekummandiert hätte. Und zum andern begegne ich allen meinen Herren auf eine solche Art, daß sie sich nicht über mich werden zu beklagen haben.

MADEMOISELLE BISCHOF. Das glaub ich, Sie werden sich gut miteinander vertragen.

GILBERT. Es ist mit alledem so ein kleiner Haken unter den beiden, sonst wäre Rammler nicht hier eingezogen.

MADAME BISCHOF. So? Hält den Fächer vorm Gesicht. He he he, seiter wenn denn, meinten Sie, Herr von Gilbert, seiter wenn denn?

HAUDY. Seit dem letzten Konzert-Abend, wissen Sie wohl Madame.

RAMMLER zupft Haudy. Haudy.

MADAME BISCHOF schlägt ihn mit dem Fächer. Unartiger Herr Major! müssen Sie denn auch alles gleich herausplappern.

RAMMLER. Madame! ich weiß gar nicht, wie wir so familiär mit einander sollten geworden sein, ich bitte mir's aus –

MADAME BISCHOF sehr böse. So Herr? und Sie wollen sich noch mausig machen, und zum andern müßten Sie[235] sich das noch für eine große Ehre halten wenn eine Frau von meinem Alter und von meinem Charaktère sich familiär mit Ihnen gemacht hätte, und denk doch einmal was Er sich nicht einbildt der junge Herr.

ALLE OFFIZIERS. Ach Rammler – Pfui Rammler – das ist doch nicht recht wie du der Madam begegnest.

RAMMLER. Madame halten Sie das Maul oder ich brech Ihnen Arm und Bein entzwei und werf Sie zum Fenster hinaus.

MADAME BISCHOF steht wütend auf. Herr komm Er Faßt ihn an Arm. – den Augenblick komm Er, probier Er mir was Leids zu tun.

ALLE. In die Schlafkammer Rammler, Sie fodert dich heraus.

MADAME BISCHOF. Wenn Er sich noch breit macht, so werf ich ihn aus dem Hause heraus weiß Er das. Und der Weg zum Kommendanten ist nicht weit. Fängt an zu weinen. Denk doch mir in meinem eigenen Hause Impertinenzien zu sagen, der impertinente Flegel –

MADEMOISELLE BISCHOF. Nun still doch Bäslein, der Herr Baron hat es ja so übel nicht gemeint. Er hat ja nur gespaßt, so sei Sie doch ruhig.

GILBERT. Rammler sei vernünftig, ich bitte dich. Was für Ehre hast du davon ein alt Weib zu beleidigen.

RAMMLER. Ihr könnt mir alle –


Läuft heraus.


MARY. Ist das nicht lustig Desportes? Was fehlt dir? Du lachst ja nicht.

DESPORTES. Ich hab erstaunende Stiche auf der Brust. Der Katarrh wird mich noch umbringen.

MARY. Ist das aber nicht zum Zerspringen mit dem Original? Sahst du wie er braun und blau um die Nase ward für Ärgernis. Ein andrer würde sich lustig gemacht haben mit der alten Vettel.

STOLZIUS kommt herein und zupft Mary.

MARY. Was ist?

STOLZIUS. Nehmen Sie doch nicht ungnädig Herr Lieutenant![236] wollten Sie nicht auf einen Augenblick in die Kammer kommen.

MARY. Was gibt's denn? Habt Ihr wo was erfahren.

STOLZIUS schüttelt mit dem Kopf.

MARY. Nun denn Geht etwas weiter vorwärts. – so sagt nur hier.

STOLZIUS. Die Ratten haben die vorige Nacht Ihr bestes Antolagenhemd zerfressen; eben als ich den Wäscheschrank aufmachte, sprangen mir zwei drei entgegen.

MARY. Was ist daran gelegen? – Laßt Gift aussetzen.

STOLZIUS. Da muß ich ein versiegeltes Zettelchen von Ihnen haben.

MARY unwillig. Warum kommt Ihr mir denn just jetzt.

STOLZIUS. Auf den Abend hab ich nicht Zeit, Herr Lieutenant – ich muß heute noch bei der Lieferung von den Mundierungsstücken sein.

MARY. Da habt Ihr meine Uhr, Ihr könnt ja mit meinem Petschaft zusiegeln.


Stolzius geht ab – Mary tritt wieder zur Gesellschaft. Eine Symphonie hebt an.


DESPORTES der sich in einen Winkel gestellt hat, für sich. Ihr Bild steht unaufhörlich vor mir – Pfui Teufel! fort mit den Gedanken. Kann ich dafür daß sie so eine wird. Sie hat's ja nicht besser haben wollen. Tritt wieder zur andern Gesellschaft und hustet erbärmlich.


Mary steckt ihm ein Stück Lakritze in den Mund. Er erschrickt. Mary lacht.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 234-237.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Soldaten
Die Soldaten (Dodo Press)
Die Soldaten. ( Literatur- Kommentar, 8). Texte, Materialien, Kommentar
Jakob Michael Reinhold Lenz, Der Hofmeister/Die Soldaten
Die Soldaten / Der Hofmeister: Dramen (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Apuleius

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der in einen Esel verwandelte Lucius erzählt von seinen Irrfahrten, die ihn in absonderliche erotische Abenteuer mit einfachen Zofen und vornehmen Mädchen stürzen. Er trifft auf grobe Sadisten und homoerotische Priester, auf Transvestiten und Flagellanten. Verfällt einer adeligen Sodomitin und landet schließlich aus Scham über die öffentliche Kopulation allein am Strand von Korinth wo ihm die Göttin Isis erscheint und seine Rückverwandlung betreibt. Der vielschichtige Roman parodiert die Homer'sche Odyssee in burlesk-komischer Art und Weise.

196 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon