Zweite Fassung der Schlußszene

[245] Des Obristen Wohnung.

Der Obriste Graf von Spannheim. Die Gräfin La Roche.


GRÄFIN. Haben Sie die beiden Unglücklichen gesehen? Ich habe das Herz noch nicht. Der Anblick tötete mich.

OBRISTER. Er hat mich zehn Jahre älter gemacht. Und daß das bei meinem Corps – ich will dem Mann alle seine Schulden bezahlen, und noch tausend Taler zu seiner Schadloshaltung obenein. Hernach will ich sehen, was ich bei dem Vater des Bösewichts für diese durch ihn verwüstete Familie auswirken kann.

GRÄFIN. Würdiger Mann! nehmen Sie meinen heißesten Dank in dieser Träne – das beste liebenswürdigste Geschöpf! was für Hoffnungen fing ich nicht schon an von ihr zu schöpfen.


Sie weint.[245]


OBRISTER. Diese Tränen machen Ihnen Ehre. Sie erweichen auch mich. Und warum sollte ich nicht weinen, ich, der fürs Vaterland streiten und sterben soll, einen Bürger desselben durch einen meiner Untergebenen mit seinem ganzen Hause in den unwiederbringlichsten Untergang gestürzt zu sehen.

GRÄFIN. Das sind die Folgen des ehlosen Standes der Herren Soldaten.

OBRISTER zuckt die Schultern. Wie ist dem abzuhelfen? Schon Homer hat, deucht mich, gesagt, ein guter Ehmann sei ein schlechter Soldat. Und die Erfahrung bestätigt's. – Ich habe allezeit eine besondere Idee gehabt, wenn ich die Geschichte der Andromeda gelesen. Ich sehe die Soldaten an wie das Ungeheuer, dem schon von Zeit zu Zeit ein unglückliches Frauenzimmer freiwillig aufgeopfert werden muß, damit die übrigen Gattinnen und Töchter verschont bleiben.

GRÄFIN. Wie verstehen Sie das?

OBRISTER. Wenn der König eine Pflanzschule von Soldatenweibern anlegte; die müßten sich aber freilich denn schon dazu verstehen, den hohen Begriffen, die sich ein junges Frauenzimmer von ewigen Verbindungen macht, zu entsagen.

GRÄFIN. Ich zweifle, daß sich ein Frauenzimmer von Ehre dazu entschließen könnte.

OBRISTER. Amazonen müßten es sein. Eine edle Empfindung, deucht mich, hält hier der andern die Waage. Die Delikatesse der weiblichen Ehre dem Gedanken, eine Märtyrerin für den Staat zu sein.

GRÄFIN. Wie wenig kennt ihr Männer doch das Herz und die Wünsche eines Frauenzimmers.

OBRISTER. Freilich müßte der König das Beste tun, diesen Stand glänzend und rühmlich zu machen. Dafür ersparte er die Werbegelder und die Kinder gehörten ihm. O ich wünschte, daß sich nur einer fände, diese Gedanken bei Hofe durchzutreiben, ich wollte ihm schon[246] Quellen entdecken. Die Beschützer des Staats würden sodann auch sein Glück sein, die äußere Sicherheit desselben nicht die innere aufheben, und in der bisher durch uns zerrütteten Gesellschaft Fried und Wohlfahrt aller und Freude sich untereinander küssen.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 245-247.
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