Neuntes Kapitel

[491] Von der Unruhe und den Sorgen, die zunächst den Frieden des Grafen-Herzogs störten, und von der glücklichen Ruhe, die ihnen folgte. Von den Beschäftigungen des Ministers in seiner Zurückgezogenheit


Die Gräfin von Olivares ließ ihren Mann nach Loeches aufbrechen und blieb noch einige Tage am Hofe zurück, um zu versuchen, ob sie durch Bitten und Tränen seine Wiederberufung erreichen könnte; aber sooft sie sich auch Ihren Majestäten[491] zu Füßen warf, der König beachtete ihre kunstvoll vorbereiteten Demonstrationen nicht, und die Königin, die sie tödlich haßte, sah ihre Tränen mit Vergnügen fließen. Die Gattin des Ministers ließ sich nicht abschrecken, sie demütigte sich so weit, daß sie die Vermittlung der Damen der Königin anflehte; aber die Frucht ihrer Erniedrigungen war einzig die Einsicht, daß sie mehr Verachtung als Mitleid erregten. Trostlos, all die demütigenden Schritte umsonst getan zu haben, reiste sie zu ihrem Gatten, um mit ihm über den Verlust einer Stellung zu trauern, die unter einer Herrschaft wie der Philipps IV. vielleicht die erste der Monarchie war.

Der Bericht, den diese Dame von dem Zustand gab, in dem sie Madrid verlassen hatte, verdoppelte den Kummer des Grafen-Herzogs. Eure Feinde, sagte sie weinend, der Herzog von Medina-Coeli und die andern Granden, die Euch hassen, loben den König unaufhörlich, weil er Euch vom Ministerium entfernt hat, und das Volk feiert Euern Sturz mit unverschämter Freude, als hinge das Ende der Mißgeschicke des Staates von dem Eurer Verwaltung ab. Frau Gräfin, sagte mein Herr, folgt meinem Beispiel, schluckt Euren Schmerz hinunter; man muß vor dem Gewitter weichen, das man nicht abwenden kann. Ich hatte freilich geglaubt, ich könnte mir mein Ansehen bis zum Schluß meines Lebens erhalten: die gewöhnliche Täuschung der Minister und Günstlinge, die vergessen, daß ihr Los von ihrem Souverän abhängt. Ist nicht der Herzog von Lerma ebenso wie ich enttäuscht worden, obgleich er glaubte, der Purpur, den er trug sei eine sichere Bürgschaft für die ewige Dauer seiner Macht.

So ermahnte der Graf-Herzog seine Gattin, sich mit Geduld zu wappnen, während er selber in einer Aufregung war, die täglich aus den von Don Henrico gesandten Depeschen neue Nahrung sog; denn dieser Adoptivsohn war am Hofe geblieben, um zu beobachten, was vorging, und hielt ihn genau auf dem laufenden. Scipio brachte die Briefe des jungen[492] Herrn, bei dem er immer noch war, während ich ihn seit seiner Heirat mit Doña Juana verlassen hatte. Seine Depeschen waren stets voll schlimmer Nachrichten, und leider durfte man schon keine anderen mehr erwarten. Bald schrieb er, die Granden begnügten sich nicht mehr damit, ihrer Freude über den Rücktritt des Grafen-Herzogs offen Ausdruck zu geben, sie hätten sich auch sämtlich vereinigt, seine Günstlinge aus ihren Ämtern und Stellungen zu verjagen, die sie mit seinen Feinden besetzten. Ein andres Mal schrieb er, Don Luis de Haro gewinne sich die Gunst, und allem Anschein nach werde er Erster Minister werden. Von allem Traurigen, was mein Herr erfuhr, schien ihn am meisten der Wechsel im Vizekönigtum Neapel zu betrüben, das der Hof, einzig um ihm Schmerz zu bereiten, dem Herzog von Medina de las Torres, den er liebte, nahm und es dem Admiral von Kastilien gab, den er von jeher gehaßt hatte.

Man kann sagen, drei Monate lang hatte Seine Exzellenz in der Einsamkeit nur Unruhe und Kummer; aber sein Beichtvater, der Dominikanermönch, der männliche Beredsamkeit mit unerschütterlicher Frömmigkeit verband, besaß die Kraft, ihn zu trösten. Er stellte ihm energisch vor, er dürfe nur noch an sein Seelenheil denken, und es gelang ihm mit Gottes Hilfe, die Gedanken des Ministers vom Hofe abzulenken. Seine Exzellenz wollte aus Madrid nichts mehr hören und hatte keine andre Sorge mehr als die, sich auf ein seliges Ende vorzubereiten. Die Gräfin von Olivares aber machte auch ihrerseits guten Gebrauch von ihrer Zurückgezogenheit und fand in dem Kloster, dessen Gründerin sie war, einen Trost der Vorsehung: unter den Nonnen waren Heilige, deren salbungsvolle Reden die Bitterkeit ihres Lebens unvermerkt in Süße kehrten. Und als mein Herr seine Gedanken von den irdischen Dingen abwendete, wurde er nach und nach ruhiger. Seine Tage regelte er in folgender Weise: Fast den ganzen Vormittag hörte er in der Klosterkirche[493] Messen; dann kam er zum Mittagsmahl nach Hause; nachher amüsierte er sich zwei Stunden lang, indem er mit mir und einigen der anhänglichsten Diener allerlei Spiele spielte; schließlich zog er sich meist allein in sein Kabinett zurück, wo er bis Sonnenuntergang blieb, um dann durch seinen Garten zu gehn oder, bald von mir, bald von seinem Beichtvater begleitet, im Wagen in der Umgebung des Schlosses spazieren zu fahren.

Eines Tages, als ich mit ihm allein war und mir die Heiterkeit seines Gesichtsausdruckes auffiel, nahm ich mir die Freiheit und sagte zu ihm: Gnädiger Herr, erlaubt, daß ich meiner Freude freien Lauf lasse; ich sehe an Eurer zufriedenen Miene, daß Eure Exzellenz sich an die Zurückgezogenheit zu gewöhnen beginnt. Ich bin schon daran gewöhnt, erwiderte er; und obgleich ich mich so lange mit Geschäften zu befassen hatte, beteuere ich dir doch, mein Freund, daß ich von Tag zu Tag an diesem ruhigen und friedlichen Leben immer mehr Gefallen finde.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 491-494.
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