Viertes Kapitel

[478] Von dem neuen Amt, das der Minister Santillana gab


Auch ich empfand Lukretias Unglück lebhaft, und das Gewissen quälte mich so sehr, daß ich mich als einen Verworfenen ansah und trotz der hohen Stellung des Liebhabers, dessen Liebe ich gedient hatte, beschloß, diesen Heroldsstab auf immer niederzulegen; ich gab sogar dem Minister zu erkennen, wie widerwillig ich ihn trug, und ich bat ihn, mich zu andern Dingen zu verwenden. Er schien erstaunt über meine Tugend. Santillana, sagte er, dein Feingefühl erfreut mich; und da du ein so ehrenhafter Mensch bist, so will ich dir ein Amt übertragen, das besser zu deiner Sittsamkeit paßt. Es handelt sich um folgendes: höre aufmerksam an, was ich dir anvertrauen will.

Ein paar Jahre, ehe ich zur Macht kam, sagte er, bot eines Tages der Zufall meinen Blicken eine Dame dar, die mir so schön und wohlgebaut schien, daß ich sie verfolgen ließ. Ich erfuhr, daß es eine Genueserin war, namens Doña Margarita Spinola, die in Madrid vom Ertrag ihrer Schönheit lebte; man sagte mir sogar, der Alkalde Don Francisco de Valcasar, ein verheirateter reicher Greis, gebe große Summen für diese Kokette aus. Der Bericht, der mir für sie nur hätte Verachtung einflößen sollen, erweckte vielmehr ein heftiges Verlangen in mir, ihre Gunst mit Valcasar zu teilen. Um zu erreichen, was ich wünschte, nahm ich meine Zuflucht zu einer Liebesvermittlerin, die gewandt genug war, mir in Kürze eine heimliche Zusammenkunft mit der Genueserin zu verschaffen; und dieser Zusammenkunft folgten noch viele[478] weitere, so daß wir beide, mein Rivale und ich, für unsre Geschenke gleich gut behandelt wurden. Vielleicht hatte sie auch noch einen dritten Galan, der ebenso glücklich war wie wir.

Wie dem auch sei, während Margarita durcheinander so viel Huldigungen erhielt, wurde sie Mutter und brachte einen Knaben zur Welt, mit dessen Vaterschaft sie jeden ihrer Liebhaber gesondert beehren wollte; aber da keiner sich mit gutem Gewissen rühmen konnte, dies Kind erzeugt zu haben, so wollte es keiner anerkennen, und die Genueserin mußte es von dem Ertrag ihrer Abenteuer aufziehn: das hat sie achtzehn Jahre hindurch getan; dann starb sie und hinterließ ihren Sohn ohne Besitz und, was schlimmer ist, ohne Erziehung.

Das, fuhr der Minister fort, wollte ich dir anvertrauen, und jetzt will ich dich über meinen großen Plan unterrichten. Ich will dies unglückliche Kind aus dem Nichts erheben, will es aus einem Extrem ins andre führen, es als meinen Sohn anerkennen und zu Ehren bringen.

Es war mir unmöglich, zu diesem tollen Plan zu schweigen. Wie, gnädiger Herr, rief ich aus, kann Eure Exzellenz einen so sonderbaren Entschluß fassen! Verzeiht mir das Wort, es entschlüpft mir im Eifer. Du wirst ihn vernünftig finden, fuhr er rasch fort, wenn ich dir sage, welche Gründe mich zu ihm treiben. Ich will nicht, daß meine Verwandten von den Seitenlinien mich beerben. Du wirst mir sagen, ich stände noch nicht in einem Alter, daß ich daran verzweifeln müßte, von der Gräfin von Olivares noch Kinder zu erhalten. Aber jeder kennt sich; es genüge dir, zu erfahren, daß ich vergebens alle Geheimnisse der Wissenschaft benutzt habe, um wieder Vater zu werden. Da also der Zufall mir, wo die Natur versagt, ein Kind entgegenbringt, dessen Vater ich am Ende vielleicht wirklich bin, so adoptiere ich es; es ist beschlossene Sache.

Als ich sah, daß der Minister sich diese Adoption in den[479] Kopf gesetzt hatte, widersprach ich ihm nicht mehr, denn ich kannte ihn als einen Menschen, der eher eine Dummheit beging, als daß er von seinem Willen ließ. Es handelt sich nur noch darum, fuhr er fort, Don Henrico Philippo de Guzman – denn diesen Namen soll er führen, bis er imstande ist, die Würden, die auf ihn warten, zu tragen – eine Erziehung zu geben. Dich, mein lieber Santillana, erwähle ich zu seinem Führer; ich verlasse mich auf deinen Verstand und deine Ergebenheit: du sollst sein Haus verwalten, für ihn alle Lehrer auswählen und ihn, mit einem Wort, zu einem vollendeten Kavalier erziehn. Ich wollte mich vor diesem Amt bewahren, indem ich dem Grafen-Herzog vorhielt, es komme mir schwerlich zu, junge Edelleute zu erziehn, da ich diesen Beruf nie ausgeübt hätte, und er verlange mehr Wissen und Verdienst, als ich besäße; aber er unterbrach mich und schloß mir den Mund, indem er mir sagte, er wolle durchaus, daß ich der Hofmeister dieses Adoptivsohnes würde, den er für die höchsten Ämter der Monarchie bestimme. Ich bereitete mich also auf dieses neue Amt vor, um den Minister zufriedenzustellen; und zum Lohn für meine Bereitwilligkeit erhöhte er mein kleines Einkommen um eine Rente von tausend Talern auf das Ordensgut von Mambra, die er mir verschaffte oder vielmehr schenkte.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 478-480.
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