II

[10] Es war gegen sechs Uhr abends. Das Wetter war warm, mild und etwas trüb, mit einem Wort recht angenehm. Das Haus meines Onkels ist allen bekannt, es ist eines der ersten Häuser von Moskau. Ich war aber noch niemals darin gewesen und hatte den Onkel nicht einmal aus der Ferne gesehen.[10]

Ich gehe aber recht selbstbewußt hin und sage mir: läßt er mich vor, so ist es gut, und läßt er mich nicht vor, so brauch' ich ihn nicht.

Ich komme in den Hof; vor der Einfahrt steht eine Equipage, die Pferde sind wie zwei Löwen, pechkohlrabenschwarz, mit langen Mähnen, und das Fell glänzt wie teurer Atlas.

Ich gehe die Treppe hinauf und sage: »So und so, ich bin Neffe und Student, meldet mich, bitte, Ilja Fedossejewitsch.« Und die Leute antworten mir:

»Ilja Fedossejewitsch kommen gleich selbst heraus, sie wollen gerade ausfahren.«

Es erscheint eine einfache aber höchst majestätische Gestalt; in den Augen hat er einige Ähnlichkeit mit meiner Mutter, aber der Gesichtsausdruck ist doch ganz anders. Ein solider Mann, was man so nennt.

Ich stellte mich vor; er hörte mich schweigend an, reichte mir die Hand und sagte:

»Setz dich, wir wollen ausfahren.«

Ich wollte eigentlich nein sagen, brachte es aber doch nicht über die Lippen und setzte mich in den Wagen.

»Nach dem Park!« befahl er dem Kutscher.

Die Löwen rasten dahin, so daß das Hinterteil des Wagens nur so zitterte; als wir aber außerhalb der Stadt waren, fingen sie an, noch schneller zu rennen.

Wir sitzen im Wagen, sprechen kein Wort, und ich sehe nur, wie sich der Onkel seinen Zylinderhut immer tiefer in die Stirne drückt und wie sein Gesicht, wohl vor Langweile, immer griesgrämiger wird.

Er schaut immer nach den Seiten; einmal wirft er aber den Blick auf mich und sagt ganz unvermittelt:[11]

»Es ist gar kein Leben!«

Ich wußte nicht, was darauf zu antworten und schwieg.

Und wir fahren immer weiter; ich denke mir: wo will er mich nur hinbringen? Und es scheint mir schon, daß ich in eine dumme Geschichte hineingeraten bin.

Der Onkel hatte aber wohl inzwischen irgendeinen Beschluß gefaßt und begann den Kutscher zu kommandieren:

»Rechts! Links! Zum ›Jar‹!«

Aus dem Restaurant stürzt die ganze Dienerschaft heraus, und alle verneigen sich vor ihm fast bis zur Erde. Der Onkel sitzt aber im Wagen, rührt sich nicht und läßt den Besitzer rufen. Man läuft sofort hin. Nun erscheint der Franzose und verbeugt sich mit großem Respekt. Der Onkel rührt sich noch immer nicht, klappert mit dem Elfenbeingriff seines Stockes gegen die Zähne und fragt:

»Wieviel Fremde habt ihr im Haus?«

»An die dreißig Personen in den Sälen,« antwortet der Franzose, »und drei Séparés sind besetzt.«

»Alle sollen hinaus!«

»Sehr gut.«

»Jetzt ist es sieben,« sagt Onkel nach einem Blick auf die Uhr, »um acht komm ich wieder. Wird alles fertig sein?«

»Nein,« antwortet jener, »um acht wird es nicht gehen ... Viele haben sich ihre Sachen vorausbestellt ... Aber so gegen neun wird im ganzen Restaurant keine fremde Seele sein.«

»Gut.«

»Was soll ich vorbereiten?«

»Selbstverständlich einen Zigeunerchor.«[12]

»Und noch was?«

»Ein Orchester.«

»Nur eines?«

»Nein, lieber zwei.«

»Soll ich den Rjabyka holen lassen?«

»Selbstverständlich.«

»Französische Damen?«

»Nein, die will ich nicht!«

»Weine?«

»Den ganzen Keller.«

»Speisen?«

»Die Karte!«

Man reicht ihm die Tageskarte.

Der Onkel wirft einen Blick auf die Karte, liest sie wohl gar nicht, klopft mit dem Stock auf das Papier und sagt:

»Dies alles für hundert Personen.«

Und er rollt die Karte zusammen und steckt sie sich in die Tasche.

Der Franzose ist erfreut, zugleich aber auch etwas verlegen.

»Für hundert Personen kann ich es unmöglich herrichten« sagt er, »denn es sind auch sehr teure Sachen dabei, von denen ich nur fünf oder sechs Portionen im Hause habe.«

»Wie soll ich meine Gäste sortieren? Ein jeder soll alles haben, was er will. Verstanden?«

»Sehr wohl.«

»Sonst wird dir auch der Rjabyka nicht helfen, mein Lieber! Kutscher, pascholl!«

Wir ließen den Restaurateur mit seinen Lakaien stehen und fuhren davon.[13]

Nun war es mir vollkommen klar, daß ich auf ein falsches Geleise geraten war. Ich versuchte, mich zu verabschieden, der Onkel hörte aber nicht auf mich. Er schien sehr besorgt. Wir fahren durch den Park, und er ruft bald den einen, und bald den andern an.

»Um neun Uhr zum ›Jar‹!« sagt Onkel einem jeden kurz.

Die Leute, an die er sich wendet, sind lauter ehrwürdige Greise. Alle ziehen vor ihm den Hut und antworten ebenso kurz:

»Wir sind deine Gäste, Fedossejewitsch.«

Ich glaube, wir hatten auf diese Weise an die zwanzig Personen eingeladen. Als die Uhr neun schlug, fuhren wir wieder zum ›Jar‹. Ein ganzes Rudel Kellner stürzte uns entgegen, alle halfen dem Onkel aus dem Wagen, der Franzose selbst empfing ihn vor der Türe und klopfte ihm mit der Serviette den Staub von der Hose ab.

»Ist's geräumt?« fragt der Onkel.

»Ein General ist nur noch da,« sagt jener. »Er bittet sehr, noch eine Weile im Séparé bleiben zu dürfen.«

»Hinaus mit ihm!«

»Er ist wirklich sehr bald fertig.«

»Ich will nicht, er hat genug Zeit gehabt, soll er seine Sachen draußen auf dem Rasen zu Ende essen.«

Ich weiß nicht wie das geendet hätte, aber der General kam in diesem Augenblick mit seinen zwei Damen heraus, stieg in den Wagen und fuhr davon. Gleichzeitig begannen die Gäste zusammenzuströmen, die der Onkel im Parke eingeladen hatte.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 10-14.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon