Sechster Brief

[283] An ebendenselben


Es ist mir lieb, daß Sie sich auf die Nachricht, die ich Ihnen von dem so genannten Hurenkriege geben werde, freuen. Es ist unwidersprechlich, daß seine Seltenheit außerordentlich ist, und daß man nichts davon weiß, als das wenige, was Matthesius davon sagt. Lemnius drohte am Ende seiner Apologie im Voraus damit, und versprach die Greuel des wollüstigen Wittenbergs auf das schrecklichste darinne aufzudecken. Er versicherte, daß er sehr wohl davon unterrichtet wäre, weil er Zeit seines Aufenthalts in Wittenberg, vielen Gesellschaften beigewohnet, in welchen er von dem und jenem dieses und jenes Hausgeheimnis erfahren hätte. Allein mit diesem Bekenntnisse hat er sich Schaden getan, weil wahrhaftig das Geschwätze akademischer Wüstlinge, welches ohne Zweifel seine Gesellschafter waren, eine schlechte Quelle der Wahrheit ist. Doch was bekümmerte er sich um die Wahrheit? Er suchte bloß seine Widersacher verhaßt zu machen, und ihnen Schimpf und Schande in einem weit reichlichern Maße, als er von ihnen bekommen hatte, wieder zuzumessen. Ich räume es Ihnen ein, daß er großmütig würde gehandelt haben, wann er sich nicht zu rächen gesucht, sondern, in seine eigne Tugend eingehüllt, die Rechtfertigung der Nachwelt erwartet hätte. Doch wie vielen ist es gegeben[283] so großmütig zu handeln? Und gehören die Dichter unter diese wenigen? Selbst Horaz, der sich gelassene Horaz, sagt: Dem sei der Himmel gnädig, der mich angreift!


Flebit, et insignis tota cantabitur Urbe.


Ein jeder wehrt sich womit er kann; der Wolf mit den Zähnen; der Ochse mit den Hörnern: und die Natur selbst lehrt es sie. Der erzürnte Cervius droht mit Gesetz und Urteln, und die feindselige Candia mit Gift:


Ut, quo quis valeat, suspectos terreat.


Soll der arme Dichter nur allein seine Waffen nicht brauchen? Und sind die mit Geißeln bewaffneten Satyrs, die ihnen Apoll zur Bedeckung gegeben, nicht das einzige, was sie noch ein wenig in Ansehen erhält? Noch besser würde es um sie stehen, wann das Lykambische Gehemnis nicht verloren gegangen wäre, einen Feind durch Stichelreden so weit zu treiben, daß er aus Verzweiflung zum Stricke greifen muß. Ha! Ha! Meine Herrn Toren, ich wollte alsdann den Wald sehen, in welchem nicht ein jeder Baum, wenigstens einen von Ihnen hätte reif werden lassen!


– – – – In malos asperrimus

Parata tollo cornua:


dachte also auch Lemnius, und wer weiß ob wir nicht auch beide eben so gedacht hätten? Lassen Sie uns auf keine Tugend stolz tun, die wir noch nicht haben zeigen können. Ein beleidigter Mensch ist ein Mensch; und ein beleidigter Poet ist es gedoppelt. Die Rache ist süße, und Sie sollen es gleich an einem kleinen Exempel sehen. Ich will hier meinen Brief schließen, und Sie noch acht Tage auf mein Anekdoton warten lassen. Und warum? – – Hat uns doch ihre Mademoisell Schwester schon dreimal acht Tage vergebens auf ihren Besuch warten lassen. Aber, werden Sie sagen, was geht mich meine Schwester an? – – Aber hören Sie es denn nicht, daß ich mich rächen will? Leben Sie wohl![284]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 283-285.
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